JudikaturBVwG

W277 2317256-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
05. September 2025

Spruch

W277 2317256-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a ESCHLBÖCK, MBA, über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesministers für Bildung vom XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Mit Schriftsatz vom XXXX , eingelangt am XXXX , Widerspruch gegen die Entscheidung der Höheren Lehranstalt für Informationstechnologie am Technologischen Gewerbemuseum (TGM) vom XXXX ein. Der Entscheidung zufolge sei sie, aufgrund einer negativen Bewertung ihrer Leistung im Fach „Medientechnik“ im Rahmen der Zeugnisnote im Schuljahr XXXX nicht zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe berechtigt.

Begründend führte sie aus, dass einige ihrer Aufgaben ungerecht bewertet worden seien. Weiters seien die Bewertungskriterien intransparent gewesen. Hinzu käme, dass es ihr seit Ostern psychisch sehr schlecht gehe, weswegen ihr das Lernen und das Erledigen der Aufgaben schwergefallen sei. Im Rahmen eines Tests im Fach „Medientechnik“ habe sie deshalb versucht zu schummeln, den Versuch habe sie jedoch selbst zugegeben und den Test von sich aus abgebrochen. Danach sei sie deutlich strenger behandelt worden als andere Schüler:innen. Es sei ungerecht, sie lediglich deshalb durchfallen zu lassen, da andere Schüler ähnliches versucht hätten.

Im Anhang übermittelte sie einen Patientenbrief und eine „Bestätigung über eine laufende klinisch-psychologische Diagnostik“ der Klinik Donaustadt.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom XXXX wies das Bundesministerium für Bildung (im Folgenden: belangte Behörde) den Widerspruch vom XXXX gegen die Entscheidung der Klassenkonferenz vom XXXX wonach XXXX zum Aufstieg in die nächsthöhere Schulstufe der von ihr besuchten Schulart nicht berechtigt sei, zurück.

Dazu führte die belangte Behörde begründend an, dass XXXX zum Zeitpunkt des Erhebens des Einspruchs nicht volljährig und dementsprechend nicht berechtigt gewesen sei, den Widerspruch einzubringen.

Gemäß § 67 SchUG seien Schülerinnen und Schüler, die nicht volljährig sind, von ihren Erziehungsberechtigten zu vertreten. § 68 SchUG zähle abschließend jene Angelegenheiten auf, in denen minderjährige Schülerinnen und Schüler zum selbstständigen Handeln befugt seien. Der Widerspruch gegen das Verweigern des Aufstiegs in die nächsthöhere Schulstufe sei von § 68 SchUG nicht umfasst, weswegen der Widerspruch als unzulässig zurückzuweisen sei.

3. Gegen diesen Bescheid wurde am XXXX (eingelangt am XXXX ) fristgerecht Beschwerde erhoben. Vorgebracht wurde, dass XXXX seit dem XXXX volljährig sei. Die negative Beurteilung im Fach „Medientechnik“ sei nicht fair, sie habe ihre Aufgaben stets verbessert und für die mündliche Prüfung viel gelernt.

Weiters sei sie wegen psychischer Probleme im Krankenhaus gewesen sowie CPTBS (komplexe posttraumatische Belastungsstörung) diagnostiziert worden. Sie wäre in psychiatrischer Behandlung. Diese Probleme hätten einen Einfluss auf ihre schulischen Leistungen gehabt.

3.1. Nachgereicht wurde ein psychologischer Befund samt Diagnose der Klinik Donaustadt zur Bestätigung des Vorliegens psychischer Probleme (OZ 2).

4. Mit Schreiben vom XXXX , ho. einlangend am XXXX , legte die belangte Behörde die Beschwerde samt dem bezughabenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

II. Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich hieraus wie folgt:

1. Feststellungen

1.1. Mit Entscheidung der Höheren Lehranstalt für Informationstechnologie am Technologischen Gewerbemuseum (TGM) vom XXXX wurde ausgesprochen, dass die am XXXX geborene, sohin damals minderjährige XXXX gemäß § 25 Abs. 2 lit.c Schulunterrichtsgesetz (SchUG) zum Aufsteigen in die nächste Schulstufe nicht berechtigt sei.

1.2. Die zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführerin brachte am XXXX selbständig bei der Schule einen schriftlichen „Einspruch“ (gemeint: Widerspruch) gegen diese Entscheidung ein.

1.3. Mit Bescheid des Bundesministers für Bildung vom XXXX , dem Vater der damals weiterhin minderjährigen Beschwerdeführerin als gesetzlicher Vertreter zugestellt am XXXX , wurde der Widerspruch gemäß § 72 Abs. 2 zweiter Satz iVm § 67 SchUG zurückgewiesen.

1.4. Gegen diesen Bescheid erhob die inzwischen volljährig gewordene Beschwerdeführerin selbständig XXXX Beschwerde und brachte vor, dass sie als volljährige Schülerin nochmals einen gültigen „Einspruch“ einlegen wolle, da sie aus näher genannten Gründen nicht mit ihrer schulischen Beurteilung einverstanden sei. Sie stelle daher den Antrag, den Bescheid vom XXXX aufzuheben und den „ersten Einspruch“ inhaltlich zu prüfen.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes, im Besonderen aus dem Widerspruch, dem angefochtenen Bescheid und der Beschwerde. Der Sachverhalt konnte aufgrund der vorliegenden Aktenlage zweifelsfrei festgestellt werden

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

3.1. Zur anzuwendenden Rechtslage:

Nach § 20 Abs. 6 SchUG hat im Zeitraum von Mittwoch bis Freitag der zweiten Woche vor Ende des Unterrichtsjahres eine Klassenkonferenz zur Beratung über die Leistungsbeurteilung der Schüler stattzufinden. Die Entscheidungen der Klassenkonferenz über die Nichtberechtigung zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe oder den nicht erfolgreichen Abschluss der letzten Stufe der besuchten Schulart (§ 25) sind spätestens am folgenden Tag unter Angabe der Gründe und Beifügung einer Belehrung über die Widerspruchsmöglichkeit dem Schüler bekanntzugeben.

Laut § 25 Abs. 2 lit. c SchUG ist (im Umkehrschluss) ein Schüler zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe nicht berechtigt, wenn das Jahreszeugnis in einem Pflichtgegenstand die Note „Nicht genügend“ enthält und die Klassenkonferenz festhält, dass der Schüler auf Grund seiner Leistungen in den übrigen Pflichtgegenständen die Voraussetzungen zur erfolgreichen Teilnahme am Unterricht der nächsthöheren Schulstufe im Hinblick auf die Aufgabe der betreffenden Schulart nicht aufweist.

Gemäß § 67 SchUG werden in den Angelegenheiten dieses Bundesgesetzes Schüler (Prüfungskandidaten), die nicht volljährig sind, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist, von den Erziehungsberechtigten vertreten.

§ 71 Abs. 2 lit. c sublit. aa SchUG normiert, dass gegen die Entscheidung, dass der Schüler aufgrund einer Entscheidung gemäß § 20 Abs. 6, 8 und 10 in Verbindung mit § 25 zum Aufsteigen nicht berechtigt ist oder die letzte Stufe der besuchten Schulart nicht erfolgreich abgeschlossen ist, ein Widerspruch an die zuständige Schulbehörde zulässig ist. Der Widerspruch ist schriftlich (in jeder technisch möglichen Form, nicht jedoch mit E-Mail) innerhalb von fünf Tagen bei der Schule, im Falle der Externistenprüfungen bei der Prüfungskommission, einzubringen. Der Schulleiter (der Vorsitzende der Prüfungskommission) hat den Widerspruch unter Anschluss einer Stellungnahme der Lehrer (Prüfer), auf deren Beurteilungen sich die Entscheidung gründet, sowie unter Anschluss aller sonstigen Beweismittel unverzüglich der zuständigen Schulbehörde vorzulegen.

Gemäß § 13 Abs. 3 AVG ermächtigen Mängel schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.

3.2. Zur Rechtsprechung der Höchstgerichte und zur Literatur:

Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichts ist die „Sache“ des bekämpften Bescheides im Sinne des § 27 VwGVG (siehe VwGH 16.03.2016, Ra 2015/04/0042; 26.03.2015, Ra 2014/07/0077). Wenn also die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Sache des Beschwerdeverfahrens (ausschließlich) die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (siehe etwa VwGH 23.06.2015, Ra 2015/22/0040; 01.09.2017, Ra 2016/03/0055, jeweils mwN.).

Im Gegensatz zur fehlenden Rechts- und damit Parteifähigkeit kann nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs die mangelnde Genehmigung des von einem Prozessunfähigen eingebrachten Antrags durch den gesetzlichen Vertreter (z.B. Erwachsenenvertreter, Eltern) im Wege eines Mängelbehebungsverfahrens im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG beseitigt werden (Hengstschläger/Leeb, AVG § 9 (Stand 1.1.2014, rdb.at), Rn. 6, mit Verweis auf VwSlg 12.579 A/1987; VwGH 06.05.1996, 95/10/0195; 17.09.2003, 2001/20/0188).

Konkret führt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 06.05.1996 zu GZ 95/10/0195 aus, dass eine, von einer minderjährigen Person eingebrachte, Berufung ohne Fertigung des gesetzlichen Vertreters, sofern diese eine Zulässigkeitsvoraussetzung darstellt, nicht gemäß § 9 AVG als unzulässig zurückzuweisen ist. Vielmehr handelt es sich dabei, nach Ansicht des VwGH, um einen verbesserungsfähigen Mangel im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG, sodass die belangte Behörde mit der Erlassung eines Mängelbehebungsauftrages vorgehen hätte müssen (vgl. in diesem Sinne auch Wessley/Barton, § 9 AVG, 1. Auflage (2022), Rz 16c).

3.3. Für den gegenständlichen Fall bedeutet das folgendes:

Die belangte Behörde wies den Widerspruch der Beschwerdeführerin gegen die Entscheidung vom XXXX ohne weiteres Verfahren zurück, da sie aufgrund ihrer (damaligen) Minderjährigkeit nicht zur selbständigen Einbringung berechtigt gewesen sei. Verfahrensgegenstand ist daher allein die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erging oder nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich demgegenüber nicht mit den inhaltlichen Darlegungen der Beschwerdeführerin zu ihrer schulischen Beurteilung zu befassen.

Der belangten Behörde ist zwar grundsätzlich zuzustimmen, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Einbringung des Widerspruchs aufgrund ihrer Minderjährigkeit insoweit – da auch § 68 SchUG in concreto nichts anderes bestimmt – nicht prozessfähig war, sodass der Widerspruch der Genehmigung ihres gesetzlichen Vertreters – also nach § 67 SchUG ihres Erziehungsberechtigten – bedurft hätte. Das berechtigte die belangte Behörde jedoch nicht ohne Weiteres dazu, den Widerspruch bescheidmäßig zurückzuweisen, sondern hätte sie – wie die zitierte höchstgerichtliche Judikatur belegt – zunächst einen auf die Genehmigung des Widerspruchs durch ihren Erziehungsberechtigten hinwirkenden Mängelbehebungsauftrag nach § 13 Abs. 3 AVG samt Belehrung über die Konsequenzen der Nichtbeachtung eines solchen erteilen müssen. Erst wenn diesem nicht nachgekommen worden wäre, wäre sie zur Zurückweisung des Widerspruchs befugt gewesen.

Da die Beschwerdeführerin inzwischen die Volljährigkeit erreicht hat ist eine Verbesserung mittlerweile obsolet. § 67 SchUG ist auf die Beschwerdeführerin nicht mehr anwendbar, die Vertretung durch die Erziehungsberechtigten stellt keine Zulässigkeitsvoraussetzung mehr für das Einbringen eines Widerspruchs im Sinne des § 71 Abs. 2 SchUG dar, sodass der Widerspruch einer inhaltlichen Entscheidung zugänglich ist.

In Stattgabe der gegenständlichen Beschwerde war der bekämpfte Bescheid somit ersatzlos zu beheben. Zumal die Beschwerdeführerin inzwischen ohnedies die Volljährigkeit erreicht hat, wird sich die belangte Behörde somit inhaltlich mit ihrem Widerspruch auseinanderzusetzen haben.

3.4. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG konnte die Verhandlung entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Auch ist der maßgebliche Sachverhalt im Sinne des § 24 Abs. 4 VwGVG aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt und lässt eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Vorliegend war die Rechtsfrage zu klären, ob das Erreichen der Volljährigkeit nach Einbringen des verfahrenseinleitenden Widerspruchs im Sinne des § 71 Abs. 2 SchUG, die durch § 67 SchUG normierte mangelnde Prozessfähigkeit heilt, sodass der Widerspruch einer inhaltlichen Entscheidung zugänglich wird und ein Mängelbehebungsauftrag im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG zur Einholung der Vollmacht der Erziehungsberechtigten somit obsolet wird. Soweit ersichtlich, gibt es dazu noch keine Rechtsprechung des VwGH, weshalb die ordentliche Revision zugelassen wird.

Es ist daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.