JudikaturJustiz10ObS64/06v

10ObS64/06v – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Mai 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Partei Marktgemeinde T*****, vertreten durch Dr. Robert Müller und Mag. Gregor Riess, Rechtsanwälte in Hainfeld, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1201 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Zuschuss nach Entgeltfortzahlung, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 27. Jänner 2006, GZ 7 Rs 7/06k-10, 7 Rs 8/06g-10, 7 Rs 9/06d-10, 7 Rs 10/06a-10, 7 Rs 11/06y-10, 7 Rs 12/06w-10 und 7 Rs 13/06t-10, womit die Beschlüsse des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. November 2005, GZ 26 Cgs 154/05h-4, 26 Cgs 155/05f-4, 26 Cgs 156/05b-4, 26 Cgs 157/05z-4, 26 Cgs 158/05x-4 und 26 Cgs 159/05v-4, bestätigt wurden, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Sozialrechtssachen werden mit dem Auftrag, das gesetzmäßige Verfahren über die Klagen unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund durchzuführen, an das Prozessgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheiden vom 2. 9. 2005 lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt die Anträge der klagenden Gemeinde vom 22. 7. 2005 auf Zuschuss nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG für die Dienstverhinderungen ihrer Dienstnehmer Franz M***** (30. 5. 2005 - 11. 7. 2005), Erwin H***** (12. 5. 2005 - 17. 5. 2005), Erwin H***** (25. 1. 2005 - 16. 2. 2005), Hans B***** (25. 4. 2005 - 9. 5. 2005), Hans B***** (11. 2. 2005 - 25. 2. 2005), Alfred W*****(11. 1. 2005 - 20. 2. 2005) und Monika L***** (19. 4. 2005 - 12. 6. 2005) jeweils mit der Begründung ab, dass die Antragstellerin kein Unternehmen iSd § 53b ASVG sei.

Nach der Rechtsmittelbelehrung könne gegen diesen Bescheid innerhalb der Frist von vier Wochen nach Zustellung Klage beim Landesgericht St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht erhoben werden. Das Erstgericht hat die innerhalb der in der Rechtsmittelbelehrung angegebenen Frist beim angegebenen Arbeits- und Sozialgericht eingebrachten Klagen von Amts wegen ohne Beweisverfahren wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen. Bei dem in § 53b ASVG geregelten, an den Dienstgeber zu leistenden Zuschuss der Unfallversicherung zur Entgeltfortzahlung nach Krankheit oder Unfällen eines Dienstnehmers handle es sich nicht um eine Leistung eines Versicherungsträgers an einen Versicherten und damit nicht um eine Versicherungsleistung. Die Sache sei als Verwaltungssache und nicht als Sozialrechtssache iSd § 65 ASGG zu qualifizieren, weshalb der Rechtsweg unzulässig sei.

Das Rekursgericht gab den Rekursen der klagenden Partei nicht Folge und schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichtes an, welche auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stehe. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges für Ansprüche auf Zuschüsse an den Dienstgeber gemäß § 53b ASVG fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der klagenden Partei mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Bejahung der Zulässigkeit des Rechtsweges.

Die beklagte Partei stellt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung den Antrag, dem Revisionsrekurs der klagenden Partei im Hinblick auf die Zulässigkeit des Rechtsweges stattzugeben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der klagenden Partei, über den gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG ohne Beiziehung fachkundiger Laienrichter zu entscheiden ist, ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig (Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 528 ZPO Rz 34) und auch - im Sinne einer ersatzlosen Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen - berechtigt. Im Rahmen des Hochwasseropferentschädigungs- und Wiederaufbau-Gesetzes 2002, BGBl I 2002/155, wurde die Bestimmung des § 53b in das ASVG eingefügt. Diese Bestimmung sah vor, dass den Dienstgebern Zuschüsse aus Mitteln der Unfallversicherung zur teilweisen Vergütung des Aufwandes für die Entgeltfortzahlung im Sinne des § 3 EFZG oder vergleichbaren österreichischen Rechtsvorschriften geleistet werden können, sofern die Entgeltfortzahlung verunfallten Dienstnehmern gebührt, die (zum Zeitpunkt des Unfalles) bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt versichert waren. Die Zuschüsse können nur Dienstgebern gewährt werden, die regelmäßig weniger als 51 Dienstnehmer beschäftigen, und zwar höchstens für 6 Wochen jährlich in der Höhe von 50 % des fortgezahlten Entgeltes. Die Gewährung der Zuschüsse und deren Abwicklung ist durch Verordnung, welche vom Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit zu erlassen ist, zu regeln. Nach den Gesetzesmaterialien (AB 1285 BlgNR XXI. GP 5) wird durch diese (neue) Maßnahme die Tätigkeit der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt zur vollen Erbringung ihrer Leistungen im Bereich der Leistungen nach Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, wie insbesondere die Erbringung von Unfallheilbehandlung, Prävention, Versehrtenrenten und Rehabilitation sowie auf dem Gebiet der Forschung, nicht beeinträchtigt, sondern lediglich der Gebarungserfolg der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt verringert. Eine nähere Regelung der Gewährung der Zuschüsse an die Dienstgeber und die Abwicklung des Verfahrens erfolgt im Rahmen der Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen über Zuschüsse der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt an Dienstgeber nach Entgeltfortzahlung (BGBl II 2002/443). Diese Verordnung ist mit dem Inkrafttreten der Verordnung der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über Zuschüsse der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt und der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau an Dienstgeber/innen für Entgeltfortzahlung (Entgeltfortzahlungs-Zuschussverordnung), BGBl II 2005/64, außer Kraft getreten.

Seit ihrem Inkrafttreten mit 1. 10. 2002 wurde die Bestimmung des § 53b ASVG über Zuschüsse an die Dienstgeber/innen nach Entgeltfortzahlung bereits mehrfach novelliert (siehe dazu Teschner/Widlar, ASVG 90. Erg-Lfg § 53b Anm 1 und 2). Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass durch das 3. Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2004, BGBl I 2004/171, die Zuschüsse zur teilweisen Vergütung des Aufwandes für die Entgeltfortzahlung nach § 53b ASVG ausdrücklich in den Leistungskatalog der Unfallversicherung (§ 173 ASVG) aufgenommen wurden (§ 173 Z 3 ASVG idF BGBl I 2004/171). Nähere Erläuterungen dazu finden sich in den Gesetzesmaterialien (RV 703 AB 776 BlgNR XXII. GP) allerdings nicht.

Bei den den Arbeits- und Sozialgerichten zur Entscheidung zugewiesenen Sozialrechtssachen handelt es sich um Rechtsstreitigkeiten über die in § 65 Abs 1 ASGG bezeichneten Gegenstände. Die hier allein in Betracht kommende Bestimmung des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG erfasst Rechtsstreitigkeiten über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruches auf Versicherungs- oder Pflegegeldleistungen, soweit hiebei nicht die Versicherungszugehörigkeit, die Versicherungszuständigkeit, die Leistungszugehörigkeit oder die Leistungszuständigkeit in Frage stehen. Die Verweisung des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG auf § 354 Z 1 ASVG stellt klar, dass jene Streitigkeiten erfasst werden sollen, die im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren als Leistungssachen einzustufen sind. Eine Leistungssache nach § 354 Z 1 ASVG muss eine Rechtsstreitigkeit über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruches auf Versicherungsleistungen zum Gegenstand haben. Zwischen den Parteien muss daher entweder der Grund oder die Höhe (der Umfang) des Anspruches auf Versicherungsleistungen oder das Ruhen eines solchen Anspruches streitig sein. Der Kern ist demnach die Frage der Gewährung oder Nichtgewährung von Versicherungsleistungen. Ob das Begehren materiell berechtigt ist, hat bei der Prüfung der Frage, ob die Entscheidung in einer Sozialrechtssache zu treffen ist, außer Betracht zu bleiben. Was nicht als Leistungssache im Sinne der taxativen Aufzählung des § 354 ASVG gelten kann, ist Verwaltungssache

im Sinn des § 355 ASVG (10 ObS 130/00s = SSV-NF 14/62; 10 ObS 362/02m

= SSV-NF 17/81 ua; RIS-Justiz RS0085473). Leistungen, die rechtlich

nicht als solche aus der Sozialversicherung in Betracht kommen, fallen daher nicht unter § 65 Abs 1 Z 1 ASGG. So hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 9/94 (SSV-NF 8/12) die Zurückweisung eines Klagebegehrens auf Kostenerstattung für den Einbau einer für einen Badelifter passenden Badewanne wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges mit der Begründung bestätigt, dass es sich dabei um keine Aufgabe der sozialen Krankenversicherung, also um keine Versicherungsleistung nach dem 2. Teil des ASVG handle. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass durch die Verweisung des § 65 ASGG auf § 354 ASVG als Sozialrechtssachen jene Streitigkeiten erfasst werden sollen, die im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren als Leistungssachen einzustufen sind. Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, dass die Leistungssachen im Wege der sukzessiven Kompetenz den Arbeits- und Sozialgerichten zugewiesen sind. Dies entspricht dem Rechtsschutzkonzept des ASVG, das mit der Zuordnung zu den Leistungssachen die Anrufbarkeit der ordentlichen Gerichte verbindet. Leistungssachen, die nicht der sukzessiven Kompetenz der Gerichte unterliegen, sind in diesen - auf Lückenlosigkeit des Rechtsschutzes angelegten - Konzept ein Fremdkörper. Daher sind solche Konstellationen nur anzunehmen, wo der Gesetzgeber dies ausdrücklich anordnet. Ein Beispiel hiefür bietet § 18 Z 3 EFZG:

Diese Bestimmung ordnet die Erstattungsansprüche der Arbeitgeber nach Entgeltfortzahlung zwar ausdrücklich dem Verfahren in Leistungssachen (§ 354 ASVG) mit der Maßgabe zu, dass der Anspruch auf den Erstattungsbetrag dem Anspruch auf eine Versicherungsleistung aus der Krankenversicherung gleichzuhalten ist, schließt aber die „sachliche Zuständigkeit der Schiedsgerichte" ausdrücklich aus (§ 18 Z 3 lit a EFZG). Statt dessen können die über solche Ansprüche ergehenden Bescheide der Krankenversicherungsträger - obgleich „ihrem Wesen nach" Leistungssachen (RV 1105 BlgNR 13. GP 16 - abgedruckt in Cerny/Kallab, Entgeltfortzahlungsgesetz § 18 Anm 1) - durch Einspruch an den Landeshauptmann (§ 412 ASVG) bekämpft werden (Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 107 f). Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass auch die mit der Gewährung von Erstattungsbeträgen nach dem EFZG vergleichbaren Zuschüsse an die Dienstgeber/innen nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG ihrem Wesen nach eine Leistungssache darstellen, die im Wege der sukzessiven Kompetenz den Arbeits- und Sozialgerichten zur Beurteilung zugewiesen sind. In diesem Sinne hat der Gesetzgeber durch die ausdrückliche Aufnahme der Leistungen nach § 53b ASVG in den Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung in den 3. Teil des ASVG (§ 173 Z 3 ASVG) mit dem 3. Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2004, BGBl I 2004/171, keine Änderung, sondern eine bloße Klarstellung der Rechtslage vorgenommen, wonach es sich beim Anspruch auf Zuschüsse nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG um einen Leistungsanspruch aus der Unfallversicherung nach dem ASVG und damit um eine Leistungssache nach § 354 ASVG bzw eine Sozialrechtssache nach § 65 ASGG handelt; für eine Änderung bieten auch die Gesetzesmaterialien keinerlei Anhaltspunkte.

Für die von der beklagten Partei in ihrer Revisionsrekursbeantwortung vertretene differenzierte Betrachtungsweise, wonach es sich beim Anspruch auf Zuschüsse nach § 53b ASVG bis zum Inkrafttreten des § 173 Z 3 ASVG mit 1. 1. 2005 um eine Verwaltungssache, danach aber um eine Leistungssache gehandelt habe, bieten weder der Gesetzestext noch die Gesetzesmaterialien irgendeinen Anhaltspunkt. Eine solche Differenzierung scheidet auch schon deshalb aus, weil der Anspruch auf Zuschüsse nach § 53b ASVG seinem Wesen nach immer eine Leistungssache im Sinn des § 354 ASVG dargestellt hat und ein Ausschluss der sukzessiven Kompetenz der Arbeits- und Sozialgerichte für die Beurteilung dieser Leistungssache vom Gesetzgeber nie angeordnet wurde. Soweit die Vorinstanzen ihre vom Obersten Gerichtshof nicht geteilte Rechtsansicht auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. 1. 2005, Zl 2004/08/0139 (ARD 5586/10/2005) gestützt haben, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof in dieser Entscheidung mit der Frage, ob eine Leistungssache im Sinn des § 354 ASVG oder eine Verwaltungssache im Sinn des § 355 ASVG vorliegt, inhaltlich nicht befasst hat. Schließlich vermag auf das weitere Argument der Vorinstanzen, beim Zuschuss nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG handle es sich nicht um eine Leistung des Versicherungsträgers an den Versicherten, nicht zu überzeugen, weil, wie insoweit auch die beklagte Partei zutreffend einräumt, der Anspruch auf Zuschuss nach Entgeltfortzahlung dem Dienstgeber (für den Versicherten) zusteht, der Dienstgeber somit als Leistungsempfänger anzusehen ist und ihm daher Parteistellung im vorliegenden Verfahren zukommt. Das Gesetz selbst sieht jedoch nicht vor, dass lediglich Leistungen des Versicherungsträgers gegenüber einem Versicherten als Versicherungsleistung einzustufen wären (vgl dazu auch die oben stehenden Ausführungen zu dem vom Krankenversicherungsträger ebenfalls an den Dienstgeber zu leistenden Erstattungsbetrag nach § 8 EFZG; 10 ObS 382/01a = SSV-NF 15/144).

Da das Begehren der klagenden Partei somit eine Leistungssache im Sinn des § 354 Z 1 ASVG betrifft (in diesem Sinne auch Schrank, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht - eine Gesamtdarstellung für die betriebliche Praxis, Juli 2005, 344/IV), erweist sich der von den Vorinstanzen angenommene Zurückweisungsgrund als nicht berechtigt. Vielmehr ist über die Klagen das gesetzmäßige Verfahren durchzuführen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.