JudikaturJustiz10ObS117/02g

10ObS117/02g – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Juni 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter (Senat nach § 11a ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerlind Maria S*****, vertreten durch Dr. Ronald Rast und Dr. Christian Werner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen Kostenerstattung, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. Februar 2002, GZ 23 Rs 12/02i-89, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. Jänner 2002, GZ 42 Cgs 99/98w-86, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Klägerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Frist zur Erhebung der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. November 2001, GZ 42 Cgs 99/98w-82, bewilligt wird.

Text

Begründung:

Das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. 11. 2001, GZ 42 Cgs 99/98w-82, mit dem das Klagebegehren abgewiesen wurde, wurde dem Klagevertreter am 7. 12. 2001 zugestellt. Die vierwöchige Berufungsfrist endete somit am 4. 1. 2002.

In der Kanzlei des Klagevertreters ist Elisabeth S***** seit mehr als 16 Jahren für die Eintragung sämtlicher Fristen in den Fristenkalender zuständig. Elisabeth S***** war zunächst neun Jahre bei Gericht und mehr als zwei Jahre in anderen Rechtsanwaltskanzleien beschäftigt. Seit 11. 11. 1985 ist sie in der Rechtsanwaltskanzlei des Klagevertreters beschäftigt. Bei der Eintragung der Berufungsfrist in der gegenständlichen Rechtssache unterlief Elisabeth S***** insofern ein Fehler, als sie übersah, dass es sich dabei um eine Sozialrechtssache handelt und daher die Bestimmungen über die Gerichtsferien keine Anwendung finden. Ein vergleichbarer Fehler war Elisabeth S***** während ihrer langjährigen Tätigkeit beim Klagevertreter noch nie unterlaufen. Ihre Eintragungen in den Fristenkalender werden vom Klagevertreter und dessen Kanzleipartner stichprobenartig überprüft. Ob eine solche Überprüfung auch im Zeitraum ab Zustellung des Urteils bis zum Ablauf der Berufungsfrist erfolgte, konnte nicht festgestellt werden. Am 8. 1. 2002 wurde der Akt dem Rechtsanwaltsanwärter Mag. Thomas R***** zur Verfassung einer Berufung vorgelegt. Dieser entdeckte den bei der Eintragung der Berufungsfrist unterlaufenen Irrtum.

Mit einem am 22. 1. 2002 zur Post gegebenen Schriftsatz erhob die Klägerin Berufung verbunden mit einem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegn die Versäumung der Berufungsfrist.

Das Erstgericht nahm den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt als bescheinigt an und wies den Wiedereinsetzungsantrag ab. Die Übertragung der Führung des Fristenbuches an Elisabeth S***** stelle für sich allein keine Sorgfaltsverletzung dar, wenn die Überwachungs- und Kontrollpflichten ausreichend wahrgenommen würden. Stichprobenartige Kontrollen reichten nur in Ausnahmefällen. Gerade derartige Stichproben würden in der Kanzlei des Klagevertreters auch vorgenommen. Dennoch seien solche entweder im Zeitraum ab 7. 12. 2001 nicht vorgenommen worden oder es sei auch dem Klagevertreter bei der Kontrolle ein Fehler unterlaufen. Bei ausreichender Kontrolle hätte ihm nämlich auffallen müssen, dass die Berufungsfrist falsch eingetragen worden sei, zumal sich entweder aus dem Aktenzeichen oder der Bezeichnung des erkennenden Gerichtes zwingend ergebe, dass die Bestimmungen über die Gerichtsferien nicht gelten. Im Übrigen sei eine besondere Sorgfältigkeit im gegenständlichen Verfahren schon deshalb zu erwarten gewesen, weil dieses seit 1996 anhängig sei und von beiden Seiten mit großer Akribie geführt werde. Eine anwaltliche Kontrolle der einzutragenden Rechtsmittelfrist sei daher jedenfalls zu erwarten gewesen, womit der Fehler entweder vermieden werden hätte können oer rechtzeitig aufgefallen wäre. Ein Fehler bei der Beurteilung der Frage, ob eine Ferialsache vorliege oder nicht, sei jedenfalls als grobe Fahrlässigkeit anzusehen, was dem Wiedereinsetzungsbegehren entgegenstehe.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Beim fehlerhaften Fristenvermerk der Kanzleileiterin des Klagevertreters, der in den 16 Jahren ihrer Tätigkeit beim Klagevertreter ein vergleichbarer Irrtum noch nie unterlaufen sei, handle es sich um ein Versehen minderen Grades, welches der begehrten Wiedereinsetzung nicht entgegenstehen würde. Dem Klagevertreter sei jedoch eine Verletzung seiner Überwachungs- und Kontrollpflichten vorzuwerfen. Es könne sich ein Rechtsanwalt im Allgemeinen zwar auf stichprobenartige Überprüfungen von Fristenvormerken einer in dieser Hinsicht viele Jahre zuverlässig tätigen Kanzleileiterin beschränken. Dies gelte jedoch nicht für Verfahren, in denen es, wie in der gegenständlichen Sozialrechtssache, besondere, von den Regelungen der ZPO abweichende gesetzliche Fristenbestimmungen gebe. In derartigen Verfahren könne ein Rechtsanwalt nicht von vornherein davon ausgehen, dass eine auch sonst bei Fristenvormerken verlässliche Kanzleileiterin alle gesetzlichen Sonderbestimmungen für Fristen kenne und diese im Einzelfall beim Fristenvormerk beachte. In diesen Fällen dürfe sich ein Rechtsanwalt daher nicht damit begnügen, die Fristenvormerke stichprobenweise zu überprüfen, sondern er habe entweder durch eine definitive Anweisung an die Kanzleikraft oder durch eine gesonderte Kontrolle im Einzelfall sicherzustellen, dass der Fristenvormerk betreffend die Berufungsfrist richtig eingetragen werde. Eine derartige Vorgangsweise sei in diesen Einzelfällen dem Rechtsanwalt auch vom Aufwand her zumutbar und überspanne seine Organisations- und Kontrollpflichten nicht. Die Vernachlässigung der Überwachungs- und Kontrollpflicht sei daher dem Klagevertreter in diesem besonderen Fall als grobes Verschulden anzulasten, das einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehe.

Weiters sprach das Rekursgericht aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil der Entscheidung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung im Sinn des § 46 Abs 1 ASGG zukomme.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist bewilligt werde.

Die beklagte Partei hat von der ihr eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung keinen Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, und auch berechtigt.

Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Der Umstand, dass einer Partei ein Verschulden an der Versäumung einer Frist zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung dann nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (§ 146 Abs 1 ZPO).

Zunächst ist der Ansicht des Rekursgerichtes beizutreten, wonach es sich bei den von der Kanzleileiterin des Klagevertreters unrichtig gesetzten Fristenvormerk um ein in der langjährigen Tätigkeit der Kanzleileiterin einmaliges Versehen gehandelt hat, welches über den Grad der leichten Fahrlässigkeit nicht hinausgeht und der begehrten Wiedereinsetzung daher nicht entgegensteht.

Nicht gefolgt werden kann jedoch der weiteren Ansicht des Rekursgerichtes, wonach dem Klagevertreter in diesem Zusammenhang eine ungewöhnliche und auffallende Verletzung seiner Überwachungs- und Kontrollpflichten zur Last zu legen ist. Ein Rechtsanwalt muss die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Vornahme von Prozesshandlungen sichergestellt wird, und der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten hinreichend nachkommen (MGA, ZPO15 E Nr 73 zu § 146 mwN ua). Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von Rechtsanwälten sind daher diesen zuzurechnen und ermöglichen jedenfalls dann eine Wiedereinsetzung, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht des Anwalts bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung des Kanzleiangestellten unterlaufen sind (9 ObA 259/90 ua; Fasching, ZPR² Rz 580 mwN). Die Überwachung der Hilfskräfte hat der Anwalt je nach Ausbildung, Einschulung und Verlässlichkeit vorzunehmen (vgl Frauenberger, Wiedereinsetzung nach der ZPO bei verschuldeter Säumnis, ÖJZ 1992, 113 ff [117]; Ertl, Der Wiedereinsetzungswerber und seine Gehilfen, RZ 1998, 3 ff [9] ua). Ist daher ein Kanzleiangestellter grundsätzlich verlässlich und kontrolliert der Anwalt dessen Arbeit regelmäßig stichprobenartig, wird in der Regel vom Vorliegen eines bloß minderen Grad des Versehens auszugehen sein, wenn der Kanzleiangestellte eine Frist falsch vormerkt. Die besonderen Umstände des Einzelfalles sind dabei immer zu berücksichtigen (vgl Bernhard Fink, Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Zivilprozessrecht (1994) 104 mwN; Gitschthaler in Rechberger, ZPO² Rz 18 zu § 146 mwN ua).

Nach dem von den Vorinstanzen als bescheinigt angenommenen Sachverhalt ist davon auszugehen, dass die Kanzleileiterin des Klagevertreters bei Eintragung der Berufungsfrist in den Fristenkalender übersehen hat, dass es sich bei der gegenständlichen Rechtssache um eine Sozialrechtssache handelt und deshalb die Bestimmungen über die Gerichtsferien nicht zur Anwendung kommen. Hingegen wurde entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichtes nicht festgestellt, dass der Kanzleileiterin die Besonderheiten der gesetzlichen Fristenbestimmung in arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren nicht bekannt gewesen seien. Dies ist auch insofern nicht anzunehmen, als die Kanzleileiterin des Klagevertreters festgestelltermaßen seit über 16 Jahren für die Eintragung sämtlicher Fristen in den Fristenkalender zuständig ist und ihr ein vergleichbarer Fehler bisher nicht unterlaufen ist. Der Irrtum der Kanzleileiterin bestand daher allein darin, dass sie übersehen hat, dass es sich bei der gegenständlichen Rechtssache um eine Sozialrechtssache handelt. Ein solcher Fehler kann jedoch auch einer sonst sehr sorgfältigen Kanzleileiterin eines Rechtsanwalts einmal unterlaufen. Wenn man weiters berücksichtigt, dass die Kanzleileiterin über einen Zeitraum von mehr als 16 Jahren die Eintragung sämtlicher Fristen in den Fristenkalender offenbar anstandslos durchgeführt hat, scheidet die Annahme eines Ausbildungsmangels wohl ebenso aus wie die Annahme einer eine grobe Fahrlässigkeit begründenden ungewöhnlichen und auffallenden Sorgfaltsverletzung des Rechtsanwaltes, der sich bei der Überwachung seiner erfahrenen und bewährten Kanzleileiterin auf eine stichprobenartige Überprüfung der Richtigkeit ihrer Eintragungen in den Fristenkalender beschränkt hat. Es hat im Übrigen auch bereits das Rekursgericht die Ansicht vertreten, dass sich ein Rechtsanwalt im Allgemeinen auf eine stichprobenartige Überprüfung von Fristenvormerken einer in dieser Hinsicht viele Jahre bereits zuverlässig tätig gewesenen Kanzleileiterin beschränken kann. Da somit ein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden nicht vorliegt, war dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben.

Eine Kostenentscheidung entfiel, da Kosten im Sinne des § 154 ZPO nicht verzeichnet wurden.