JudikaturBVwG

W205 2288062-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
17. April 2025

Spruch

W205 2288062-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.02.2024, Zl. 1327785808/223153925, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.01.2025, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 06.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 07.10.2022 wurde er von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass er einem Minderheitsclan angehöre. Sein Vater sei getötet und sie beraubt worden, indem man ihnen das Anbaufeld weggenommen habe. In Somalia habe es lange nicht geregnet. Seine Familie sei aufgrund der Dürre ärmer geworden. Dies seien seine Fluchtgründe. Er habe hiermit alle Fluchtgründe und die dazugehörenden Ereignisse angegeben, warum er nach Österreich gereist sei. Er habe keine weiteren Gründe einer Asylantragstellung. Bei einer Rückkehr befürchte er an Armut und an Hunger zu sterben.

2. Am 17.11.2022 wurde ein Informationsersuchen nach Artikel 34 der Dublin III-Verordnung an Griechenland gerichtet, woraufhin am 18.10.2022 eine Antwort der griechischen Behörden einlangte. Darin wurde bekannt gegeben, dass der Beschwerdeführer am 27.01.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und er den Flüchtlingsstatus am 10.02.2022 erhalten habe, dieser aber am 21.07.2022 widerrufen worden sei.

3. Am 17.11.2023 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Zu seinem Fluchtgrund befragt führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass sein Vater von Personen ermordet worden wäre, die (ihn zu zwingen) versucht hätten, seine Landwirtschaft zu verkaufen. Sie hätten den Vater zuvor schlecht behandelt und verprügelt, weshalb er geweint habe. Der Beschwerdeführer habe daraufhin einen dieser Personen geschubst. Der andere Mann sei weggelaufen, um dies seiner Familie zu erzählen. Auch der Beschwerdeführer sei daraufhin weggelaufen. Als er zurückgekommen sei, sei sein Vater verstorben gewesen. Konkret zu seinem Fluchtgrund befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er aufgrund diverser Vorfälle, die er aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan erleiden hätte müssen, aufhören habe müssen, die Koranschule zu besuchen. Er habe daraufhin seinen Eltern in der Landwirtschaft geholfen. Dort habe sich eines Tages der Vorfall ereignet, bei welchem sein Vater gestorben sei. Daraufhin sei der Beschwerdeführer geflohen.

4. Im Schriftsatz vom 15.12.2023 nahm der Beschwerdeführer zu der Einvernahme vom 17.11.2023 sowie zu den Länderinformationen vom 17.03.2023, Version 5, Stellung.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt sowie eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkte II. und III.).

Begründend führte die belangte Behörde zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates – wie im angefochtenen Bescheid näher ausgeführt - im Wesentlichen aus, dass er seine Fluchtgeschichte höchst vage und abstrakt dargelegt habe. Außerdem würden an seinem Herkunftsort Minderheitsclans nach den Länderinformationen nicht maßgeblich verfolgt. Somaliland habe zudem im Vergleich zu anderen Teilen Somalias das größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht. Es sei nicht nachvollziehbar, dass sich sein Vater bei einer Bedrohung durch private Dritte nicht an die Sicherheitsbehörden hätte wenden können. Eine Verfolgung maßgeblicher Intensität habe nicht festgestellt werden können. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Somalia sei aber aufgrund seiner individuellen Umstände nicht möglich.

7. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welcher im Wesentlichen dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre, geltend gemacht wurden.

7. Am 22.01.2025 fand die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Der Beschwerdeführer erschien in Begleitung seiner Rechtsvertretung und wurde unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Somali zu seiner Identität und Herkunft, den persönlichen Lebensumständen im Herkunftsstaat und zu seinen Fluchtgründen sowie seiner Situation im Fall seiner Rückkehr einvernommen. Der genaue Verhandlungsverlauf ist der Niederschrift der mündlichen Verhandlung zu entnehmen (OZ 3).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinem Leben in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia, sunnitischer Moslem und gehört dem Hauptclan der Gabooye, Subclan XXXX , Sub-Subclan XXXX , an. Seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer spricht Somali. Er ist in XXXX , Somaliland, geboren aufgewachsen. Er hat drei Jahre die Grundschule besucht und in der Landwirtschaft seiner Eltern mitgeholfen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus einem der von ihm genannten Gründe –konkret wegen einer individuellen Gefährdung durch Nachbarn oder seiner Clanzugehörigkeit zu den Gabooye – seinen Herkunftsstaat verlassen hat oder ihm aus diesen Gründen im Fall seiner Rückkehr eine konkrete Gefahr drohen würde.

Zur maßgeblichen Situation in Somalia wird folgendes festgestellt:

Zur allgemeinen Lage in Somalia werden folgende, für das gegenständliche Verfahren relevante Länderfeststellungen der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt (Wiedergabe der relevanten Auszüge des Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.01.2025, Version 7 COI-CMS):

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Letzte Änderung 2025-01-09 08:04

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2023). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, wird die Lage über die Kontrolle geringer Teilgebiete von Puntland von al Shabaab beeinflusst (und in noch geringeren Teilen vom sogenannten Islamischen Staat in Somalia), während es hauptsächlich an Clandifferenzen liegt, wenn Puntland tatsächlich keinen Zugriff auf gewisse Gebiete hat. In Süd-/Zentralsomalia ist die Situation noch viel komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (BMLV 7.8.2024).

Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 sind Hargeysa, Berbera, Burco, Garoowe und – in gewissem Maße – Dhusamareb sichere Städte. Alle anderen Städte variieren demnach von einem Grad zum anderen. Auch Kismayo selbst ist sicher, aber hin und wieder gibt es Anschläge. Bossaso ist im Allgemeinen sicher, es kommt dort aber zu gezielten Attentaten. Dies gilt auch für Galkacyo (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer weiteren Quelle sind auch Baidoa, Jowhar und Belet Weyne diesbezüglich innerhalb des Stadtgebietes wie Kismayo zu bewerten (BMLV 7.8.2024). Laut einer anderen Quelle sind alle Hauptstädte der Bundesstaaten relativ sicher (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).

Eine Quelle gibt die Lage mit Stand 28.6.2024 folgendermaßen wieder:

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\E40E611B.tmp PGN 28.6.2024

Critical Threats bietet einen Überblick über die spezifisch auf al Shabaab bezogene Situation für Somalia und Kenia (Karte vom April 2024):

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\636534E1.tmp CT/Karr/AEI 23.9.2024

ACLED bietet einen Überblick über die Vorfälle in Somalia innerhalb vier unterschiedlicher Monate des Jahres 2024:

(ACLED 29.11.2024; ACLED 28.10.2024; ACLED 30.9.2024; ACLED 31.7.2024)

Somaliland

Letzte Änderung 2025-01-10 07:25

Zum Konflikt um Laascaanood siehe Konflikt um Laascaanood / Khatumo-SSC

Somaliland hat im Vergleich zu anderen Teilen Somalias das größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht (AA 23.8.2024; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Das Land ist ein Leuchtturm relativen Friedens am Horn von Afrika (Cannon/Conversation 22.11.2024). Die Situation dort ist wesentlich besser als in Süd-/Zentralsomalia, die Sicherheitslage ist weitgehend stabil (ÖB Nairobi 10.2024). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt dazu, dass Somaliland viele Fortschritte gemacht hat, dass Peacebuilding, Versöhnung und Staatsaufbau zu den großen Erfolgen gehören, die das Land erzielt hat (INGO-V/STDOK/SEM 5.2023). Bereits in den 1990er-Jahren wurde ein erfolgreicher Versöhnungsprozess abgeschlossen, der die Grundlage für die unabhängige und vergleichsweise erfolgreiche Staatsbildung bildete. Der Frieden in Somaliland bleibt jedoch laut einer Quelle fragil (BS 2024). Eine andere Quelle erklärt, dass Somaliland stabil, das politische System aber - aufgrund des Drei-Parteien-Systems - problembehaftet ist. Eine Fragilität ist demnach jedoch nicht zu erkennen, auch wenn politische Streitigkeiten mitunter zu Gewalt führen können (BMLV 7.8.2024). Eine weitere Quelle sieht in Somaliland - abseits des Konflikts um Laascaanood - ein Bollwerk gegen extremistische Bedrohungen, v. a. gegen al Shabaab (Sahan/SWT 14.2.2024).

Die Regierung kann die meisten der eigenen Gebiete regieren und dort Vorhaben umsetzen. Nur das Randgebiet zu Puntland und einige sehr entlegene ländliche Gebiete sind davon ausgenommen (BS 2024). Nach anderen Angaben endet die Kontrolle durch Somaliland etwa in der Mitte der Region Sanaag; in der Region Sool bei Oog; und auch das Gebiet Cayn in Togdheer wird demnach nicht von Somaliland kontrolliert (PGN 28.6.2024), wiewohl sich der Großteil von Togdheer unter Kontrolle Somalilands befindet. Die Regionen Woqooyi Galbeed und auch die Region Awdal werden zur Gänze von Somaliland kontrolliert - auch wenn der sogenannte "Awdal State" in letzter Zeit hie und da in Erscheinung tritt (BMLV 7.8.2024). Anders ausgedrückt kontrolliert die Regierung den Westen des Landes zu 100 %; im Osten wird ihr Anspruch teilweise herausgefordert (SECEX/STDOK/SEM 4.2023). Die Sicherheitskräfte können außerhalb der Regionen Sool und Sanaag in einem vergleichsweise befriedeten Umfeld ein höheres Maß an Sicherheit im Hinblick auf terroristische Aktivitäten und allgemeine Kriminalität herstellen als in anderen Landesteilen. Dies gilt insbesondere für die Regionen Awdal und Woqooyi Galbeed mit den Städten Hargeysa und Berbera (AA 3.6.2024).

Laut Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 muss niemand aufgrund einer vorgeblich schlechten Sicherheitslage den Westen Somalilands verlassen, während im Osten des Landes Blutfehden einen Grund darstellen könnten. Die meisten Migranten verlassen das Land demnach aber auf der Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten. Bei Frauen kann auch FGM oder eine bevorstehende Zwangs- oder Frühehe ein Grund sein (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).

Städte: Hinsichtlich Hargeysa gibt es keine Sicherheitsprobleme. Die Kriminalitätsrate ist relativ niedrig. Wenn es zu einem Mord kommt, dann handelt es sich üblicherweise um einen gezielten Rachemord auf der Basis eines Clankonflikts (BMLV 7.8.2024). Die Diaspora investiert in der Stadt (Economist/L. Taylor 29.8.2024). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 gibt an, dass manche Menschen Hargeysa als deutlich sicherer erachten als Nairobi. Die Mitarbeiter der Quelle können sich in Hargeysa jedenfalls frei bewegen. Auch in Berbera ist die Sicherheitslage demnach gut, die Stadt unproblematisch (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Auch eine weitere Quelle erklärt, dass Hargeysa und Berbera sichere Städte sind (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Auch Burco ist relativ ruhig (BMLV 7.8.2024), gemäß Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 ist diese Stadt sicher (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer anderen Quelle ist die Sicherheit dort hingegen nicht gleich gut wie in Hargeysa (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Eine weitere Quelle erklärt, dass hinsichtlich der Städte Borama, Hargeysa, Berbera und Burco das größte Sicherheitsrisiko ein Verkehrsunfall ist (Omer/STDOK/SEM 4.2023). Eine andere Quelle gibt an, dass in diesen vier Städten - und in den größeren Städten generell - Rechtsstaatlichkeit herrscht. Die Behörden gewährleisten dort demnach die Sicherheit der Bevölkerung, es gibt keine großen Probleme mit Raub oder Mord. Generell ist Kriminalität kein großes Problem im täglichen Leben (INGO-V/STDOK/SEM 5.2023). Gemäß einer anderen Quelle stellen Jugendbanden in Hargeysa immer noch ein Problem dar, genauso wie Kleinkriminalität. Es gibt Arbeitslosigkeit und auch Drogenkonsum (SECEX/STDOK/SEM 4.2023). In der Kriminalstatistik der somaliländischen Polizei für das Jahr 2022 finden sich 27.801 registrierte Delikte. In 5.565 dieser Fälle wurden die Ermittlungen aus Mangel an Beweisen eingestellt, 11.320 wurden in gegenseitigem Einverständnis gelöst, 10.916 vor Gericht abgehandelt und entschieden und 540 befinden sich noch in Untersuchung. Im Jahr 2022 wurden 266 Vergewaltigungen angezeigt, diesbezüglich gab es 280 Beschuldigte. Davon wurden 240 gefasst. Außerdem wurden 60 Personen ermordet, 49 Mörder wurden verhaftet, auf elf Verdächtige laufen Haftbefehle (SD 4.11.2022). Im Jahr 2021 hatte es 89 Morde gegeben, 84 Verdächtige wurden in Haft genommen (SD 4.11.2021).

In Somaliland sind im Jahr 2024 bis inklusive August aufgrund von Konflikt und Unsicherheit kaum Menschen vertrieben worden: 1.000 in Sool, 400 in Togdheer, 200 in Sanaag und keine in der Hauptstadtregion Woqooyi Galbeed sowie in Awdal (UNHCR 2024). Im Jahr 2023 waren es noch 232.000 Vertriebene (UNHCR 2023). [Anm.: Nahezu alle Vertriebenen standen damals in Zusammenhang mit dem Konflikt um Laascaanood; siehe Konflikt um Laascaanood / Khatumo-SSC.]

Al Shabaab konnte in Somaliland nicht Fuß fassen (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. JF 18.6.2021). Die Gruppe kontrolliert keine Gebiete in Somaliland (AA 23.8.2024), und es gibt dort auch keine signifikanten Aktivitäten von al Shabaab. Die Gruppe kann dort auch keine "Steuern" einheben (BMLV 7.8.2024).

Mehrere Quellen der FFM Somalia 2023 geben an, dass es seit 2008 keine relevanten terroristischen Angriffe gegeben hat (SECEX/STDOK/SEM 4.2023; vgl. MAIO-G/STDOK/SEM 4.2023; INGO-V/STDOK/SEM 5.2023). Somaliland hat bemerkenswerte Kapazitäten aufgebaut. Durch die Glaubwürdigkeit der bestehenden Institutionen entstand Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung. Dies wiederum erschwert al Shabaab ihre Operationen (Schwartz/HO 12.9.2021). Neben formellen nachrichtendienstlichen Netzen gibt es ein informelles Netz an Nachbarschaftswachen (BMLV 9.2.2023). Die Regierung setzt auf Älteste, lokale Behördenvertreter und besorgte Bürger; und darauf, dass diese verdächtige Aktivitäten und Neuankömmlinge bei der Polizei oder beim Geheimdienst melden (JF 18.6.2021). Dementsprechend werden terroristische Pläne immer wieder durch Sicherheitskräfte vereitelt und Operateure der al Shabaab verhaftet (Weiss/FDD 11.8.2021), bzw. von Personen, die der Tätigkeit für al Shabaab verdächtigt werden (SECEX/STDOK/SEM 4.2023; vgl. MAIO-G/STDOK/SEM 4.2023) - z. B. sieben Verhaftungen im Jänner 2024 (Halqabsi 29.1.2024). Und als etwa im November 2019 Kämpfer der al Shabaab aus Puntland in die Garof-Berge im Osten der Region Sanaag vordrangen, wurde dies rasch gemeldet. In der Folge gelang es einer lokalen Miliz und ausgewählten Armee- und Polizeieinheiten, al Shabaab zu vertreiben. Ähnliche Vorgänge haben sich Mitte 2021 wiederholt, auch damals wurde der Vorstoß eingedämmt. Wenn also al Shabaab Orte in Sanaag aufsucht, dann kommt es mitunter zu Predigten; i.d.R. ziehen sich Angehörige der Gruppe dann aber schnell wieder in die Berge zurück (BMLV 7.8.2024).

Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass man in Somaliland vor al Shabaab einigermaßen sicher ist. Auch wenn es ggf. zu Drohungen kommen kann, mangelt es der Gruppe dort an Kapazitäten und Personal, al Shabaab kann nicht agieren (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Eine andere Quelle bestätigt dies (BMLV 7.8.2024). Eine andere Quelle der FFM gibt an, dass Hargeysa von al Shabaab möglicherweise als sicherer Hafen genutzt wird (SECEX/STDOK/SEM 4.2023). Die Gruppe verfügt über eine Präsenz, wird aber nicht aktiv (SECEX/STDOK/SEM 4.2023; vgl. MAEZA/STDOK/SEM 4.2023), stellt keine Regeln auf und errichtet keine Checkpoints (SECEX/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle erklärt, dass auch Verfolgungshandlungen von al Shabaab gegen Personen in Somaliland generell unbekannt sind (BMLV 7.8.2024). Es konnten in den konsultierten Quellen keine Informationen gefunden werden, wonach Deserteure von al Shabaab in Somaliland gefährdet wären.

Der Nachrichtendienst von al Shabaab (Amniyat) verfügt in Somaliland über ein Netzwerk an Informanten bzw. unterhält die Gruppe in größeren Städten Schläferzellen. Die Grenzgebiete zu Puntland sind für eine Infiltration durch al Shabaab anfällig. Dort versucht die Gruppe, lokale Clans, die sich von der Regierung diskriminiert fühlen, für sich zu gewinnen (BMLV 7.8.2024). Dies gilt etwa für die in Sanaag vorherrschenden Warsangeli. Im nordwestlichen Puntland ist dies der Gruppe teilweise gelungen. In Sanaag hingegen stellen sich lokale Milizen gegen al Shabaab (Weiss/FDD 12.9.2022). Trotzdem konnte al Shabaab in den letzten Jahren fast unmerklich in Somaliland vordringen - insbesondere in der Region Sanaag (ICG 10.11.2022). Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 durchqueren Angehörige der Gruppe manchmal den Bezirk Ceerigaabo "in peaceful transit" – in Konvois, mit weißen Fahnen. Die lokalen Gemeinden akzeptieren al Shabaab, es kommt auch zu Eheschließungen (SECEX/STDOK/SEM 4.2023). Außerdem versucht al Shabaab, den SSC-Khatumo zu unterwandern. Gleichzeitig sind die Kämpfer der Gruppe in Sanaag eher darauf bedacht, sich nicht erwischen zu lassen (BMLV 7.8.2024).

Am 11.9.2022 ist es zu einem der äußerst seltenen Anschläge in Somaliland gekommen. Im Dorf Milxo (Sanaag, Bezirk Laasqoray) kamen fünf Menschen ums Leben, als ein Selbstmordattentäter in einem Teehaus einen Sprengsatz zündete. Niemand hat sich zu dem Anschlag bekannt, eine Täterschaft von al Shabaab wird lediglich vermutet (Weiss/FDD 12.9.2022). Generell hat die Gruppe angekündigt, aufgrund des sogenannten Maritime Agreement zwischen Somaliland und Äthiopien seine Aktivitäten in Somaliland verstärken zu wollen (Halqabsi 29.1.2024).

Clankonflikte bestehen wie überall in Somalia auch in Somaliland, und es kann zu Auseinandersetzungen und Racheakten kommen, die zivile Opfern fordern. Clankonflikte stellen aber kein Sicherheitsproblem dar, das die politische Stabilität der Region gefährdet (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. BMLV 7.8.2024). Derartige Konflikte konzentrieren sich zudem in den Regionen Sanaag und Sool (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. Omer/STDOK/SEM 4.2023; SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023; INGO-V/STDOK/SEM 5.2023) und sind i.d.R. lokal begrenzt (Omer/STDOK/SEM 4.2023). So bekämpfen sich beispielsweise die Isaaq-Clans der Habr Jeclo und Habr Yunis immer wieder in Ceel Afweyn (Sanaag) (Omer/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 können zwar Männer aus Ostsomaliland von anhaltenden Blutfehden betroffen sein; in Westsomaliland ist die Situation demnach aber anders (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).

Den Behörden ist es gelungen, einen relativ wirksamen Schutz gegen Banden und Milizen zu gewährleisten (AA 23.8.2024). Üblicherweise werden Landstreitigkeiten auf traditionellem Wege geklärt - durch Älteste (SECEX/STDOK/SEM 4.2023; vgl. Omer/STDOK/SEM 4.2023). Die Regierung greift auch in Clankonflikte ein, etwa im Bereich Balli Samatar (Togdheer), wo die Polizei gemeinsam mit Ältesten aufgrund gewalttätiger Auseinandersetzungen interveniert hat (SOCOM 24.9.2023). Bei einem anderen Beispiel, bei welchem im Umfeld von Burco fünf Menschen getötet und sechs verletzt worden sind, kam es zu einer Versöhnungskonferenz. Diese wurde von mehreren Ministern Somalilands geleitet (SLST 21.6.2023). I.d.R. folgt im Fall von Clankonflikten ein Aufruf der Regierung an die betroffenen Ältesten, eine Konfliktlösung herbeizuführen. Bei einer weiteren Eskalation schreiten Sicherheitskräfte ein, und die Regierung versucht, das Problem eigenständig zu lösen. Dieser Ansatz ist nicht immer erfolgreich (STDOK 8.2017). Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 greift die Regierung in Konflikte hingegen nur dann ein, wenn sie selbst Interesse am Streitgegenstand hat (SECEX/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer anderen Quelle greift die Regierung erst nach einer Eskalation über die lokale Ebene hinweg ein. Ansonsten setzt sie auf eine Regelung von Konflikten durch Älteste (BMLV 7.8.2024). Als Normalbürger betroffen ist man durch Clankonflikte v. a. hinsichtlich der Bewegungsfreiheit, weil man die Konfliktgebiete nicht bereisen kann. Grundsätzlich sind nur die involvierten Clans betroffen (Omer/STDOK/SEM 4.2023).

In der Region Awdal gibt es (wieder) Separatisten der Gadabursi, die entsprechenden Bestrebungen wurden von der Diaspora angezettelt. Es kommt zu kleineren Schießereien mit Vertretern des "Awdal State". Auch hier ist eine Eskalation unwahrscheinlich (BMLV 7.8.2024). Für diese Separatisten gibt es abseits der Diaspora keine Unterstützung der Gadabursi vor Ort (AQ21 11.2023; vgl. Omer/STDOK/SEM 4.2023; BMLV 14.9.2023). Diese sind seit Langem in das politische System Somalilands erfolgreich integriert (AQ21 11.2023).

Östliches Grenzgebiet [siehe dazu auch Unterkapitel Sicherheitslage / Somaliland / SSC-Khatumo]: Die Grenze zu Puntland (AA 23.8.2024) bzw. die östlichen Teile der Regionen Sool und Sanaag sowie der Bezirk Buuhoodle (Togdheer) sind umstritten (BS 2024). Laut puntländischer Verfassung ist die gesamte Region Sool Teil Puntlands. Dies gilt auch für Sanaag (ohne den Bezirk Ceel Afweyn und den nordöstlichen Teil des Bezirks Ceerigaabo) sowie den Bezirk Buuhoodle in Togdheer (MBZ 6.2023). Entlang dieser Grenze gibt es ein Nebeneinander von puntländischen und somaliländischen Institutionen. Der Streifen reicht 30-50 km nach Somaliland hinein. Sowohl die Polizei als auch die Verwaltungen beider Seiten arbeiten dort Seite an Seite. Im Rahmen von Wahlen und Wählerregistrierung kommt es mitunter zu Spannungen, die sich üblicherweise wieder legen. Keine der Verwaltungen verfügt in diesen Gebieten über die absolute Kontrolle (SECEX/STDOK/SEM 4.2023). Nach den Auseinandersetzungen um Laascaanood bildet der SSC-Khatumo einen Puffer zwischen Somaliland und Puntland (BMLV 7.8.2024).

Vorfallszahlen: In den somaliländischen Regionen Awdal (571.230), Sanaag (325.136), Sool (478.265), Togdheer (780.092) und Woqooyi Galbeed (1.313.146) leben nach Angaben einer Quelle 3,467.869 Einwohner (IPC 13.12.2022). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2022 insgesamt 22 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "Violence against Civilians"). Bei 16 dieser 22 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2023 waren es 14 derartige Vorfälle (elf davon mit je einem Toten) (ACLED 12.1.2024). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und Violence against Civilians ergeben sich für 2023 folgende Zahlen (Vorfälle von "Violence against Civilians" je 100.000 Einwohner): Awdal 0,18; Sanaag 1,23; Sool 1,46; Togdheer 0,13; Woqooyi Galbeed 0,08; [Anm.: Die Zahlen könnten noch um einiges niedriger sein, da manche Quellen für Somaliland eine viel höhere Bevölkerungszahl nennen. So geht BBC von 5,7 (BBC 2.1.2024) und al Jazeera oder der Economist von 6 Millionen Einwohnern aus (AJ 19.11.2024; vgl. Economist/L. Taylor 29.8.2024).]

In der Folge eine Übersicht für die Jahre 2013-2023 zur Gesamtzahl an Vorfällen mit Todesopfern sowie zur Subkategorie "Violence against Civilians", in welcher auch "normale" Morde inkludiert sind. Die Zahlen werden in zwei Subkategorien aufgeschlüsselt: Ein Todesopfer; mehrere Todesopfer. Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt:

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\A30DE4C1.tmp ACLED 12.1.2024

Konflikt um Laascaanood / Khatumo-SSC / Dhulbahante

Letzte Änderung 2025-01-10 07:31

Hintergrund: Dhulbahante finden sich in allen Regierungen: in Somaliland, in Puntland und auch in der somalischen Bundesregierung (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). So sind etwa der aktuelle Vizepräsident Puntlands und auch der Sprecher des somaliländischen Unterhauses Dhulbahante (BMLV 7.8.2024). Der im November 2024 neugewählte Präsident Somalilands hat in seinem neuen Ministerkabinett einen Dhulbahante und zwei Warsangeli (Horn 14.12.2024).

1993 hat der Clanführer (Garaad) der Dhulbahante das Abkommen zur inneren Einigung Somalilands mit unterzeichnet. Bereits 1998 kam es zu Meinungsverschiedenheiten mit der Regierung, Garaad Jama wendete sich nach Puntland, bei dessen Errichtung sich die Dhulbahante beteiligten. Von da an wechselten die Dhulbahante mehrfach die Seite (Omer/STDOK/SEM 4.2023). Ein Argument, das im Rahmen des Konflikts immer wieder gegen Somaliland ins Feld geführt wurde, ist die Vernachlässigung der Dhulbahante-Gebiete durch die Regierung in Hargeysa (Omer/STDOK/SEM 4.2023) bzw. dass der Clan durch das von Isaaq dominierte Regierungssystem Somalilands sowohl politisch als auch wirtschaftlich an den Rand gedrängt worden ist (Sahan/SWT 19.6.2023; vgl. Economist/L. Taylor 29.8.2024).

Eskalation: In den vergangenen Jahren war es in Laascaanood (Sool) immer wieder zu Morden und Attentaten gekommen, ohne dass die Taten aufgeklärt worden sind. Unter den Opfern fanden sich u. a. Sicherheitsbeamte, Clanälteste, Wirtschaftstreibende und Aktivisten (Sahan/SWT 4.1.2023; vgl. Economist/L. Taylor 29.8.2024). Die Attentatsserie begann 2009. Aktivisten der Dhulbahante argumentierten, dass Somaliland eine große Militär- und Polizeipräsenz in Laascaanood hatte, es aber zu keinen bedeutenden Verhaftungen gekommen war (Norman/AFRA 3.3.2023), und die Regierung nicht ausreichend für Sicherheit gesorgt hat (Sahan/SWT 19.6.2023). Diesbezüglich ist zu erwähnen, dass es innerhalb der Dhulbahante seit langer Zeit Spaltungen gibt. Zudem hat eine beträchtliche Anzahl der Ermordeten einem Subclan angehört, der weitgehend als pro-somaliländisch gilt (Norman/AFRA 3.3.2023). Gleichzeitig war laut einer Quelle al Shabaab seit Anfang der 2000er-Jahre in Laascaanood präsent. Somaliland hat der Gruppe eine Reihe von Attentaten und Bombenanschlägen in der Stadt angelastet, es ist auch zu diesbezüglichen Verurteilungen gekommen (Sahan/SWT 19.6.2023). Manche Dhulbahante machten hingegen Hargeysa für die Mordserie verantwortlich (Economist/L. Taylor 29.8.2024; vgl. Sahan/SWT 19.6.2023). Die Regierung in Hargeysa wies jedoch jede Verwicklung in diese gezielten Tötungen in Laascaanood zurück (Economist/L. Taylor 29.8.2024; vgl. RD 2.1.2023). Gleichzeitig hat der somalische Außenminister später angegeben, dass die Bundesregierung dazu beigetragen hatte, dass sich die Unzufriedenheit der Bewohner von Sool mit der somaliländischen Regierung verstärkt hat (Sahan/SWT 26.4.2024).

Die unaufgeklärten Morde waren jedenfalls Ende 2022 der Funke zur Eskalation (INGO-V/STDOK/SEM 5.2023). Dies galt insbesondere für den Mord an einem Blogger bzw. Jungpolitiker der Opposition (Norman/AFRA 3.3.2023; vgl. Sahan/SWT 4.1.2023), einem prominenten Dhulbahante (MAIO-G/STDOK/SEM 4.2023), im Dezember 2022. In der Folge kam es Ende Dezember 2022 in Laascaanood zu mehrtägigen - mitunter gewaltsamen - Protesten (SD 29.12.2022; vgl. INGO-V/STDOK/SEM 5.2023). Bei den auch über den Jahreswechsel anhaltenden Unruhen sind 20-40 Menschen getötet worden (Sahan/SWT 4.1.2023; vgl. RD 2.1.2023; Norman/AFRA 3.3.2023). Die somaliländische Polizei hatte unproportional Gewalt angewendet. Bei den meisten getöteten Personen handelte es sich um Zivilisten, aber auch Angehörige der Sicherheitskräfte fanden sich unter den Opfern (Sahan/SWT 4.1.2023).

Im Zuge der Eskalation in Laascaanood kamen Garaads der Dhulbahante in die Stadt, um die Zukunft des Clans zu diskutieren (INGO-V/STDOK/SEM 5.2023). In der Folge kam es zu einem Abkommen der separatistischen Sool-Sanaag-Cayn-(Khatumo)-Miliz (SSC-Khatumo) mit den Garaads (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Anfang Feber 2023 erklärten die Ältesten in Laascaanood, dass sie sich von Somaliland lösen und wieder Somalia beitreten wollten (BAMF 13.2.2023; vgl. INGO-V/STDOK/SEM 5.2023; NLM/Barnett 7.8.2023). Sie erklärten die Autonomie der Gebiete von Sool, Sanaag und Cayn (BMLV 9.2.2023). Begründet wurde der Schritt u. a. mit einem Mangel an Sicherheit sowie ungleicher Macht- und Ressourcenverteilung (INGO-V/STDOK/SEM 5.2023).

Unmittelbar nach der Autonomieerklärung kam es zu Auseinandersetzungen. Es brachen Kämpfe zwischen Sicherheitskräften Somalilands und lokalen Kämpfern bzw. Clanmilizen aus (BMLV 9.2.2023; vgl. BAMF 13.2.2023). Nach den ersten Zusammenstößen haben sich die somaliländischen Truppen aus der Stadt selbst zurückgezogen, um die Spannungen zu entschärfen (NH 13.6.2023; vgl. Norman/AFRA 3.3.2023). Die Kampfhandlungen dauerten jedoch weiter an, es kam auch zum Einsatz von Artillerie und Steilfeuer (BAMF 27.2.2023; vgl. IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Im Zuge der Kampfhandlungen wurden im Zeitraum Ende Dezember 2022 bis Juni 2023 laut UNSOM 87 Zivilisten getötet und 465 verletzt (HRW 11.1.2024). Nach anderen Angaben wurden insgesamt mehr als 300 Menschen getötet und über 600 verletzt - darunter Dutzende Zivilisten (ÖB Nairobi 10.2024).

Am 25.8.2023 eroberte SSC-Khatumo den wichtigen Militärstützpunkt in Gooja'ade in der Nähe von Laascaanood. Bei den Kämpfen wurden Dutzende somaliländische Soldaten getötet, Hunderte weitere als Kriegsgefangene genommen (Sahan/SWT 18.9.2023). Zu weiteren Gefechten und Kampfhandlungen kam es am 9. und 11.10.2023 (BMLV 1.12.2023) sowie zwischen 8. und 23.11.2023 (UNSC 2.2.2024). U. a. haben Rebellen des SSC-Khatumo ein Dorf der Isaaq / Habr Jeclo niedergebrannt, Zivilisten wurden getötet. Der Handel in Richtung Somaliland/Berbera blieb auch danach weitgehend unterbrochen (AQ21 11.2023).

Aktuelle Lage: Die Front verläuft nun östlich von Caynaabo (BMLV 7.8.2024) und steht etwa 100 Kilometer westlich von Laascaanood (ICG 6.3.2024). Der SSC-Khatumo steht bei Guumeys, Somaliland bei Oog (HIPS 7.5.2024). Die Front ist stark militarisiert. Beide Seiten stehen sich misstrauisch gegenüber (ICG 6.3.2024; vgl. AA 23.8.2024). Anfang November 2024 kam es im Vorfeld der somaliländischen Wahlen zu mehrtägigen Auseinandersetzungen an der Front von Qorilugud und Shanged im Bereich Buuhoodle, es gab Tote und Verletzte (SD 2.11.2024; vgl. Mog24 2.11.2024; SD 3.11.2024). Nach den Wahlen hatte der neue somaliländische Präsident angegeben, den Konflikt friedlich lösen zu wollen (SG 15.12.2024). Allerdings kam es danach in Sanaag zu Auseinandersetzungen [siehe weiter unten].

SSC-Khatumo - "Bundesstaat" und innere Spannungen: Bis zum aktuellen Konflikt wurden "SSC" und "Khatumo" immer nur von Handlangern der Diaspora betrieben. Die Führung lag immer bei der Diaspora. Diesmal konnte man aber den Clanführer der Dhulbahante für sich gewinnen, der neben der traditionellen Rolle nun auch eine politische Rolle innehat (BMLV 14.9.2023). Der SSC-Khatumo möchte ein eigener somalischer Bundesstaat werden (AA 23.8.2024; vgl. NH 13.6.2023; GO 23.12.2023). Dies bedeutet, dass sowohl die Ansprüche Somalilands als auch frühere Ansprüche Puntlands auf das Territorium abgelehnt werden (NH 13.6.2023). Allerdings wird nur die Region Sool vorwiegend von Dhulbahante bewohnt. "SSC" bezieht sich aber auf drei Teile, die einen Bundesstaat Somalias ausmachen sollen. Anders als in Sool, gibt es in Sanaag nur wenige Dhulbahante, hingegen viele Isaaq und Warsangeli. Und im Bezirk Caynaabo ("Cayn") wohnen laut einer Quelle v. a. Isaaq (Omer/STDOK/SEM 4.2023). Insgesamt repräsentiert der SSC-Khatumo daher nur einen Teil von Togdheer und einen Teil der Region Sool, steht aber jedenfalls nicht für Sanaag, für die Warsangeli (BMLV 14.9.2023). Der Suldan der Warsangeli hat angegeben, sich nicht an diesem Konflikt beteiligen zu wollen. Die Mehrheit dieses Clans steht außerhalb des SSC-Khatumo (Omer/STDOK/SEM 4.2023; vgl. AQ21 11.2023). Auch im Zuge der Auseinandersetzungen um Ceerigaabo (Sanaag) im Dezember 2024 [siehe weiter unten] hat sich ein Suldan der Warsangeli dagegen verwehrt, dass der SSC-Khatumo seinen Clan repräsentieren würde (PP 19.12.2024). Ein eigener Bundesstaat ist aber keine Option, solange die Warsangeli diesen nicht befürworten (BMLV 4.7.2024). Und gleichzeitig spricht der SSC-Khatumo nach wie vor nur für einen Teil der Dhulbahante (BMLV 7.8.2024). Nicht alle wollen einen eigenen Bundesstaat; manche wollen ein Teil Puntlands werden, einige wenige unterstützen den Verbleib bei Somaliland - v. a. Dhulbahante aus dem westlichen Teil von Sool (Omer/STDOK/SEM 4.2023).

SSC-Khatumo - Verwaltung: Im Juli 2023 hat der SSC-Khatumo bzw. haben die Garaads einen 45-köpfigen Rat eingesetzt (NLM/Barnett 7.8.2023; vgl. Economist/L. Taylor 29.8.2024). Im August 2023 hat der Rat Abdikadir Ahmed Aw-Ali als Führer und Mohamed Abdi Ismail als Stellvertreter der Verwaltung gewählt. Im September 2023 ernannte Abdikadir Ahmed ein neunköpfiges Kabinett (CSC-SSC 26.3.2024). Tatsächlich ist aber Garaad Jama der mächtigste Mann im "Staat" (Economist/L. Taylor 29.8.2024).

Laut einem Bericht vom Anfang des Jahres 2024 fehlen im Bereich des SSC-Khatumo immer noch staatliche Dienste. Es gibt kein funktionsfähiges Gerichtssystem, der Polizei mangelt es an Kapazitäten und Ausbildung. Etwa 120 Polizisten wurden rekrutiert. Insgesamt ist die Verwaltung schwach, laut einer Quelle gibt es in der Stadt häufig Gewalttaten (HRCSL 3.2024). Im August 2024 verlautbarte die Übergangsverwaltung ein Waffentrageverbot für Laascaanood (GN 22.8.2024; vgl. Sahan/SWT 26.8.2024), nachdem es in der Stadt zu mehreren ungeklärten Morden gekommen ist, und die Stadt mit zunehmender Unsicherheit zu kämpfen hat (GN 22.8.2024). Eine Quelle erklärt, dass sich das Verbot u. a. auch gegen eine Einheit der al Shabaab innerhalb des SSC-Khatumo richtet (Sahan/SWT 26.8.2024).

SSC-Miliz: Einschließlich der Milizen in Cayn verfügt SSC-Khatumo über 3.000-4.000 lose organisierte Kämpfer (BMLV 7.8.2024). Viele kommen von auswärts und haben seit Jahren keinen Fuß mehr nach Laascaanood gesetzt. Soldaten der Bundesarmee, der Sicherheitskräfte Puntlands und der somaliländischen Armee desertieren entlang der Clanlinien, um sich SSC-Khatumo bzw. Clanmilizen anzuschließen (NLM/Barnett 7.8.2023). Auch aus der Diaspora strömten Dutzende heran (Sahan/SWT 11.9.2023). All diese Kräfte, die nominell als SSC-Khatumo gelten, schlossen sich entlang der Subclans zu verschiedenen Einheiten zusammen. So gibt es Milizlager der Dhulbahante / Yahye, der Majerteen / Isse Mohamud, der Dhulbahante / Ugaadhyahan, der Majerteen / Osman Mohamud usw. Dementsprechend gibt es auch kein gemeinsames Kommando (NLM/Barnett 7.8.2023). Seitens der Warsangeli beteiligen sich nur einzelne Kämpfer (BMLV 14.9.2023; vgl. Omer/STDOK/SEM 4.2023). Die Kämpfer des SSC-Khatumo dienen aus eigener Motivation, sie sind Freiwillige, die keinen Sold, keine Ausbildung und auch keine Angelobung erhalten (NLM/Barnett 7.8.2023).

Kriegsgefangene: Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass Somaliland die Kämpfer des SSC-Khatumo als Terroristen erachtet (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer anderen Quelle werden die Gefangenen gut behandelt und vermutlich nicht vor Gericht gestellt, sondern nach Ende des Konflikts freigelassen (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Der SSC-Khatumo hat angekündigt, Kriegsgefangene in Einklang mit islamischem und Gewohnheitsrecht sowie mit internationalen Normen zu behandeln. Jene Kriegsgefangenen, die ‘Kriegsverbrechen’ verübt haben, werden demnach vor Gericht gestellt (HO 29.8.2023). In Laascaanood werden vom SSC-Khatumo rund 300 Personen als Kriegsgefangene in Haft gehalten (HRCSL 3.2024).

Puntland ist für den SSC-Khatumo die Lebensader, von dort kommen Waffen und Versorgung (NLM/Barnett 7.8.2023). Zu den militärischen Anführern des Aufstandes zählten auch mehrere Offiziere puntländischer Sicherheitskräfte "in Karenzierung" (AQ21 11.2023). Offiziell hat sich Puntland jedenfalls nicht beteiligt (AA 23.8.2024). Puntland hat in den letzten Monaten keine Partei für den SSC-Khatumo ergriffen. Ein Grund dafür ist, dass der SSC-Khatumo ein eigener somalischer Bundesstaat werden möchte und aus puntländischer Sicht damit auf der Seite von Präsident Hassan Sheikh Mohamud steht (BMLV 7.8.2024). Zwischen der Verwaltung des SSC-Khatumo und Puntland herrscht ein gespanntes Verhältnis (HO 22.11.2024).

Somalische Bundesregierung: Die Bundesregierung hat den SSC-Khatumo bislang lediglich als "legitimate administrative authority" bzw. als Übergangsverwaltung anerkannt, nicht aber als Bundesstaat (Sahan/SWT 26.4.2024; vgl. BMLV 7.8.2024; Economist/L. Taylor 29.8.2024).

Buuhoodle (Cayn): Quellen der FFM Somalia 2023 erklären: Es gibt zwar einen somaliländischen Bürgermeister für Buuhoodle, dieser residiert aber nicht in der Stadt. Es gibt dort keine physische Präsenz Somalilands (Omer/STDOK/SEM 4.2023), und dieser Teil des beanspruchten Gebiets steht auch definitiv nicht unter Kontrolle der Regierung (SECEX/STDOK/SEM 4.2023). Einige Kilometer vor Buuhoodle "endet" Somaliland, der letzte von der Regierung kontrollierte Ort ist demnach Qoorlugud (SECEX/STDOK/SEM 4.2023; vgl. Omer/STDOK/SEM 4.2023). In Buuhoodle wohnen Dhulbahante, die Stadt wird im Wesentlichen von ihnen selbstverwaltet (SECEX/STDOK/SEM 4.2023; vgl. Omer/STDOK/SEM 4.2023). Die Stimmung ist pro-Puntland. Es gibt dort keine somaliländischen Flaggen, keine somaliländischen Nummerntafeln. Somaliland respektiert diesen Zustand (SECEX/STDOK/SEM 4.2023).

Sanaag: Auf dem Gebiet der Warsangeli sind beide Verwaltungen - jene aus Puntland und jene aus Somaliland - vertreten. Beide sind für die Menschen vor Ort nützlich, die Warsangeli pflegen zu beiden Seiten gute Kontakte (Omer/STDOK/SEM 4.2023). Von einer Quelle wird der ländliche Raum von Sanaag bis etwa ein Drittel westwärts der Grenze zu Puntland als von Puntland kontrolliert angegeben. Für die Orte im Nordosten der Region – insbesondere Badhaan und Laasqoray – wird die Kontrolle als 'gemischt' angegeben (AQ15 8.2023). Eine Quelle bestätigt, dass das östliche Drittel von Sanaag eher von Puntland kontrolliert wird (BMLV 7.8.2024). Nach anderen Angaben fällt hingegen die östliche Hälfte von Sanaag v. a. in die Kategorie "Kontrolle unklar" (PGN 28.6.2024). Der Bezirk Caynaabo wird nach Angaben einer Quelle vom SSC-Khatumo kontrolliert (ACLED 30.9.2024).

Im August 2024 kam es nahe Ceerigaabo zwischen Isaaq / Habr Yunis / Muse Ismail und Dhulbahante / Naleeye Ahmed zu Kampfhandlungen. Mindestens neun Menschen wurden dabei getötet. Die somaliländische Regierung entsandte Sicherheitskräfte nach Ceerigaabo (ACLED 30.9.2024). Der Konflikt ereignete sich v. a. in Goof (ca. 40 Kilometer entfernt von Ceerigaabo) und hat sich zuletzt an der Ermordung eines prominenten Unterstützers des SSC-Khatumo entzündet (HO 29.8.2024). Im November 2024 hat die Regierung eine Ausgangssperre über Ceerigaabo verhängt, nachdem es dort zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppen gekommen ist. Dabei waren mehrere Todesopfer zu beklagen (HO 26.11.2024). Mitte Dezember ist es um Ceerigaabo erneut zu schweren Kämpfen zwischen Kräften Somalilands und des SSC-Khatumo gekommen (SD 15.12.2024). Eine Quelle berichtet von 15 Todesopfern. Demnach haben mit dem SSC-Khatumo verbündete Milizen die Eskalation mit einem Angriff auf somaliländische Sicherheitskräfte ausgelöst (SG 15.12.2024). Zuvor hatte der SSC-Khatumo Somaliland beschuldigt, in Ceerigaabo gezielt Zivilisten zu töten (SG 15.12.2024; vgl. SMN 18.12.2024). Gemäß anderen Quellen gab es sieben Todesopfer und zahlreiche Verletzte - darunter auch Zivilisten. Somaliland hat i.d.F. seine stärkste Militäreinheit nach Ceerigaabo verlegt (GO 18.12.2024; vgl. SMN 18.12.2024). Laut Vereinten Nationen, die den Vorgang als "Clan Violence" titulierten, haben 43.000 Menschen v. a. in benachbarten Gebieten Zuflucht gesucht (UN OCHA 18.12.2024).

Ethnische Spannungen bzw. Diskriminierung aufgrund des Konflikts um Laascaanood - Ergebnisse der FFM Somalia 2023 (4.-5.2023):

Letzte Änderung 2025-01-10 07:33

Isaaq und Dhulbahante sind eng miteinander verwoben. Es sind die zwei am stärksten durch Mischehen verbundenen Clans in Somalia. Alleine in Hargeysa gibt es 60-70 % Mischehen. Hier erkennt man die Clans nicht einmal an ihrem Dialekt - weil sie eben so durchmischt sind (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Dhulbahante sind in Hargeysa sehr präsent (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023).

Ihm Rahmen des Konflikts um Laascaanood wurden Familien auf die Zerreißprobe gestellt (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). V. a. zu Beginn des Konflikts gingen die Emotionen hoch (SECEX/STDOK/SEM 4.2023). Manche Dhulbahante sahen die Verlustzahlen der Kämpfe im Osten und befürchteten, dass an ihnen Rache genommen werden wird (Scholar/STDOK/SEM 5.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass sich Dhulbahante stigmatisiert gefühlt haben, und deshalb Hargeysa verlassen haben (MAIO-G/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle macht für diese Ängste grundsätzlich auch Social Media verantwortlich. [Zitat] "In den ersten Wochen ging es auf den Sozialen Medien verrückt zu. Ehefrauen sagten auf TikTok: 'Ich lasse mich von meinem Mann scheiden, weil er ein Dhulbahante ist.'" (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Insgesamt war im Rahmen des Konflikts um Laascaanood ein teils erschreckendes Niveau an ethnisch geprägter, sog. hate speech auf beiden Seiten zu beobachten, angestachelt insbesondere durch die Diaspora (AA 23.8.2024; vgl. Omer/STDOK/SEM 4.2023).

Als die Kämpfe in Laascaanood begonnen haben, gab es vereinzelte Berichte über Vorfälle gegen Dhulbahante. So soll in Burco eine junge Frau von anderen jungen Frauen verprügelt worden sein. Auch aus Hargeysa kamen derartige Berichte (Scholar/STDOK/SEM 5.2023). So entstanden immer größere Spannungen und schließlich verließen manche Dhulbahante die Städte (Omer/STDOK/SEM 4.2023), flohen aus Borama, Burco (Scholar/STDOK/SEM 5.2023; vgl. INGO-V/STDOK/SEM 5.2023) oder Hargeysa - aus Angst. Sie wollten kein Risiko eingehen (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023). Viele von denen, die gegangen sind, gingen nach Jijiga (Äthiopien), Garoowe, Bossaso, Galkacyo und Ceerigaabo (Scholar/STDOK/SEM 5.2023). Die meisten Dhulbahante sind aber geblieben (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).

Die Situation hat sich später beruhigt, die Emotionen gingen nach unten (SECEX/STDOK/SEM 4.2023). Intellektuelle oder Studenten haben öffentlich gefordert, dass Dhulbahante nicht diskriminiert werden sollen (Scholar/STDOK/SEM 5.2023). Jene, die geblieben sind, wurden nicht wirklich zum Ziel (Scholar/STDOK/SEM 5.2023; vgl. MAIO-G/STDOK/SEM 4.2023). Nach anderen Angaben werden Dhulbahante mitunter angefeindet (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Eine andere Quelle betont, dass den Dhulbahante nichts geschehen ist. Der Quelle ist kein einziges Beispiel bekannt, wo es diesbezüglich zu Racheakten gekommen wäre (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023). Auch eine weitere Quelle betont, dass die Bedrohungssituation für Dhulbahante nicht real ist (Omer/STDOK/SEM 4.2023). Wieder eine weitere Quelle erklärt, dass es für Dhulbahante weder in Hargeysa noch in Burco oder Borama Probleme gibt (INGO-V/STDOK/SEM 5.2023), eine andere stellt das Fehlen von Problemen für Hargeysa fest (SECEX/STDOK/SEM 4.2023). Und noch eine weitere Quelle erklärt [Zitat]: "Es gibt in Hargeysa keine Repressionen gegen Dhulbahante. Sie sind zu sehr durchmischt [Original: intermingled]." (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Weitere Quellen erklären, dass Dhulbahante in Hargeysa nicht angegriffen (IO-D/STDOK/SEM 4.2023) bzw. belästigt werden (MAIO-G/STDOK/SEM 4.2023). Insgesamt gibt es laut einer Quelle keine grobe Diskriminierung von Dhulbahante, die in Hargeysa leben. Selbst in der somaliländischen Armee gibt es demnach Dhulbahante (Scholar/STDOK/SEM 5.2023).

Eine Quelle berichtet hingegen, dass es vorkommen kann, dass Dhulbahante von „normalen“ Menschen beschimpft werden - z. B. am Arbeitsplatz (Scholar/STDOK/SEM 5.2023). Mehrere Quellen haben außerdem davor gewarnt, dass sich die diesbezügliche Lage verschlechtern könnte (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vgl. SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023, SECEX/STDOK/SEM 4.2023). Drei Quellen betonen, dass Rache durchaus im Raum steht - v. a. wenn die Kämpfe weiter andauern (Scholar/STDOK/SEM 5.2023; vgl. MAIO-G/STDOK/SEM 4.2023, SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023). Laut einer Quelle wird es dann in erster Linie im Osten von Somaliland zu Rachemorden kommen. In den Gebieten östlich von Burco gibt es zwischen den Isaaq und den Dhulbahante eine lange Geschichte an Rachemorden. In Hargeysa ist so etwas demnach lediglich in Einzelfällen vorstellbar (Scholar/STDOK/SEM 5.2023). Trotzdem fühlen sich Dhulbahante nunmehr mitunter auf Isaaq-Gebiet unsicher bzw. unwohl (Omer/STDOK/SEM 4.2023; vgl. SECEX/STDOK/SEM 4.2023) - und umgekehrt (Omer/STDOK/SEM 4.2023).

Betroffen sind neben den Dhulbahante auch andere Clans. Eine Quelle berichtet, dass ihre puntländischen Mitarbeiter in der Vergangenheit in Hargeysa nie Probleme gehabt hätten. Nun aber würden diese immer öfter belästigt (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Andererseits haben einige Isaaq Garoowe verlassen (Omer/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle berichtet, dass sie Mitarbeiter aus anderen Teilen Somalias aus Somaliland abgezogen hat, weil diese sich bedroht fühlten. Das Ansehen von Somalis aus anderen Landesteilen verändert sich in Somaliland. Somalische Akteure werden für den Konflikt in Laascaanood verantwortlich gemacht (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023).

In öffentlich verfügbaren Quellen konnten keine neueren Informationen gefunden werden, welche auf eine Diskriminierung von Dhulbahante in z. B. Hargeysa hinweisen würden.

Rechtsschutz, Justizwesen

Somaliland

Letzte Änderung 2025-01-16 14:11

Grundsätzlich ist in der Verfassung der Islam als Staatsreligion festgeschrieben, alle Gesetze müssen mit den Prinzipien der Scharia übereinstimmen (USDOS 30.6.2024).

Rechtsstaatlichkeit: In den städtischen Gebieten herrscht ein Grundmaß an Rechtsstaatlichkeit, Polizei, Justiz und andere Institutionen funktionieren einigermaßen gut (BS 2024; vgl. INGO-V/STDOK/SEM 5.2023). Obwohl Somaliland in seinem Justizsystem mit Korruption, Voreingenommenheit und einem Mangel an Ressourcen konfrontiert ist, gilt es durchweg als effektiver als die Gerichte im Rest des Landes (Rollins/HIR 27.3.2023). Es besteht ein einigermaßen funktionierendes Behördennetz (ÖB Nairobi 10.2024). In entlegenen Gebieten vertreten lokale Behörden (meist Älteste) die Rechtsordnung. Dort sind Frauen- und Minderheitenrechte häufig nur unzureichend geschützt (BS 2024). Zudem mangelt es teils an der Durchsetzung von Gerichtsurteilen durch die Polizei (SDG 1.2.2019). In den Grenzregionen zu Puntland ist das staatliche Gewaltmonopol umstritten (BS 2024).

Im Strafrecht sind rechtsstaatliche Grundsätze ansatzweise zu beobachten. Dazu gehört das Bemühen, eine diskriminierende Strafverfolgung und Strafzumessung möglichst zu vermeiden (AA 23.8.2024). Vor somaliländischen Gerichten gilt generell die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein öffentliches Verfahren und das Recht auf eine Rechtsvertretung. Verteidiger dürfen Zeugen befragen und einberufen sowie gegen Urteile Berufung einlegen. Für Angeklagte, die einer schweren Straftat bezichtigt werden, gibt es eine kostenlose Rechtsvertretung (USDOS 12.4.2022). Außerdem gibt es im Land eine funktionierende Legal Aid Clinic (LAW-A/STDOK/SEM 4.2023; vgl. USDOS 12.4.2022). Diese ist an der Universität von Hargeysa angesiedelt und wird u. a. von der EU unterstützt. Menschen, die es sich sonst nicht leisten können, erhalten dort Rechtsberatung und Rechtsvertretung, z. B. Migranten oder Obdachlose. Das Projekt beschäftigt 16 Personen, die meisten davon Anwälte (LAW-A/STDOK/SEM 4.2023; vgl. LAW-A/STDOK/SEM 4.2023).

Insgesamt werden die Verfahrensrechte in Somaliland eher eingehalten als in anderen Landesteilen (AA 23.8.2024). Allerdings kommt es oft zu langen Verzögerungen (FH 2024a; vgl. BS 2024). Das unabhängige Human Rights Centre berichtet außerdem von gröberen Mängeln. Verhaftungen erfolgen demnach oft ohne Haftbefehl. Angeklagte werden mitunter ohne Aussicht auf Kaution überlang und rechtswidrig in Untersuchungshaft gehalten, der Zugang zur Anklageschrift verweigert (HRCSL 3.2024).

Es gibt polizeiliche Kriminalstatistiken (SD 4.11.2021; SD 4.11.2022). Details siehe Sicherheitslage Somaliland

Gewaltenteilung: In Somaliland gibt es eine klarere Trennung der Staatsgewalten (BS 2024). Die Grundsätze der Gewaltenteilung sind in der Verfassung niedergeschrieben. Diese Gewaltenteilung wird auch weitgehend eingehalten, jedoch zunehmend ausgehöhlt (AA 23.8.2024). Die Exekutive versucht, sowohl die Legislative als auch die Judikative substanziell zu beeinflussen (BS 2024; vgl. ÖB Nairobi 10.2024).

Formelle Justiz - Aufbau, Verfügbarkeit, Qualität: In Somaliland wurde ein unabhängiges und auf vier Ebenen hierarchisch strukturiertes Gerichtssystem aufgebaut. Dieses besteht aus dem Supreme Court, regionalen Berufungsgerichten, Regional- und Bezirksgerichten. Die rechtliche Infrastruktur und das Gerichtssystem decken fast alle urbanen Zentren ab (BS 2024). Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 sind die Bezirksgerichte (Maxkamadda Degmada) für Familien- und Erbrecht sowie für Zivilfälle unter drei Millionen Somaliland Shilling [ca. 330 US-Dollar] sowie für Strafrecht unter drei Jahren Haft zuständig. Alle Fälle, die über diesen Grenzen liegen, gehen an das Regionalgericht. In jeder Region gibt es ein regionales Berufungsgericht, das alle Berufungsfälle der ersten Instanz bearbeitet (LAW-A/STDOK/SEM 4.2023).

Gerichte funktionieren, allerdings fehlt es an ausgebildeten Richtern sowie an einer nachvollziehbaren Rechtsdokumentation (USDOS 22.4.2024; vgl. ÖB Nairobi 10.2024; SDG 1.2.2019). Nach anderen Angaben wird die Gerichtsbarkeit regelmäßig als nicht ordentlich funktionierend kritisiert (BS 2024), Richtern und anderem Personal mangelt es demnach an Kapazitäten und Qualifikation, dem System an finanziellen Ressourcen (BS 2024; vgl. FH 2024a; LAW-A/STDOK/SEM 4.2023). UNODC und andere UN-Agenturen unterstützen Verbesserungen im Justizsystem und bei Haftbedingungen (ÖB Nairobi 10.2024). Internationale Hilfe ist auch in Gerichte investiert worden. Dadurch hat sich die Zahl an Richtern und Richterinnen im Zeitraum 2011-2018 auf 186 mehr als verdoppelt. Es gibt auch immer mehr adäquat ausgebildete Anwälte, NGOs bieten Rechtshilfe an. In jeder Region gibt es sogenannte Mobile Courts (SDG 1.2.2019). Letztere wurden mit internationaler Hilfe 2008 etabliert (ÖB Nairobi 10.2024). Mit diesen wurde der Zugang zur formellen Justiz verbessert (BS 2024; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Bei der Reformierung des Justizsystems hat es zumindest einige Fortschritte gegeben (FH 2024a).

Formelle Justiz - Unabhängigkeit: Der Justiz mangelt es an Unabhängigkeit (BS 2024; vgl. FH 2024a; ÖB Nairobi 10.2024). Es kommt zu Einmischungen durch die Regierung (ÖB Nairobi 10.2024) und durch Clans (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. BS 2024). - So werden Richter oft auf Basis ihrer politischen oder Clanzugehörigkeit ernannt (BS 2024). Zudem bestehen Vorwürfe hinsichtlich Korruption im Justizsystem. Amtsträger nehmen häufig Einfluss auf Verfahren - v. a. gegen Journalisten (USDOS 22.4.2024). Das UNDP hat einige Probleme aufgezeigt. Verhaltensregeln und Fortbildung haben zu Verbesserungen geführt (LIFOS 9.4.2019).

Militärgerichte: Wie in Süd-/Zentralsomalia gibt es auch in Somaliland Militärgerichte, deren Verfahren unzureichend sind, und wo grundlegende Standards eines fairen zivilrechtlichen Strafverfahrens ignoriert werden (AA 23.8.2024). Dort wird entgegen der Verfassung auch über angeklagte Zivilisten verhandelt - v. a. wenn die Anklage in Zusammenhang mit Terrorismus steht (HRCSL 3.2024; vgl. AA 23.8.2024).

Scharia und Xeer: Neben dem formellen Recht kommen in Somaliland auch traditionelles Recht (Xeer) und die Scharia zum Einsatz (BS 2024; vgl. FH 2024a). Die drei Rechtsformen widersprechen sich manchmal gegenseitig (SDG 1.2.2019). Islamische Gerichte werden in erster Linie in Familienangelegenheiten herangezogen, sie werden aber aufgrund der schnellen Entscheidungen auch bei Wirtschaftstreibenden zunehmend populär. Eine Quelle erklärt, dass formelles Recht hinsichtlich Xeer als nachrangig erachtet wird. Zudem wirken sich religiöse Normen auf Xeer aus (BS 2024). Jedenfalls fühlen sich die Menschen laut einem lokalen Anwalt im informellen System, das nach dem traditionellen Gesetz Xeer geführt und von den Ältesten verwaltet wird, wohler. Dabei werden Älteste zu Richtern (LAW-A/STDOK/SEM 4.2023).

In den meisten Fällen zwischen einzelnen Bürgern, zwischen den Clans, wird dieses System verwendet (LAW-A/STDOK/SEM 4.2023). I.d.R. richtet sich der Bürger zuerst an seinen Clan. Selbst bei einem Mord wird vorerst im traditionellen Rechtssystem Blutgeld verhandelt; kommt es dort zu keiner Lösung, wendet man sich an Gerichte (STDOK 8.2017). Nach anderen Angaben wenden sie sich - wenn beide Seiten zustimmen - an ein Scharia-Gericht. Der Richter dort fungiert als Vermittler, es gibt keine verbindliche Entscheidung. Erst wenn beide diese traditionellen Instanzen einen Streit nicht lösen, werden sich Menschen an die formelle Justiz. Mitunter werden kleinere Straf- und Zivilsachen aber auch direkt auf der Polizeistation geschlichtet und abgeschlossen - auch hier durch Älteste und bei Einverständnis der beteiligten Parteien. Dabei rufen die Parteien die Ältesten herbei, nicht die Polizei (LAW-A/STDOK/SEM 4.2023).

Traditionelle Konfliktlösungsmechanismen sind auch als Maslaxa bekannt (UNSOM 22.6.2022). Zur traditionellen Streitschlichtung entsenden beide Seiten zwei bis drei Repräsentanten. Auch ein formelles Gericht kann dorthin Repräsentanten entsenden (im Sinne einer Mediation) (LAW-A/STDOK/SEM 4.2023). Somaliland hat nämlich das Xeer und die damit verbundenen Kompensationszahlungen in sein Rechtssystem insofern integriert, um eine Eskalation bis hin zum Rachemord zu vermeiden. Clans beschließen weiterhin Xeer-Abkommen, der Staat übernimmt aber die Rolle der Bestrafung bei Nichteinhaltung der Vertragsbedingungen. Zum Beispiel werden Täter so lange eingesperrt, bis die Kompensationszahlung erfolgt ist. Bei zu lang andauernder Nichtzahlung kann es auch zur Vollstreckung von Exekutionen kommen (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Gerichte anerkennen Xeer-Entscheide (SEM 31.5.2017). In der - nach wie vor angewendeten - Strafprozessordnung aus dem Jahr 1960 wird klargestellt, welche Straftaten von der formellen Justiz behandelt werden müssen (z. B. Diebstahl) und welche der Vermittlung durch Älteste zugänglich sind (Mire/STDOK/SEM 4.2023). Damit ist es auch möglich, sich selbst bei schweren Verbrechen (Mord, Vergewaltigung) und nach einer Verurteilung durch ein staatliches Gericht im Rahmen des traditionellen Rechts freizukaufen bzw. die Strafe durch Kompensation zu tilgen (FTL 8.9.2022). Eine Einigung durch Clan-Älteste kann zu Verfahrenseinstellungen und einer Strafverschonung führen. So wurde ein wegen Mordes zum Tode Verurteilter 2023 freigelassen, nachdem sich die beteiligten Clan-Ältesten auf eine Kompensation geeinigt hatten (AA 23.8.2024). Für all diese Vorgänge unter Involvierung Ältester liegt eine staatliche, vom Innenministerium geführte Liste der traditionellen Ältesten auf. Zudem verfügt jeder Gouverneur über eine separate Liste der Ältesten seiner Region. Verfügt eine Partei über keinen Clan und damit keinen Ältesten, dann beteiligt sich der Staat als Vermittler: Entweder die Generalstaatsanwaltschaft oder das Büro des Solicitor General wird diese Person bei der Mediation vertreten (Mire/STDOK/SEM 4.2023).

Zum Xeer siehe auch Rechtsschutz, Justizwesen - Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Nicht von der Regierung kontrollierte Gebiete: Dort werden Urteile häufig nach traditionellem Recht von Clanältesten gesprochen. Bei Sachverhalten, die mehrere Clans betreffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen (Friedensrichter), auch und gerade in Strafsachen. Repressionen gegenüber Familie und Nahestehenden ("Sippenhaft") spielen dabei eine wichtige Rolle (AA 23.8.2024).

Wehrdienst und Rekrutierungen

Somaliland

Letzte Änderung 2024-12-06 11:20

In Somaliland gibt es keinen verpflichtenden Militärdienst (AA 23.8.2024).

Rekrutierungen im Rahmen des Konflikts um Laascaanood - Informationen der FFM Somalia 2023 (4.-5.2023)

Letzte Änderung 2024-12-06 11:22

Grundsätzlich gilt, dass es bei der somaliländischen Armee keinen Zwang gibt, auf somaliländischer Seite wird niemand zum Kampf gezwungen. Bevor der Konflikt um Laascaanood begonnen hat, gab es bei der Armee keine Rekrutierungen über Clanmilizen. Dies hat sich geändert (Scholar/STDOK/SEM 5.2023).

Wenn sich die Clanführer verweigern würden, könnte dies ihnen und ihrem Clan in Zukunft im Staat Nachteile einbringen. Eine Quelle der FFM Somalia 2023 gibt an, dass es sich hier in gewissem Sinne um Zwangsrekrutierungen handelt. Die Quelle erklärt: Wenn der Clanführer zum Krieg aufruft, dann folgt man. Der Clanführer - z. B. der Suldan - geht zu den Gemeinden, zu den Sub-Subclans. Und dort verlangt er vom lokalen Ältesten 10-20 Kämpfer. Daraufhin geht dieser Älteste zu seinen Leuten und bestimmt einzelne Männer zum Kampf, oder er fordert von Vätern die Benennung von Söhnen. Natürlich wollen einige so Benannte gar nicht kämpfen. Aber wenn der traditionelle Führer zu einer Familie geht, zu einem Subclan, dann muss ein Beitrag erfolgen - auch ohne Einwilligung. Sollte sich dann doch noch jemand weigern, kann dies auch zu einer Bestrafung führen. Denn die Ältesten müssen ihre Quote erfüllen. Desertieren Soldaten, dann wird das als Schande für den Clan erachtet (Scholar/STDOK/SEM 5.2023). Laut einer anderen Quelle kann ein Rekrutierungsversuch zur somaliländischen Armee ohne Folgen abgelehnt werden (BMLV 1.12.2023).

Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass auf der Seite der Dhulbahante mitunter Menschen zum Kampf gezwungen werden (Scholar/STDOK/SEM 5.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass es im Fall der Dhulbahante-Milizen zu einer Art „forced military agreement“ kommen kann. Jeder Clanälteste muss einige seiner Clanmitglieder zum Konflikt beisteuern. Und diese Clanältesten können durchaus Zwang anwenden (INGO-V/STDOK/SEM 5.2023).

Es gibt Berichte, wonach die somaliländische Armee anfänglich auch Dhulbahante gegen Laascaanood zum Einsatz gebracht hat (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vgl. Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Manche sind desertiert (Sahan/STDOK/SEM 4.2023), andere haben sich geweigert, am Kampf teilzunehmen (IO-D/STDOK/SEM 4.2023).

Minderheiten und Clans

Letzte Änderung 2025-01-16 14:12

Das westliche Verständnis der Zivilgesellschaft ist im somalischen Kontext irreführend, da kaum zwischen öffentlicher und privater Sphäre unterschieden wird. In ganz Somalia gibt es starke Traditionen sozialer Organisation außerhalb des Staates, die vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Verwandtschaftsgruppen fußen. Seit Beginn des Bürgerkriegs haben sich die sozialen Netzwerkstrukturen neu organisiert und gestärkt, um das Überleben ihrer Mitglieder zu sichern (BS 2024).

Clans [zu Clanschutz siehe auch Rechtsschutz, Justizwesen ]: Der Clan ist die relevanteste soziopolitische und ökonomische Einheit in Somalia. Für den Somali stellt er die wichtigste Identität dar, für die es zu streiten und zu sterben gilt (NLM/Barnett 7.8.2023). Clans kämpfen für das einzelne Mitglied. Gleichzeitig werden alle Männer im Clan als Krieger erachtet (AQSOM 4 6.2024). Der Clan bildet aber eine volatile, vielschichtige Identität mit ständig wechselnden Allianzen (NLM/Barnett 7.8.2023). Er bestimmt das Leben des Individuums, seinen Zugang zu Sicherheit und Schutz, Ressourcen (z. B. Arbeit, Geschäfte, Land) und bildet das ultimative Sicherheitsnetz (AQSOM 4 6.2024; vgl. SPC 9.2.2022). Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessensvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des traditionellen Rechts (Xeer). Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler (Sahan/SWT 26.10.2022).

Clanwissen: Laut Experten gibt es bis auf sehr wenige Waisenkinder in Somalia niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, S. 2f/37/39f). Das Wissen um die eigene Herkunft, die eigene Genealogie, ist von überragender Bedeutung. Dieses Wissen dient zur Identifikation und zur Identifizierung (Shukri/TEL 3.5.2021). Auch junge Menschen im urbanen Umfeld kennen ihren Clan, allerdings fehlen ihnen manchmal die Details - etwa zu Clanältesten. Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 betrifft dies tendenziell eher junge Frauen (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).

Diskriminierung im Clanwesen: Diskriminierung steht in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke besitzen (AA 23.8.2024). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2024). Selbst relativ starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan/SWT 30.9.2022). Gleichzeitig mag auf einer Ebene innerhalb eines Clans oberflächlich betrachtet Einheit herrschen, doch wenn man näher heranzoomt, treten Konflikte zwischen den unteren Clanebenen zutage (NLM/Barnett 7.8.2023).

Ohnehin marginalisierte Gruppen werden diskriminiert und stoßen auf Schwierigkeiten, ihr Recht auf Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Prozessen wahrzunehmen (UNSOM 5.8.2023; vgl. BS 2024). Die Marginalisierung führt zu einer ungerechten und diskriminierenden Verteilung der Ressourcen (UNSOM 5.8.2023) - etwa beim Zugang zu humanitärer Hilfe (AA 23.8.2024). Menschen, die keinem der großen Clans angehören, sehen sich in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021b, S. 56); und auch von Politik und Wirtschaft werden sie mitunter ausgeschlossen. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2024). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UN OCHA 14.3.2022).

Recht [siehe hierzu auch Rechtsschutz, Justizwesen]: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Weder Xeer (SEM 31.5.2017, S. 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S. 42; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020b, S. 21). Es kommt mitunter zu staatlicher Diskriminierung. So wurde beispielsweise in Mogadischu ein Strafprozess, bei welchem Rahanweyn und Bantu als Kläger gegen einen Polizeioffizier, der von einem großen Clan stammt, aufgetreten waren, vom Gericht ohne Weiteres eingestellt (Horn 6.5.2024).

Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S. 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen (Gashanbuur) einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen (AQSOM 4 6.2024; vgl. DI 6.2019, S. 11). Diese Resilienzmaßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S. 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das System des Xeer eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, S. 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S. 14).

Netzwerke abseits von Clans: Die Mitgliedschaft in islamischen Organisationen und Verbänden gewinnt immer mehr an Bedeutung. Sie bietet eine Möglichkeit zur sozialen Organisation über Clangrenzen hinweg. Mit einer Mitgliedschaft kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden. Zumindest in bestimmten Teilen Somalias entsteht auch eine Form von Sozialkapital unter Mitgliedern der jüngeren Generation, die biografische Erfahrungen und Interessen (Bildung oder Beruf) teilen und manchmal in Jugendorganisationen organisiert sind oder sich in informellen Diskussionsgruppen und online treffen (BS 2024).

Bevölkerungsstruktur

Letzte Änderung 2024-12-04 10:43

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021a). Die Landesbevölkerung ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings ist der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung demnach unklar (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine gemeinsame ethnische Herkunft (USDOS 22.4.2024). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UN OCHA 14.3.2022). Die UN gehen davon aus, dass ca. 30 % aller Somali Angehörige von Minderheiten sind (MBZ 6.2023). Abseits davon trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2024). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (Landinfo 4.4.2016).

Große Clanfamilien: Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

Hawiye leben v. a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet (SEM 31.5.2017). Sie selbst erachten sich nicht als Teil der Dir (AQSOM 4 6.2024).

Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017).

Territorien: Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).

Minderheiten: Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).

Somaliland

Letzte Änderung 2025-01-16 14:11

[Zum Konflikt mit Teilen der Dhulbahante und dessen Auswirkungen auf Dhulbahante in Somaliland siehe Sicherheitslage / Somaliland / Ethnische Spannungen bzw. Diskriminierung aufgrund des Konflikts um Laascaanood]

Wie in den restlichen Landesteilen bekennt sich die Verfassung zum Gebot der Nichtdiskriminierung (AA 23.8.2024). In Somaliland sind Mitbestimmung und Schutz von Minderheiten vergleichsweise gut ausgeprägt (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Nach anderen Angaben besteht offiziell kein Minderheitenschutz (ÖB Nairobi 10.2024). Jedenfalls sind die Clanältesten der Minderheiten gleich wie jene der Mehrheitsclans offiziell anerkannt (SEM 31.5.2017). Große Clans dominieren Politik und Verwaltung, wodurch kleinere Gruppen marginalisiert, gesellschaftlich manchmal diskriminiert werden. Ihr Zugang zu öffentlichen Leistungen ist schlechter (FH 2023; vgl. HRCSL 3.2024). Generell spielt die Clanzugehörigkeit eine große Rolle (AA 23.8.2024).

Hauptclans in Somaliland: In der Region Awdal wohnen v. a. Angehörige der Dir / Gadabursi und Dir / Issa. In den Regionen Woqooyi Galbeed und Togdheer wohnen v. a. Angehörige der Isaaq-Subclans Habr Jeclo, Habr Yunis, Idagala und Habr Awal. In der Region Sool wohnen v. a. Angehörige der Darod / Dulbahante (Taleex, Xudun, Laascaanood), Isaaq / Habr Yunis (Xudun, Laascaanood) und Isaaq / Habr Jeclo (Caynabo). In der Region Sanaag wohnen v. a. Angehörige der Darod / Warsangeli (Las Qooray, Ceerigaabo), Isaaq / Habr Yunis (Ceerigaabo) und Isaaq / Habr Jeclo (Ceel Afweyn) (EASO 2.2016). Die einzelnen Clans der Minderheiten der Berufskasten in Somaliland werden unter dem Begriff "Gabooye" zusammengefasst (Muse Dheriyo, Tumal, Madhiban, Yibir) (UNHRC 28.10.2015; vgl. SEM 31.5.2017). Zusätzlich gibt es noch alteingesessene Familien mit arabischem Hintergrund (HRCSL 3.2024).

Minderheiten: Einige Älteste (Suldaan) der Gabooye sind im Oberhaus (Guurti) des Parlaments vertreten (SEM 31.5.2017). Bei den Wahlen im Mai 2021 wurden Minderheitenangehörige ins somaliländische Unterhaus gewählt (EEAS 8.6.2021) - darunter ein Abgeordneter der Gabooye (ICG 12.8.2021).

Eine systematische Verfolgung findet nicht statt (ÖB Nairobi 10.2024). Angehörige der Gabooye leiden allerdings unter sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung und werden am Arbeitsmarkt diskriminiert (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. HRCSL 3.2024). Im Justizsystem treffen Minderheitenangehörige auf Vorurteile (FH 2024a) und Benachteiligung (HRCSL 3.2024). Es kann vorkommen, dass Vergehen gegenüber Angehörigen von Minderheiten seitens der Polizei nicht nachgegangen wird. Sie werden von den somaliländischen Gerichten in den letzten Jahren aber mehrheitlich fair behandelt, es kommt zu keiner systematischen Benachteiligung durch Polizei und Gerichte. Die offizielle Anerkennung von Gabooye-Suldaans hat zu einer Aufwertung der berufsständischen Gruppen geführt. Ihr gesellschaftlicher Ruf hat sich dadurch generell verbessert. Damit geht auch soziale Sicherheit einher. Im Xeer (traditionelles Recht) haben Gabooye zwar ihre Rechte (SEM 31.5.2017), es kann aber vorkommen, dass Mehrheitsclans aufgrund ihrer Machtstellung Kompensationszahlungen nicht tätigen (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018).

In Ceerigaabo leben alle Gabooye (ca. 500 Haushalte) außerhalb des Stadtzentrums. Der Besuch einer Grundschule ist in Sanaag möglich; doch hinsichtlich höherer Bildung stehen Gabooye oft vor finanziellen Hindernissen. In der Verwaltung der Region arbeitet nur ein Gabooye; zwei arbeiten bei Lokalräten (UNSOM 22.6.2022). Insgesamt hat sich die Situation laut zwei Quellen der FFM Somalia 2023 aber gebessert (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023; vgl. SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023). Während sich in den frühen 1990ern kaum Gabooye in den Schulen fanden, und die wenigen, die dies taten, dort belästigt wurden, hat sich dies geändert. Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 gibt es kein Mobbing mehr, wenn auch weiterhin Vorurteile bestehen (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023). Nach anderen Angaben sind die Gabooye weiterhin nicht gleichgestellt, sie verfügen nur über geringe Ressourcen und sind weniger gebildet und werden als "low status" erachtet (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023).

Es gibt einige NGOs, die sich explizit für Minderheiten einsetzen. Hinsichtlich berufsständischer Gruppen sind dies u. a.: Daami Youth Development Organization (DYDO), Somaliland National Youth Organization (SONYO Umbrella), Ubax Social and Welfare Organization (USWO), Voices of Somaliland Minority Women Organization (VOSOMWO) (SEM 31.5.2017).

Mischehen: Vorbehalte gegen Mischehen bestehen weiterhin (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023), diese werden stigmatisiert (FH 2024a), von den Clans Isaaq und Darod vehement abgelehnt, vom Clan der Dir eher akzeptiert (SEM 31.5.2017). Gleichzeitig kommen Mischehen im clanmäßig homogeneren Norden tendenziell seltener vor als im stärker durchmischten Süden (ÖB Nairobi 10.2024. Die Konsequenz einer Mischehe ist oftmals die Verstoßung des Eheteils, der von einem "noblen" Clan stammt durch ebendiesen (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).

[Zu Clanauseinandersetzungen siehe Sicherheitslage / Somaliland]

Blutrache: Davon können laut einer Quelle selbst Personen betroffen sein, die nach Jahren in der Diaspora nach Hause zurückkehren. Während Sicherheitskräfte in größere Clankonflikte eingreifen, tun sie dies bei Blutfehden nur selten bzw. ist ein Eingreifen nicht immer möglich. Gleichzeitig sind Polizisten selbst Angehörige eines Clans, was die Sache erschwert (STDOK 8.2017). Nach neueren Angaben der FFM Somalia 2023 können Rachemorde im Fall eines Mordes vorkommen (z. B. wenn der eigene Bruder einen Angehörigen eines anderen Clans getötet hat). Meist gibt es für solche Fälle Abkommen zwischen Subclans im Rahmen des Xeer. Dort ist festgelegt, ob ein Mord durch einen Mord gebüßt wird oder durch eine Zahlung. Ein normaler Bürger in Hargeysa muss sich laut einer Quelle diesbezüglich keine Sorgen machen. In größeren Städten sind im Fall eines Mordes Sicherheitskräfte eingebunden, Täter werden verhaftet. In den östlichen Landesteilen - insbesondere in Sanaag und Sool - wird die Polizei hingegen selten involviert, dort herrscht das traditionelle System vor (Omer/STDOK/SEM 4.2023).

Angehörige anderer Clans in der Position als Minderheit, Clanlose

Letzte Änderung 2024-12-04 11:37

Auch Angehörige starker Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter Dir-Clan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gerät eine Einzelperson immer dann in die Rolle der Minderheit, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Die Position als "Gast" ist schwächer als jene des "Gastgebers". Im System von "hosts and guests" sind Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als "Gäste". Dieses System gilt auch für IDPs (SEM 31.5.2017, S. 11f/32f). Ein Beispiel derartiger Auswirkungen stammt aus Puntland. Dort haben Sicherheitskräfte mehrere junge Männer festgenommen, von denen angenommen wird, dass sie hinter einer Reihe von Angriffen auf Mitglieder der Ogadeni [Anm.: Der in Jubaland und kenianischen Somali-Gebieten vorherrschende Clan] in Garoowe stecken. Die Übergriffe wurden ausgelöst, weil eine Gruppe Jugendlicher in Nairobi einen jungen Mann aus Garoowe angegriffen und die Tat gefilmt hat. Die Angriffe in Garoowe gelten als Vergeltung für den Angriff in Nairobi (HO 8.9.2024).

Diskriminierung: In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus. Diskriminierung erfolgt etwa auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Gerichtsverfahren (USDOS 22.4.2024). Angehörige eines (Sub-)Clans können in von einem anderen (Sub-)Clan dominierten Gebiete auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 18.4.2021, S. 12). Auch kann es vorkommen, dass Personen, die einer kleinen Gruppe innerhalb eines großen Clans angehören, von den Nachbarn als Minderheit wahrgenommen und diskriminiert werden (AQSOM 4 6.2024).

Menschen aus Somaliland werden in Süd-/Zentralsomalia nicht diskriminiert. Sie haben Vertreter im System, in der Regierung, im Parlament. Einige junge Somaliländer gehen trotz der schlechten Sicherheitslage der Möglichkeiten wegen nach Süd-/Zentralsomalia, insbesondere im humanitären Bereich (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).

Ashraf und Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter Mohammeds; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status. Beide Clans werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye / Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil-Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014, S. 46f/103).

Für eine Person ohne Clanidentität ist gesellschaftlicher Schutz nicht vorhanden. Dies führt nicht automatisch zu Misshandlung, fördert aber die Vulnerabilität. Sollte eine Person ohne Clanidentität und ohne Ressourcen zurückkehren, wird es im gegenwärtigen somalischen Kontext für diese physisch und wirtschaftlich sehr schwierig, zu überleben. Allerdings gibt es laut Experten so gut wie niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, S. 2f/37/39f).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Mangels Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments steht die Identität des Beschwerdeführers nicht fest. Seine Staatsangehörigkeit und seine Herkunft erscheinen auf Grund seiner Sprachkenntnisse sowie seines insofern stringenten Vorbringens während des gesamten Verfahrens glaubhaft.

Die Feststellungen über die Clan- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers sowie seinen Bildungsgrad und seine Arbeitserfahrung beruhen auf seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben im Rahmen der Einvernahme am 17.11.2023, der Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 07.10.2022, der Stellungnahme vom 15.12.2023 und in der Beschwerde vom 05.03.2024 sowie in der mündlichen Verhandlung am 22.01.2025.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Vorauszuschicken ist, dass bei der Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers in die Beweiswürdigung Eingang findet, dass die behaupteten fluchtauslösenden Ereignisse teilweise in der Jugend des Beschwerdeführers liegen würden, sodass die Dichte des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht mit "normalen" Maßstäben gemessen werden kann (vgl. VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020). Zum Zeitpunkt, seines Schulbesuches in den Jahren 2014 bis 2017 war er ca. 12 bis 15 Jahre alt, zum Zeitpunkt, in welchem der Beschwerdeführer seinen Ausreiseentschluss gefasst hat, nämlich im Dezember 2020 (vgl. AS 17), war er bereits 18 Jahre alt, demnach also volljährig.

Wie sich aus der Erstbefragung, der Einvernahme vor der belangten Behörde sowie der mündlichen Beschwerdeverhandlung ergibt, hatte der Beschwerdeführer ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel vorzulegen.

Dabei ist festzuhalten, dass auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung davon ausgegangen werden kann, dass ein Asylwerber grundsätzlich in der Lage sein muss, umfassende und inhaltlich übereinstimmende Angaben zu den konkreten Umständen und dem Grund der Ausreise aus dem Herkunftsstaat zu machen, zumal eine Person, die aus Furcht vor Verfolgung ihren Herkunftsstaat verlassen hat, gerade in ihrer ersten Einvernahme auf konkrete Befragung zu ihrem Flucht die ihr gebotene Möglichkeit wohl kaum ungenützt lassen wird, die Umstände und Gründe ihrer Flucht in umfassender und in sich konsistenter Weise darzulegen, um den beantragen Schutz vor Verfolgung auch möglichst rasch erhalten zu können. Es entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass eine mit Vernunft begabte Person, die behauptet, aus Furcht vor Verfolgung aus ihrem Herkunftsstaat geflüchtet zu sein, über wesentliche Ereignisse im Zusammenhang mit ihrer Flucht, die sich im Bewusstsein dieser Person einprägen, selbst nach einem längeren Zeitraum noch ausreichend konkrete, widerspruchfreie und nachvollziehbare Angaben machen kann. Dies gilt grundsätzlich auch – mit den oben genannten Einschränkungen - für junge Antragsteller.

Doch gelang es dem Beschwerdeführer nicht, die behaupteten Vorfälle mit den Angreifern seines Vaters glaubhaft darzulegen, insbesondere deshalb, weil die dazu abgegebenen näheren Schilderungen nicht plausibel sind. So gab der Beschwerdeführer – zusammengefasst – an, der behauptete Streit um die Landwirtschaft seiner Familie reiche mehrere Jahre zurück, nämlich bis 2014 mit Fortsetzung 2017 und 2018, und es habe sich bei den Personen, die die Landwirtschaft hätten haben wollen, um Nachbarn gehandelt. Doch ist es vor diesem Hintergrund völlig unplausibel, dass der Beschwerdeführer, der diese Vorgänge „immer mitbekommen“ haben will (vgl. S 6 in OZ 3) zwar wissen will, dass es sich bei den Angreifern um Isaaq-Angehörige gehandelt habe, jedoch nicht einmal den Namen der Bedroher bzw. nähere Details zu diesen nennen konnte (vgl. S. 5 in OZ 3), obwohl diese Personen die Familie schon jahrelang bedroht haben sollen. Es ist nämlich gänzlich unüblich, dass sich die somalischen Bewohner insbesondere im ländlichen Bereich nicht näher kennen, insbesondere wenn sie – wie weiter behauptet – vor dem Angriff im Dezember 2020 bereits mehrmals bei der Familie des Beschwerdeführers vorstellig geworden sein sollen, um die Landwirtschaft „zu kaufen“. Schon daraus lässt sich erkennen, dass die behauptete Bedrohung offenkundig konstruiert wurde.

Auch die vorgebrachte Gefährdung des Beschwerdeführers als Schüler aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Clan der Gabooye könnte – selbst bei Wahrunterstellung – nicht als fluchtauslösend beurteilt werden:

Dazu ist einleitend anzumerken, dass in den Länderinformationen (Kapitel „Minderheiten und Clans“, Unterkapitel „Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation“ und Unterkapitel „Somaliland“) eine systematische Verfolgung der Gabooye in Somaliland ausdrücklich ausgeschlossen wird. Zudem sind einige Älteste (Suldaan) der Gabooye sind im Oberhaus (Guurti) des Parlaments vertreten und bei den Wahlen im Mai 2021 wurden Minderheitenangehörige ins somaliländische Unterhaus gewählt - darunter ein Abgeordneter der Gabooye. Auch wenn Angehörige der Gabooye leiden unter sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung leiden und am Arbeitsmarkt diskriminiert werden sowie im Justizsystem Minderheitenangehörige auf Vorurteile und Benachteiligung treffen und es vorkommen kann, dass Vergehen gegenüber Angehörigen von Minderheiten seitens der Polizei nicht nachgegangen wird, so werden sie von den somaliländischen Gerichten in den letzten Jahren aber mehrheitlich fair behandelt. Es kommt zu keiner systematischen Benachteiligung durch Polizei und Gerichte. Außerdem hat die offizielle Anerkennung von Gabooye-Suldaans zu einer Aufwertung der berufsständischen Gruppen geführt. Ihr gesellschaftlicher Ruf hat sich dadurch generell verbessert. Damit geht auch soziale Sicherheit einher. Auch im Xeer (traditionelles Recht) haben Gabooye zwar ihre Rechte, es kann aber vorkommen, dass Mehrheitsclans aufgrund ihrer Machtstellung Kompensationszahlungen nicht tätigen. Während sich in den frühen 1990ern kaum Gabooye in den Schulen fanden, und die wenigen, die dies taten, dort belästigt wurden, hat sich dies geändert. Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 gibt es kein Mobbing mehr, wenn auch weiterhin Vorurteile bestehen. Nach anderen Angaben sind die Gabooye weiterhin nicht gleichgestellt, sie verfügen nur über geringe Ressourcen und sind weniger gebildet und werden als "low status" erachtet.

Dazu hat der Beschwerdeführer vor dem BFA ausgesagt, in der Schule schlecht behandelt und diskriminiert, geschlagen, mit Steinen beworfen und seine Bücher verbrannt worden zu sein (vgl. AS 51) bzw. in der mündlichen Beschwerdeverhandlung geschildert, in der Schule gemobbt bzw. diskriminiert und seine Bücher zerrissen bzw. verbrannt worden zu sein. Selbst bei Zutreffen dieser Diskriminierungen wäre diese Behandlung allerdings nicht fluchtauslösend gewesen, hatte doch der Beschwerdeführer die Schule zwischen 2014 und 2017 besucht (vgl. S. 3 und 9 in OZ), weswegen diese Vorkommnisse zum Ausreisezeitpunkt bereits einige Jahre zurückgelegen und demnach einerseits nicht unmittelbar fluchtursächlich gewesen wären und andererseits – mangels Absicht des Beschwerdeführers, im Rückkehrfall die Schule dort neuerlich zu besuchen – insofern auch keine (neuerliche) Gefährdung bestehen würde.

Daher geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine konkrete, gegen seine Person gerichtete aktuelle konkrete Gefahr aufgrund der behaupteten Vorfälle mit seinem Vater und den Nachbarn bzw. aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Clan der Gabooye glaubhaft zu machen.

Soweit in der Beschwerde – bloß pauschal und unsubstantiiert -darauf verwiesen wird, dass beim Beschwerdeführer aufgrund seines Alters die Gefahr bestehe, zwangsrekrutiert zu werden (vgl. 203 und 205), ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer selbst eine diesbezüglich bestehende Bedrohung weder in der Erstbefragung, der Einvernahme, der Stellungnahme oder der Beschwerdeverhandlung vorgebracht oder gar näher ausgeführt hat noch eine solche aus den Länderinformationen abgeleitet werden kann. Vielmehr geht aus den Berichten hervor, dass al Shabaab in Somaliland nicht Fuß fassen konnte, die Gruppe dort keine Gebiete kontrolliert und es dort auch keine signifikanten Aktivitäten von al Shabaab gibt.

2.2.2. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass allfälligen dem Beschwerdeführer tatsächlich drohenden Risiken durch die bereits von der belangten Behörde erfolgte Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ausreichend Rechnung getragen wurde.

Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat gründen sich auf die im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführte Länderinformation der Staatendokumentation Somalia, Version 7, vom 16.01.2025 und den darin jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen.

Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben.

Dem Beschwerdeführer wurde zudem in der mündlichen Beschwerdeverhandlung die Möglichkeit gegeben zu den Länderinformationen vom 16.01.2025, Version 7, Stellung zu nehmen, worauf der Beschwerdeführer aber verzichtete.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK (i.d.F. des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. zuletzt VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413 mit Verweis auf E vom 28. Mai 2009, 2008/19/1031).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z. 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind (vgl. zuletzt VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066).

Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (vgl. VwGH 24.11.2005, 2003/20/0109). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (vgl. zuletzt sinngemäß VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. zuletzt VwGH 29.01.2020, Ra 2019/18/0228 mit Verweis auf VwGH vom 28. Oktober 2009, 2006/01/0793, mwN).

Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert wird. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191).

Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich nicht, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe droht, zumal die vorgebrachten Fluchtgründe des Beschwerdeführers - wie oben festgestellt und in der Beweiswürdigung dargelegt - nicht glaubhaft gemacht wurden.

Da sohin keine Umstände vorliegen, wonach es ausreichend wahrscheinlich wäre, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimat in asylrelevanter Weise bedroht wäre, ist die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten durch das Bundesamt im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Da sich die vorliegende Beschwerde ausdrücklich nur gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides richtet, sind die Spruchpunkte II. und III. bereits in Rechtskraft erwachsen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wurde.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die tragenden Elemente der Entscheidung liegen allein in der Bewertung der Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und demgemäß in Tatbestandsfragen bzw. beweiswürdigenden Überlegungen.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR beziehungsweise auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.