JudikaturJustiz10ObS44/12m

10ObS44/12m – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. April 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Susanne Jonak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. R*****, vertreten durch Dr. Thomas Bründl, Rechtsanwalt in Straßwalchen, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, und der auf Seiten der beklagten Partei beigetretenen Nebenintervenientin Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1050 Wien, Wiedner Hauptstraße 84 86, wegen Aufrechnung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 17. Jänner 2012, GZ 11 Rs 203/11v 14, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens betreffend die Bestimmung des § 103 ASVG iVm § 12a IO iVm § 113a IO vor dem Verfassungsgerichtshof wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die vom Revisionswerber in seiner Zulassungsbeschwerde als erheblich relevierte und in der Entscheidung 10 ObS 233/02s (SSV NF 16/138) ausdrücklich unbeantwortet gelassene Rechtsfrage, ob die Bestimmung des § 113a IO auch im Fall der Aufrechnung nach § 103 ASVG Anwendung findet, muss auch im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden.

2. Gemäß § 113a IO haben Aussonderungsberechtigte und Absonderungsgläubiger an einer Forderung auf Einkünfte aus einem Arbeitsverhältnis oder auf sonstige wiederkehrende Leistungen mit Einkommensersatzfunktion (hier: Pensionsbezug) ihre Aussonderungs oder Absonderungsrechte schriftlich oder mündlich zu Protokoll beim Insolvenzgericht geltend zu machen. Dabei sind der Betrag der dem Ab oder Aussonderungsrecht zugrundeliegenden Forderung und die Tatsachen, auf die sich diese Forderung sowie das Ab oder Aussonderungsrecht gründen, anzugeben sowie die Beweismittel zu bezeichnen, die zum Nachweis der behaupteten Forderung sowie des Ab oder Aussonderungsrechts beigebracht werden können. Aussonderungs und Absonderungsrechte an einer Forderung auf Einkünfte aus einem Arbeitsverhältnis oder auf sonstige wiederkehrende Leistungen mit Einkommensersatzfunktion erlöschen, wenn sie nicht bis zur Abstimmung über einen Zahlungsplan geltend gemacht worden sind.

2.1 Durch diese mit der Insolvenzrechts Novelle 2002, BGBl I 2002/75, eingefügte Anmeldungspflicht für Aus und Absonderungsrechte werden die Aus und Absonderungsgläubiger gezwungen, offen zu legen, ob sie ihre vorrangige Stellung auch tatsächlich in Anspruch nehmen wollen. Dadurch wird Rechtssicherheit hinsichtlich des Bestehens von Aus oder Absonderungsrechten und damit auch über die Höhe des zur Aufbringung der Quote verfügbaren Betrags erreicht. Auf diese Weise kann eine den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalls entsprechende Quote ermittelt und das nachträgliche Scheitern von Zahlungsplänen wegen Auftauchens neuer Aus oder Absonderungsrechte verhindert werden ( Kodek in Buchegger , Österreichisches Insolvenzrecht 4 IV § 113a Rz 3: Konecny in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze § 113a KO Rz 2).

2.2 Nach § 113a Abs 1 IO sind der Betrag der dem Aus bzw Absonderungsrecht zugrundeliegenden Forderung und die Tatsachen, auf die sich diese Forderung sowie das Aus bzw Absonderungsrecht gründen, anzugeben und die Beweismittel zu bezeichnen, die zum Nachweis der behaupteten Forderung sowie des Aus und Absonderungsrechts beigebracht werden können. Diese detaillierten Auskünfte sollen dazu dienen, den Verfahrensbeteiligten einen möglichst vollständigen Überblick über das vom Schuldner verfügbare Einkommen zu vermitteln. Eine Antragstellung ist mit der Geltendmachung nach § 113a IO nicht verbunden. Die Geltendmachung iSd § 113a IO stellt vielmehr eine bloße Anzeige bzw Mitteilung dar, dass sich der Gläubiger auf ein Aus bzw Absonderungsrecht beruft. Sofern der Gläubiger zunächst nur die Konkursforderung anmeldet und erst später sein Aus bzw Absonderungsrecht geltend macht, kann hinsichtlich der zugrundeliegenden Forderung auf die Angaben in der Forderungsanmeldung verwiesen werden ( Kodek aaO § 113a Rz 30 ff mwN). Die Geltendmachung ist zunächst vom Insolvenzgericht in Richtung Zulässigkeitsvoraussetzungen, Form und Inhalt zu prüfen. Liegen behebbare (Form oder Inhalts )Mängel vor, so hat das Insolvenzgericht einen Verbesserungsauftrag zu erteilen ( Kodek aaO § 113a Rz 39 mwN).

2.3 Fraglich ist die (analoge) Anwendbarkeit des § 113a IO auf Aufrechnungsberechtigte iSd § 12a Abs 2 IO, also auf diejenigen Gläubiger, die bis zwei Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Ansprüche gegenüber dem Schuldner gegen dessen Forderungen auf Arbeitseinkünfte oder auf sonstige wiederkehrende Leistungen mit Einkommensersatzfunktion verrechnen dürfen. In der Lehre wird dazu die Auffassung vertreten, dass wegen des inhaltlichen Zusammenhangs zwischen § 12a IO und § 113a IO auch Aufrechnungsberechtigte bei sonstigem Verlust ihre Aufrechnungsmöglichkeit anzeigen müssen (vgl Konecny in Konecny/Schubert § 113a KO Rz 10; Kodek aaO § 113a Rz 14). Der erkennende Senat hat dazu in der erst jüngst ergangenen Entscheidung 10 ObS 54/11f die Auffassung vertreten, dass es bei einer Aufrechnung des Sozialversicherungsträgers (nur) auf den unpfändbaren Teil der Pension keiner Anzeige des Aufrechnungsberechtigten im Sinn einer analogen Anwendung des § 113a KO (nunmehr IO) bedürfe, da der Regelungszweck dieser Bestimmung jedenfalls nicht die Unterlassung der Geltendmachung der Aufrechnungsbefugnis in den insolvenzfreien Teil des Schuldnervermögens erfasse.

2.4 Die Frage, ob eine Aufrechnung nach § 103 ASVG (auch) gegen den pfändbaren Teil der Bezüge der Anmeldungspflicht nach § 113a Abs 1 IO unterliege, muss hier nicht abschließend beurteilt werden, weil nach der aufgrund der näher festgestellten Umstände des Einzelfalls jedenfalls vertretbaren Begründung des Berufungsgerichts die Aufrechnungsbefugnis bereits vor der Abstimmung über den Zahlungsplan ausreichend geltend gemacht wurde. Danach hat die Nebenintervenientin ihre Beitragsforderung aus dem Rückstandsausweis in Höhe von 24.685,95 EUR als Insolvenzforderung fristgerecht angemeldet. Diese Forderung wurde vom Kläger in der Prüfungstagsatzung am 25. 1. 2011 zur Gänze und vorbehaltlos anerkannt. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 31. 1. 2011 sprach die beklagte Partei gegenüber dem Kläger aus, dass die offene Forderung der Nebenintervenientin an Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von 24.685,95 EUR ab 1. 2. 2011 (mit dem monatlichen Betrag von 676,35 EUR) auf den Leistungsanspruch des Klägers aufgerechnet werde. In ihrer Begründung verwies die beklagte Partei darauf, dass sie im Rahmen der („trägerübergreifenden“) Aufrechnung nach § 103 ASVG berechtigt sei, auf die von ihr zu erbringende Geldleistung die vom Anspruchsberechtigten einem Versicherungsträger nach dem ASVG oder einem anderen Bundesgesetz geschuldeten fälligen Beiträge aufzurechnen. Mit Schreiben vom 4. 2. 2011 teilte die beklagte Partei auch dem Insolvenzgericht mit, dass ab Februar 2011 die monatlichen Abzüge von der Korridorpension des Klägers zugunsten einer Aufrechnung gemäß § 103 ASVG der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft verwendet werden. Diesem Umstand trug auch der in der Folge vom Kläger vorgelegte Zahlungsplan Rechnung, in dem festgehalten wurde, dass die Gläubiger eine Quote von 13,33 % innerhalb von sieben Jahren in Form von fünf gleich hohen jährlichen Raten erhalten, wobei die erste per 31. 12. 2013 „nach Beendigung der Aufrechnung SVA“ fällig sei, die weiteren vier jeweils per 31. Dezember des Folgejahres.

2.5 Wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage zu dem Ergebnis gelangte, dass die Aufrechnungsbefugnis iSd § 113a IO rechtzeitig geltend gemacht wurde, kann darin vom Obersten Gerichtshof keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden.

3. Soweit der Revisionswerber weiters geltend macht, dass für die Aufrechnung der Forderung gegen den unpfändbaren Teil seiner Pensionsbezüge die zeitliche Beschränkung des § 12a Abs 2 IO nicht gelte, eine Aufrechnung daher über einen Zeitraum von zwei Jahren hinaus vorgenommen werden könne und es für ihn daher nicht ersichtlich sei, für welchen Zeitraum und in welcher Höhe eine Aufrechnung der Forderung der Nebenintervenientin mit seinen Pensionsansprüchen erfolgen werde, wodurch die mit der Insolvenzrechts Novelle 2002 neu eingeführte Bestimmung des § 113a IO ad absurdum geführt werde, ist seinen Ausführungen insoweit zu folgen, als die Beschränkung des § 12a Abs 2 IO nur für den pfändbaren Teil des Einkommens gilt, während die Aufrechnungsmöglichkeit hinsichtlich des unpfändbaren Teils nicht beschränkt ist (vgl 10 ObS 152/01b, SSV NF 15/105 mwN ua). Diese Auffassung wurde unter anderem damit begründet, dass die unpfändbaren Bezugsteile von den rechtspolitischen Zielsetzungen des § 12a KO (nunmehr IO) nicht erfasst seien, weil sie nicht zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger dienen. Dass in der Praxis Schuldner gelegentlich freiwillige Teile des Existenzminimums zur Befriedigung der Gläubiger heranziehen, ist kein entscheidendes Gegenargument, weil die Gläubiger keinen durchsetzbaren Anspruch darauf haben. Aus diesem Grund kommt auch im Fall einer Aufrechnung nur auf den unpfändbaren Teil der Pension eine (analoge) Anwendbarkeit des § 113a IO nicht in Betracht, weil die Aufrechnungsbefugnis in das insolvenzfreie Schuldnervermögen dem Aufrechnungsberechtigten eine zusätzliche Befriedigungsmöglichkeit verschafft und die Gläubiger nicht beeinträchtigt. Die Aufrechnung gegen unpfändbare Pensionsbezüge ist auch im Insolvenzverfahren des Beitragsschuldners grundsätzlich zulässig. Die Aufrechnungsbefugnis des Sozialversicherungsträgers zugunsten seiner Insolvenzforderung verleiht ihm eine Deckung, die einem Absonderungsrecht vergleichbar ist, und privilegiert ihn nicht bloß konkursintern (§ 19 Abs 1 IO), sondern auch in Bezug auf das konkursfreie Vermögen (10 ObS 54/11f mwN).

3.1 Der erkennende Senat vermag aber darin auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Revision weiterhin keine Verfassungswidrigkeit im Sinne einer gleichheitswidrigen Bevorzugung der Gläubigergruppe der Sozialversicherungsträger zu erkennen (vgl RIS Justiz RS0110624). Nach ständiger Rechtsprechung kommt dem Rechtsmittelwerber kein Antragsrecht auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof zu (RIS Justiz RS0053805), sodass sein diesbezüglich gestellter Antrag zurückzuweisen ist.