JudikaturJustiz10Ob5/07v

10Ob5/07v – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Juni 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ingrid M***** Pensionistin, *****, vertreten durch Dr. Gustav Dirnberger, Rechtsanwalt in Wien, und des auf Seiten der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenienten Dr. Michael M*****, Richter in Ruhe, *****, gegen die beklagte Partei Dr. Michael L*****, Rechtsanwalt, *****, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 58.614,39 s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 11. Oktober 2006, GZ 1 R 82/06v 28, womit das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 1. Februar 2006, GZ 2 Cg 276/04v 17, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs der beklagten Partei wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird hinsichtlich eines Betrags von EUR 29.307,20 s.A. aufgehoben und insoweit in der Sache das Urteil des Erstgerichtes in der Abweisung von EUR 29.307,20 samt 4 % Zinsen seit 10. 12. 2004 als Teilurteil wiederhergestellt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Im Übrigen wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin führte in S***** ein Damenbekleidungsgeschäft, in dem es im März 1993 zu einer starken Russbildung kam, wodurch die Ware beschädigt wurde.

Im Verfahren 3 Cg 145/93 - später 4 Cg 54/00f und 10 Cg 165/00y - des Landesgerichtes Salzburg verlangte die Klägerin von der I***** GmbH, die seinerzeit Schweißarbeiten an der Heizungsanlage durchgeführt hatte, die Bezahlung von ATS 840.000, - an Schadenersatz. Die Prozessgegnerin beantragte Klagsabweisung, weil durch ihre sachgemäßen Schweißarbeiten weder Russbildung noch Schaden entstanden sei.

Im Laufe des beweis- und zeitaufwendigen Gerichtsverfahrens übernahm der beklagte Rechtsanwalt über Ersuchen des Nebenintervenienten - damals Gerichtsvorsteher des Bezirksgerichtes im Ort des Kanzleisitzes des Beklagten - die Vertretung der Klägerin. Im Hintergrund führte der Nebenintervenient, der damalige Lebensgefährte und jetzige Ehegatte der Klägerin, den Prozess. Am Ende der mündlichen Streitverhandlung vom 9. 2. 2001 erklärte der für die Klägerin anwesende Beklagte, eine allfällige außergerichtliche Einigung dem Gericht binnen vier Wochen bekannt zu geben; die Verhandlung wurde zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens auf unbestimmte Zeit erstreckt.

In der Folge wurden über Ersuchen des Beklagten wegen außergerichtlicher Vergleichsbemühungen zunächst keine gerichtlichen Verfahrensschritte gesetzt. Die Prozessgegnerin bot dem Beklagten außergerichtlich einen Vergleichsbetrag von ATS 400.000, - an, der der Klägerin zu gering war. Nachdem die Prozessgegnerin mit dem an den Beklagten gerichteten Schreiben vom 30. 8. 2001 eine Erhöhung des Vergleichsbetrages abgelehnt hatte, fanden ab September 2001 zwar weiterhin Gespräche innerhalb der Klagsseite und mit dem Beklagten, aber keine Vergleichsverhandlungen mehr mit der Prozessgegnerin statt. Dennoch ersuchte der Beklagte den Verhandlungsrichter mehrmals (25. 9. 2001, 17. 12. 2001, 26. 2. 2002, 17. 5. 2002), mit der Verfahrensfortsetzung zuzuwarten.

Am 5. 12. 2002 stellte der Beklagte für die Klägerin den Antrag auf Anberaumung einer Verhandlung. In der mündlichen Streitverhandlung am 21. 1. 2003 erhob die Prozessgegnerin die Einrede der Verjährung wegen nicht gehöriger Verfahrensfortsetzung nach dem den Vergleichsvorschlag ablehnenden Schreiben vom 30. 8. 2001. Aufgrund dieser Einrede kam es im Vorprozess zu einer rechtskräftigen Klagsabweisung, weil der Antrag vom 5. 12. 2002 als verspätete, nicht gehörige Verfahrensfortsetzung angesehen wurde (siehe 7 Ob 291/03z).

Die Klägerin begehrt nun vom Beklagten (ausgedehnt) EUR 58.614,39 s.A. an Schadenersatz. Sie sei im Vorprozess ihrer Beweispflicht insbesondere zur Kausalität nachgekommen und hätte mit Sicherheit obsiegt. Der Beklagte habe jedoch den unerwarteten Prozessverlust durch seine Säumigkeit verursacht und verschuldet. Trotz des ständigen Drängens des Nebenintervenienten, der den Prozess juristisch aufbereitet habe, habe der Beklagte (im Zusammenhang mit erfolglosen Vergleichsverhandlungen) viel zu spät um eine Verfahrensfortsetzung angesucht. Über die Möglichkeit einer Verjährung habe er die Klägerin nicht belehrt bzw nicht davor gewarnt. Selbst allfällige Weisungen seitens der Klägerin oder des Nebenintervenienten würden an der Haftung des Beklagten nichts ändern, weil sie bei einem Rechtsanwalt Warnpflichten auslösen würden. Hätte der Beklagte die Klägerin pflichtgemäß auf die drohende Verjährung aufmerksam gemacht, hätte sie ihn selbstverständlich angewiesen, den Prozess unverzüglich fortzusetzen. Die Klägerin habe an den Beklagten ATS 60.000, - für dessen Vertretungsleistungen bezahlt. Dieser habe den Schadenersatzanspruch der Klägerin ausdrücklich und uneingeschränkt anerkannt.

Der Beklagte wandte ein, im Vorprozess wäre das Klagebegehren schon deshalb dem Grunde nach abgewiesen worden, weil die Schadenskausalität nicht beweisbar gewesen sei. Die Klägerin hätte den Vorprozess in jedem Fall zur Gänze verloren. Aufgrund seines unentgeltlichen Tätigwerdens hafte er mangels wissentlicher Schadensverursachung nicht.

Im Übrigen sei im Vorprozess zu Unrecht Verjährung angenommen worden. Ihm persönlich sei keine Säumigkeit vorzuwerfen. Der Vorprozess sei nicht von ihm, sondern vom rechtskundigen Nebenintervenienten geführt worden, an dessen Anweisungen er sich gehalten habe. Ihm sei auch vorgegeben worden, mit einer Verfahrensfortsetzung zuzuwarten; erst Anfang Dezember 2002 sei ihm mitgeteilt worden, einen Verhandlungstermin zu beantragen. Die Säumigkeit sei auf das Verhalten der Klägerin und des Nebenintervenienten zurückzuführen; die Klägerin habe sich das Handeln des Nebenintervenienten zurechnen zu lassen. Auch den rechtskundigen Nebenintervenienten treffe ein Verschulden, weil er ebenso die Möglichkeit einer Verjährung erkennen hätte müssen.

Ein konstitutives Anerkenntnis sei nicht abgegeben worden.

Das Erstgericht wies die Klage ab und traf über die eingangs genannten hinaus noch folgende wesentliche Feststellungen:

Im Vorverfahren 10 Cg 165/00y des Landesgerichtes Salzburg trat der Beklagte „nur nach außen hin" als juristischer Vertreter der Klägerin auf, im Hintergrund bereitete der Nebenintervenient das Verfahren auf. Bei der Vollmachtsübergabe bzw -übernahme teilte der Nebenintervenient dem Beklagten mit, er werde alles im Hintergrund erledigen und sich in den Akt einarbeiten, der Beklagte solle nur nach außen hin auftreten. Zwischen dem Nebenintervenienten und der Klägerin war intern vereinbart, dass der Nebenintervenient das Juristische macht und die Entscheidungen über wirtschaftliche Dinge die Klägerin trifft.

Bei Treffen und Gesprächen nach dem 30. 8. 2001 legte der Beklagte der Klägerin und dem Nebenintervenienten nahe, das Vergleichsangebot der Prozessgegnerin anzunehmen. Der Nebenintervenient teilte dem Beklagten mit, er wolle und müsse noch bei der Klägerin rückfragen, wollte aber auch das Endergebnis eines Amtshaftungsverfahrens abwarten. Umgekehrt war dem Beklagten ein mögliches Fristenproblem bzw die Gefahr des Einwandes der nicht gehörigen Verfahrensfortsetzung für den Fall, dass keine weiteren Vergleichsgespräche mehr laufen, nicht bewusst; er informierte darüber weder die Klägerin noch den Nebenintervenienten. Ob ein von der Klägerin an den Nebenintervenienten übergebener Bargeldbetrag von ATS 60.000, - für die Vertretungsleistungen des Beklagten im Vorverfahren 10 Cg 165/00y oder für das Verfahren 5 Cg 233/99g (je des Landesgerichtes Salzburg) dienen sollte, ist nicht feststellbar.

Anlässlich eines Gespräches am 13. 9. 2001 gab der Beklagte gegenüber der Klägerin, ihrer Tochter und dem Nebenintervenienten einen Fehler, nämlich die Nichtaufklärung über die Möglichkeit des Einwandes der nicht gehörigen Verfahrensfortsetzung, zu; in folgenden Gesprächen wiederholte er dies und versicherte ihnen gegenüber, er werde seine Haftpflichtversicherung einschalten, der eingetretene Schaden müsse der Klägerin ersetzt werden.

In rechtlicher Hinsicht qualifizierte das Erstgericht die Beziehung zwischen der Klägerin und dem Nebenintervenienten als schlüssigen Bevollmächtigungsvertrag, weshalb sich die Klägerin das Verhalten und rechtliche Wissen des Nebenintervenienten, der die juristische Verantwortung im Verhältnis „Mandant - Rechtsanwalt" übernommen habe, zurechnen lassen müsse. Jeder Rechtsanwalt sei verpflichtet, die von ihm vertretene Partei vollständig und zutreffend rechtlich zu belehren sowie vor Nachteilen zu schützen. Allerdings entfalle eine Belehrungspflicht, wenn der Rechtsanwalt mit Grund annehmen könne, dass die Partei die Rechtslage vollständig erfasst habe. Der Rechtsanwalt habe seinen Klienten nur über jene Umstände zu belehren, von denen er annehmen müsse, sie seien diesem unbekannt. Handle es sich um einen rechtskundigen Mandanten, dürften die Sorgfaltsanforderungen nicht überspannt werden. Da der Nebenintervenient als Richter als rechtskundiger Mandant anzusehen sei, habe der Beklagte davon ausgehen können, dass der Nebenintervenient die Sach- und Rechtslage rechtlich beurteilen und die Folgen seines Nichttätigwerdens von September 2001 bis Dezember 2002 erkennen habe können, sodass dem Beklagten aus seinem eigenen Nichtwissen kein schadenersatzrechtlich relevanter Vorwurf in Bezug auf die Nichtaufklärung gemacht werden könne. Die Gespräche zwischen der Klagsseite und dem Beklagten hätten zu keinem konstitutiven Anerkenntnis seitens des Beklagten geführt. Auch wenn er seinen Fehler eingestanden habe, habe er die persönliche Haftung weder zugesichert noch anerkannt, sondern seine Haftpflichtversicherung verständigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sah die Tatsachenrügen beider Parteien nicht als berechtigt an, verneinte ein konstitutives Anerkenntnis des Beklagten (weil er keine persönliche Haftung bezüglich einer konkreten Summe unabhängig von einer Zahlung durch die Haftpflichtversicherung übernommen habe) und qualifizierte in seiner weiteren rechtlichen Beurteilung nicht nur das Verhältnis der Klägerin zum Nebenintervenienten, sondern auch jenes zum Beklagten als Bevollmächtigungsvertrag im Sinne des § 1009 ABGB. Da auch unentgeltliche Handlungen unter den Begriff „Geschäft" des § 1009 ABGB fallen würden, liege keine bloße Raterteilung iSd § 1300 ABGB, sondern ein Bevollmächtigungsvertragsverhältnis nach § 1009 ABGB bzw § 9 RAO vor. Dazu komme, dass nach der Rechtsprechung zu § 1300 ABGB nur die Fälle der selbstlosen Raterteilung aus bloßer Gefälligkeit von der Sachverständigenhaftung ausgeschlossen werden sollten, während im Falle des Vorliegens eines Verpflichtungsverhältnisses, hier des Bevollmächtigungsvertrages, dennoch gehaftet werde. Eine solche selbstlose Tätigkeit des Beklagten aus bloßer Gefälligkeit scheitere auch an der unstrittigen und sich aus dem Vorakt ergebenden Tatsache, dass der Beklagte im Vorprozess für die Klägerin Kosten verzeichnet, also Kostenersatz für seine Rechtsanwaltsleistungen von der Prozessgegnerin verlangt habe. Dass der Beklagte im Nachhinein möglicherweise aufgrund des Prozessverlustes keine „Belohnung" (§ 1300 ABGB) für seine Rechtsanwaltsleistungen von der Klägerin verlange, mache das Vollmachtsgeschäft nicht selbstlos iSd § 1300 Satz 2 ABGB und sei möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass die Anwaltsleistungen des Beklagten durch den zugegebenen Fehler des Beklagten und den dadurch verursachten Prozessverlust für die Klägerin wertlos geworden seien.

Auf dieser Grundlage hafte der Beklagte als Rechtsanwalt und Bevollmächtigter nach § 1299 ABGB der Klägerin für seinen Anwaltsfehler. Gemäß § 9 RAO sei der Rechtsanwalt verpflichtet, die Rechte seiner Partei mit Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Diese Bestimmung ergänze § 1009 ABGB, der den Gewalthaber verpflichte, das ihm durch den Bevollmächtigungsvertrag aufgetragene Geschäft umsichtig und redlich zu besorgen. Daraus würden sich für den Anwalt eine Reihe von Warn , Aufklärungs , Informations- und Verhütungspflichten ergeben. Außerdem hafte der Rechtsanwalt bei Unkenntnis der Gesetze sowie der einhelligen Lehre und Rechtsprechung. Der Rechtsanwalt schulde eine fachgerechte Geschäftsbesorgung, und zwar auch gegenüber solchen Mandanten, die selbst über hinreichende Rechtskenntnisse und Rechtserfahrung verfügen; auch gegenüber einem rechtskundigen Mandanten bestehe eine Beratungspflicht. Der Rechtsanwalt dürfe die Wahrung wichtiger Fristen auch nicht seinem Mandanten überantworten.

Im konkreten Fall habe die Klägerin mit der Wahrung ihrer Interessen den rechtskundigen Nebenintervenienten und den beklagten Rechtsanwalt beauftragt, sodass die fachgerechte Geschäftsbesorgung sowohl dem Nebenintervenienten als auch dem Beklagten oblegen sei. „Nach außen hin" habe allerdings nicht der Nebenintervenient, sondern der Beklagte die Klägerin zu vertreten gehabt (nicht zuletzt wegen des Anwaltszwangs). Ausschließlich dem Beklagten sei daher die Vertretung der Klägerin sowohl bei außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen mit der Prozessgegnerin als auch gegenüber dem Gericht oblegen. Damit sei es aber Aufgabe des Beklagten gewesen, in Vertretung der Klägerin für eine gehörige Fortsetzung des Gerichtsverfahrens zu sorgen. Dieser Pflicht sei der Beklagte nicht nachgekommen, weil ihm die diesbezügliche Gesetzeslage (§ 1497 ABGB) und Judikatur nicht bekannt gewesen seien. Aufgrund dieser Unkenntnis, die ihm als Verschulden anzulasten sei, habe er die Klägerin auch gar nicht davor warnen können, dass sich ihr Zuwarten mit einer Entscheidung, das Vergleichsangebot der Prozessgegnerin zu akzeptieren, nachteilig auswirken habe können.

Dass diese Gesetzeslage und Judikatur nicht nur dem Beklagten, sondern auch dem Nebenintervenienten unbekannt gewesen sei, sei nicht weiter rechtlich zu beurteilen, weil der Nebenintervenient hier nicht geklagt worden sei; dieser Umstand könnte allenfalls nur zu einer zusätzlichen, solidarischen Haftung gegenüber der Klägerin, nicht aber zu einer Haftungsbefreiung des Beklagten führen. Soweit zur ungenügenden Vertretung und Beratung durch einen Rechtsanwalt auch noch die ungenügende Beratung durch einen weiteren Juristen käme, wären zwei Schadensursachen gleichzeitig wirksam geworden, von denen jede ausgereicht hätte, den Schaden herbeizuführen, in welchem Fall beide Schädiger den Schaden gemeinsam verursacht und daher gemäß § 1302 ABGB solidarisch zu haften hätten.

Die erstgerichtliche Rechtsansicht, der Beklagte habe keinen Beratungsfehler zu verantworten, weil er annehmen habe können, dass der Nebenintervenient über die Konsequenzen der Nichtfortsetzung Bescheid wisse, werde schon deshalb nicht geteilt, weil der Beklagte ja selbst diese Konsequenzen nicht gekannt habe. Außerdem habe die Klagsseite dem Beklagten trotz wiederholter Anfragen keine Entscheidung über das ursprüngliche Vergleichsangebot der Prozessgegnerin bekannt gegeben, sodass der Beklagte - bei Kenntnis der Gesetzeslage und Judikatur - erkennen hätte müssen, dass dem Nebenintervenienten und der Klägerin die diesbezügliche Gesetzeslage und Judikatur nicht bekannt seien, sodass er diesbezüglich belehren und warnen hätte müssen. Trotz der juristischen Bearbeitung des Aktes durch den Nebenintervenienten habe es keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Beklagte annehmen hätte können, dass der Nebenintervenient über die Konsequenzen der Nichtfortsetzung Bescheid wisse.

Die Klägerin habe im Vorprozess ein Tätigwerden des Gerichtes (im Sinne der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens) vor einer Mitteilung über das Scheitern ihrer Vergleichsbemühungen auch deshalb nicht erwarten können, weil dies einen im Falle des Zustandekommens eines Vergleiches überflüssigen und daher im Interesse der Parteien zu vermeidenden Verfahrensaufwand bedeutet hätte. In der Ansicht des Berufungsgerichtes im Vorprozess, dass die fünfzehn Monate dauernde Inaktivität in Bezug auf die gebotene Klagsfortsetzung als ungewöhnliche Untätigkeit zu qualifizieren sei, habe der OGH zu 7 Ob 291/03z keine Fehlbeurteilung erblickt. Im Übrigen hätten die Parteien jedenfalls erkennen können, dass das Gericht bis zu einem Abschluss der Vergleichsbemühungen von sich aus nicht mehr tätig werde.

Zusammenfassend komme das Berufungsgericht somit rechtlich zum Ergebnis, dass der Beklagte durch die Unterlassung der Aufklärung der Klägerin über die Notwendigkeit der unverzüglichen Stellung eines Fortsetzungsantrags nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen den Prozessverlust im Vorverfahren verschuldet habe und hiefür schadenersatzpflichtig sei. Dies könne jedoch noch nicht zu einer sofortigen Klagsstattgebung führen. Auch bei erwiesenem Verschulden des Beklagten treffe den Geschädigten immer noch die Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen dem vertragswidrigen Verhalten und dem eingetretenen Schaden, weshalb der Ausgang des Vorprozesses hypothetisch nachzuvollziehen und zu beurteilen sei, wie er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geendet hätte.

Auch wenn die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts, die sich nach dem konkreten Auftrag und den sonstigen Umständen des Einzelfalles richten, ausjudiziert seien, sei der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig, da eine vergleichbare Konstellation wie hier, wo sich zwei Juristen die Interessenwahrung der Klägerin aufteilen, indem ein Richter die juristische Aufarbeitung des Aktes und der mit diesem befreundete Rechtsanwalt die Vertretung nach außen übernehme, bisher noch nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen worden sei. In Anbetracht des zu erwartenden, weiteren Prozessaufwandes, der überflüssig wäre, wenn der Oberste Gerichtshof die erstgerichtliche Rechtsansicht billigen würde, erscheine es angebracht, die Anrufbarkeit des Obersten Gerichtshofes schon im jetzigen Verfahrensstadium nicht von vornherein gänzlich auszuschließen.

Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Entscheidung in der Sache im Sinne einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils, in eventu auf Abänderung in eine Klagsabweisung zur Hälfte. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; er ist teilweise auch berechtigt.

Der Beklagte spricht in seinem Rekurs im Wesentlichen folgende Fragen an:

a) Annahme einer (nicht näher determinierten) Bindungswirkung an das Ergebnis des Vorprozesses; vielmehr wäre der Vorprozess vom Gericht von Amts wegen fortzusetzen gewesen, sodass den Beklagten kein Verschulden treffe;

b) Anwendbarkeit des § 1300 Satz 2 ABGB auch im Bevollmächtigungsverhältnis;

c) Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts;

d) Zurechnung des Verhaltens des Nebenintervenienten an die Klägerin;

e) Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts, wenn sich zwei rechtskundige Personen die Interessenwahrung eines Dritten aufteilen;

f) der Klägerin zuzurechnendes Mitverschulden des Nebenintervenienten und Schadensteilung zur Hälfte (keine solidarische Haftung).

ad a (Bindungswirkung):

Die materielle Rechtskraft bezieht sich auf den Urteilsspruch; die Urteilsbegründung wird für sich allein von der materiellen Rechtskraft nicht erfasst (RIS Justiz RS0041256). Diese erstreckt sich nur insoweit auf die Entscheidungsgründe, also sie zur Individualisierung des Spruches notwendig sind (RIS Justiz RS0041454, RS0102102 [T8], RS0112731 ua).

Allerdings hat das Berufungsgericht das Verschulden des Beklagten durch Unterlassung der gebotenen Aufklärung aus den Beweisergebnissen des nunmehrigen Prozesses (darunter auch aus Feststellungen aus dem Vorprozess) abgeleitet, nicht aber aus einer Bindung an das Ergebnis des Vorprozesses.

ad b (Anwendbarkeit des § 1300 Satz 2 ABGB im Bevollmächtigungsverhältnis):

Für einen unentgeltlichen Rat wird nur dann nicht gehaftet, wenn er aus bloßer Gefälligkeit erteilt wurde (RIS Justiz RS0026544). Derartige Selbstlosigkeit wurde von der Judikatur beispielsweise schon dann ausgeschlossen, wenn eine Provision vom Vertragspartner des Klienten erhofft wurde (8 Ob 532/83 = Jbl 1985, 38 = RIS Justiz RS0026596 [T4]). Im Sinne dieser Rechtsprechung schadet der Ansicht des Beklagten, seine Haftung scheide schon nach § 1300 Satz 2 ABGB aus, schon das Legen einer Kostennote im Vorprozess.

ad c Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts:

Das vorliegende Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten, der für erstere eine Prozessvertretung übernommen hat, ist nach den Grundsätzen des § 1009 ABGB und § 9 RAO zu behandeln.

Zu den wichtigsten Aufgaben des Rechtsanwaltes, der eine Vertretung übernimmt, gehört die Belehrung des - meist rechtsunkundigen - Mandanten (RIS Justiz RS0038682). Diese Pflicht besteht grundsätzlich auch gegenüber solchen Mandanten, die über berufene Rechtsberatung von anderer Seite verfügen (vgl 8 Ob 664/92 = ecolex 1993, 238). Insbesondere gilt dies dann, wenn für den Anwalt erkennbar ist oder wäre, dass die Beratung durch die andere rechtskundige Person unrichtig oder unvollständig ist.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits im Zusammenhang mit der Zurückweisung der außerordentlichen Revision im Vorprozess (7 Ob 291/03z) darauf hingewiesen, dass der (durch den Beklagten vertretenen) Klägerin klar sein hätte müssen, dass das Verfahren vor einer ausdrücklich zugesagten weiteren Mitteilung nicht von Amts wegen fortgesetzt werden würde, zumal auch ihren vorangegangenen Ersuchen, mit der Verfahrensfortführung bis zu einer ausdrücklich zugesagten weiteren Mitteilung zuzuwarten, stets entsprochen worden war. Es besteht kein Anlass für das Revisionsgericht, von dieser Rechtsansicht, die sich nun zu Lasten des Beklagten als seinerzeitigem Vertreter der Klägerin auswirkt, abzugehen, zumal der Rechtsanwalt grundsätzlich verpflichtet ist, von mehreren denkbaren Wegen den sichersten, am wenigsten zweifelhaften zu wählen (6 Ob 501/91 = AnwBl 1992, 155; Harrer in Schwimann, ABGB 3 VI § 1300 Rz 16).

ad d (Zurechnung des Verhaltens des Nebenintervenienten an die Klägerin und Schadensteilung) und e (Sorgfaltspflichten, wenn sich zwei rechtskundige Personen die Interessenwahrung aufteilen):

In dem - dem Geschäftsbesorgungsrecht durchaus vergleichbaren - Werkvertragsrecht entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (4 Ob 283/98s = ecolex 1999, 393, Spunda = RdW 1999, 200 = RIS Justiz RS0021766 [T3]), dass sich ein Werkbesteller nicht jedes mitwirkende Verschulden einer von ihm beigezogenen Person anrechnen lassen muss, sondern ein anzurechnendes Mitverschulden nur dann in Betracht kommt, wenn dieser sachverständige Gehilfe Pflichten oder Obliegenheiten verletzt, die aufgrund ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung oder nach der Verkehrsübung den Werkbesteller selbst treffen oder die er nachträglich übernommen hat (siehe auch Rebhahn in Schwimann , ABGB 3 V § 1168 Rz 17 mwN); andernfalls käme es - im Vergleich zum Werkunternehmer - zu einer Schlechterstellung des Werkbestellers, wenn sich dieser uneingeschränkt Fehler weiterer von ihm beigezogener Personen zurechnen lassen müsste.

Der vorliegende Fall ist allerdings nicht von einer bloßen Beiziehung zusätzlicher fachkundiger Berater durch die Klägerin gekennzeichnet, sondern von einer vereinbarten Arbeitsteilung zwischen ihren fachkundigen Beratern. Nach den Feststellungen teilte der Nebenintervenient dem Beklagten bei der Vollmachtsübergabe bzw -übernahme in Bezug auf das Vorverfahren mit, er werde (für die Klägerin) alles im Hintergrund erledigen und sich in den Akt einarbeiten, der Beklagte solle nur nach außen hin auftreten. Tatsächlich trat dann der Beklagte „nur nach außen hin" als juristischer Vertreter der Klägerin auf; im Hintergrund bereitete der Nebenintervenient das Verfahren auf.

In dieser durch Arbeitsteilung gekennzeichneten Sonderkonstellation - der Nebenintervenient wollte für die Klägerin „alles" im Hintergrund erledigen, während der Beklagte „nur" nach außen hin auftreten sollte (immerhin bestand in dem Verfahren Anwaltspflicht) - konnte sich der Beklagte im Mandatsverhältnis zweifellos nicht nur auf Weisungen der Klägerin bzw des Nebenintervenienten betreffend die Fortsetzung des Verfahrens verlassen; vielmehr war er selbst verpflichtet, für die Fortsetzung des Gerichtsverfahrens, in dem Anwaltspflicht herrschte, zu sorgen und die Klägerin zumindest davor zu warnen, dass mangels Fortsetzungsantrags der Prozessverlust infolge Verjährung droht, darf doch der Rechtsanwalt grundsätzlich auch die Wahrung wichtiger Fristen nicht allein seinem Mandanten überantworten (1 Ob 785/83 = SZ 56/181), sondern muss zumindest kontrollierend eingreifen, wenn die Gefahr des Fristablaufs droht.

Allerdings war die Klägerin nach den getroffenen Vereinbarungen verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Vorarbeiten für das Auftreten des Beklagten nach außen durch einen anderen rechtskundigen Berater, nämlich den Nebenintervenienten, geleistet werden. Angesichts dieses Umstands sind dem Nebenintervenienten unterlaufene Fehler bei der Aufbereitung des Aktes der Klägerin zuzurechnen. Im Gegensatz zur Ansicht der Klägerin gehört zu den vom Nebenintervenienten zu verrichtenden Tätigkeiten auch die Beachtung einzuhaltender Verjährungsfristen.

ad f (Mitverschulden und Schadensteilung):

Unter Abwägung des der Klägerin zuzurechnenden Fehlverhaltens des Nebenintervenienten, der bei der Aufbereitung des Aktes die Verjährungsproblematik nicht erkannt (und daher nicht auf eine Verfahrensfortsetzung) gedrungen hat, und demselben Fehlverhalten des Beklagten bei der Vertretung der Klägerin nach außen erscheint eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1:1 angemessen. Im Hinblick darauf kann in Bezug auf die Hälfte des Klagebegehrens bereits ein klagsabweisendes Teilurteil erlassen werden.

Zutreffend hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Verfahren im Übrigen als ergänzungsbedürftig erachtet, weil hinsichtlich der zweiten Hälfte des Klagebegehrens von der Klägerin noch der Beweis des Kausalzusammenhang zwischen dem vertragswidrigen Verhalten des Beklagten und dem eingetretenen Schaden zu erbringen ist. Dabei ist der Ausgang des Vorprozesses hypothetisch nachzuvollziehen und zu beurteilen, wie er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geendet hätte.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.