JudikaturJustiz10ObS308/90

10ObS308/90 – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Oktober 1990

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Oskar Harter (Arbeitgeber) und Claus Bauer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef E***, Tischler, 5722 Niedernsill, Lengdorf 69, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei A***

U***, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung der Folgen einer Berufskrankheit, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Mai 1990, GZ 12 Rs 53/90-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10. Jänner 1990, GZ 16 Cgs 37/89-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei lehnte die Gewährung einer Versehrtenrente für die Folgen der Erkrankung des Klägers an Asthma bronchiale unter Berufung auf § 177 Abs 1 ASVG ab.

Der Kläger begehrte, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm zur Abgeltung der Folgen seiner Berufskrankheit Asthma bronchiale ab 1.3.1988 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 70 % der Vollrente zu gewähren.

Das Erstgericht stellte fest, daß die (vom Kläger) geltend gemachte Gesundheitsstörung, nämlich Nasenrinnen, Atemnot, Atemnotanfälle und Husten, Folge der beim Kläger vorliegenden Berufskrankheit Asthma bronchiale ist und wies das als "Mehrbegehren" bezeichnete Leistungsbegehren ab. Es nahm im wesentlichen folgendes als erwiesen an:

Der am 27.11.1950 geborene Kläger war seit 1970 im erlernten Beruf eines Tischlers tätig. Seit 1980 litt er zunehmend an Beschwerden in Form von Nasenrinnen, Atemnot, Atemnotanfällen und Husten. Aus allergologischer Sicht besteht "wahrscheinlich" eine Inhalationsallergie auf einige Holzstäube und "möglicherweise" eine Inhalationsallergie auf einige nicht berufliche Allergene. Lungenfachärztlich zeigt sich ein durch Edelholzstäube hervorgerufenes exogen allergisches Asthma bei überregiblem Bronchialsystem. Es liegt die Berufskrankheit Asthma bronchiale vor. Aufgrund der beruflich zugezogenen inhalativen Schädigung ist der Kläger gezwungen, die schädigende Erwerbsarbeit aufzugeben. Derzeit besteht bei Allergenkarenz Beschwerdefreiheit. Sofern der Kläger die schädigende Erwerbstätigkeit weiterhin ausübt, tritt eine Beschwerdesymptomatik auf, die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von weniger als 20 % nach sich zieht.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß der Kläger zwar keinen Anspruch auf Versehrtenrente habe, weil seine Erwerbsfähigkeit nicht um mindestens 20 % gemindert ist, daß seine Beschwerden jedoch die Folge einer Berufskrankheit seien, was gemäß § 82 Abs 5 ASGG festzustellen sei.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei gegen den feststellenden Teil des Ersturteils erhobenen Berufung nicht Folge. Es hindere nicht die Feststellung einer Berufskrankheit, daß der Versicherungsfall noch nicht eingetreten sei. Die beklagte Partei habe trotz der Feststellung des Kausalzusammenhanges zwischen der beim Kläger bestehenden Berufskrankheit und der bei ihm auftretenden Beschwerden zukünftige Leistungen nur für die durch die Berufskrankheit verursachte Erwerbsminderung zu erbringen. Der Annahme einer Berufskrankheit stehe nicht entgegen, daß der Kläger derzeit keine Beschwerden habe, weil es nicht auf die Beschwerdefreiheit nach Aufgabe der Tätigkeit, sondern darauf ankomme, ob das Leiden bei Fortsetzung der Beschäftigung wieder auflebe.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn der vollständigen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gemäß § 46 Abs 4 ASGG zulässig (SSV-NF 2/143), aber nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, weil hiezu nur Feststellungsmängel geltend gemacht werden, die mit der rechtlichen Beurteilung der Sache in Zusammenhang stehen. Die entsprechenden Ausführungen gehören daher zur Rechtsrüge (SZ 23/175; EFSlg. 34.501; JBl 1982, 311 ua) und werden im folgenden behandelt, zumal die unrichtige Benennung des Revisionsgrundes gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 84 Abs 2 ZPO unerheblich ist.

Die beklagte Partei meint in der Revision, daß die bekämpfte Feststellung nicht hätte getroffen werden dürfen, weil der Versicherungsfall noch nicht eingetreten sei. Sie übersieht dabei aber ebenso wie das Berufungsgericht, daß in der Unfallversicherung gemäß § 174 Z 2 ASVG der Versicherungsfall bei Berufskrankheiten mit dem Beginn der Krankheit (§ 120 Abs 1 Z 1) oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, mit dem Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 203) als eingetreten gilt. Für einzelne Krankheiten ergibt sich aus der Anlage 1 zum ASVG noch, daß bestimmte weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Im Fall des unter Nr. 30 der Anlage angeführten Asthma bronchiale ist dies die - durch die Krankheit erzwungene - Aufgabe der schädigenden Erwerbsarbeit.

Das Erstgericht hat festgestellt, daß der Kläger aufgrund der inhalativen Schädigungen, die er sich durch seine Berufstätigkeit zuzog, gezwungen ist, diese Berufstätigkeit aufzugeben. Durch diese Feststellung wollte das Erstgericht offensichtlich auch zum Ausdruck bringen, daß der Kläger die Berufstätigkeit aufgrund dieses Zwanges zu dem für die Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung schon aufgegeben hatte, zumal die Verfahrensergebisse darauf hinwiesen. Das Erstgericht hatte nämlich schon in der Tagsatzung vom 8. November 1989 die Ergänzung des Sachverständigengutachtens zur Frage beschlossen, welche Beschwerden sich ergäben, wenn der Kläger die schädigende Erwerbstätigkeit wieder aufnähme. Ferner ist dem Protokoll über die Tagsatzung vom 10.1.1990 zu entnehmen, daß der Kläger angab, er habe seine Erwerbstätigkeit als Tischler mit 1.9.1989 aufgegeben. Ähnliches ging schon aus seinem Schriftsatz vom 18.12.1979 hervor, in dem er beantragte, den Sachverständigen neuerlich ergänzend darüber zu befragen, wie hoch die Minderung der Erwerbsfähigkeit wäre, wenn er die schädigende Erwerbstätigkeit wieder aufnähme. Die beklagte Partei hat im übrigen weder im Verfahren in erster Instanz noch in ihren Rechtsmitteln behauptet, daß der Kläger seinen Beruf als Tischler zur Zeit des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch ausgeübt habe. Es ist unter diesen Umständen die - schon im angefochtenen Urteil enthaltene - Annahme gerechtfertigt, daß dies nicht der Fall war.

Aus den Feststellungen des Erstgerichtes ergibt sich ferner, daß die Aufgabe der schädigenden Erwerbsarbeit durch das Asthma bronchiale erzwungen wurde, an dem der Kläger leidet. Daraus folgt, daß die Krankheit des Klägers eine Krankheit im Sinn der Nr. 30 der im Anhang 1 zum ASVG bezeichneten Krankheiten ist. Sie wurde durch die Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung verursacht, weshalb die Vorinstanzen gemäß § 177 Abs 1 ASVG zutreffend davon ausgegangen sind, daß es sich um eine Berufskrankheit im Sinn dieser Bestimmung handelt. Da sie schon begonnen hat, ist auch der Versicherungsfall schon eingetreten.

Das Erstgericht hat somit dem Feststellungsbegehren, welches das Leistungsbegehren des Klägers gemäß § 82 Abs 5 ASGG als Eventualbegehren enthielt, zu Recht stattgegeben, wobei der Umstand, daß der Kläger derzeit infolge der Aufgabe der schädigenden Erwerbsarbeit an den hiedurch verursachten Beschwerden nicht leidet, dem nicht entgegensteht (SSV-NF 1/65, 2/104; 10 Ob S 100/90). Die beklagte Partei verkennt in der Revision die Wirkungen dieser Entscheidung. Die rechtskräftige und damit für die Parteien bindende (vgl. Kuderna, ASGG 427) Feststellung des Kausalzusammenhangs bezieht sich nämlich nur auf die Gesundheitsstörung, die zur Zeit der Entscheidung schon bekannt war. Die Feststellung bewirkt bloß eine Umkehr der Beweislast: Begehrt der Versicherte später Leistungen wegen einer gleichartigen Gesundheitsstörung, so ist er vom Beweis des - anspruchsbegründenden - Kausalzusammenhangs befreit. Der Versicherungsträger hat aber die Möglichkeit zu beweisen, daß die geltend gemachte Gesundheitsstörung von jener verschieden ist, für die der Kausalzusammenhang mit dem Arbeitsunfall oder der Berufskrankheit festgestellt wurde. Ebenso steht ihm gegebenenfalls der Beweis offen, daß der Versicherte die schädigende Erwerbsarbeit wieder aufgenommen hat. Dadurch hätte nämlich die Feststellung über das Vorliegen einer Berufskrankheit infolge der Änderung der Verhältnisse ihre bindende Wirkung verloren.

Die Vorinstanzen haben dem Feststellungsbegehren daher ohne Rechtsirrtum stattgegeben.

Rechtssätze
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