Spruch
W221 2308481-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Daniela URBAN, LL.M. über die Beschwerden 1.) der XXXX , geb. XXXX , und 2.) des XXXX , geb. XXXX , dieser gesetzlich vertreten durch seine Mutter XXXX , beide StA. Somalia, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2025, 1.) Zl. XXXX und 2.) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.06.2025 zu Recht:
A)
Die Beschwerden werden gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers und stellte am 11.08.2022 für sich einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 24.04.2024 stellten die Erstbeschwerdeführerin und der Vater des Zweitbeschwerdeführers, der auch der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin ist, einen Antrag auf internationalen Schutz für diesen, wobei sie dabei ankreuzten, dass der Zweitbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe habe.
Am 12.08.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin statt. Dabei führte sie aus, dass sie Somalia aus Angst vor ihrem Ex-Mann verlassen habe. Ihr Ex-Mann habe aufgrund eines Grundstückstreits ihre Eltern getötet. Auch habe der Ex-Mann sie töten wollen. Sie habe Schussverletzungen auf beiden Beinen. Ihre Schwester sei mit ihren Kindern auf der Flucht in Somalia.
Am 05.09.2024 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache niederschriftlich einvernommen. Zu den Fluchtgründen befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass ihr Ex-Mann, weil sie in der Ehe keinen Sohn, sondern eine Tochter geboren habe, zu ihrem Vater gegangen sei, um den Besitz ihrer Familie in Anspruch zu nehmen. Die Erstbeschwerdeführerin habe dies jedoch nicht gewollt und gesagt, dass dies nicht möglich sei. Aufgrund eines vom Vater der Erstbeschwerdeführerin ersuchten klärenden Gesprächs sei die Erstbeschwerdeführerin angeschossen, getreten sowie beschimpft worden und ihre Eltern seien erschossen worden. Hinsichtlich ihres Sohnes, dem Zweitbeschwerdeführer, führte sie aus, er habe keine eigenen Fluchtgründe, sondern beziehe sich auf ihre Fluchtgründe.
Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2025 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Den Beschwerdeführern wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Somalia und begründete in den angefochtenen Bescheiden die abweisenden Entscheidungen im Wesentlichen damit, dass die Erstbeschwerdeführerin unglaubwürdig sei und hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers feststehe, dass er keine eigenen Fluchtgründe habe.
Gegen diese Bescheide wurden fristgerecht Beschwerden erhoben. In diesen wurden im Wesentlichen das mangelhafte Ermittlungsverfahren, mangelhafte Länderfeststellungen, die mangelhafte Beweiswürdigung und die inhaltliche Rechtswidrigkeit der Bescheide geltend gemacht. Zudem wurde im Rahmen der Beschwerde die Einholung eines unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens beantragt.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 03.03.2025 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.06.2025 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und im Beisein der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer eine eingehende Befragung der Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen stattfand und ihr auch die Möglichkeit eingeräumt wurde, zu den im Verfahren herangezogenen Länderberichten Stellung zu nehmen. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater des Zweitbeschwerdeführers wurde zudem als Zeuge einvernommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den Personen und Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Somalias. Die Erstbeschwerdeführerin gehört dem Clan der Galmaah, ein Subclan der Abgaal/Hawiye, an. Der Zweitbeschwerdeführer gehört wie sein Vater bzw. der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin dem Clan der Murusade, ein Subclan der Hawiye, an.
Die Erstbeschwerdeführerin stammt aus Mogadischu in der Region Banadir. Mogadischu steht unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS. Der Zweitbeschwerdeführer ist in Österreich geboren.
Die Erstbeschwerdeführerin verfügt über keine Schulbildung und hat in Somalia als Hausfrau sowie in anderen Haushalten gearbeitet.
Die Erstbeschwerdeführerin ist zweimal geschieden und seit dem 20.04.2023 mit ihrem Ehemann, sohin ein drittes Mal, verheiratet, welchen sie in Österreich kennenlernte. Der zweite Ex-Mann der Erstbeschwerdeführerin ist ihr Cousin väterlicherseits. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. der Vater des Zweitbeschwerdeführers ist in Österreich subsidiär schutzberechtigt.
Aus der ersten Ehe der Erstbeschwerdeführerin stammen zwei Söhne und aus ihrer zweiten Ehe stammt ihre Tochter. Der dritte Sohn, der Zweitbeschwerdeführer, stammt aus der Ehe mit dem ihrem aktuellen Ehemann.
Zwei ihrer Söhne und ihre Tochter leben bei der jüngeren Schwester der Erstbeschwerdeführerin in einem Flüchtlingslager in Ceelasha Biyaha in der Region Lower Shabelle, rund 20 Kilometer von Mogadischu entfernt. Die Erstbeschwerdeführerin hat unregelmäßigen Kontakt zu ihren in Somalia lebenden Kindern und ihrer jüngeren Schwester. Daneben leben die ältere Schwester der Erstbeschwerdeführerin und deren Ehemann in Mogadischu. Die Eltern des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin, seine zwei Schwestern und zwei Brüder leben ebenso in Mogadischu. Die Eltern der Erstbeschwerdeführerin sind verstorben.
Die Erstbeschwerdeführerin wurde beschnitten. Nach ihren drei Geburten in Somalia wurde die Erstbeschwerdeführerin refibuliert. Seit der in Österreich erfolgten vaginalen Geburt ihres vierten Kindes, dem Zweitbeschwerdeführer, ist die Erstbeschwerdeführerin defibuliert.
Die Erstbeschwerdeführer hat zwei verheilte Schussverletzungen am Knie und Oberschenkel, aufgrund derer sie in Somalia drei Monate lang in einem Krankenhaus behandelt wurde.
Die Erstbeschwerdeführerin verließ Somalia im Jahr 2021 mit dem Flugzeug in Richtung Türkei und reiste über mehrere Länder nach Österreich ein. Die Ausreise hat etwa 400 US-Dollar gekostet und wurde mit Hilfe einer Freundin der Erstbeschwerdeführerin organisiert. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 11.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz und am 24.04.2024 stellten die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehemann für den Zweitbeschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Erstbeschwerdeführerin droht in Somalia nicht die Gefahr durch ihren zweiten Ex-Mann mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden. Von dem zweiten Ex-Mann und der sonstigen Familie väterlicherseits der Erstbeschwerdeführerin bzw. aufgrund der Clanangehörigen der Galmaah geht im Fall einer Rückkehr der Erstbeschwerdeführerin nach Somalia keine wie auch immer geartete Gefahr aus.
Die Erstbeschwerdeführerin ist im Falle einer Rückkehr nach Somalia keine alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz. Sie ist aktuell verheiratet und würde für den ohnehin nur hypothetischen Fall einer Rückkehr im Familienverband mit ihrem Ehemann gemeinsam nach Somalia zurückkehren. Zudem leben auch die Eltern, zwei Brüder und zwei Schwestern ihres Ehemannes in Mogadischu, ebenso wie ihre ältere Schwester mit deren Ehemann. Die Erstbeschwerdeführerin würde im Falle einer Rückkehr daher nicht als alleinstehend gelten, als sie bei einer Rückkehr mit ihrem Ehemann gemeinsam in Somalia leben würde, zudem weitere (auch männliche) Familienangehörige in Mogadischu hat und somit nicht in ein IDP-Lager müsste.
Für die Beschwerdeführerin besteht in Somalia keine Gefahr alleine aufgrund ihres Geschlechts mit der Anwendung von sonstiger physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
Der Erstbeschwerdeführerin droht im Falle einer Rückkehr nach Somalia nicht die Gefahr einer erneuten Genitalverstümmelung bzw. Refibulation.
Die Erstbeschwerdeführerin hat in Somalia bisher aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit keine Diskriminierung erfahren, eine solche droht ihr auch im Fall einer Rückkehr nicht.
Der Zweitbeschwerdeführer hat keine eigenen Fluchtgründe. Ihm droht keine Gefahr mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt aufgrund seiner Eigenschaft als Kind bedroht zu werden und ihm droht auch aufgrund seiner Clanzugehörigkeit in Somalia keine gesellschaftliche Diskriminierung.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:
Aus dem Länderinformationsblatt Somalia der Staatendokumentation, Stand: 16.01.2025
„Politische Lage
[…]
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
[…]
Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)
[…]
In Mogadischu spielen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und Murusade aufgrund der Bevölkerungsstruktur auch weiterhin eine dominante Rolle (BMLV 7.8.2024; vgl. HIPS 8.2024). Der Bürgermeister, seine vier Stellvertreter und die meisten District Commissioners gehören diesen drei Clans an. Clanzugehörigkeit und Loyalität spielen eine entscheidende Rolle bei der Besetzung der wichtigsten Posten in der Stadt (HIPS 8.2024).
[…]
Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
[…]
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
[…]
Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)
Die Sicherheitslage in Mogadischu ist weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass al Shabaab Angriffe auf Behörden und ihre Unterstützer verübt. Zugleich stecken hinter der Gewalt in der Stadt neben al Shabaab auch Regierungskräfte, der sogenannte Islamische Staat in Somalia (ISS) und Unbekannte (BMLV 7.8.2024). In der Stadt befinden sich die Polizei, die Präsidentengarde, die Bundesarmee, die National Intelligence and Security Agency (NISA), private Sicherheitskräfte und Clanmilizen in unterschiedlichem Umfang im Einsatz (Sahan/SWT 6.9.2023). Nichtstaatliche Sicherheitskräfte, darunter Clanmilizen, üben trotz wiederholter Versuche, sie auf Linie zu bringen, erheblichen Einfluss in der Stadt aus. Die Teile dieser Patchwork-Sicherheitsarchitektur konkurrieren regelmäßig um Checkpoints und den Zugang zu Ressourcen (Sahan/SWT 6.9.2023). Dabei konnten aufgrund der verbesserten Lage zuletzt etliche Checkpoints innerhalb der Stadt abgebaut werden (BMLV 4.7.2024).
Insgesamt durchläuft die Sicherheitslage Mogadischus eine positive Entwicklung (AQSOM 4 6.2024). Noch vor zehn Jahren kontrollierte al Shabaab die Hälfte der Stadt, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Kämpfe war (BBC 18.1.2021; vgl. Sahan/SWT 18.1.2022). 2011 war Mogadischu eine halb entleerte Ruinenstadt, Einschusslöcher, zerstörte Häuser und Milizen in Kampfwagen prägten das Bild. Es gab keinerlei staatliche Dienste (Sahan/SWT 18.1.2022). Seit 2014 ist das Leben nach Mogadischu zurückgekehrt (SRF 27.12.2021) und die Stadt befindet sich unter Kontrolle von Regierung und ATMIS (PGN 28.6.2024). Die Sicherheitslage hat sich in den vergangenen zehn Jahren im Allgemeinen verbessert (Sahan/SWT 6.9.2023). V. a. unter der aktuellen Regierung wurde al Shabaab aus der Stadt weitgehend abgedrängt (ÖB Nairobi 11.1.2024). Immer neue Teile von Mogadischu werden wieder aufgebaut. Es herrscht große Aktivität, viel Geld wird investiert (IO-D/STDOK/SEM 4.2023) - auch in ganze neue Stadtteile an der Peripherie (AQSOM 4 6.2024). Nun ist Mogadischu eine pulsierende Stadt mit hohen Apartmentblocks und Einkaufszentren. Der berühmte Lido-Strand ist am Wochenende voll mit Familien. Historische Gebäude und Monumente wurden renoviert und sind der Öffentlichkeit zugänglich. Unzählige Kaffeehäuser sind aus dem Boden geschossen. Der private und der öffentliche Sektor sind aufgrund der relativen Stabilität der Stadt stark gewachsen. Sechs Banken und Dutzende internationaler Firmen haben in Mogadischu eine Niederlassung eröffnet. Es gibt Investitionsmöglichkeiten, und es sind neue Arbeitsplätze entstanden (Sahan/SWT 18.1.2022; vgl. TEV/Odour 24.6.2024). Händler können ihre Waren auf den Markt bringen, und überhaupt können die Menschen relativ frei zirkulieren (ÖB Nairobi 11.1.2024). Die Stimmung der Menschen in der Stadt ist laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 relativ positiv. Dies hat mit den Bemühungen der Regierung im Kampf gegen al Shabaab zu tun (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Nach der Wahl von Hassan Sheikh Mohamed hat sich die Atmosphäre in Mogadischu dramatisch verändert, die Stadt ist ruhiger geworden (Sahan/SWT 8.6.2022).
Gleichzeitig bietet die Stadt für al Shabaab alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele. Innerhalb der Stadt hat sich die Sicherheit zwar verbessert, al Shabaab kann aber nach wie vor Anschläge durchführen. In Mogadischu besteht aber kein Risiko, von der Gruppe zwangsrekrutiert zu werden. Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)Rekrutierung zu entziehen (BMLV 7.8.2024). Laut einer Quelle gibt es für normale Bewohner kein echtes Sicherheitsproblem. Dieses beschränkt sich demnach auf Ausländer, Personen, die für diese Ausländer arbeiten und allenfalls jene, die für die Regierung arbeiten (ÖB Nairobi 11.1.2024).
[…]
Al Shabaab kontrolliert in Mogadischu schon seit Jahren keine Gebiete mehr (MBZ 6.2023; vgl. AQ21 11.2023), unterhält aber ein beachtliches Netzwerk an Mitgliedern und Informanten (MBZ 6.2023). Das Ausmaß der Präsenz der Gruppe im Stadtgebiet ist sehr unterschiedlich (BMLV 7.8.2024). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische (BMLV 7.8.2024; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023, Landinfo 8.9.2022). In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer (BMLV 7.8.2024). Kaxda (ein neuer Bezirk am Nordrand der Stadt) gilt laut einer Quelle als Brutstätte militanter Aktivität (TSD 20.9.2023). Die Gruppe verfügt in Mogadischu über keine nennenswerte institutionelle Präsenz. Trotzdem erhebt die Gruppe den Zakat (islamische Steuer) von Unternehmen in der Stadt. Zudem macht al Shabaab ihre Präsenz insofern bemerkbar, dass sie ihre Form der "Moral" umsetzt. So tötete die Gruppe beispielsweise Anfang März 2023 zehn Personen, denen der Verkauf von Drogen in den Stadtbezirken Yaqshiid und Dayniile vorgeworfen worden war (Sahan/SWT 6.9.2023).
[…]
Die Gruppe kann immer noch große Anschläge in Mogadischu durchführen (UNSC 28.10.2024) oder etwa den Sitz des Präsidenten (Villa Somalia) mit Mörsern beschießen. Und es gibt auch weiterhin gezielte Attentate (IO-D/STDOK/SEM 4.2023) und Anschläge auf Regierungstruppen und ATMIS (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Mit einem komplexen Anschlag auf das SYL Hotel in der Nachbarschaft der Villa Somalia hat den Willen und die Kapazität von al Shabaab unter Beweis gestellt. Dieser Angriff hat die relative Ruhe in der Stadt beendet und geht mit den Rückschlägen der Bundeskräfte in Zentralsomalia einher (Sahan/SWT 15.3.2024).
Al Shabaab ist also auch weiterhin in der Stadt aktiv. Die Gruppe hat zahlreiche Informanten innerhalb der Sicherheitskräfte (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-C/STDOK/SEM 4.2023), auch relevante Verwaltungsstrukturen gelten als unterwandert (Landinfo 8.9.2022; vgl. INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Al Shabaab verlangt von Geschäftsleuten in der Stadt die Zahlung von "Steuern" (Mohamed/VOA 9.11.2022; vgl. Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Zwischen Mai und Juli 2022 erhielten auch zahlreiche Besitzer von gemauerten oder mehrstöckigen Häusern eine Zahlungsaufforderung von al Shabaab. Dabei liegt die jährliche Abgabe zwischen 100 und 300 US-Dollar. Zudem wird die Errichtung von Häusern besteuert. Für Zahlungsverzögerungen drohen Strafzahlungen (Mohamed/VOA 9.11.2022). Al Shabaab ist auch im Jahr 2024 in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben und die Bevölkerung einzuschüchtern (BMLV 7.8.2024).
[…]
Minderheiten und Clans
Das westliche Verständnis der Zivilgesellschaft ist im somalischen Kontext irreführend, da kaum zwischen öffentlicher und privater Sphäre unterschieden wird. In ganz Somalia gibt es starke Traditionen sozialer Organisation außerhalb des Staates, die vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Verwandtschaftsgruppen fußen. Seit Beginn des Bürgerkriegs haben sich die sozialen Netzwerkstrukturen neu organisiert und gestärkt, um das Überleben ihrer Mitglieder zu sichern (BS 2024).
Clans: Der Clan ist die relevanteste soziopolitische und ökonomische Einheit in Somalia. Für den Somali stellt er die wichtigste Identität dar, für die es zu streiten und zu sterben gilt (NLM/Barnett 7.8.2023). Clans kämpfen für das einzelne Mitglied. Gleichzeitig werden alle Männer im Clan als Krieger erachtet (AQSOM 4 6.2024). Der Clan bildet aber eine volatile, vielschichtige Identität mit ständig wechselnden Allianzen (NLM/Barnett 7.8.2023). Er bestimmt das Leben des Individuums, seinen Zugang zu Sicherheit und Schutz, Ressourcen (z. B. Arbeit, Geschäfte, Land) und bildet das ultimative Sicherheitsnetz (AQSOM 4 6.2024; vgl. SPC 9.2.2022). Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessensvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des traditionellen Rechts (Xeer). Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler (Sahan/SWT 26.10.2022).
Clanwissen: Laut Experten gibt es bis auf sehr wenige Waisenkinder in Somalia niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, S. 2f/37/39f). Das Wissen um die eigene Herkunft, die eigene Genealogie, ist von überragender Bedeutung. Dieses Wissen dient zur Identifikation und zur Identifizierung (Shukri/TEL 3.5.2021). Auch junge Menschen im urbanen Umfeld kennen ihren Clan, allerdings fehlen ihnen manchmal die Details - etwa zu Clanältesten. Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 betrifft dies tendenziell eher junge Frauen (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).
Diskriminierung im Clanwesen: Diskriminierung steht in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke besitzen (AA 23.8.2024). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2024). Selbst relativ starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan/SWT 30.9.2022). Gleichzeitig mag auf einer Ebene innerhalb eines Clans oberflächlich betrachtet Einheit herrschen, doch wenn man näher heranzoomt, treten Konflikte zwischen den unteren Clanebenen zutage (NLM/Barnett 7.8.2023).
Ohnehin marginalisierte Gruppen werden diskriminiert und stoßen auf Schwierigkeiten, ihr Recht auf Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Prozessen wahrzunehmen (UNSOM 5.8.2023; vgl. BS 2024). Die Marginalisierung führt zu einer ungerechten und diskriminierenden Verteilung der Ressourcen (UNSOM 5.8.2023) - etwa beim Zugang zu humanitärer Hilfe (AA 23.8.2024). Menschen, die keinem der großen Clans angehören, sehen sich in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021b, S. 56); und auch von Politik und Wirtschaft werden sie mitunter ausgeschlossen. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2024). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UN OCHA 14.3.2022).
Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Weder Xeer (SEM 31.5.2017, S. 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S. 42; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020b, S. 21). Es kommt mitunter zu staatlicher Diskriminierung. So wurde beispielsweise in Mogadischu ein Strafprozess, bei welchem Rahanweyn und Bantu als Kläger gegen einen Polizeioffizier, der von einem großen Clan stammt, aufgetreten waren, vom Gericht ohne Weiteres eingestellt (Horn 6.5.2024).
Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S. 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen (Gashanbuur) einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen (AQSOM 4 6.2024; vgl. DI 6.2019, S. 11). Diese Resilienzmaßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S. 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das System des Xeer eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, S. 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S. 14).
Netzwerke abseits von Clans: Die Mitgliedschaft in islamischen Organisationen und Verbänden gewinnt immer mehr an Bedeutung. Sie bietet eine Möglichkeit zur sozialen Organisation über Clangrenzen hinweg. Mit einer Mitgliedschaft kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden. Zumindest in bestimmten Teilen Somalias entsteht auch eine Form von Sozialkapital unter Mitgliedern der jüngeren Generation, die biografische Erfahrungen und Interessen (Bildung oder Beruf) teilen und manchmal in Jugendorganisationen organisiert sind oder sich in informellen Diskussionsgruppen und online treffen (BS 2024).
Bevölkerungsstruktur
Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021a). Die Landesbevölkerung ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings ist der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung demnach unklar (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine gemeinsame ethnische Herkunft (USDOS 22.4.2024). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UN OCHA 14.3.2022). Die UN gehen davon aus, dass ca. 30 % aller Somali Angehörige von Minderheiten sind (MBZ 6.2023). Abseits davon trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).
Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2024). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (Landinfo 4.4.2016).
Große Clanfamilien: Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:
Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.
Hawiye leben v. a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).
Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet (SEM 31.5.2017). Sie selbst erachten sich nicht als Teil der Dir (AQSOM 4 6.2024).
Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017).
Territorien: Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).
Minderheiten: Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Politik: In Süd-/Zentralsomalia sind politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel (ÖB Nairobi 10.2024). Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. USDOS 22.4.2024; FH 2024b) [siehe dazu auch: Politische Lage/Süd-/Zentralsomalia]. Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 2024b). Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen, und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaften einzusetzen (SPC 9.2.2022). So finden sich in der aktuellen Regierung zwar alle relevanten Clans und Gruppen wieder (AA 23.8.2024), und das Frauen- sowie das Umweltministerium werden von Angehörigen von Minderheiten geführt (AQ21 11.2023). In Süd-/Zentralsomalia ist die formelle Vertretung von Minderheiten im Rahmen der 4.5-Formel nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die Formel trägt dazu bei, dass bestehende Strukturen aufrechterhalten und damit Minderheiten sozial und politisch ausgrenzt werden (ÖB Nairobi 10.2024). Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 versucht die Regierung hingegen, Minderheiten zu ermutigen, sich für Regierungsstellen zu bewerben. Allerdings ist die Diskriminierung tief in der Gesellschaft verwurzelt und besteht weiter fort (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).
Lage: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 22.4.2024; vgl. AA 23.8.2024; FH 2024b). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – mittelbar auch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 23.8.2024). Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausgebaut, sie verfügen über geringere Ressourcen (Sahan/SWT 24.10.2022) und erhalten weniger Remissen (Sahan/SWT 24.10.2022; vgl. SPC 9.2.2022). In staatlichen Behörden - etwa Polizei und Justiz - sind Minderheiten nur spärlich vertreten (ÖB Nairobi 10.2024). Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu [Anm.: Die Digil sind v. a. Landwirte und nicht Nomaden und können bei Dürre schwerer ausweichen]. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird (Sahan/SWT 24.10.2022). Selbst in Mogadischu erhalten Minderheitenangehörige weniger Nahrungsmittelhilfe (TANA/ACRC 9.3.2023). Sie stehen einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber (UN OCHA 14.3.2022).
Ein Programm der Bundesregierung soll zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von fast 25.000 benachteiligten und marginalisierten Haushalten beitragen. Dieses von Deutschland finanzierte 50-Millionen-Euro-Programm zielt darauf ab, den Zugang zu Bildung, Gesundheit, Hygiene und Ernährung für Kinder und Jugendliche zu verbessern und die Ernährungssicherheit benachteiligter Haushalte zu erhöhen. Die Regierung von Jubaland organisiert Workshops für Jugendliche aus marginalisierten Gruppen, um Integration und Partizipation zu fördern (UNSOM 5.8.2023).
Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind laut einer Quelle überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 22.4.2024). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Gebieten, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB Nairobi 10.2024). Von Frauen marginalisierter Gruppen eingebrachte Vergewaltigungsanzeigen werden tendenziell ignoriert (UNSOM 5.8.2023).
Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen (UNHCR 22.12.2021a, S. 58).
Mogadischu: In der Hauptstadt verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (AQSOM 4 6.2024; vgl. FIS 7.8.2020a). Laut einem Experten dominieren auch die Rahanweyn mittlerweile bestimmte Stadtteile. Insgesamt leben in Mogadischu sehr viele unterschiedliche Clans, alle können Eigentum besitzen, sich in der Wirtschaft betätigen (AQSOM 4 6.2024), sich frei bewegen und niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (AQSOM 4 6.2024; vgl. FIS 7.8.2020b, S. 39). Außerdem tendieren die Menschen dazu, auf dem Gebiet des eigenen Clans zu wohnen. Beziehungen zu Abgaal oder Habr Gedir - familiäre, wirtschaftliche, eheliche oder freundschaftliche - sind von Vorteil, um Konflikte abwenden oder lösen zu können. Generell agieren die dominanten Clans Mogadischus aber nicht im rechtsfreien Raum, da sie aufgrund von z. B. in Mogadischu begangenem Unrecht mit Gegenunrecht in anderen Teilen Somalias rechnen müssen (AQSOM 4 6.2024). Im Allgemeinen ist es schwierig, Menschen, die in Mogadischu aufgewachsen sind, oberflächlich nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, da vor allem arabische Namen verwendet werden (UNFPA/DIS 25.6.2020).
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Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation
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Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Aufgrund dieser Stigmatisierung (FH 2024a) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017; vgl. FIS 5.10.2018). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. SEM 31.5.2017). Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019a). Die Gruppe hat Fußsoldaten, die zu Gruppen mit niedrigem Status gehören, dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).
Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB Nairobi 10.2024). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem "noblen" Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie nach Angaben einer Quelle aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018).
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Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen - allgemein
Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Scharia wird ausschließlich von Männern angewendet, die oftmals zugunsten von Männern entscheiden (USDOS 22.4.2024). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts. In der Scharia gelten für Frauen andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer (z. B. halbe Erbquote). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, diese gelten auch in Somaliland (AA 23.8.2024).
Auch im Rahmen der Ausübung des Xeer (traditionelles Recht) haben Frauen nur eingeschränkt Einfluss. Verhandelt wird unter Männern, und die Frau wird üblicherweise von einem männlichen Familienmitglied vertreten (SPC 9.2.2022; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Oft werden Gewalttaten gegen Frauen außerhalb des staatlichen Systems zwischen Clanältesten geregelt, sodass ein Opferschutz nicht gewährleistet ist (AA 23.8.2024). Auch Vergewaltigungsfälle werden oft im Rahmen kollektiver Clanverantwortung abgehandelt (ÖB Nairobi 11.1.2024; vgl. AQ21 11.2023; SPC 9.2.2022). Diesbezüglich geschaffene Gesetze haben zwar Signalwirkung, diese wendet sich aber insbesondere nach Außen (ÖB Nairobi 11.1.2024). Viele Fälle werden auch gar nicht gemeldet. Weibliche Opfer befürchten, von ihren Familien oder Gemeinden verstoßen zu werden, sie fürchten sich z. B. auch vor einer Scheidung oder einer Zwangsehe. Anderen Opfern sind die formellen Regressstrukturen schlichtweg unbekannt (SPC 9.2.2022). Im traditionellen System werden Vergewaltigungen oft mittels Blutgeld zwischen den betroffenen Clans ausverhandelt. Dabei darf das Opfer nach Angaben einer Quelle über die Höhe des Betrags mitentscheiden (ÖB Nairobi 11.1.2024). Andererseits werden Frauen im Falle von Clankonflikten oft als neutral erachtet, da es für sie leichter möglich ist, sich an unterschiedliche Clans zu wenden, um z. B. eine Waffenruhe zu erbitten. Folglich sind Frauen aufgrund der Verwandtschaftsverhältnisse beim Peace Building durchaus mächtig (AQ21 11.2023).
Während Frauen in Somalia zunehmend entscheidende wirtschaftliche Rollen übernehmen und häufig als Hauptverdiener ihrer Familien auftreten, stoßen sie bei der Suche nach politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten auf Hindernisse. Oft finden sie sich in schlecht bezahlten Positionen wieder (BS 2024). Gemäß einer Studie zum Gender-Gap in Süd-/Zentralsomalia und Puntland verfügen Frauen dort nur über 50 % der Möglichkeiten der Männer – und zwar mit Bezug auf Teilnahme an der Wirtschaft; wirtschaftliche Möglichkeiten; Politik; und Bildung (SOMSUN 6.4.2021). Viele traditionelle und religiöse Eliten stellen sich vehement gegen eine stärkere Beteiligung von Frauen am politischen Leben (AA 23.8.2024). Auf allen politischen Ebenen herrscht dementsprechend eine Absenz von Frauen. Insgesamt ist dies auf die patriarchale, auf Clans basierende Gesellschaft zurückzuführen (Sahan/SWT 19.1.2024; vgl. AA 23.8.2024). Trotzdem finden sich bei Behörden, bei den Macawiisley, in der Bundesarmee, bei der NISA und den Darawish Frauen, bei der Polizei sind es ca. 10 % (AQ21 11.2023; vgl. Sahan/SWT 9.9.2022).
Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Diskriminierung: Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 22.4.2024). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 23.8.2024). Sie genießen nicht die gleichen Rechte und den gleichen Status wie Männer und leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik, Unterbringung und am Arbeitsmarkt (USDOS 22.4.2024; vgl. FH 2024b). Bei der politischen Entscheidungsfindung werden Frauen marginalisiert (UNSC 2.2.2024).
Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019a, S. 3).
Frauen in der Politik: Die eigentlich vorgesehene 30-Prozent-Frauenquote für Abgeordnete im somalischen Parlament wird nicht eingehalten. Aktuell liegt diese bei 54 Sitzen (knapp 20 %) im Unterhaus (FH 2024b; vgl. UNSC 13.5.2022; BS 2024) und 26 % im Oberhaus (14 von 54 Sitzen) (FH 2024b; vgl. UNSC 8.2.2022). In der neuen Regierung nehmen Frauen 10 Sitze ein, was einen Anteil von 13 % ausmacht (UNSC 1.9.2022b). Die stellvertretende Sprecherin des Unterhauses ist weiblich (BS 2024). Unter den in Puntland Anfang 2024 vereidigten 66 Parlamentsabgeordneten findet sich nur eine Frau (Sahan/SWT 19.1.2024).
Gewalt gegen Frauen: Gewalt gegen Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 22.4.2024). Trotzdem bleibt häusliche Gewalt ein großes Problem (USDOS 22.4.2024; vgl. BS 2024; AA 23.8.2024). Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 22.4.2024). Auch generell ist sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem - IDPs sind spezifisch betroffen (FH 2024b; vgl. USDOS 22.4.2024; ÖB Nairobi 10.2024; HRW 11.1.2024). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. NGOs haben eine diesbezügliche Systematik dokumentiert (USDOS 22.4.2024). So waren z. B. sieben von zwölf in einem UN-Bericht für das erste Jahresdrittel 2024 erwähnten weiblichen Opfer konfliktverursachter sexueller Gewalt Angehörige von Minderheiten, drei waren IDPs (UNSC 3.6.2024). Frauen, die aus Minderheiten stammen, sind dementsprechend besonders vulnerabel hinsichtlich sexueller Gewalt, Kriminalität, Ausbeutung und Diskriminierung und haben gleichzeitig kaum Zugang zu Justiz oder Clanschutz (ÖB Nairobi 10.2024).
Zur Veranschaulichung: Im Jahr 2021 setzten sich die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt laut UNFPA wie folgt zusammen: 62 % physische Gewalt; 11 % Vergewaltigungen; 10 % sexuelle Übergriffe; 7 % Verweigerung von Ressourcen; 6 % psychische Gewalt; 4 % Zwangs- oder Kinderehe. 53 % der Fälle ereigneten sich im Wohnbereich der Opfer (UNFPA 14.4.2022). Zudem werden Frauen und Mädchen Opfer, wenn sie Wasser holen, Felder bewirtschaften oder auf den Markt gehen. Klassische Muster sind: a) die Entführung von Mädchen und Frauen zum Zwecke der Vergewaltigung oder der Zwangsehe. Hier sind die Täter meist nicht-staatliche Akteure; und b) Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen durch staatliche Akteure, assoziierte Milizen und unbekannte Bewaffnete. Insgesamt gaben bei einer Untersuchung aber 59 % der befragten Frauen an, dass die meiste Gewalt gegen Frauen von Ehemännern ausgeht (USDOS 22.4.2024). UNFPA berichtete 2021 von jährlich 80 % Zuwachs bei der Zahl an gemeldeten Fällen (Sahan/SWT 9.2.2024). Frauen und Mädchen bleiben den Gefahren bezüglich Vergewaltigung, Verschleppung und systematischer sexueller Versklavung ausgesetzt (AA 23.8.2024).
Sexuelle Gewalt - Gesetzeslage: Das Strafgesetzbuch befasst sich hinsichtlich sexueller Gewalt weniger mit Körperverletzung, sondern beschreibt diese eher im Sinne einer Verletzung der Sittlichkeit und der sexuellen Ehre (BS 2024). Nicht die körperliche Integrität, sondern Anstand und Ehre stehen im Vordergrund (HRW 11.1.2024). Nach anderen Angaben ist Vergewaltigung gesetzlich verboten (AA 23.8.2024). Die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 22.4.2024). Vergewaltigung bzw. Übergriffe in der Ehe sind hingegen nicht verboten. Insgesamt ist die Gesetzeslage unklar und wird auch uneinheitlich angewendet (Sahan/SWT 9.2.2024) bzw. setzt die Regierung bestehende Gesetze nicht effektiv um (USDOS 22.4.2024).
Sexuelle Gewalt - staatlicher Schutz: Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt werden häufig als Kavaliersdelikte abgetan, eine Verurteilung der Täter mithilfe von Bestechung oder Kompensationszahlungen verhindert (AA 23.8.2024). Denn wenn eine Frau - trotz Angst vor sozialer Ächtung - z. B. Beschwerden über ihren Ehemann vorbringt, dann handelt üblicherweise nicht die Polizei, sondern Älteste oder Familienangehörige (Horn 6.2.2024). Folglich kann bei Vergewaltigungen von staatlichem Schutz nicht ausgegangen werden (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. BS 2024). Eine strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungen erfolgt in der Praxis kaum (AA 23.8.2024; vgl. USDOS 22.4.2024; ÖB Nairobi 10.2024), die Aufklärungsrate ist verschwindend gering (AA 23.8.2024).
Insgesamt wird Gewalt gegen Frauen aber aufgrund des Stigmatisierungsrisikos und mangelnder Reaktionen der von Männern dominierten Strafverfolgungs- und Justizsysteme oft gar nicht erst gemeldet (SW 3.2023; vgl. Sahan/SWT 9.2.2024; USDOS 22.4.2024; AA 23.8.2024; ÖB Nairobi 10.2024). Die Tabuisierung von Vergewaltigungen führt u. a. dazu, dass kaum Daten zur tatsächlichen Prävalenz vorhanden sind (SIDRA 6.2019a, S. 2). Vergewaltigungsopfer leiden oft unter ihrer angeschlagenen Reputation. Zudem untersucht die Polizei Fälle sexueller Gewalt nur zögerlich; manchmal verlangt sie von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen (USDOS 22.4.2024). Manchmal übergibt die Polizei ohne Zustimmung des Opfers oder der Familie des Opfers einen Vergewaltigungsfall an traditionelle Rechtsinstrumente (UNSC 6.10.2021).
Sexuelle Gewalt - traditionelles Recht (Xeer): Zum größten Teil (95 %) werden Fälle sexueller Gewalt – wenn überhaupt – im traditionellen Rechtsrahmen erledigt (SIDRA 6.2019a, S. 5ff; vgl. Sahan/SWT 13.3.2023; MBZ 6.2023), wo Frauen sich von einem männlichen Verwandten repräsentieren lassen müssen (Sahan/SWT 9.2.2024). Xeer stellt aber die Interessen des Clans und Clanbeziehungen in den Vordergrund (MBZ 6.2023). Dort getroffene Einigungen beinhalten Kompensationszahlungen an die Familie des Opfers (SIDRA 6.2019a, S. 5ff), oder aber das Opfer wird gezwungen, den Täter zu ehelichen (USDOS 22.4.2024). Das patriarchalische Clansystem und Xeer an sich bieten Frauen also keinen Schutz, denn wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß Xeer gesühnt, wird der eigentliche Täter nicht bestraft (SEM 31.5.2017, S. 49; vgl. ÖB Nairobi 10.2024; SIDRA 6.2019a, S. 5ff).
Sexuelle Gewalt - Maßnahmen: Nach Angaben einer Quelle nimmt die Zahl erfolgreicher Strafverfolgung bei Vergewaltigungen und anderer Formen sexueller Gewalt zu. Mädchen und Frauen haben demnach Vertrauen gewonnen und zeigen Fälle an, auch wenn es noch zahlreiche Mängel und Hürden gibt (UNFPA 14.4.2022). Bei der Armee wurden einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 22.4.2024). In Baidoa wurde ein Mann, der eine Frau ermordet hatte, zum Tode verurteilt und Anfang Juni 2022 exekutiert (GN 7.6.2022). In zwei Vergewaltigungsfällen von Minderjährigen in Jubaland und Galmudug wurden die Täter (ein Soldat und ein Clanmilizionär) verhaftet (UNSC 1.9.2022b).
Sexuelle Gewalt - Unterstützung: Insgesamt gibt es für Opfer sexueller Gewalt beachtliche Hürden, um notwendige Unterstützung in Anspruch nehmen zu können (USDOS 22.4.2024). Somalische Frauen und Mädchen haben nur äußerst begrenzten Zugang zu Programmen, die sie vor Gewalt schützen (Sahan/SWT 13.3.2023), es gibt kaum rechtliche oder medizinische Unterstützungsangebote (Sahan/SWT 9.2.2024). Laut einer Studie erhielten 17 % der von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen Unterstützung (USDOS 22.4.2024). UNFPA treibt die Einrichtung sogenannter One-Stop-Center und Women and Girls' Safe Spaces voran und unterhält diese. Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt sollen umfassend betreut werden. Sie können in solchen Einrichtungen in Sicherheit auf medizinische, psychosoziale, rechtliche und andere Hilfe zurückgreifen. UNFPA hat mit ihren Partnern im Jahr 2022 fast 9.000 Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt einen Safe Space zur Verfügung gestellt; im gleichen Jahr wurden mehr als 22.000 Opfer betreut (UNFPA 16.6.2023). IDPs, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, werden mitunter von UNHCR mit u. a. psychosozialen Diensten und einer Fallbetreuung unterstützt (UNHCR 23.1.2024; vgl. UNHCR 23.6.2024). Hierzu gehören u. a. auch ein sog. Safe House, Verpflegung, Geldaushilfe und medizinische Versorgung (UNHCR 23.6.2024). In Mogadischu gibt es mindestens ein Frauenhaus. Dort werden Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt oder von Zwangsehen aufgenommen - auch Frauen, die vor einer Ehe schwanger geworden sind (Love Does 20.10.2023). Die NGO Elman Peace betreibt unter dem Titel "Sister Somalia" Krisenzentren für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Auch dort gibt es psychosoziale, medizinische und Trauma-Betreuung (Elman o.D.c). Die NGO SWSC bietet in Jubaland psychosoziale und rechtliche Unterstützung, die NGO SWDC tut dies in Mogadischu und im Bundesstaat SWS (SW 11.2023). Insgesamt mangelt es allerdings an Schutzeinrichtungen. In Puntland gibt es einige Frauenhäuser, in Süd-/Zentralsomalia hingegen gibt es nur sehr wenige derartige Einrichtungen für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt (UNFPA 14.4.2022). Die im Violence Observatory System erfassten Fälle in Mogadischu, Baidoa und Kismayo zeigen eine geographische Ungleichverteilung: Während in Baidoa 98 % der Fälle nicht an einen Safe Space verwiesen wurden, waren es in Kismayo 71 % und in Mogadischu 66 %. Noch ungleicher gestaltet sich die Antwort auf die Frage, ob Opfer Rechtsschritte ergreifen möchten: 80 % der Opfer in Baidoa schlossen rechtliche Schritte gegen den Täter aus; dahingegen waren es in Kismayo nur 23 % und in Mogadischu nur 8 % (SW 11.2023).
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Alleinstehende Frauen sind insbesondere dann gefährdet, wenn sie in IDP-Lagern leben. Dort haben sie ein erhöhtes Risiko, sexuelle Gewalt zu erfahren. Für Frauen, die einem Minderheitenclan angehören, ist das Risiko noch höher. Die Hauptquelle für Schutz liegt in der erweiterten Familie der Frau. Wenn eine Frau nicht bei ihrer Großfamilie lebt, verringert sich ihre Sicherheit. Frauen, die einem Mehrheitsclan angehören, können daher mit einem gewissen Schutz rechnen (MBZ 6.2023).
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Familie, Ehe, Zwangsehe, Scheidung, Ehrenmorde
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Arrangierte Ehe / Zwangsehe: Zusätzlich ist es im Xeer sehr wohl möglich, dass Eltern oder ein Vormund auf Minderjährige einwirken, damit diese einer Eheschließung - wie in der Scharia verlangt - "freiwillig" zustimmen. Die in der Scharia verlangte Einwilligung wird im Xeer relativiert. Kinder- und arrangierte Ehen sehen oft keine ehrliche Freiwilligkeit vor. Eigentlich hätten solche Ehen nach islamischer Rechtsauffassung keine Gültigkeit (Omer2/ALRC 17.3.2023). Dementsprechend ist der Übergang von arrangierter zur Zwangsehe fließend (MBZ 6.2023). Bei Ersterer liegt die mehr oder weniger explizite Zustimmung beider Eheleute vor, wobei hier ein unterschiedliches Maß an Druck ausgeübt wird. Bei der Zwangsehe hingegen fehlt die Zustimmung gänzlich oder nahezu gänzlich (Landinfo 14.6.2018, S. 9f). Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 23.8.2024), Zwangsehen sind in Somalia normal bzw. weitverbreitet (SPA 1.2021; vgl. FH 2024b). Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele davon waren bei der Eheschließung keine 15 Jahre alt (LIFOS 16.4.2019, S. 10). Und manche Mädchen haben nur in eine Ehe eingewilligt, um nicht von der eigenen Familie verstoßen zu werden (SPA 1.2021). Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen vorzugehen (USDOS 22.4.2024). Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie gewählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet. Das Ausmaß ist unklar, Ehrenmorde haben diesbezüglich in Somalia aber keine Tradition (Landinfo 14.6.2018, S. 10). Vielmehr können Frauen, die sich gegen eine arrangierte Ehe wehren und/oder davonlaufen, ihr verwandtschaftliches Solidaritätsnetzwerk verlieren (ACCORD 31.5.2021, S. 33; vgl. Landinfo 14.6.2018, S. 10).
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Mädchen / Frauen - Weibliche Genitalverstümmelung und -Beschneidung (FGM/C)
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Prävalenz: FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet (USDOS 22.4.2024; vgl. AA 23.8.2024) und bleibt die Norm (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Lange Zeit wurde die Zahl betroffener Frauen mit 98 % angegeben. Diese Zahl ist laut somalischem Gesundheitsministerium bis 2015 auf 95 % und bis 2018 auf 90 % gefallen (FIS 5.10.2018, S. 29). UN News berichtet von "mehr als 90 %" (UNN 4.2.2022). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 13 % der 15-17-jährigen Mädchen nicht beschnitten (STC 9.2017). In der Altersgruppe von 15-49 Jahren liegt die Prävalenz hingegen bei 98 %, jene der Infibulation bei 77 %, wie eine andere Studie besagt (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Laut einer anderen Quelle sind 88 % der 5-9-jährigen Mädchen bereits beschnitten oder verstümmelt (CARE 4.2.2022). Insgesamt gibt es diesbezüglich nur wenige aktuelle Daten. Generell ist von einer Rückläufigkeit auszugehen (LIFOS 16.4.2019, S. 19f; vgl. STC 9.2017).
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Reinfibulation, Deinfibulation
Die Thematik der Reinfibulation (Wiederherstellung einer Infibulation, Wiederzunähen) betrifft jene Frauen und Mädchen, die bereits einer Infibulation unterzogen und später deinfibuliert wurden. Letzteres erfolgt z. B. im Rahmen einer Geburt, zur Erleichterung des Geschlechtsverkehrs (LIFOS 16.4.2019, S. 35/12; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 9/12) oder aber z. B. auf Wunsch der Familie, wenn bei der Menstruation Beschwerden auftreten (LIFOS 16.4.2019, S. 32; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt zudem anekdotische Berichte, wonach eine neue Intervention durchgeführt wurde, weil die Familie eine umfassendere Intervention als die ursprüngliche gewünscht hat (Landinfo 14.9.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 74).
Eine Reinfibulation kommt v. a. dann vor, wenn Frauen - üblicherweise noch vor der ersten Eheschließung - eine bestehende Jungfräulichkeit vorgeben wollen (DIS 1.2016, S. 23). Obwohl es vor einer Ehe gar keine physische Untersuchung der Jungfräulichkeit gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 40f), kann es bei jungen Mädchen, die z. B. Opfer einer Vergewaltigung wurden, zu Druck oder Zwang seitens der Eltern kommen, sich einer Reinfibulation zu unterziehen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/76; vgl. CEDOCA 13.6.2016, S. 9). Vergewaltigungsopfer werden oft wieder zugenäht (HO 27.2.2019; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt anekdotische Berichte über Fälle, in denen unverheiratete Mädchen oder junge Frauen aus der Diaspora nach Somalia geschickt wurden, um eine Reinfibulation durchzuführen (Landinfo 14.9.2022).
Eine Quelle gibt an, dass es Folgen - bis hin zur Scheidung - haben kann, wenn ein Ehemann in der Hochzeitsnacht feststellt, dass eine Deinfibulation bereits vorliegt. Eine Scheidung kann in diesem Fall zu einer indirekten Stigmatisierung infolge von "Gerede" führen. Generell können zur Frage der Reinfibulation von vor der Ehe deinfibulierten Mädchen und jungen Frauen nur hypothetische Angaben gemacht werden, da z. B. den von der schwedischen COI-Einheit LIFOS befragten Quellen derartige Fälle überhaupt nicht bekannt waren (LIFOS 16.4.2019, S. 40f).
Als weitere Gründe, warum sich Frauen für eine Reinfibulation im Sinne einer weitestmöglichen Verschließung entscheiden, werden in einer Studie aus dem Jahr 2015 folgende genannt: a) nach einer Geburt: Manche Frauen verlangen z. B. eine Reinfibulation, weil sie sich nach Jahren an ihren Zustand gewöhnt hatten und sich die geöffnete Narbe ungewohnt und unwohl anfühlt; b) manche geschiedene Frauen möchten als Jungfrauen erscheinen; c) Eltern von Vergewaltigungsopfern fragen danach; d) in manchen Bantu-Gemeinden in Süd-/Zentralsomalia möchten Frauen, deren Männer für längere Zeit von zu Hause weg sind, eine Reinfibulation als Zeichen der Treue (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 76; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 11).
Gesellschaftlich verliert die Frage einer Deinfibulation oder Reinfibulation nach einer Eheschließung generell an Bedeutung, da die Vorgabe der Reinheit/Jungfräulichkeit irrelevant geworden ist (LIFOS 16.4.2019, S. 40). Für verheiratete oder geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben (CEDOCA 13.6.2016, S. 6).
Wird eine Frau vor einer Geburt deinfibuliert, kann es vorkommen, dass nach der Geburt eine Reinfibulation stattfindet. Dies obliegt i.d.R. der Entscheidung der betroffenen Frau (LIFOS 16.4.2019, S. 40; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 26). Die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Deinfibulation nach einer Geburt bestehen bleibt, und es gibt üblicherweise keinen Druck, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Viele Frauen fragen aber offenbar von sich aus nach einer (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation (CEDOCA 13.6.2016, S. 9f/26). Gemäß Angaben einer Quelle ist eine derartige - von der Frau verlangte - Reinfibulation in Somalia durchaus üblich. Manche Frauen unterziehen sich demnach mehrmals im Leben einer Reinfibulation (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/75f). Nach anderen Angaben kann ein derartiges Neu-Vernähen der Infibulation im ländlichen Raum vorkommen, ist in Städten aber eher unüblich (FIS 5.10.2018, S. 29). Die Verbreitung variiert offenbar auch geographisch: Bei Studien an somalischen Frauen in Kenia haben sich 35 von 57 Frauen einer Reinfibulation unterzogen. Gemäß einer anderen Studie entscheiden sich in Puntland 95 % der Frauen nach einer Geburt gegen eine Reinfibulation (CEDOCA 9.6.2016, S. 13f). Insgesamt gibt es zur Reinfibulation keine Studien, die Prävalenz ist unbekannt. Eine Wissenschaftlerin, die sich seit Jahren mit FGM in Somalia auseinandersetzt, sieht keine Grundlage dafür, dass nach einer Geburt oder Scheidung systematisch eine Reinfibulation durchgeführt wird – weder in der Vergangenheit noch in der heutigen Zeit. Im somalischen Kontext wird demnach eine Infibulation durchgeführt, um die Jungfräulichkeit vor der Ehe zu „beweisen“. Dementsprechend macht es keinen Sinn, eine verheiratete Frau nach der Geburt zu reinfibulieren (Landinfo 14.9.2022, S. 12f).
Freilich kann es vorkommen, dass eine Frau – wenn sie z. B. physisch nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen – auch gegen ihren Willen einer Reinfibulation unterzogen wird; die Entscheidung treffen in diesem Fall weibliche Verwandte oder die Hebamme. Es kann auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Frauen durch Druck von Familie, Freunden oder dem Ehemann zu einer Reinfibulation gedrängt werden. Insgesamt hängt das Risiko einer Reinfibulation also zwar vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab, aber generell liegt die Entscheidung darüber bei ihr selbst. Sie kann sich nach der Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden. Es kommt in diesem Zusammenhang weder zu Zwang noch zu Gewalt. Keine der zahlreichen, von der schwedischen COI-Einheit LIFOS dazu befragten Quellen hat jemals davon gehört, dass eine deinfibulierte Rückkehrerin nach Somalia dort zwangsweise reinfibuliert worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S. 41).
Kinder
Die Regierung setzt Kinderrechte nur selten durch (Sahan/SWT 22.7.2022).
[…]
Gewalt: Somalia ist laut UN eines der gefährlichsten Länder für Kinder weltweit (HO 12.7.2023). Es werden seitens sämtlicher Konfliktparteien Missbräuche bzw. Menschenrechtsverletzungen gegen Kinder verübt (ÖB Nairobi 10.2024). Die schweren Verbrechen umfassen Rekrutierungen, Verwendung als Kindersoldaten (v. a. durch al Shabaab), Tötungen und Verstümmelungen sowie geschlechtsspezifischer Gewalt (UNSC 10.10.2022). Somalia findet sich unter den Ländern mit der größten Zahl an Verbrechen an Kindern weltweit (SPC 9.2.2022). Es kommt u. a. zu Tötung, Verstümmelung, Rekrutierung und Kampfeinsatz sowie sexueller Gewalt (HRW 11.1.2024). Im Zeitraum 6.10.2023-24.1.2024 wurden 567 Fälle von schweren Menschenrechtsverletzungen an Kindern dokumentiert, 454 Kinder waren betroffen. Hauptbetroffen waren die Regionen Hiiraan (101), Bay (99) und Lower Shabelle (71). Für ca. 58 % der Vergehen war al Shabaab verantwortlich (UNSC 2.2.2024). Im Zeitraum 25.1.-23.5.2024 waren es 769 Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen mit 614 betroffenen Kindern. Al Shabaab war für 71 % der Vorfälle verantwortlich, unbekannte Täter für weitere 17 %. Für 10 % tragen Sicherheitskräfte und für 4 % Clanmilizen die Verantwortung (UNSC 3.6.2024). Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl an schweren Verbrechen an Kindern weit höher liegt als die der gemeldeten und verifizierten Fälle (SPC 9.2.2022).
Missbrauch und Vergewaltigung von Kindern sind ernste Probleme. Es gibt keine bekannten Anstrengungen der Bundesregierung oder von Regionalregierungen, dagegen vorzugehen (USDOS 22.4.2024). Es kommt immer wieder zur Verhaftung und Inhaftierung von Kindern, denen Verbindungen zu al Shabaab nachgesagt werden (HRW 11.1.2024). Bei der Verhaftung und während Haftstrafen werden Kinder mitunter wie Erwachsene behandelt (HRW 29.3.2024). Im Zeitraum Jänner bis März 2022 wurden 194 Fälle von Kindesentführungen dokumentiert. In 192 dieser Fälle wird al Shabaab als Täter genannt (UNSC 10.10.2022). Kinder, die aus armen (meist ländlichen) Gegenden zu besser situierten Verwandten in die Städte geschickt werden, können manchmal auch Opfer von Menschenhandel werden (Sahan/SWT 22.7.2022).
[…]
Kinderarbeit: In den Gesetzen und Regulierungen zu Kinderarbeit gibt es erhebliche Lücken. Kinder arbeiten in der Landwirtschaft, als Hirten, am Bau - etwa beim Zerkleinern von Steinen, im Haushalt oder auf der Straße, als Träger oder Khat-Verkäufer. Zudem werden Kinder von staatlichen und nicht-staatlichen Kräften rekrutiert (USDOL 26.9.2023). Kinder werden von ihren Familien und Gemeinschaften als unentgeltliche Arbeitskräfte eingesetzt. Trotz verschiedener Initiativen wurden in Somalia kaum Fortschritte bei der Beseitigung der Kinderarbeit erzielt (Sahan/SWT 28.7.2023). Denn Kinderarbeit wird nicht als unmoralisch oder illegal erachtet und ist daher relativ normal. Die meisten Kinder beginnen bereits in jungen Jahren zu arbeiten, manche von ihnen können Arbeit und Schule kombinieren (Sahan/SWT 22.7.2022). Im ländlichen Somalia ist von Kinderarbeit - meist Feldarbeit oder nomadische Hilfstätigkeit - auszugehen. In urbanen Zentren werden Kinder als Dienstboten und für einfache Erledigungen eingesetzt. Für Puntland und Somaliland gilt dies nur eingeschränkt (AA 23.8.2024).“
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, die bereits im angefochtenen Bescheid getroffen wurden, stützen sich auf die zitierten Quellen und wurden von den Parteien nicht substanziell bestritten. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
2.2. Zu den Feststellungen zu den Personen und Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
Die Feststellungen zur Staatszughörigkeit der Beschwerdeführer und zur Clanzugehörigkeit der Erstbeschwerdeführerin ergeben sich aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Laufe des Verfahrens sowie aus dem Akteninhalt. Die Feststellung zur Clanzugehörigkeit des Zweitbeschwerdeführers beruht auf der dem hg. Erkenntnis vom 17.11.2017 (GZ W236 2151196-1/6Z) zu entnehmenden Feststellung, dass der Vater des Zweitbeschwerdeführers bzw. Ehemann der Erstbeschwerdeführerin zum Clan der Murusade und damit, wie sich aus den herangezogenen Länderinformationen ergibt, zum Hauptclan der Hawiye gehört. Dementsprechend gehört auch der Zweitbeschwerdeführer, als Sohn eines Angehörigen der Murusade/Hawiye diesem Clan an, da in Somalia Kinder die Clanzugehörigkeit des Vaters übernehmen (zu entnehmen etwa dem Bericht der Schweizer Eidgenossenschaft/Staatssekretariat für Migration SEM Focus Somalia/Clans und Minderheiten vom 31.05.2017).
Die Feststellung dazu, dass die Erstbeschwerdeführerin aus Mogadischu stammt, ergibt sich aus ihren entsprechenden gleichlautenden und damit glaubhaften Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung. Dass Mogadischu in der Region Banadir liegt und sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS befindet, ist den herangezogenen Länderinformationen zu entnehmen. Die Feststellung, dass der Zweitbeschwerdeführer in Österreich geboren ist, ergibt sich aus seiner österreichischen Geburtsurkunde.
Die Feststellungen zur fehlenden Schulbildung und Tätigkeit als Hausfrau sowie in anderen Haushalten der Erstbeschwerdeführerin ergeben sich aus ihren gleichlautenden und damit glaubhaften Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung.
Die Feststellung dazu, dass die Erstbeschwerdeführerin zweimal geschieden ist, konnte aufgrund einer Zusammenschau ihrer Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung getroffen werden. Dass ihr zweiter Ex-Mann ihr Cousin väterlicherseits ist, ergibt sich aus ihren im Verfahren diesbezüglichen durchwegs gleichlautenden und damit glaubhaften Angaben. Die Feststellung dazu, dass sie mit ihrem Ehemann, sohin ein drittes Mal, seit dem 20.04.2023 verheiratet ist, ergibt sich aus der Einsicht in die in Mogadischu ausgestellte Heiratsurkunde und den damit in Übereinstimmung stehenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren. Dass die Erstbeschwerdeführerin ihren Ehemann in Österreich kennenlernte, beruht auf ihren entsprechenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung. Dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater des Zweitbeschwerdeführers in Österreich subsidiär schutzberechtigt ist, ergibt sich aus dem hg. Erkenntnis vom 17.11.2017 (GZ W236 2151196-1/6Z).
Die Feststellungen zu den Kindern der Erstbeschwerdeführerin beruhen auf ihren Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung sowie der Einsicht in die österreichische Geburtsurkunde des Zweitbeschwerdeführers.
Die Feststellungen zum aktuellen Aufenthalt in Ceelasha Biyaha von zwei Söhnen der Erstbeschwerdeführerin, ihrer Tochter und ihrer jüngeren Schwester sowie dem unregelmäßigen Kontakt zu diesen, ergeben sich aus ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung. Dass sich Ceelasha Biyaha in der Region Lower Shabelle und etwa 20 Kilometer von Mogadischu entfernt befindet ist der unter https://mapcarta.com/de/33136612 abrufbaren Karte sowie Google Maps zu entnehmen. Die Feststellungen zum aktuellen Aufenthalt der älteren Schwester der Erstbeschwerdeführerin und deren Ehemann in Mogadischu konnte aufgrund ihren entsprechenden übereinstimmenden und damit glaubhaften Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung getroffen werden. Dass die Eltern und Geschwister des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin in Mogadischu leben, ergibt sich aus seinen Aussagen als Zeuge im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Die Feststellung, dass die Eltern der Erstbeschwerdeführerin verstorben sind, beruht darauf, dass sie den Tod ihrer Eltern im Verfahren durchwegs angeführte, wobei dem von der Erstbeschwerdeführerin ins Treffen geführte Grund für den Tod ihrer Eltern, nämlich deren Ermordung durch ihren zweiten Ex-Mann, nicht gefolgt wird (siehe dazu bei den Fluchtgründen weiter unten).
Die Feststellungen dazu, dass die Erstbeschwerdeführerin beschnitten ist, nach ihren drei Geburten in Somalia refibuliert und seit der in Österreich erfolgten vaginalen Geburt ihres vierten Kindes, dem Zweitbeschwerdeführer, defibuliert ist, ergeben sich aus ihren entsprechenden Angaben in der mündlichen Verhandlung.
Die Feststellungen zu den Schussverletzungen der Erstbeschwerdeführerin und der Behandlung dieser Schutzverletzungen ergeben sich aus den vorgelegten Fotos der Schussverletzungen und den entsprechenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren.
Die Feststellungen zur Ausreise der Erstbeschwerdeführerin aus Somalia, deren Kosten, deren Organisation und zur Weiterreise nach Österreich ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens. Die Daten der Antragstellungen auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Hinsichtlich der Fluchtgründe führte die Erstbeschwerdeführerin auf den wesentlichen Kern zusammengefasst an, ihr zweiter Ex-Mann habe sich ihrer Familie aus der böswilligen Absicht annähern wollen, um sich an ihrem Vater zu rächen, weil er eine Frau aus dem Clan der Ashraf geheiratet habe. Ihr zweiter Ex-Mann habe deswegen den Besitz ihrer Familie übernommen, ihre Eltern getötet sowie sie angeschossen und fürchte sie nach wie vor eine von ihrem zweiten Ex-Mann ausgehende Bedrohung im Fall einer Rückkehr nach Somalia. Die Erstbeschwerdeführerin brachte diese Rahmengeschichte zwar im Verfahren durchwegs vor, doch verwickelte sie sich in entscheidenden Punkten dieser Rahmengeschichte in Widersprüche und Unplausibiliäten, sodass die Fluchtgründe der Erstbeschwerdeführerin gesamtheitlich nicht glaubhaft sind.
Der massivste Widerspruch liegt darin, dass die Erstbeschwerdeführerin beim BFA noch angab, dass ihre Tochter ungefähr XXXX Jahre alt sei (somit XXXX geboren wurde, was auch mit den Angaben bei der Erstbefragung übereinstimmen würde) und ihr zweiter Ex-Mann bereits nach der Geburt der Tochter den Besitz der Familie verlangt habe, wobei sie auf konkrete Nachfrage in dieser Einvernahme angab, dass der Vorfall mit der Schießerei durch den Ex-Mann nach der Scheidung gewesen sei. Völlig abweichend dazu gab die Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung an, dass ihr zweiter Ex-Mann bereits kurz nach der Hochzeit das Familienoberhaupt werden wollte und ihr Vater damit einverstanden gewesen sei und der Vater – trotz gegenteiliger Meinung der Erstbeschwerdeführerin – alles an den Mann überschrieben habe, weil er ihn als „Sohn“ angesehen habe. Da die Erstbeschwerdeführerin immer gleichlautend angab, dass sie 2021 ausgereist sei und der Vorfall ein Jahr vor der Ausreise gewesen sei – somit im Jahr 2020 – und sie ca. sieben bis neun Jahre verheiratet gewesen sei, müsste die Überschreibung des Besitzes in dieser Variante jedenfalls vor der Geburt der Tochter erfolgt sein. Das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin weicht daher – selbst unter Berücksichtigung dessen, dass sie Analphabetin ist – massiv zeitlich voneinander ab und sie hat beim BFA insbesondere mit keinem Wort erwähnt, dass ihr Vater bereits viele Jahre vor dem Vorfall die Besitztümer vor der Scheidung an ihren damaligen Mann überschrieben habe.
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung auch einen unterschiedlichen Grund für die verlangte Übertragung des familiären Besitzes auf ihren zweiten Ex-Mann anführte. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab die Erstbeschwerdeführerin nämlich noch an, dass sie und ihr zweiter Ex-Mann während der Schwangerschaft mit ihrer Tochter auseinandergegangen seien und ihr zweiter Ex-Mann nach der Geburt ihrer Tochter an ihren Vater zwecks der Übertragung des familiären Besitzes herangetreten sei, um sich, weil die Erstbeschwerdeführer keinen Sohn, sondern eine Tochter bekommen habe, als „Sohn“ zwecks des familiären Erbes ihrem Vater gegenüber anzubieten. In der mündlichen Verhandlung brachte die Erstbeschwerdeführerin diese vermeintliche Besitzübertragung hingegen völlig losgelöst von der Geburt ihrer Tochter und eines deswegen fehlenden männlichen Erbens vor. Sie führte lediglich an, dass ihr zweiter Ex-Mann kurz nach der Heirat begonnen habe, sich als Familienoberhaupt zu sehen und solle ihm deswegen der familiäre Besitz übertragen werden. Die Erstbeschwerdeführer brachte die Besitzübertragung in der mündlichen Verhandlung jedoch nicht nur völlig losgelöst von der Geburt ihrer Tochter vor, sondern sei die Erstbeschwerdeführerin – im starken Gegensatz vom Vorbringen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – auch erst „einige Zeit“ nach dem Herantreten ihres zweiten Ex-Mannes an ihren Vater mit ihrer Tochter schwanger geworden.
Daneben brachte die Erstbeschwerdeführerin auch gänzlich unterschiedliche Gründe dafür vor, weswegen ihr zweiter Ex-Mann im Zuge eines vom Vater der Erstbeschwerdeführerin avisierten Treffens ihre Eltern erschossen und sie selbst zweimal angeschossen habe. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte die Erstbeschwerdeführerin nämlich Folgendes vor (auf grammatikalische Fehler ausgebessert): „Er [gemeint der zweite Ex-Mann] wollte stellvertretend den Besitz der Familie leiten. Ich wollte das nicht, ich habe gesagt, dass das nicht möglich ist. Dann hat er mich geschlagen und mein Vater hat zu meinem Mann gesagt ‚komm, lass uns alle gemeinsam darüber reden‘. So hat mein Ex-Mann gleich zu diesem Treffen sein Gewehr mitgenommen.“ Nach diesem Vorbringen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sei dieses gemeinsame Treffen damit aufgrund der Besitzübertragung auf den zweiten Ex-Mann der Erstbeschwerdeführerin und ihrer fehlenden Einwilligung in diese erfolgt. In der mündlichen Verhandlung brachte die Erstbeschwerdeführerin als Grund für das vom Vater der Erstbeschwerdeführerin gewollte gemeinsame Treffen hingegen vor, dass sie ihr zweiter Ex-Mann selbst nach der Scheidung nicht in Ruhe gelassen habe, er trotz der Scheidung immer wieder zu ihr zurückgekommen sei und sie geschlagen sowie vergewaltigt habe. Nach dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung steht das letztlich fluchtauslösende Treffen zwischen ihr, ihren Eltern und ihrem zweiten Ex-Mann damit in keinem Zusammenhang mehr zur Besitzübertragung an den zweiten Ex-Mann der Erstbeschwerdeführerin und erwähnte die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in keiner Weise, dass ihr zweiter Ex-Mann sie selbst nach der Scheidung derartig hartnäckig (sexuell) belästigt habe, weswegen es nach dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung jedoch überhaupt erst zu diesem Treffen gekommen sei. Darüber hinaus hat sie beim BFA mit keinem Wort erwähnt, dass ihr zweiter Ex-Mann neue Frauen geheiratet habe. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte die Erstbeschwerdeführerin außerdem auch noch an, dass sie von ihrem zweiten Ex-Mann im Zuge des gemeinsamen Treffens nicht nur angeschossen worden sei, sondern habe er sie auch getreten und als „Bastardin“ beschimpft. In der mündlichen Verhandlung artikulierte die Erstbeschwerdeführerin jedoch nicht mehr, dass sie neben den Schussverletzungen auch Tritte oder Beschimpfungen am Tag der Ermordung ihrer Eltern durch ihren zweiten Ex-Mann erfahren habe.
Widersprüchlich war die Erstbeschwerdeführerin auch dahingehend, dass sie vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch anführte, sie wisse nicht, ob ihr zweiter Ex-Mann aufgrund seines Verhaltens bestraft worden sei. In der mündlichen Verhandlung führte sie hingegen ausdrücklich an, ihr zweiter Ex-Mann sei nicht bestraft worden, weil er – im Gegensatz zu ihr – von seinen Leuten bzw. seinem Clan Schutz erhalten würde.
Ausdrücklich gab die Erstbeschwerdeführerin lediglich in der mündlichen Verhandlung an, dass die grundlegende Ursache für das Verhalten ihres zweiten Ex-Mannes, welcher ihr Cousin väterlicherseits ist, die Ehe ihres Vaters mit einer Frau aus dem Clan der Ashraf und die fehlende Einverständnis der Familie väterlicherseits in diese Ehe gewesen sei, wobei auch dem Vorbringen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein angedeuteter Konnex des Verhaltens des zweiten Ex-Mannes zur Clanzugehörigkeit der Mutter der Erstbeschwerdeführerin zu entnehmen ist. In Anbetracht des Alters der Erstbeschwerdeführerin muss die Ehe zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter bereits viele Jahre zurückliegen und ist damit nicht nachvollziehbar, wieso die väterliche Familie erst im Jahr 2020 – nachdem die Ehe zwischen der Mutter und dem Vater der Erstbeschwerdeführerin bereits viele Jahre bestanden habe – Rache in der Form der Besitzübernahme, Ermordung der Eltern der Erstbeschwerdeführerin und der (sexuellen) Belästigung der Erstbeschwerdeführerin durch den zweiten Ex-Mann der Erstbeschwerdeführerin üben sollte. Auch lieferte die Erstbeschwerdeführerin dazu in der mündlichen Verhandlung befragt keine plausible Erklärung für die erst Jahre nach der Eheschließung ihrer Eltern erfolgte Racheausübung durch die Familie väterlicherseits. Unabhängig davon, ob es sich bei der Ehe zwischen dem Vater und der Mutter der Erstbeschwerdeführerin um eine Mischehe gehandelt habe, ist den zitierten Länderberichten außerdem zu entnehmen, dass Mischehen in Mogadischu möglich sind, eine Mischehe zwar zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, Diskussionen und Getratsche führen kann, doch kommt es so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen und werden Mischehen nach einer gewissen Zeit meist akzeptiert, sodass die von der Erstbeschwerdeführerin ins Treffen geführten Repressalien ihres zweiten Ex-Mannes aufgrund der von der väterlichen Familie ungewollten Ehe der Eltern der Erstbeschwerdeführerin auch vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte nicht plausibel sind, als nicht einmal eine Mischehe im Normalfall zu den behaupteten Repressalien führt.
Nicht nachvollziehbar ist letztlich auch, wieso die Erstbeschwerdeführerin ihre drei minderjährigen Kinder in Somalia trotz der vom zweiten Ex-Mann behaupteten ausgehenden Gefahr zurückgelassen hat. In der mündlichen Verhandlung führte die Erstbeschwerdeführerin dazu begründend aus, dass sie nur ausreichend Geld für ihre eigene Flucht gehabt habe, ihre jüngere Schwester versichert habe, dass sie sich (und die Kinder) verstecken könne und ihr zweiter Ex-Mann primär auf sie selbst fokussiert gewesen sei. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausführte, ihr zweiter Ex-Mann habe alle „auslöschen wollen“ und in der mündlichen Verhandlung gab sie an, ihr zweiter Ex-Mann habe nach ihren Kindern gesucht, weswegen sie sich vorerst bei Nachbarn verstecken mussten. Nach dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren sei der zweite Ex-Mann somit nicht primär nur auf sie selbst fokussiert gewesen und ist deswegen für die erkennende Richterin nicht einleuchtend, wieso die Erstbeschwerdeführerin ihre drei Kinder damals alleine mit ihrer Schwester zurückgelassen hat, wenn die behauptete Gefahr durch den zweiten Ex-Mann – die nach dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin ebenso ihre Kinder betroffen habe – tatsächlich bestehe.
Die von der Erstbeschwerdeführerin ins Treffen geführten Bedrohungen durch ihren zweiten Ex-Mann sind damit aufgrund dieser gerade aufgezeigten Widersprüchlichkeiten und Unplausibilitäten nicht glaubhaft und bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erstbeschwerdeführerin im Fall der Rückkehr nach Somalia eine von ihrem zweiten Ex-Mann oder der sonstigen Familie väterlicherseits bzw. der Clanangehörigen der Galmaah ausgehende Gefahr zu befürchten hat.
Daran ändert letztlich auch nichts, dass die Erstbeschwerdeführerin zwei Schussverletzungen aufweist, als diese nicht zwingend durch die Schüsse ihres zweiten Ex-Mannes verursacht worden sein müssen. Aufgrund der gerade aufgezeigten vielfachen Widersprüche steht für die erkennende Richterin fest, dass für die Schussverletzungen der Erstbeschwerdeführerin nicht die von der Erstbeschwerdeführerin behaupteten Vorfälle kausal waren, sodass dem im Rahmen der Beschwerde gestellten Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf die Einholung eines unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass ihre Schussverletzungen durch ihren zweiten Ex-Mann verursacht worden seien, nicht stattzugeben ist, da ein solches Gutachten letztlich nur die – unbestritten vorhandenen – Schussverletzungen bestätigen und eine ungefähren Zeitraum der Verletzung eingrenzen könnte, aber nichts über den Vorfall an sich angeben kann. Vielmehr ist aufgrund der Widersprüche anzunehmen, dass die Schussverletzungen aus einer anderen Situation entstanden sind, die nicht asylrelevant ist, ist doch in Somalia teilweise eine volatile Sicherheitslage vorherrschend, die auch dazu führen kann, dass eine Zivilperson in einen bewaffneten Konflikt gerät, ohne selbst das konkrete Ziel zu sein, weshalb der Erstbeschwerdeführerin auch subsidiärer Schutz vom BFA zuerkannt wurde.
Hinsichtlich der vorgebrachten Befürchtung, die Erstbeschwerdeführerin könnte im Falle einer Rückkehr nach Somalia geschlechterspezifischer Gewalt ausgesetzt sein, ist zunächst auszuführen, dass keinesfalls übersehen wird, dass geschlechterspezifische Gewalt Frauen gegenüber weiterhin ein großes Problem in Somalia bleibt. Das Risiko, als Frau Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt in Somalia zu werden, stellt sich für Frauen, die durch ihre Lebenssituation besonders vulnerabel sind, wie zum Beispiel alleinstehende Frauen, IDPs und Minderheiten, wesentlich höher dar. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass jede Frau in Somalia gleichermaßen Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt wird, ist den zitierten Länderinformationen damit aber nicht zu entnehmen.
Die Erstbeschwerdeführerin gehört jedoch nicht zu jenen den zitierten Länderberichten zu entnehmenden vulnerablen Gruppen, die besonders gefährdet sind, Opfer von geschlechterspezifischer Gewalt zu werden. Zwar wird in der Beschwerde und im Rahmen der Stellungnahme durch die Rechtsvertretung am Ende der mündlichen Verhandlung ausgeführt, die Erstbeschwerdeführerin wäre im Falle einer Rückkehr eine alleinstehende Frau und deswegen einer prekären Situation ausgesetzt, doch ist dem entgegenzuhalten, dass mit diesen Ausführungen die konkrete persönliche Situation der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Somalia nicht berücksichtigt wird. Die Beschwerdeführerin wäre im Falle einer Rückkehr nämlich keine alleinstehende Frau, da sie im Familienverband mit ihrem Ehemann und dem Zweitbeschwerdeführer nach Somalia zurückkehren würde, sodass sie bereits durch ihren Ehemann über männlichen Schutz verfügen würde. Zwar wird in der Stellungnahme durch die Rechtsvertretung am Ende der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass es dem Ehemann der Erstbeschwerdeführerin aufgrund seines Schutzstatus in Österreich nicht zumutbar sei, mit der Erstbeschwerdeführerin gemeinsam nach Somalia zurückzukehren, doch wird dabei nicht berücksichtigt, dass ebenso die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer über den Status von subsidiär Schutzberechtigten verfügen, sodass eine Rückkehr der Familie insgesamt ohnehin bloß hypothetisch ist. Aus welchem Grund die Erstbeschwerdeführerin mit dem Zweitbeschwerdeführer alleine nach Somalia zurückkehren sollte, wurde im Verfahren nicht aufgezeigt. Auch die Angabe der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung, ihr Ehemann habe Angst nach Somalia zurückzukehren und könne sie deswegen nicht beschützen, ist nicht geeignet, um eine gemeinsame hypothetische Rückkehr des Ehemannes mit der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers auszuschließen, als die damaligen Fluchtgründe des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin mit dem hg. Erkenntnis vom 17.11.2017 (GZ W236 2151196-1/6Z) als unglaubhaft befunden wurden und damit kein ersichtlicher Grund vorliegt, wieso der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin Angst vor einer Rückkehr nach Somalia haben sollte (abseits der allgemein schlechten Sicherheits- und Versorgungslage, aufgrund derer er subsidiären Schutz erhalten hat). Hinzu kommt, dass – wie bereits weiter oben ausgeführt – einerseits auch die ältere Schwester der Erstbeschwerdeführerin und deren Ehemann in Mogadischu leben. Zwar gab die Erstbeschwerdeführer damit zusammenhängend in der mündlichen Verhandlung an, sie habe mit ihrer in Mogadischu lebenden älteren Schwester keinen Kontakt, weil deren Ehemann den Kontakt aus Angst davor verbiete, dass die ältere Schwester ebenso wie die Erstbeschwerdeführerin ins Blickfeld des zweiten Ex-Mannes der Erstbeschwerdeführer falle, doch ist in Anbetracht der obigen Ausführungen zur Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der Erstbeschwerdeführerin nicht davon auszugehen, dass der Ehemann der älteren Schwester der Erstbeschwerdeführerin den Kontakt aus dem angeführten Grund verbiete. Eine andere Begründung, wieso sie keinen Kontakt zu ihrer älteren Schwester und deren Ehemann haben könnte, lieferte die Erstbeschwerdeführerin im Verfahren nicht, sodass die Erstbeschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch auf die Unterstützung ihrer älteren Schwester und deren Ehemann bauen kann. Andererseits leben auch die Eltern des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin, seine zwei Brüder und seine zwei Schwestern in Mogadischu. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin gab im Rahmen seiner Befragung als Zeuge in der mündlichen Verhandlung äußerst knapp an, die Erstbeschwerdeführerin könne nicht bei seinen Eltern leben, weil sie nicht demselben Clan wie seine Familie angehöre und sie Somalia aus jeweils anderen Fluchtgründen verlassen hätten. Wie festgestellt, ist es zutreffend, dass die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehemann einem jeweils unterschiedlichen Clan bzw. Subclan angehören, doch scheinen die Mutter und ein Bruder des Ehemannes mit der Ehe kein Problem zu haben, als sonst ein telefonisches Kennenlernen, wie die Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung ausführte, nicht erfolgt wäre und artikulierte weder die Erstbeschwerdeführerin noch ihr Ehemann in der mündlichen Verhandlung, dass die Ehe zwischen ihnen für die Familie des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin nicht erwünscht gewesen wäre. Die lediglich lapidare Angabe dessen, dass eine Unterkunftnahme der Erstbeschwerdeführerin bei den Eltern ihres Ehemannes aufgrund der unterschiedlichen Clanzugehörigkeiten nicht möglich wäre, überzeugt jedenfalls nicht und liegen im Verfahren damit gesamtheitlich keine Anhaltspunkte dafür vor, wieso die Erstbeschwerdeführerin nicht bei seinen Eltern für den Fall einer Rückkehr leben könnte oder von diesen Unterstützung erhalten würde. In einer Gesamtbetrachtung wäre die Erstbeschwerdeführerin damit im Fall einer Rückkehr nach Somalia keine alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz. Sie verfügt jedenfalls über ihren Ehemann und zudem auch über ihre ältere Schwester samt deren Ehemann sowie die Eltern und (auch männlichen) Geschwister ihres Ehemannes, sodass es auf die zusätzliche Unterstützung durch ihren Clan auch nicht mehr ankommt, als sie bereits ein umfangreiches familiäres Netzwerk in Mogadischu bzw. Somalia vorweisen kann. Die Erstbeschwerdeführerin ist im Falle einer Rückkehr damit auch keinem erhöhten Risiko exponiert ist, als alleinstehende Frau in ein IDP-Lager zu müssen oder geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein.
Es wird auch nicht übersehen, dass den zitierten Länderinformationen entsprechend Frauen in Somalia nicht die gleichen Rechte wie Männer genießen und im Alltag, entgegen dem gesetzlichen Verbot der Diskriminierung von Frauen, nach wie vor bei Kreditvergabe, Bildung, Politik, Unterbringung und am Arbeitsmarkt Diskriminierungen erfahren, doch ergibt sich aus den zitierten Länderberichten zugleich auch, dass es der Regierung gelungen ist, Frauenrechte etwas zu fördern, immer mehr Mädchen zur Schule gehen, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst ist gestiegen und Frauen – wenn auch zu einem geringen Anteil – sind in der Politik vertreten. Die Lage stellt sich für Frauen in Somalia damit zwar weiterhin als diskriminierend dar, eine allgemeine und jede Frau in Somalia gleichermaßen betreffende schwerwiegende Diskriminierung ist jedoch nicht feststellbar. Abseits der Befürchtung, geschlechterspezifischer Gewalt im Fall einer Rückkehr nach Somalia ausgesetzt zu sein, brachte die Erstbeschwerdeführerin auch nicht vor, dass sie eine sonstige gesellschaftliche Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts befürchte, sodass gesamtheitlich nicht erkannt werden kann, dass die Erstbeschwerdeführerin als Frau in Somalia in asylrelevanter Weise verfolgt würde.
Erstmalig wurde im Rahmen der Stellungnahme am Ende der mündlichen Verhandlung durch die Rechtsvertretung der Beschwerdeführer vorgebracht, dass der Erstbeschwerdeführerin für den Fall einer Rückkehr nach Somalia aufgrund des Umstandes, dass sie im Rahmen der vaginalen Geburt ihres vierten Kindes, dem Zweitbeschwerdeführer, defibuliert wurde, eine Refibulation drohe. In der vorliegenden Konstellation kann jedoch keine diesbezügliche maßgebliche Gefahr erkennbar werden. Den herangezogenen Länderberichten ist dazu zu entnehmen, dass eine Refibulation vor allem dann vorkommt, wenn eine Frau, üblicherweise vor der ersten Eheschließung, eine bestehende Jungfräulichkeit vorgeben möchte. Gesellschaftlich verliert die Frage einer Refibulation nach einer Eheschließung generell aber an Bedeutung, da die Vorgabe der Reinheit/Jungfräulichkeit irrelevant geworden ist und gibt es für verheiratete und verwitwete Frauen keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben. Ob sich eine Frau nach einer Geburt einer Refibulation unterzieht, entscheidet sie grundsätzlich selbst. Im Allgemeinen wird seitens der Gesellschaft auch kein Druck ausgeübt, wenn nach einer Geburt die bestehende Defibulation bestehen bleibt. Es kann jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass Frauen durch Druck von Familie, Freunden oder dem Ehemann zu einer Refibulation gedrängt werden. Insgesamt hängt das Risiko eine Refibulation also vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab. Die Erstbeschwerdeführerin ist verheiratet und lehnt eine Refibulation für sich ab. Davon abgesehen gab ihr Ehemann als Zeuge in der mündlichen Verhandlung auch an, dass er von der Erstbeschwerdeführerin nicht verlangen würde, sich refibulieren zu lassen und er damit einverstanden sei, dass die Erstbeschwerdeführerin defibuliert ist. Die Erstbeschwerdeführerin, die von sich aus eine drohende Refibulation nicht als Rückkehrbefürchtung vorgebracht hat, verwies auf eine entsprechende Nachfrage auch nur auf die allgemeinen Sitten der somalischen Gesellschaft, ohne auszuführen, wer konkret sie dazu gegen ihren ausdrücklichen Willen zwingen sollte, sodass davon auszugehen ist, dass die Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Somalia keinem Druck ausgesetzt wäre, sich einer erneuten Refibulation zu unterziehen. Insgesamt ist damit die Feststellung zu treffen, dass der Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Somalia nicht die Gefahr einer erneuten Genitalverstümmelung bzw. Refibulation droht.
Die Erstbeschwerdeführerin brachte abgesehen von der aufgrund der Clanzugehörigkeit ihrer Mutter zu den Ashraf ausgehenden und als unglaubhaft befundenen Bedrohungen durch ihren zweiten Ex-Mann im Zusammenhang mit ihrer eigenen Clanzugehörigkeit zu den Galmaah/Abgaal/Hawiye oder aufgrund der Clanzugehörigkeit ihrer Mutter zu den Ashraf keinerlei Probleme vor. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab sie zudem ausdrücklich an, dass sie keine Probleme aufgrund ihres Clans habe, sodass auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, wieso die Erstbeschwerdeführerin für den Fall einer Rückkehr nach Somalia plötzlich doch aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit Diskriminierungen oder Probleme erfahren sollte. Es ist damit die Feststellung zu treffen, dass die Erstbeschwerdeführer aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit weder bisher eine Diskriminierung erfahren hat noch droht ihr eine solche im Falle einer Rückkehr nach Somalia.
Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers kreuzten die Erstbeschwerdeführerin und sein Vater bzw. der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin im Zuge der Antragstellung auf internationalen Schutz vom 24.04.2024 bereits an, dass der Zweitbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe habe und sich der Antrag lediglich auf die Gründe des Vaters bzw. der Mutter beziehen würde. Die Erstbeschwerdeführerin brachte ebenso sowohl vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch in der mündlichen Verhandlung vor, dass der Zweitbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe habe, sondern sich auf ihre Gründe beziehe. Da den Fluchtgründen der Erstbeschwerdeführerin jedoch keine Asylrelevanz zukommt, ist aus den von der Erstbeschwerdeführerin ins Treffen geführten Fluchtgründen auch keine asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Zweitbeschwerdeführer ableitbar. Auch der Vater des Zweitbeschwerdeführers gab als Zeuge in der mündlichen Verhandlung an, der Zweitbeschwerdeführer habe keine eigenen Fluchtgründe. Sofern er auch anführte, der Zweitbeschwerdeführer beziehe sich auf seine damaligen Fluchtgründe, so ist dem entgegenzuhalten, dass mit hg. Erkenntnis vom 17.11.2017 (GZ W236 2151196-1/6Z) seine Beschwerde gegen die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutzes hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als unbegründet abgewiesen wurde und seine Fluchtgründe damit nicht als glaubhaft befunden wurden, sodass daraus ebenso wenig eine asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Zweitbeschwerdeführer ableitbar ist.
Es wird ferner auch keinesfalls verkannt, dass sich aus den zitierten Länderberichten zunächst ergibt, dass Kinderarbeit in Somalia weit verbreitet ist und nicht als unmoralisch oder illegal erachtet wird. Es muss jedoch tragend berücksichtigt werden, dass der Zweitbeschwerdeführer im Entscheidungszeitpunkt erst etwa eineinhalb Jahre alt ist und daher für den Fall einer Rückkehr nach Somalia aufgrund seines äußerst jungen Alters ausgeschlossen werden kann, dass er von Kinderarbeit und damit einhergehenden negativen Konsequenzen betroffen sein würde.
Es wird auch nicht übersehen, dass Somalia eines der gefährlichsten Länder für Kinder weltweit ist und Kinder in Somalia von schweren Verbrechen wie Rekrutierungen, Verwendung als Kindersoldaten, Tötungen, Entführungen, Verstümmelungen und geschlechtsspezifische Gewalt betroffen sein können. Wie bereits auch im Zusammenhang mit der in Somalia vorherrschenden Praxis der Kinderarbeit, muss jedoch auch hierbei berücksichtigt werden, dass der Zweitbeschwerdeführer erst etwa eineinhalb Jahre alt ist und ist damit auch eine Rekrutierung und die Verwendung als Kindersoldat – durch wen auch immer – aufgrund des Alters des Zweitbeschwerdeführers in den nächsten Jahren nicht maßgeblich wahrscheinlich. Eine sämtliche Kinder in Somalia treffende Gefahr für bestimmte Formen der Gewalt kann vor dem Hintergrund der herangezogenen Länderberichte aber nicht erkannt werden und würde der Zweitbeschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Somalia mit der Erstbeschwerdeführerin in die unter Regierungskontrolle und ATMIS stehende Stadt zurückkehren, sodass das Risiko von genannten Formen der Gewalt betroffen zu sein auch aufgrund der fehlenden Kontrolle der Al-Shabaab in Mogadischu vor dem Hintergrund der herangezogenen Länderberichte geringer ist.
Letztlich kann auch eine gesellschaftliche Diskriminierung des Zweitbeschwerdeführers aufgrund seiner Clanzugehörigkeit zu den Murusade/Hawiye nicht erkannt werden, als den zitierten Länderinformationen klar zu entnehmen ist, dass die Murusade/Hawiye in Mogadischu eine dominante Rolle spielen und eine herausragende Machtposition innehaben.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Eine soziale Gruppe wird anhand von zwei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, definiert. Erstens müssen die Personen, die ihr angehören, mindestens eines der folgenden drei Identifizierungsmerkmale teilen, nämlich „angeborene Merkmale“, „einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann“, oder „Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten“. Zweitens muss diese Gruppe im Herkunftsland eine „deutlich abgegrenzte Identität“ haben, „da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird“ (vgl. Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Abs. 1 rL 2011/95). Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist. Um das Vorliegen einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe beurteilen zu können, bedarf es daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen bzw. zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung (vgl. VwGH 12.12.2023, Ro 2023/14/0005 mwN). Allein die Tatsache, weiblichen Geschlechts zu sein, stellt ein angeborenes Merkmal dar und kann ausreichen, um die erste Voraussetzung für die Definition der sozialen Gruppe, das „angeborene Merkmal“, zu erfüllen (EuGH, 16.01.2024, WS, C-621/21, Rn 40; UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Geschlechtsspezifische Verfolgung im Zusammenhang mit Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 07.05.2002, Pkt. 30).
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (vgl. VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
Wie beweiswürdigend ausgeführt konnte die Erstbeschwerdeführerin eine von ihrem zweiten Ex-Mann ausgehende Bedrohung nicht glaubhaft machen, weshalb sie auch im Fall einer Rückkehr nach Somalia mit keiner – wie auch immer gearteten – Gefahr durch ihren zweiten Ex-Mann rechnen müsste.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann nämlich auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (vgl. z.B. VwGH vom 23.02.2017, Ra 2016/20/0089).
Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Somalia haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle somalischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, in Somalia einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Alleinstehende Frauen, Frauen in einem IDP-Lager und Frauen, die zu Minderheiten gehören, sind in diesem Kontext besonders gefährdet, Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden. Wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt, ist die Erstbeschwerdeführerin mangels der Eigenschaft als alleinstehende Frau nicht der Gefahr ausgesetzt, bei einer Rückkehr in ein IDP-Lager zu müssen und keinem erhöhten Risiko exponiert, Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.
Wie in der Beweiswürdigung ausführlich dargestellt, droht der Erstbeschwerdeführerin im Lichte der zitierten Länderberichte und ihrer persönlichen Umstände auch eine erneute weibliche Genitalverstümmelung bzw. Refibulation nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit.
Der Erstbeschwerdeführerin droht im Falle einer Rückkehr nach Somalia auch aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit – wie ebenso in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt – keine asylrelevante Verfolgung.
Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht und kann weder aus den als unglaubhaft befundenen Fluchtgründen der Erstbeschwerdeführerin noch aus dem bereits mit hg. Erkenntnis vom 17.11.2017 (GZ W236 2151196-1/6Z) als unglaubhaft befundenen Fluchtgründen des Vaters des Zweitbeschwerdeführers bzw. des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin eine asylrelevante Verfolgungsgefahr abgeleitet werden. Auch aufgrund der Eigenschaft des Zweitbeschwerdeführers als Kind und seiner Clanzugehörigkeit kann – wie in der Beweiswürdigung ausgeführt – keine asylrelevante Verfolgungsgefahr erkannt werden.
Den Beschwerdeführern ist es daher insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen ihre Personen gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.
Auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Somalia kann nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern aktuell in Somalia eine asylrelevante Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründen droht.
Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide sind daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.