JudikaturJustiz10Ob18/18x

10Ob18/18x – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. März 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Mag. Karin Leitner, Rechtsanwältin in Leoben, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch hba Held Berdnik Astner Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei Dr. A*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Muchitsch, Rechtsanwalt in Graz, wegen 13.435,43 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 8. November 2017, GZ 4 R 160/17g 41, womit der Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 12. September 2017, GZ 4 Cg 10/16a 34, ersatzlos aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 939,24 EUR (darin enthalten 156,54 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht verkündete in der Tagsatzung vom 21. Juni 2017 in Anwesenheit beider Parteienvertreter und des Nebenintervenientenvertreters das Urteil. Dagegen meldete keine der Parteien in der Verhandlung Berufung an. Die Protokollsabschrift wurde den Parteienvertretern jeweils am 24. Juli 2017 und dem Nebenintervenientenvertreter am 27. Juli 2017 zugestellt. Am 23. August 2017 fertigte das Erstgericht eine Urteilsausfertigung in gekürzter Form ab (§ 417a ZPO), die den Parteienvertretern und dem Nebenintervenientenvertreter jeweils am 24. August 2017 zugestellt wurde. Dabei übersah das Erstgericht, dass zu diesem Zeitpunkt die 14 tägige Frist zur Anmeldung der Berufung noch nicht abgelaufen war, weil der Beginn dieser Frist in den Zeitraum zwischen 15. Juli und 17. August fiel, weshalb sie bis 31. August 2017 verlängert war.

Die Klägerin erhob gegen dieses Urteil eine am 6. September 2017 elektronisch eingebrachte Berufung . Sie vertritt darin den Standpunkt, eine Anmeldung der Berufung erübrige sich wegen offensichtlicher Sinnlosigkeit.

Das Erstgericht wies die Berufung mangels Anmeldung als unzulässig zurück. Nur im Fall eines gleichzeitig mit der Protokollsabschrift zugestellten Urteils in ungekürzter Form bedürfe es nach bisheriger Rechtsprechung keiner Berufungsanmeldung. Ein derartiger Fall liege aber nicht vor.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge, hob den Beschluss des Erstgerichts ersatzlos auf und trug dem Erstgericht auf, das gesetzliche Verfahren über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten. Auch die Zustellung eines entgegen § 417a ZPO in gekürzter Form vor Ablauf der Frist zur Berufungsanmeldung ausgefertigten Urteils löse den Lauf der Berufungsfrist aus. Auf diese habe die Frist zur Berufungsanmeldung keinen Einfluss. Die durch die Zustellung einer gekürzten Urteilsausfertigung vor Ablauf der Anmeldefrist beschwerte Partei sei berechtigt, eine Berufung zu erheben, um den Eintritt der Rechtskraftwirkung des Urteils zu vermeiden. Einer Berufungsanmeldung bedürfe es nicht mehr, weil diese nur den Zweck habe, der Partei eine Berufung gegen ein Urteil zu ermöglichen, dass den Inhaltserfordernissen des § 417 Abs 2 und Abs 3 ZPO entspreche, also ungekürzt ausgefertigt werde.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage fehle, ob auch im Fall der Verletzung der Vorschrift des § 417a ZPO durch das Erstgericht die Anmeldung einer Berufung iSd § 461 Abs 2 ZPO erforderlich sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der beklagten Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1.1 Gemäß § 461 Abs 2 ZPO kann gegen ein in Anwesenheit beider Parteien mündlich verkündetes Urteil (§ 414 ZPO) Berufung von einer Partei nur erhoben werden, die die Berufung sofort nach der Verkündung des Urteils mündlich oder binnen 14 Tagen ab der Zustellung der Protokollsabschrift über jene Tagsatzung, in der das Urteil mündlich verkündet worden ist, in einem bei dem Prozessgericht erster Instanz überreichten Schriftsatz angemeldet hat.

1.2 Bei der Frist des § 461 Abs 2 ZPO handelt es sich um eine Notfrist. Dies führt dazu, dass auch diese Frist nach § 222 Abs 1 ZPO zwischen dem 15. Juli und dem 17. August, gehemmt ist (RIS-Justiz RS0129397). Demnach endete im vorliegenden Fall die Frist zur Anmeldung der Berufung (unstrittig) am 31. August 2017.

1.3 Mangels rechtzeitiger Anmeldung der Berufung (§ 461 Abs 2 ZPO) sind unzulässige Berufungen – ebenso wie verspätet erhobene Berufungen – vom Prozessgericht erster Instanz zurückzuweisen (§ 468 Abs 1 Satz 2 ZPO).

2.1 Der Zweck des § 461 Abs 1 ZPO, der mit der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle (WGN) 1989, BGBl 1989/343, zusammen mit § 417a ZPO („gekürzte Urteilsausfertigung“) eingeführt und durch die WGN 1997, BGBl I 1997/140, sowie das Budgetbegleitgesetz (BBG) 2011, BGBl I 2010/111, in die aktuelle Fassung gebracht wurde, liegt in der Vereinfachung der Urteilsausfertigung für den Richter und der Erzielung des damit verbundenen Beschleunigungseffekts (4 Ob 135/03m; 2 Ob 42/14m = SZ 2014/33). Der Richter hat je nach dem Verhalten der Parteien entweder (im Fall der Berufungsanmeldung) eine der Anfechtung unterliegende ausführliche oder (im Fall des Unterbleibens einer Berufungsanmeldung) eine gekürzte Urteilsausfertigung (§ 417a ZPO) herzustellen.

2.2 Auch eine gekürzte Urteilsausfertigung nach mündlicher Verhandlung des Urteils ohne Erhebung eines Rechtsmittels stellt ein Urteil mit allen Rechtskraftwirkungen dar (8 ObA 42/17k mwN). Demnach käme die Ausfertigung eines ungekürzten, den Inhaltserfordernissen des § 417 ZPO entsprechenden Urteils zusätzlich zur gekürzten Urteilsausfertigung (wie die Revisionsrekurswerberin meint) nicht in Betracht, selbst wenn gleichzeitig mit der Berufung auch deren Anmeldung vorgenommen worden wäre.

2.3 Im Hinblick auf den Arbeitsersparnis- und Beschleunigungszweck der §§ 417a und 461 Abs 2 ZPO ist § 461 Abs 2 ZPO nach ständiger Rechtsprechung einschränkend dahin auszulegen, dass es im Fall der gleichzeitigen Zustellung des mündlich verkündeten und bereits mit vollständiger Begründung ausgefertigten Urteils und der Protokollsabschrift jener Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung, in der das Urteil verkündet wurde, einer Berufungsanmeldung nicht bedarf. Vielmehr kann die Berufung ohne Anmeldung binnen der gesetzlichen Frist (§ 464 Abs 1 ZPO) ab Urteilszustellung erhoben werden (RIS Justiz RS0117659, RS0041924 [T1]).

3.1 Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht eine Urteilsausfertigung in gekürzter Form ausgefertigt und diese entgegen § 417a ZPO innerhalb der noch offenen Frist zur Berufungsanmeldung, also verfrüht zugestellt. Auch bei diesem Sachverhalt ist § 461 Abs 2 ZPO dahin zu verstehen, dass die Berufung (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen) ohne Anmeldung erhoben werden kann:

3.2 Obgleich zum Zeitpunkt der Zustellung der gekürzten schriftlichen Urteilsausfertigung die vierzehntägige Frist zur Anmeldung der Berufung (§ 461 Abs 2 ZPO) noch nicht abgelaufen war, ist gegenüber den Parteien die Wirksamkeit des Urteils eingetreten (§ 416 Abs 1 ZPO) und die vierwöchige Berufungsfrist nach § 464 Abs 1 ZPO in Gang gesetzt worden. Die Anmeldung (oder unterbliebene) Anmeldung der Berufung hat auf die Berufungsfrist keinen Einfluss. Daraus folgt, dass zur Verhinderung des Eintritts der Rechtskraft die Anmeldung der Berufung nicht erforderlich war, sondern so gleich eine Berufung erhoben werden konnte.

3.3 Die Anmeldung erübrigt sich aber auch als Voraussetzung für die Statthaftigkeit der Berufung (§ 461 Abs 2 iVm § 468 Abs 1 Satz 2 ZPO):

Nach § 461 Abs 2 ZPO soll die strenge Sanktion der Zurückweisung der Berufung als unzulässig (mangels deren Anmeldung nach § 468 Abs 1 ZPO) dann zum Tragen kommen, wenn die Anmeldung innerhalb der dafür vorgesehenen – in gesamter Länge zur Verfügung stehenden – vierzehntägigen Frist unterblieben ist. Implizit ist dabei der Regelfall vorausgesetzt, dass die Anmeldungsfrist vor Zustellung einer Urteilsausfertigung abläuft. Kommt es aber zu einer verfrühten Zustellung eines nur in gekürzter Form ausgefertigten Urteils, nämlich noch vor Ablauf der Anmeldungsfrist, muss die durch das Urteil beschwerte Partei in der Lage sein, den Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils mittels Berufung – auch ohne deren vorhergehende bzw gleichzeitige Anmeldung – zu verhindern. Das Festhalten am Erfordernis einer Berufungsanmeldung auch in dieser Verfahrenskonstellation als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Berufung ist weder aus der Zielrichtung des § 461 Abs 2 ZPO noch aus allgemeinen Grundsätzen des Rechtsmittelrechts abzuleiten und würde auf einen bloßen Formalismus hinauslaufen.

4. Die im Zulassungsausspruch des Rekursgerichts aufgeworfene Rechtsfrage ist somit dahin zu beantworten, dass es zur Abwehr des Eintritts der Rechtskraft keiner Anmeldung der Berufung bedarf, wenn das mündlich verkündete Urteil den Parteien bereits vor Ablauf der Frist zur Anmeldung der Berufung in gekürzter Ausfertigung zugestellt wird. Mit Zustellung des Urteils beginnt die Berufungsfrist nach § 464 Abs 2 ZPO zu laufen.

Der Revisionsrekurs bleibt daher erfolglos.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.