Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX Staatsangehörigkeit Arabische Republik Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 26.11.2024, Zl. 1393502607/240709125, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.03.2025 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX , geboren am XXXX , im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF, ein Staatsbürger der Arabischen Republik Syrien, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet in Österreich am 02.05.2024 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. In der Erstbefragung am 02.05.2024 gab er an, syrischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und Muslim zu sein. Seine Muttersprache sei Arabisch; er spreche aber auch Kurmandschi (Nordkurdisch). Er sei am XXXX in Aleppo in Syrien geboren. Er habe in Syrien sechs Jahre eine Grundschule besucht und habe als Schneider gearbeitet. Er sei verheiratet und Vater von zwei Söhnen und zwei Töchtern. Diese befänden sich in der Türkei. Seine Eltern, ein Bruder und eine Schwester befänden sich in Syrien, zwei Schwestern in der Türkei, eine in Ägypten und eine in Deutschland. Im Jahr 2013 sei er von Aleppo nach „Afrin“ gezogen. Sein letzter Wohnsitz in Syrien sei in „Afrin“ gewesen. Er habe Syrien im Jahr 2014 verlassen und sei in die Türkei gegangen. Er habe in der Türkei zehn Jahre gelebt. In Griechenland habe er sich vier Monate aufgehalten, bis er über Nordmazedonien, Serbien, Bosnien, Kroatien, Slowenien, Österreich nach Deutschland und zurück nach Österreich gereist sei. Er habe Syrien wegen des Krieges verlassen. Syrien sei für seine Familie und ihn selbst kein sicheres Land mehr. Die Türkei habe er verlassen, weil er befürchtet habe, abgeschoben zu werden. Er habe um sein Leben Angst.
3. Im Asylverfahren wies sich der BF durch seinen syrischen Personalausweis aus. Dieser Personalausweis wurde am 24.02.2011 in „Balbal“, nach Angabe des BF handelt es sich dabei um einen Stadtteil der syrischen Stadt Afrin, ausgestellt. Als Geburtsort des Beschwerdeführers wird in diesem Dokument der syrische Ort mit dem Namen „Saghur“ angegeben. Nach Angaben des BF handelt es sich bei diesem Ort um einen Ort nördlich bzw. nordnordwestlich der syrischen Stadt Afrin im gleichnamigen Distrikt im Gouvernement Aleppo, der bei schlechten Straßenverhältnissen mit einem Auto von Afrin kommend in ca. einer halben Stunde erreicht werden könnte.
4. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 27.08.2024, bei der der BF in der Sprache Arabisch einvernommen wurde, wurde auf Seite 3 des Einvernahmeprotokolls ausgehend von der Angabe auf seinem syrischen Personalausweis festgehalten, dass der BF am XXXX in „Saghur“ geboren wurde. Aus einem in Kopie vorgelegten syrischen Familienbuch ergibt sich, dass auch seine Ehefrau Sara SHEIKHO am 25.06.1989, als auch deren gemeinsames ältestes Kind, das den Namen XXXX trägt, am 01.01.2010 in „Saghur“ geboren ist.
In dieser Einvernahme berichtete der BF, dass sein Bruder von der Türkei nach Syrien abgeschoben worden sei. Er habe über den Verbleib seines Bruders keine Informationen.
Zuletzt habe er in Syrien in einem Dorf in Afrin gewohnt. Er habe dort zuletzt weniger als ein Jahr gelebt, bis er Syrien verlassen habe. Davor habe er in der Stadt Aleppo gelebt. Früher habe er „mit seiner Herkunftsfamilie gemeinsam gewohnt“. Dann habe er in Aleppo Stadt eine eigene Wohnung gekauft, in der er mit seiner Frau und seinen Kindern gewohnt habe. Er habe als Schneidermeister kein schlechtes Leben gehabt. Diese Wohnung habe er jedoch wieder verkauft, um Geld für seine Flucht zu haben.
Befragt zu seinen Fluchtgründen führte er aus, dass es in Syrien einen Krieg gegeben habe, weswegen er habe flüchten müssen. Dann sei auch der „Reservedienst“ dazugekommen. Wenn „sie“ ihn zum „Reservedienst“ eingezogen hätten, wäre er entweder ins Gefängnis gekommen oder „umgekommen“. In seinem Herkunftsgebiet im Distrikt Afrin wäre er auch nicht in Sicherheit, weil dort Schutzgelder erpresst werden würden. Wenn man nicht zahlen könnte, würde man getötet werden.
5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Steiermark, vom 26.11.2024, Zl. 1393502607/240709125, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs.1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde in dieser Entscheidung im Wesentlichsten zusammenfassend ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht habe glaubhaft machen können, dass ihm im Herkunftsstaat aufgrund einer „Reservedienstverweigerung“ und „der deshalb unterstellten politischen Gesinnung“ – „oder aufgrund anderer Gründe“ – eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK drohe.
Soweit dem BF in dieser Entscheidung der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, führte das BFA lediglich aus, dass dem BF dieser Status „aufgrund der momentanen instabilen Sicherheitslage in Syrien“ zuerkannt worden sei.
Dieser Bescheid wurde dem BF am 03.12.2024 durch Hinterlegung zugestellt.
6. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 26.11.2024, Zl. 1393502607/240709125, mit dem der Antrag des BF auf Gewährung des Status eines internationalen Schutzberechtigen hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten abgewiesen wurde, erhob der BF, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien (BBU), mit Schriftsatz vom 19.12.2024, eingebracht am selben Tag mit E-Mail, fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
In dieser Beschwerde wurde vorgebracht, dass sich in Syrien die Lage maßgeblich geändert habe. Da noch nicht abschätzbar sei, wie sich die Lage in Syrien weiterhin entwickeln werde, fehle es an einer wesentlichen Grundlage für eine Entscheidung in der gegenständlichen Angelegenheit.
Im Weiteren wurde auf die Hayat Tahrir as-Sham (HTS) hingewiesen und dazu ausgeführt, dass Vieles dafürspreche, dass diese die nächste (Übergangs-)Regierung dominieren werde und dass es sich bei dieser um eine Terrororganisation handle. Früheren Berichten könne entnommen werden, dass die HTS zumindest bisher teils brutal gegen Andersdenkende vorgegangen sei.
Zudem gingen in Gebieten, die von pro-türkischen Truppen kontrolliert werden, die von der Türkei unterstützten SNA-Milizen weiterhin gegen die kurdisch dominierte SDF vor. Von Seiten der SNA seien systematische Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegen Kurdinnen und mit den SDF in Verbindung gebrachten Personen, dokumentiert. Dabei wurde insbesondere auch auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 22.11.2024 zu „Lage von Kurdinnen in Türkisch kontrollierten Gebieten (Einsatz von Gewalt, extralegalen Mitteln, Marginalisierung durch die Türkei bzw. mit der Türkei verbündeten Milizen; in welchen Gebieten/Regionen); Lage im Dorf al Thamad in der Nähe der Stadt Ras Al-Ayn in der Provinz Al-Hasakah [a-12487]“ hingewiesen.
Im Lichte dieser Ausführungen drohe bei einer Rückkehr in ein Herkunftsgebiet, das unter der Kontrolle der SNA oder pro-türkischer Truppen stehe, allen Kurdinnen und Kurden und somit auch dem Beschwerdeführer, der aus einem Dorf nahe der Stadt Afrin stamme mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden, von pro-türkischen Milizen verfolgt zu werden. Daher sei dem BF als Angehörigem der kurdischen Volksgruppe der Status eines Asylberechtigten zu erteilen.
7. Die gegenständliche Beschwerde und die Unterlagen des Verwaltungsverfahrens wurden dem BVwG am 30.12.2024, mit Schreiben des BFA vom 20.12.2024, zur Entscheidung vorgelegt.
8.Mit der Ladung vom 17.01.2025 zur mündlichen Beschwerdeverhandlung am 20.03.2025 zur GZ W114 2305108-1/3Z, wurde eine umfangreiche Liste von aktuellen Dokumenten, die damit in das verfahrensgegenständliche Beschwerdeverfahren eingebracht wurden, zum Parteiengehör übermittelt. In der Ladung wurde darauf hingewiesen, dass erforderlichenfalls diese Dokumente auch beim BVwG bezogen werden könnten. Das BFA und der vertretene BF verzichteten auf eine Zurverfügungstellung von einzelnen Dokumenten.
9. Am 20.03.2025 fand in Abwesenheit eines Vertreters des BFA im BVwG eine Beschwerdeverhandlung statt, bei der der Beschwerdeführer hinsichtlich der Plausibilität und Nachvollziehbarkeit seiner von ihm behaupteten Fluchtgründe und einer allenfalls daraus sich ergebenden Verfolgungsgefahr befragt wurde.
Die Rechtsvertretung des BF hat in dieser Beschwerdeverhandlung eine schriftliche Stellungnahme abgegeben und neuerlich auf die dem BF als Kurde in seinem Herkunftsgebiet mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgungsgefahr durch pro-türkische Milizen, die sein Herkunftsgebiet kontrollieren, hingewiesen.
Von einer mündlichen Verkündung des Erkenntnisses wurde Abstand genommen, jedoch die mündliche Verhandlung als auch das Ermittlungsverfahren für geschlossen erklärt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des verfahrensgegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz des BF vom 02.05.2024, der diesbezüglichen Erstbefragung am 02.05.2024 und der Einvernahme des BF vor dem BFA am 27.08.2024, der Beschwerde vom 19.12.2024 gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 26.11.2024, Zl. 1393502607/240709125, der schriftlichen Stellungnahme des Vertreters des BF, die dieser in der Beschwerdeverhandlung am 20.03.2025 eingebracht hat, einer Einsichtnahme in die Bezug habenden Verfahrensunterlagen des BFA, einer Berücksichtigung der immer noch aktuellsten UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen; 6. aktualisierte Fassung vom März 2021, einer Berücksichtigung des EUAA-Berichtes „Country Guidance: Syria“ vom April 2024, einer ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien „Lage von Kurdinnen in Türkisch kontrollierten Gebieten (Einsatz von Gewalt, extralegalen Mitteln, Marginalisierung durch die Türkei bzw. mit der Türkei verbündeten Milizen; in welchen Gebieten/Regionen); Lage im Dorf al Thamad in der Nähe der Stadt Ras Al-Ayn in der Provinz Al-Hasakah [a-12487]“ vom 22.11.2024, des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Syrien vom 27.03.2024 (aus dem COI-CMS – Version 11), die in der Rechtsprechung des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes verfügte Indizwirkung von Berichten internationaler Organisationen wie UNHCR oder EUAA (VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bzw. VfGH 28.11.2023, E2684/2023) berücksichtigend, der Berücksichtigung aktueller nationaler und internationaler Medienberichte zur Situation in Syrien und der Kurzinformation der Staatendokumentation zu Syrien „Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht“ vom 10.12.2024, einer Einsichtnahme in das Strafregister des Beschwerdeführers und das Grundversorgungsregister und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der am 18.02.2025 im BVwG durchgeführten Beschwerdeverhandlung bzw. des persönlichen Eindruckes, den sich das erkennende Gericht in dieser mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer verschaffen konnte, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zum besseren Verständnis der relevanten geografischen und politischen Gegebenheiten werden vorweg an dieser Stelle die entsprechenden immer noch gültigen Passagen aus dem immer noch aktuellsten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 27.03.2024 wiedergegeben:
„Im Jahr 2015 verlor die syrische Assad-Regierung die Kontrolle über Idlib und diverse rivalisierende oppositionelle Gruppierungen übernahmen die Macht, wobei die Freie Syrische Armee (FSA) manche Teile der Provinz schon 2012 erobert hatte. Während die syrische Regierung die gesamte Provinz zurückerobern wollte, versuchte Ankara zu verhindern, dass Idlib an Damaskus fällt, und daraufhin noch mehr Syrer in die Türkei flüchteten. Die Türkei hat HTS als terroristische Organisation eingestuft, doch hat sie die Rebellengruppe nicht aktiv daran gehindert, die Verwaltungsmacht in Idlib zu übernehmen. Im Mai 2017 einigten sich Russland, Iran und die Türkei im Rahmen der Astana-Verhandlungen auf die Errichtung vier sogenannter Deeskalationszonen (DEZ) in Syrien, wobei Idlib Teil einer DEZ wurde, die sich von den nordöstlichen Bergen Lattakias bis zu den nordwestlichen Vororten von Aleppo erstreckte und sowohl durch Hama als auch durch Idlib verlief. Gemeint waren damit kampffreie Räume, in denen Zivilisten vor Angriffen geschützt sein sollten. Gemäß der Übereinkunft von Astana rückte die türkische Armee im Oktober 2017 in die DEZ Idlib ein und errichtete Beobachtungsposten zur Überwachung der Waffenruhe. Ankara hatte sich in Astana verpflichtet, die Rebellen zu entwaffnen und den freien Verkehr auf den Fernstraßen M4 und M5 zu gewährleisten. Im Gegenzug hatten Moskau und Damaskus zugesichert, die Provinz nicht anzugreifen. Zusagen, die letztlich keine Seite einhielt. Die syrische Regierung führte im Zeitraum 2018-2020 Offensiven in Idlib durch, die zur Flucht von rund einer Million Menschen führten.
Das syrische Assad-Regime hatte den Wunsch geäußert, die Provinz zurückzuerobern, doch seit einer Offensive im März 2020, die mit einer für die syrische Regierung katastrophalen Niederlage gegen die Türkei endete, hatte das Gebiet den Besitzer nicht mehr gewechselt.
Im März 2020 vermittelten Russland und die Türkei einen Waffenstillstand, um einen Vorstoß der Assad-Regierung zur Rückeroberung von Idlib zu stoppen. Die vereinbarte Waffenruhe in der DEZ Idlib wurde weitestgehend eingehalten, sie führte zu einer längeren Pause in der Gewalt, aber sporadische Zusammenstöße, Luftangriffe und Beschuss gingen weiter. Durch den türkisch-russischen Waffenstillstand kam es an der Frontlinie zwischen den Assad-Regime-Truppen und HTS zu einem kleinen Rückgang der Gewalt. 2022 änderte sich die Intensität und Art der Vorfälle allerdings. Einerseits erhöhte HTS die Anzahl ihrer direkten Angriffe auf die syrische Regierung und andererseits kam es zu einem Anstieg an direkten bewaffneten Zusammenstößen, wobei Beschuss noch immer die häufigste Kampfart blieb.
Insbesondere im Süden der DEZ kam es unverändert regelmäßig zu Kampfhandlungen zwischen Einheiten des Assad-Regimes und seiner Verbündeten und regimefeindlichen bewaffneten Oppositionsgruppen, inklusive schwerer Artillerieangriffe durch das syrische Assad-Regime und Luftschläge der russischen Luftwaffe. In der Region ist es beispielsweise im November und Dezember 2022 sowie Juni 2023 zu einer spürbaren Eskalation der Militäroperationen durch russische und regimetreue Kräfte und den ihnen nahestehenden Milizen gekommen, einschließlich des täglichen Bombardements mit Dutzenden von Raketen und Artilleriegranaten und russischen Luftangriffen, die alle zu erheblichen menschlichen Verlusten und Sachschäden geführt haben. Die syrischen Weißhelme meldeten Ende 2022, dass sie im Laufe des Jahres auf mehr als 800 Angriffe des Assad-Regimes, russischer Streitkräfte und verbündeter Milizen im Nordwesten Syriens reagiert haben. Dabei wurden 165 Personen, darunter 55 Kinder und 14 Frauen, bei Luftangriffen sowie Artillerie- und Raketenangriffen auf mehr als 200 öffentliche Einrichtungen, darunter Wohnhäuser, landwirtschaftliche Felder, öffentliche Gebäude, Märkte, Schulen und ein Krankenhaus, getötet. Die HTS-Kämpfer griffen die Assad-Regierungskräfte dagegen vor allem mit Flugabwehrgeschossen an und waren hauptsächlich mit Maschinengewehren und Panzerfäusten ausgerüstet. Die Miliz hat jedoch auch improvisierte Sprengsätze gegen Assads Streitkräfte gelegt und Selbstmordattentäter eingesetzt.
[…]
Im Februar 2023 wurde die Region von verheerenden Erdbeben heimgesucht, bei denen Tausende von Menschen ums Leben kamen. Daraufhin wurde in Nordsyrien ein signifikanter, wenn auch zeitlich begrenzter, Rückgang der Kampfhandlungen verzeichnet.
Der gegenseitige Beschuss und begrenzte Zusammenstöße zwischen nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, der syrischen Assad-Regierung und regierungsnahen Kräften über die Front hinweg im Nordwesten der Arabischen Republik Syrien hielten jedoch an, wobei es in einigen Fällen zu Opfern unter der Zivilbevölkerung kam. Auch im Juni 2023 wurde ein Wiederaufflammen der Kampfhandlungen zwischen Regierungskräften und Rebellengruppen in den Provinzen Aleppo und Idlib vermeldet.
[…]
Die Gebiete unter Kontrolle der Türkei und Türkei-naher Milizen:
Die Opposition im Nordwesten Syriens war in zwei große Gruppen/Bündnisse gespalten: HTS im Gouvernement Idlib und die von der Türkei unterstützte SNA (Syrische Nationale Armee; dabei handelt es sich um eine von der Türkei im Syrischen Bürgerkrieg unterstützte, bewaffnete syrische Miliz.) im Gouvernement Aleppo. Die SNA setzt sich in erster Linie aus ehemaligen Gruppen der FSA zusammen, hat sich jedoch zu einer gespaltenen Organisation mit zahlreichen Fraktionen entwickelt, die zu internen Kämpfen neigen. Die SNA ist auf dem Papier die Streitkraft der syrischen Übergangsregierung (SIG), die rund 2,3 Millionen Syrer regiert. In Wirklichkeit ist die SNA allerdings keine einheitliche Truppe, sondern setzt sich aus verschiedenen Fraktionen zusammen, die unterschiedliche Legionen bilden und nicht unbedingt der Führung des Verteidigungsministers der SIG folgen. Eine hochrangige syrische Oppositionsquelle in Afrîn sagte, dass innerhalb der SNA strukturelle Probleme bestehen, seit die von der Türkei unterstützten Kräfte das Gebiet 2018 von kurdischen Kräften erobert haben. Es wurde auch von internen Kämpfen der SNA-Fraktionen berichtet. Trotz der internen Streitigkeiten operieren die SIG-Verwaltungen und die bewaffneten Gruppen innerhalb der SNA innerhalb der von Ankara vorgegebenen Grenzen. Die Anwesenheit der Türkei bringt ein gewisses Maß an Stabilität, aber ihre Abhängigkeit von undisziplinierten lokalen Vertretern, ihre Unfähigkeit, die Fraktionsbildung unter den Dutzenden von bewaffneten Gruppen, die mit der SNA verbunden sind, zu überwinden, und ihre Duldung des Missbrauchs und der Ausbeutung der Zivilbevölkerung haben dazu geführt, dass ihre Kontrollzone die am wenigsten sichere und am brutalsten regierte im Norden Syriens ist.
Die Lage in den von der Türkei und Türkei-nahen Milizen, darunter der Syrischen Nationalarmee (SNA, vormals „Freie Syrische Armee“), kontrollierten Gebieten im Norden um die Städte Afrîn und Jarabulus im Norden des Gouvernements Aleppo. Die Lage blieb instabil. Es kam dort auch immer wieder zu teils umfangreichen Kampfhandlungen, insbesondere zwischen Türkei-nahen Milizen und der HTS einerseits, sowie Türkei-nahen Milizen, der kurdischen YPG (Yekîneyên Parastina Gel) und in der Region eingesetzten Truppen des Assad-Regimes andererseits.
Durch den Beschuss eines Marktplatzes in der türkisch kontrollierten Stadt al-Bab (Gouvernement Aleppo) durch Regimetruppen wurden etwa im August 2022 mindestens 20 Zivilpersonen getötet und rund 40 verletzt. Anfang Oktober 2022 rückte HTS aus dem Nordwesten auf die Stadt Afrîn und Umgebung vor, nachdem es innerhalb der SNA nach dem Mord an einem zivilgesellschaftlichen Aktivisten zu teils gewalttätigen internen Auseinandersetzungen kam. Die Auseinandersetzungen standen dabei im Zusammenhang mit dem lukrativen und weitverbreiteten Drogenhandel in Syrien sowie konkurrierenden Interessen verschiedener Brigaden innerhalb der SNA. Dies war der erste größere Gebietsaustausch zwischen den Kriegsparteien seit zwei Jahren. Nach rund zwei Wochen zogen sich die Kämpfer der HTS wieder aus Afrîn zurück.
Um die Zahl der Todesopfer unter der Zivilbevölkerung durch die Kämpfe der SNA zu verringern, haben viele lokale Versammlungen und die örtliche Polizei versucht, Maßnahmen zu ergreifen, um die Gruppen daran zu hindern, mit automatischen oder schweren Waffen in die Städte einzudringen. Dennoch wurden zivile Gebiete bei Zusammenstößen zwischen den Gruppen immer noch schwer getroffen und die häufigen Zusammenstöße zwischen den SNA-Gruppen, die in Gebieten wie Afrin, Jarabulus und Tal Abyad operierten, hatten auch zu Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt. Im Norden Aleppos kam es weiterhin zu Angriffen auf Zivilisten. Die CoI des UN-Menschenrechtsrats dokumentierte im zweiten Halbjahr 2022 fünf Angriffe, die 60 Todesopfer forderten. Trotz eines offensichtlichen Rückgangs der Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen in diesem Zeitraum wurden Zivilisten bei Bodenangriffen getötet oder verletzt, auch in ihren Häusern in einem Vertriebenenlager oder auf öffentlichen Märkten. Dem Untersuchungsbericht für das zweite Halbjahr 2022 zufolge hatte die CoI des UN Menschenrechtsrats begründeten Anlass zu der Annahme, dass Mitglieder der SNA weiterhin willkürlich Personen der Freiheit beraubten und Gefangene ohne Kontakt zur Außenwelt und einige in einer Weise festhielten, die einem Verschwindenlassen gleichkam. SNA-Mitglieder haben auch weiterhin Folter, einschließlich Vergewaltigung, und grausame Behandlung, Mord, Geiselnahme sowie Plünderung begangen, die allesamt als separate Kriegsverbrechen gelten können. Nach Angaben der NGO Syrians for Truth and Justice (STJ) begingen SNA-Fraktionen ungestraft und unbehelligt vom türkischen Militär, das sie unterstützt und eine effektive Kontrolle in der Region ausübt, wiederholt und systematisch Verstöße. Seit 2018 haben mehrere unabhängige lokale und internationale Organisationen sowie die zuständigen UN-Gremien massive Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, darunter Tötungen, willkürliche Verhaftungen, gewaltsames Verschwindenlassen, Misshandlungen, Folter, Plünderungen und Beschlagnahmungen von Eigentum sowie die Nötigung kurdischer Einwohner, ihre Häuser zu verlassen, und die Behinderung der Rückkehr von Einheimischen an ihre ursprünglichen Wohnorte nach Feindseligkeiten, demografischen Veränderungen und Versuche der Türkisierung. Während des Jahres 2022 führten mit der Türkei verbundene Oppositionsgruppierungen auch außergerichtliche Tötungen durch.
[…]
„Operation Schutzschild Euphrat“ (türk. „Fırat Kalkanı Harekâtı“)
Am 24.8.2016 hat die Türkei die „Operation Euphrates Shield“ (OES) in Syrien gestartet. Die OES war die erste große Militäroperation der Türkei in Syrien. In einer Pressemitteilung des Nationalen Sicherheitsrats (vom 30.11.2016) hieß es, die Ziele der Operation seien die Aufrechterhaltung der Grenzsicherheit und die Bekämpfung des Islamischen Staates (IS) im Rahmen der UN-Charta. Außerdem wurde betont, dass die Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistan - PKK) sowie die mit ihr verbundene PYD (Partiya Yekîtiya Demokrat) und YPG (Yekîneyên Parastina Gel) keinen „Korridor des Terrors“ vor den Toren der Türkei errichten dürfen. Obwohl die türkischen Behörden offiziell erklärten, dass die oberste Priorität der Kampf gegen den IS sei, betonen viele Kommentatoren und Analysten, dass das Ziel darin bestand, die Schaffung eines einzigen von den Kurden kontrollierten Gebiets in Nordsyrien zu verhindern.
Die Türkei betrachtet die kurdische Volksverteidigungseinheit (YPG) und ihren politischen Arm, die Partei der Demokratischen Union (PYD), als den syrischen Zweig der PKK und damit als direkte Bedrohung für die Sicherheit der Türkei.
„Operation Olivenzweig“ (türk. „Zeytin Dalı Harekâtı“)
Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der „Operation Olive Branch“ (OOB) den zuvor von der YPG kontrollierten Distrikt Afrin ein. Laut türkischem Außenministerium waren die Ziele der OOB die Gewährleistung der türkischen Grenzsicherheit, die Entmachtung der „Terroristen“ in Afrin und die Befreiung der lokalen Bevölkerung von der Unterdrückung der „Terroristen“. Das türkische Außenministerium berichtete weiter, dass das Gebiet in weniger als zwei Monaten von PKK/YPG- und IS-Einheiten befreit wurde. Diese Aussage impliziert, dass Ankara bei der Verfolgung der Grenzsicherheit und der regionalen Stabilität keinen Unterschied zwischen IS und YPG macht. Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin.
„Operation Friedensquelle“ (türk. „Barış Pınarı Harekâtı“)
Nachdem der US-Präsident Donald Trump in seiner ersten Amtszeit Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 09.10.2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits wollte die Türkei mithilfe der Offensive die YPG und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits war das Ziel der Offensive, einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund zwei der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen. Der UN zufolge wurden innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen zivilen Todesopfern. Im Hinterland begannen IS-Zellen, Anschläge zu organisieren. Medienberichten zufolge sind in dem Gefangenenlager ʿAyn Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen. Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht. Auch im Zuge der türkischen Militäroperation „Friedensquelle“ kam es zu Plünderungen und gewaltsamen Enteignungen von Häusern und Betrieben von Kurden, Jesiden und Christen durch Türkei-nahe Milizen.
Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der „türkischen Aggression“ entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichteten. Laut der Vereinbarung übernahmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration war aber weiterhin in kurdischer Hand. Die syrischen Regierungstruppen üben im Gebiet punktuell Macht aus, etwa mit Übergängen zwischen einzelnen Stadtvierteln (z. B. Stadt Qamischli im Gouvernement Al-Hassakah). Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine „Sicherheitszone“ in dem Gebiet zwischen Tall Abyad und Ra’s al-ʿAyn ein, die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist.
„Operation Frühlingsschild“ (türk. „Bahar Kalkanı Harekâtı“)
Nachdem die syrische Regierung im Dezember 2019 eine bewaffnete Offensive gestartet hatte, gerieten ihre Streitkräfte im Februar 2020 mit den türkischen Streitkräften in einen direkten Konflikt. Während des gesamten Februars führten die syrische Regierung und regierungsnahe Kräfte im Nordwesten Syriens Luftangriffe durch, und zwar in einem Ausmaß, das laut den Vereinten Nationen zu den höchsten seit Beginn des Konflikts gehörte. Auch führten die syrischen Regierungskräfte Vorstöße am Boden durch. Zu den täglichen Zusammenstößen mit nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen gehörten gegenseitiger Artilleriebeschuss und Bodenkämpfe mit einer hohen Zahl von Opfern. Nach Angriffen syrischer Streitkräfte auf Stellungen der türkischen Armee, bei denen 34 türkische Soldaten getötet wurden, leitete Ankara die Operation „Frühlingsschild“ in der Enklave Idlib am 27.02.2020 ein. Die Türkei versuchte damit ein Übergreifen des syrischen Konflikts auf die Türkei als Folge der neuen Regimeoffensive - insbesondere in Form eines Zustroms von Extremisten und Flüchtlingen in die Türkei - zu verhindern. Ein tieferer Beweggrund für die Operation war der Wunsch Ankaras, eine Grenze gegen weitere Vorstöße des Regimes zu ziehen, welche die türkischen Gebietsgewinne in Nordsyrien gefährden könnten. Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) war ein - wenn auch unintendierter - wichtiger Profiteur der Operation. Im März 2020 wurde ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der Türkei und Russland in Idlib unterzeichnet, das die Schaffung eines sicheren Korridors um die Autobahn M4 und gemeinsame Patrouillen der russischen und türkischen Streitkräfte vorsah. Der zwischen den Präsidenten Erdoğan und Putin vereinbarte Waffenstillstand sorgte für eine Deeskalation. Es kam aber immer wieder zu lokal begrenzten militärischen Gefechten zwischen den erwähnten Konfliktparteien. Rund 8.000 Soldaten des türkischen Militärs verbleiben in der Region und unterstützen militärisch und logistisch die dort operierenden Organisationen, vor allem die Syrian National Army (SNA, ehemals Free Syrian Army, FSA) und die HTS.
„Operation Klauenschwert“ (türk. „Pençe Kılıç Hava Harekâtı“) und von Präsident Erdoğan ankündigte Bodenoffensiven der Türkei
Ein Hauptziel der Türkei bestand darin, eine Pufferzone zu den Kräften des syrischen Regimes aufrechtzuerhalten, deren Vorrücken - ohne vorherige Absprache oder Vereinbarung - die Sicherheit der türkischen Grenze gefährden würde. Das vorrangige Ziel Russlands und des syrischen Regimes war es, den Druck auf HTS aufrechtzuerhalten. Es kam in den türkisch-besetzten Gebieten zu internen Kämpfen zwischen von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen und vor allem im nördlichen Teil der Provinz Aleppo, auch vermehrt zu Anschlägen seitens der kurdischen YPG. Die sehr komplexe Gemengelage an (bewaffneten) Akteuren, u. a. YPG und Türkei-nahe Rebellengruppen, die sich auch untereinander bekämpfen, führt zu einer sehr konfliktgeladenen Situation in der Provinz Aleppo und vor allem in deren nördlichem Teil. Erdoğan hat wiederholt angekündigt, einen 30 Kilometer breiten Streifen an der syrischen Grenze vollständig einzunehmen, um eine sogenannte Sicherheitszone auf der syrischen Seite der Grenze zu errichten, unter anderem, um dort syrische Flüchtlinge und Vertriebene, sowohl sunnitische Araber als auch Turkmenen, anzusiedeln. Dieser Prozess ist in Afrîn, al-Bab und Ra’s al-’Ayn bereits im Gange. Zuletzt konzentrierte die türkische Regierung ihre Drohungen auf die Region um Kobanê und Manbij - also die westlichen Selbstverwaltungsgebiete. Damit kann eine Verbindung zwischen dem Gebiet al-Bab-Jarablus und dem Gebiet Tel Abyad-Ra’s al-’Ayn hergestellt werden, außerdem ist Kobanê ein Symbol des kurdischen Widerstands gegen den IS.
Am 13.11.2022 wurde in Istanbul ein Bombenanschlag verübt, bei dem sechs Menschen starben und rund 80 verletzt wurden. Die Türkei machte die YPG und PKK für den Anschlag verantwortlich, was beide Gruppierungen bestritten. Die Türkei hat ihre militärischen Aktivitäten im Norden und Nordosten als Antwort auf den Vorfall verstärkt. Eine Woche nach dem Anschlag startete das türkische Militär die Operation „Klauenschwert“ und führte als Vergeltungsmaßnahme eine Reihe von Luftangriffen auf mutmaßliche militante Ziele in Nordsyrien und im Irak durch. Nach Angaben der SDF wurden bei den Luftschlägen auch zivile Ziele getroffen, während es sich bei den zerstörten Zielen laut türkischen Angaben um Bunker, Tunnel und Munitionsdepots handelte. Am 23.11.2022 richteten sich die türkischen Angriffe auch gegen einen SDF-Posten im Gefangenenlager al-Hol, in dem mehr als 53.000 IS-Verdächtige und ihre Familienangehörigen festgehalten werden, die meisten von ihnen Frauen und Kinder aus etwa 60 Ländern.
Türkische Regierungsvertreter signalisierten wiederholt, dass eine Bodenoffensive folgen könnte, wovor Russland, der Iran und die USA warnten. Die USA haben zur „sofortigen Deeskalation“ aufgerufen. Größte Sorge in Washington war, dass eine türkische Offensive im Nordirak der Terrormiliz IS in die Hände spielt. Zellen des IS sind in Syrien immer noch aktiv. Die YPG ist ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen den IS. Tausende ehemalige IS-Kämpfer sitzen in Gefängnissen, die von der Kurdenmiliz kontrolliert werden. Eine Schlüsselrolle für die türkische Syrien-Strategie spielt Russland. Präsident Wladimir Putin war der wichtigste politische und militärische Verbündete des syrischen Machthabers Bashar al-Assad.
Die russischen Streitkräfte hatten die Lufthoheit über Syrien. Für eine Bodenoffensive brauchte Erdoğan zumindest die Duldung Moskaus. Auch auf Bestreben Moskaus gab es Normalisierungsbemühungen zwischen Ankara und Damaskus. Syriens Außenminister betonte im Mai 2023 allerdings, dass es zu keiner Normalisierung der beiden Länder kommen werde, solange die Türkei syrisches Staatsgebiet besetzt halte. Die syrischen Kurden befürchteten, dass Präsident Assad im Gegenzug für einen vollständigen Rückzug der Türkei aus Syrien einem härteren Vorgehen gegen die YPG zustimmen könnte. Analysten gingen Anfang 2023 allerdings davon aus, dass ein vollständiger Rückzug der Türkei in naher Zukunft aus einer Reihe von Gründen unwahrscheinlich sei und sich wahrscheinlich als äußerst kompliziert erweisen werde.
[…]
In den von der Türkei besetzten und kontrollierten Gebieten in Nordwest- und Nordzentral-Syrien ist die SIG die nominelle Regierungsbehörde. Innerhalb der von der Türkei kontrollierten Zone ist eine von der Türkei unterstützte Koalition bewaffneter Gruppen, die Syrische Nationale Armee (SNA) - nicht zu verwechseln mit Assads Syrischen Streitkräften -, mächtiger als die SIG, die sie routinemäßig ignoriert oder außer Kraft setzt. Beide wiederum operieren de facto unter der Autorität der Türkei.
Die von der Türkei unterstützten Oppositionskräfte bildeten nach ihrer Machtübernahme 2016 bzw. 2018 in diesem Gebiet Lokalräte, die administrativ mit den angrenzenden Provinzen der Türkei verbunden sind. Laut einem Forscher des Omran Center for Strategic Studies können die Lokalräte keine strategischen Entscheidungen treffen, ohne nicht die entsprechenden türkischen Gouverneure einzubinden. Gemäß anderen Quellen variiert der Abhängigkeitsgrad der Lokalräte von den türkischen Behörden von einem Rat zum nächsten. Die Anwesenheit der Türkei bringt ein gewisses Maß an Stabilität, aber ihre Abhängigkeit von undisziplinierten lokalen Vertretern, ihre Unfähigkeit, die Fraktionsbildung unter den Dutzenden bewaffneter Gruppen, die mit der SNA verbunden sind, zu überwinden, und ihre Toleranz gegenüber deren Missbrauch und Ausbeutung der Zivilbevölkerung haben dazu geführt, dass ihre Kontrollzone die am wenigsten sichere und am brutalsten regierte im Norden Syriens ist.
[…]“
1.2. Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat:
1.2.1. Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation zu Syrien „Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht“ vom 10.12.2024:
„Am frühen Morgen des 08.12.2024 verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 08.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 09.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 08.12.2024). Das Armeekommando hat die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 08.12.2024).
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 08.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde in Russland Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 09.12.2024).
Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 06.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zor im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 07.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 07.12.2024).“
1.2.2. Die folgende Karte zeigt die Gebietskontrolle der Akteure mit Stand zum 28.03.2025:
(vgl. https://syria.liveuamap.com/, Zugriff am 28.03.2025 sowie Einschau am 28.03.2025)
1.2.3. Die folgende Karte zeigt einen Kartenausschnitt, in dem nach Angaben des BF der Herkunftsort des BF sein syrischer Herkunftsort mit der Bezeichnung „Saghur“ befindet. Er befindet sich im nordwestlichsten Gebiet Syriens und wird seit April 2018 und auch aktuell von SNA/FSA, türkischen Streitkräften bzw. pro-türkische Milizen kontrolliert:
(vgl. https://syria.liveuamap.com/, Zugriff am 28.03.2025 sowie Einschau am 28.03.2025)
1.3. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer trägt den Namen XXXX . Er wurde am XXXX im vom BF selbst mit „Saghur“ bezeichneten syrischen Ort im Distrikt Afrin im Gouvernement Aleppo geboren. Auf https://syria.liveuamap.com wird dieser Ort als „Ad-Dib as-Saghir“ bezeichnet. Der BF ist damit aktuell 37 Jahre alt. Der syrische Geburtsort des Beschwerdeführers, der auch der letzte Aufenthaltsort des BF in Syrien war, zu welchem er unter Berücksichtigung der Entscheidung des VwGH vom 24.01.2025, Ra 2024/14/0145-13, eine starke Beziehung hat, und damit auch das syrische Herkunftsgebiet des BF wird aktuell von SNA/FSA, türkischen Streitkräften bzw. pro-türkischen Milizen kontrolliert.
Der BF ist syrischer Staatsbürger und Angehöriger der Volksgruppe der Kurden sowie sunnitischer Muslime. Er ist mit XXXX verheiratet. XXXX wurde ebenfalls in „Saghur“ geboren. Der BF und XXXX haben miteinander vier Kinder, wobei die älteste Tochter XXXX ebenfalls in „Saghur“ geboren wurde.
Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Kurmandschi (Nordkurdisch); er spricht und versteht aber auch ausgezeichnet Arabisch.
Der Beschwerdeführer ist gesund, arbeitsfähig und strafgerichtlich unbescholten.
Im Jahr 2014 hat der Beschwerdeführer sein syrisches Herkunftsgebiet verlassen und sich ca. zehn Jahre lang in der Türkei aufgehalten. Anfang des Jahres 2024 verließ er ohne seine Ehefrau und ohne seine vier Kinder, die er in der Türkei zurückließ, die Türkei und reiste schlepperunterstützt über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn bis nach Österreich, wo er am 02.05.2024 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
1.4. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
1.4.1. Für männliche syrische Staatsbürger war im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes in der syrisch-arabischen Armee (SAA) des syrischen Assad-Regimes gesetzlich verpflichtend. Zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das erkennende Gericht war das syrische Assad-Regime bereits gestürzt und hatte überall in Syrien, insbesondere im syrischen Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers die Kontrolle verloren. Alle Soldaten des ehemaligen syrischen Assad-Militärs wurden vom syrischen Armeekommando außer Dienst gestellt. Es ist derzeit nicht absehbar, ob auch die neue erst im Aufbau befindliche syrische Administration nach der „Assad-Zeit“ an einer allgemeinen Wehrpflicht für Männer in Syrien festhalten wird. Jedenfalls werden aktuell keine Wehrpflichtigen zu einem Militärdienst beim syrischen Assad-Militär eingezogen. Damit kann eine asylrelevante Verfolgungsgefahr aufgrund einer Verweigerung einer Rekrutierung zum Reservewehrdienst in der syrischen Assad-Armee nicht festgestellt werden. Der BF hat eine damit in Zusammenhang stehende asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht.
1.4.2. Damit ist auch eine Verfolgung des BF wo auch immer in Syrien durch syrische Assad-Kräfte - sei es hinsichtlich einer Zwangsrekrutierung zu einem Militärdienst, sei es aus anderen Gründen – auch infolge einer ihm allenfalls unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung gegenüber dem syrischen Assad-Regime auszuschließen.
1.4.3. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden asylrelevant verfolgt wird, insbesondere da eine Kurden-Volksgruppenzugehörigkeit unter den Konventionsgrund der „bestimmten sozialen Gruppe“ gepaart mit dem Konventionsgrund der „Nationalität“, sowie dem Konventionsgrund der „Rasse“ subsumiert werden kann. Auch wenn die Volksgruppe der Kurden über keinen eigenen Staat verfügt, kann von einer „Nation der Kurden“ gesprochen werden, wobei sich der Aufenthalt der Mitglieder dieser Nation auf mehrere Nationalstaaten (insbesondere Türkei, Syrien, Irak und Iran) verteilt. Unter Berücksichtigung der sowohl vom VfGH, als auch vom VwGH zuerkannten Indizwirkung von Berichten internationaler Organisationen gelangt das erkennende Gericht zur Auffassung, dass nicht mit der erforderlichen gesicherten Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden im Falle einer Rückkehr in sein syrisches Herkunftsgebiet aktuell von SNA/FSA, türkischen Streitkräften bzw. pro-türkischen Milizen verfolgt wird. Insbesondere EUAA gelangt in ihrem Bericht „EUAA-Country Guidance: Syria“ vom April 2024 sehr klar zur Auffassung, dass „bei Kurden aus Gebieten, die von der SNA kontrolliert werden, die begründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen nachgewiesen wäre.“
Es ist vom erkennenden Gericht in diesem Zusammenhang nicht festzustellen, dass der BF bei einer Rückkehr in sein syrisches Herkunftsgebiet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit asylrelevant verfolgt werden wird. Dieser Nachweis ist bei einer ausschließlich hypothetischen Betrachtung auch nicht erbringbar. Es ist vom erkennenden Gericht nur festzustellen, ob der BF bei einer Rückkehr in sein syrisches Herkunftsgebiet gefährdet sein könnte, mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit asylrelevant verfolgt zu werden, was angesichts der vorliegenden Berichtslage und unter Berücksichtigung der von VwGH und VfGH judizierten Indizwirkung, die Berichten anerkannter einschlägiger Organisationen, wie UNHCR und EUAA beizumessen ist, in der gegenständlichen Angelegenheit auf den Einzelfall abgestellt, vom BVwG als gegeben festgestellt wird, obwohl nicht gesichert festgestellt werden, kann, dass der BF bei einer Rückkehr in sein syrisches Herkunftsgebiet auch tatsächlich asylrelevant verfolgt werden würde.
1.4.4. Dazu wird in den immer noch aktuellsten UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen; 6. aktualisierte Fassung vom März 2021 Folgendes ausgeführt:
„Sicherheit in Gebieten, die de facto von der Syrischen Nationalen Armee kontrolliert werden:
a) Sicherheit in Gebieten der „Operation Schutzschild Euphrat“ und der „Operation Olivenzweig“:
Meldungen zufolge sind Dutzende bewaffneter Gruppen, die vor allem unter dem Dach der SNA operieren, in Afrin und den angrenzenden Distrikten (Azaz, al-Bab, Jarablus) aktiv. Die instabile Sicherheitslage manifestiert sich in regelmäßigen internen Machtkämpfen zwischen bewaffneten Gruppen, die mit der SNA verbunden sind, USBV-Anschlägen und sonstigen Angriffen auf Zivilpersonen und militärische Ziele in den Orten Afrin, Azaz, al-Bab und Jarablus sowie deren Umgebung, häufigen Fällen von Erpressung, Plünderung und illegaler Beschlagnahme von Eigentum, Entführungen und Ermordungen sowie einem allgemeinen Zustand der Rechtslosigkeit und einer hohen Kriminalitätsrate.
In den Frontgebieten kommt es regelmäßig zu Zusammenstößen bewaffneter Gruppen, die der SNA verbunden sind, mit Regierungstruppen und den SDF/YPG. Darüber hinaus wird gemeldet, dass die SDF/YPG und ihre örtlichen Verbündeten für Attacken auf Zivilisten und mit der SNA verbündete Gruppen verantwortlich sind, einschließlich der Verwendung von Autobomben und dem Artilleriebeschuss ziviler Gebiete.
ISIS ist Berichten zufolge in dem Gebiet weiterhin operativ präsent und hat sich für mehrere Angriffe gegen türkische Truppen und die SNA verantwortlich erklärt.
Im historisch kurdischen Afrin nehmen die ethnischen Spannungen Berichten zufolge zu, was auf die Vertreibung einer großen Zahl mehrheitlich kurdischer Einwohner und die Neuansiedlung von Arabern aus anderen Landesteilen zurückzuführen ist.“
sowie:
„Bewaffnete Gruppen, die mit der Syrischen Nationalen Armee verbunden sind:
In den Gebieten, die von SNA-nahen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, ist die Situation der Menschenrechte laut Berichten „bedrückend und voller Gewalt und Kriminalität“.
a) Gebiete der „Operation Schutzschild Euphrat“ und der „Operation Olivenzweig“:
Mit der SNA verbundene bewaffnete Gruppen wurden beschuldigt, Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen gegenüber Zivilpersonen begangen zu haben, einschließlich Erpressung, Plünderung, rechtswidriger Beschlagnahme und Zerstörung von Eigentum, Entführung, rechtswidrigem Freiheitsentzug, Verschwindenlassen, Folter und sonstigen Formen der Misshandlung sowie Vergewaltigung und sonstigen Formen sexueller Gewalt, wobei oftmals Personen kurdischer Abstammung sowie Menschen, die tatsächlich oder vermeintlich Gegner dieser bewaffneten Gruppen sind, ins Visier genommen wurden. IICISyria zufolge haben SNA-nahe bewaffnete Gruppen wiederholt Kriegsverbrechen in Form von Plünderung, Geiselnahme, grausamer Behandlung, Folter und Vergewaltigung begangen. Ferner stellte IICISyria fest, dass diese Gruppen „für das Kriegsverbrechen der Zerstörung oder Beschlagnahme feindlichen Eigentums verantwortlich sein“ könnten. Mehrere Quellen berichten, dass SNA-nahe bewaffnete Gruppen solche Taten ungestraft begehen.
SNA-nahe bewaffnete Gruppen wurden zudem beschuldigt, religiöse und archäologische Stätten geplündert und zerstört zu haben und in einigen Fällen landwirtschaftliche Anbauflächen in SDF-kontrollierten Gebieten nahe der Front absichtlich in Brand gesetzt zu haben.
Den Meldungen zufolge haben mit der SNA verbundene bewaffnete Gruppen außerdem Vorschriften in Bezug auf die Kleidung, das Verhalten und die sozialen Interaktionen von Frauen erlassen, und ihnen wurde zur Last gelegt, Frauen gezielt ins Visier genommen und belästigt, zwangsverheiratet, vergewaltigt oder sonstigen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt und entführt zu haben. In einigen Fällen wurden auch Personen angegriffen, denen vorgeworfen wurde, gegen die von diesen Gruppen vertretene strenge Auslegung des Islam verstoßen zu haben.
Berichten zufolge rekrutieren SNA-nahe bewaffnete Gruppen Minderjährige in den Gebieten, die de facto unter ihrer Kontrolle stehen, einschließlich für Einsätze in Libyen.“
und
„Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner SNA-naher bewaffneter Gruppen sind und sich in Gebieten aufhalten, die de facto unter ihrer Kontrolle stehen:
a) Gebiete der „Operation Schutzschild Euphrat“ und der „Operation Olivenzweig“:
Bewaffnete Gruppen, die mit der Syrischen Nationalen Armee verbunden sind, haben Berichten zufolge Personen ins Visier genommen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner dieser Gruppen sind, einschließlich Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der AANES und den SDF/PYD/YPG verbunden sind, sowie allgemein kurdische und jesidische Zivilpersonen, Journalisten und Aktivisten. Im gesamten Gebiet der Operation „Schutzschild Euphrat“ und der Operation „Olivenzweig“ sind Zivilpersonen mit diesem Profil gezielt zum Opfer von Erpressungen, Entführungen, rechtswidrigem Freiheitsentzug, Folter und sonstigen Formen der Misshandlung sowie Plünderungen und rechtswidriger Beschlagnahme von Eigentum geworden. Beobachter stellen fest, dass SNA-nahe Gruppen versuchen, die ethnische und religiöse Zusammensetzung kurdisch dominierter Gebiete zu verändern.
Berichten zufolge werden mitunter Personen aufgrund ihrer familiären Beziehungen Opfer von Angriffen SNA-naher Gruppen.“
1.4.5. Die „EUAA-Country Guidance: Syria“ vom April 2024 enthalten hinsichtlich einer allfälligen Verfolgung von Kurden in der verfahrensgegenständlichen Angelegenheit folgende relevanten Ausführungen:
„Kurds also inhabit areas which came under the control of Turkish-backed SNA. Since 2018, thousands of internally displaced Syrian Arabs, fighters’ families and Turkmen were relocated to Afrin in Aleppo governorate, with Türkiye’s support, while more than half of the Kurdish population had left. The Kurdish population in Afrin drastically dropped from over 90% to about 25 %, as of May 2021. Shelter continued to be particularly problematic for Kurdish residents as their property was often looted or occupied by IDPs from GoS-controlled areas or families of SNA fighters. Others were forced to leave their homes through threats, extortion, detention and abduction by SNA-affiliated local militia groups. Similar incidents were reported in Raqqa and Hasaka governorates. Further, the authorities in Afrin ceased to issue official documents in the Kurdish language, traffic signs and other institutional signs were changed into Arabic and Turkish, and the Kurdish school curriculum was replaced. Kurdish neighbourhoods were reportedly discriminated when it came to the provision of services such as electricity supplies and road network maintenance.
Sources reported that the SNA continued to commit abuses such as arbitrary detention, abduction, as well as torture and ill treatment against civilians, predominantly of Kurdish origin in Afrin and Ras al Ain (Kobane). One source reported that some detained people in Afrin „were arrested for the simple fact that they were Kurds“. There was also information about Kurdish women in Afrin and Ras al Ain (Kobane) facing intimidation by SNA faction members that made them unable to leave home. Detained women were also reportedly subject to rape and sexual violence and some abducted or forced into marriage.
Conclusions and guidance:
Acts reported to be committed against individuals under this profile are of such severe nature that they amount to persecution (e.g. militia violence, illegal detention, kidnapping, killing, enforced disappearance). When the acts in question are (solely) discriminatory measures, the individual assessment of whether discrimination could amount to persecution should take into account the severity and/or repetitiveness of the acts or whether they occur as an accumulation of various measures.
For Kurds from areas under the control of the SNA, well-founded fear of persecution would in general be substantiated.
In the case of other Kurds, the individual assessment of whether there is a reasonable degree of likelihood for the applicant to face persecution should take into account risk-impacting circumstances such as: statelessness, identity document, area of origin and/or residency, etc.
Available information indicates that persecution of this profile may be for reasons of race, nationality (statelessness) and/or (imputed) political opinion.“
1.4.6. Schließlich kann der Anfragebeantwortung zu Syrien: Lage von Kurdinnen in türkisch kontrollierten Gebieten (Einsatz von Gewalt, extralegalen Mitteln, Marginalisierung durch die Türkei bzw. mit der Türkei verbündeten Milizen; in welchen Gebieten/Regionen); Lage im Dorf al Thamad in der Nähe der Stadt Ras Al-Ayn in der Provinz Al-Hasakah [a-12487] vom 22.11.2024 auszugsweise Folgendes entnommen werden:
„… Laut Human Rights Watch (HRW) würden die türkischen Behörden die Volksverteidigungseinheit (YPG) und die Frauenverteidigungseinheit (YPJ), die größten Komponenten der kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), welche sie als Terrororganisation ansehen würden, gleichsetzen. Aus diesem Grund hätten Kurd·innen, die als loyal gegenüber der SDF angesehen würden, weil sie in der Vergangenheit in Gebieten unter SDF-Kontrolle gelebt und ihr Land bewirtschaftet hätten, die Hauptlast der dokumentierten Übergriffe getragen. … Laut HRW seien seit der Übernahme von Afrin im Jahr 2018 und Ras Al-Ayn im Oktober 2019 zahlreiche Menschen willkürlich festgenommen und inhaftiert worden, gewaltsam verschwunden, gefoltert und anderweitig misshandelt und unfairen Militärprozessen unterzogen worden. … Das Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) schreibt im März 2024, dass willkürliche Inhaftierungen, Folter und Erpressungen (besonders in Ras Al-Ayn und Tell Abyad) 2023 ein zentraler Bestandteil der türkischen und SNA-Führung gewesen seien. Die Übergriffe hätten laut SJAC oft auf die kurdische Gemeinschaft abgezielt. …
… Ein Großteil der Zivilbevölkerung in Afrin, insbesondere die kurdische Bevölkerung, lebe in ständiger Angst vor Gewalt, vor allem durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationalarmee (SNA). Eine Kultur der Straflosigkeit ermögliche häufige Übergriffe auf die lokale Bevölkerung. Vor allem kurdische Zivilist·innen würden unter dem Vorwand einer angeblichen Zugehörigkeit zur früheren kurdisch geführten Regierung willkürlich festgenommen. Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen seien alltäglich für Zivilist·innen in Afrin und würden von verschiedenen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen ausgehen. Sie würden insbesondere auf Kurd·innen abzielen, unabhängig von deren Alter, Geschlecht oder Beruf. Die Beschlagnahmung von Eigentum stehe im Zusammenhang mit den Festnahmen. …
Das Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) berichtet, dass seit Beginn der türkischen Kontrolle Afrins bis Mitte März 2024 über 8.729 kurdische Zivilist·innen aus Afrin verhaftet worden seien, von denen 1.123 mit Stand März 2024 weiterhin inhaftiert seien. Die anderen seien freigelassen worden, nachdem die meisten von ihnen hohe Lösegeldzahlungen an die SNA geleistet hätten. …
… Laut HRW gebe es zwar Zivilgerichte, Personen, denen vorgeworfen werde, kurdischen bewaffneten Gruppen anzugehören oder mit ihnen in Verbindung zu stehen, würden jedoch häufig von Militärgerichten verurteilt. Diesen mangle es an Unabhängigkeit. Richter würden dem militärischen Kommando und den Anweisungen ihrer Vorgesetzten unterliegen. Häftlingen werde ein Rechtsbeistand verweigert und erzwungene Geständnisse würden oft als einziges Beweismittel verwendet werden. …
… Laut Ceasefire Centre for Civilan Rights und YASA seien Gefangene, überwiegend kurdische Zivilist·innen, in von der SNA betriebenen Haftanstalten systematischer Folter ausgesetzt, häufig, um Lösegeld von den Familien zu erpressen. …
… Syrians for Truth and Justice (STJ) schreibt im Juni 2024, dass eine Analyse von 65 Interviews – davon 45 Kurd·innen – mit Überlebenden und Familienmitglieder von Opfern von Folter in Afrin, Ras Al-Ayn und Tell Abyad zeige, dass Folter und Misshandlungen durch SNA-Fraktionen systematischer Natur seien und darauf abzielen würden, die lokale Bevölkerung, insbesondere Kurd·innen, einzuschüchtern, und sie dazu zu zwingen, ihre Häuser zu verlassen oder kontinuierlich Geldzahlungen zu tätigen.
Die unabhängige internationale Untersuchungskommission zu Syrien bestätigt in ihrem Bericht an den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN Human Rights Council (HRC)) vom August 2023 den Erhalt von Berichten über willkürliche Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen in von der SNA kontrollierten Gebieten, hauptsächlich durch Polizeikräfte der SNA. Viele der Opfer seien Kurd·innen, die verdächtigt würden, eine Verbindung zu den kurdischen Volksverteidigungseinheiten, den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) oder der Regierung zu haben. Der Bericht nennt zwei Beispiele von gefolterten Kurden aus Anfang 2023. Einer von ihnen sei in Ras Al-Ayn gefoltert worden, während der zweite in Ra’i (Provinz Aleppo, Anmerkung ACCORD) festgenommen worden sei. Im August 2024 listet die Kommission eine Reihe von Haftanstalten in Afrin, Dscharablus, Ras Al-Ayn, Sheikh Hadid, Afrin, Hawar Killis und I’zaz auf, in denen die Ausübung von Folter dokumentiert worden sei. Der Bericht beschreibt die Folterungen und Misshandlungen von Kurd·innen, sowie einer Araberin, der Verbindungen zur PKK nachgesagt worden seien, in den genannten Haftanstalten in den Jahren 2023 und 2024. Unter den misshandelten Kurd·innen sei auch ein 15-jähriger Junge gewesen. … Laut der Kommission würden Richter·innen die Beschwerden von Häftlingen mit sichtbaren Folterspuren weiterhin abweisen. Die Kommission berichtet weiters von zwei Kurd·innen die 2022 und 2023 von einem SNA-Mitglied bzw. einem Mitglied der Sultan-Murad-Division vergewaltigt bzw. sexuell angegriffen worden seien.
HRW berichtet von 16 interviewten ehemaligen Häftlingen, die in Haftanstalten unterschiedlicher Fraktionen in Afrin wie auch Ras Al-Ayn Opfer und Zeug·innen von Folter und anderen Misshandlungen geworden seien. HRW habe mit vier Frauen gesprochen, die in den Haftanstalten der SNA-Fraktionen und der Militärpolizei in Afrin sexuelle Gewalt selbst erlebt und beobachtet hätten. Ein Mann sei von Gefängniswärtern dazu gezwungen worden, Zeuge einer Gruppenvergewaltigung zweier kurdischer Frauen zu sein. Alle dokumentierten Fälle hätten sich zwischen Jänner 2018 und Juli 2022 in Afrin ereignet und seien an Kurd·innen verübt worden. … Ceasefire Centre for Civilan Rights und YASA dokumentierten Vorfälle gezielter außergerichtlicher Tötungen durch bewaffnete Gruppen und den türkischen Geheimdienst. … HRW schreibt im Februar 2024, dass Bewohner·innen und Rückkehrer·innen, die es wagen würden, sich gegen die Beschlagnahmungen und Plünderungen zu wehren, der Gefahr willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung, Folter und Misshandlung, Entführung und des erzwungenen Verschwindenlassens ausgesetzt seien. HRW habe mit 36 Personen, 20 aus Afrin, allesamt Kurd·innen, und 15 aus Ras al-Ayn, davon 4 Kurd·innen, 8 Araber·innen, zwei Jesid·innen und ein Mitglied einer religiösen Minderheit, gesprochen, die von der Verletzung ihrer Wohn-, Land- und Eigentumsrechte oder der Rechte ihrer Familienangehörigen erzählt hätten.
Laut der North Press Agency (NPA) seien viele Kurd·innen aus Afrin gezwungen, Häuser zu mieten oder obdachlos zu sein, weil die SNA ihre Häuser beschlagnahmt habe und sich weigere, die Häuser ihren Eigentümern zurückzugeben. Die SNA habe damit begonnen, diese Häuser und das Eigentum der ursprünglichen Bewohner·innen Afrins zu niedrigen Preisen an ihre Mitglieder oder Siedler aus anderen Gebieten zu verkaufen.
STJ berichtet im November 2023, dass laut von ihnen gesammelten Zeugenaussagen es in fast allen Bezirken Afrins zu Beschlagnahmungen von Zivileigentum gekommen sei. Zusammenarbeit mit der AANES und Mitgliedschaft in der PKK seien als Grund für die Beschlagnahmung von Eigentum genannt worden. Es sei jedoch auch Eigentum von Kurd·innen beschlagnahmt worden, die keine nachgewiesenen Verbindungen zu den zivilen oder militärischen Institutionen der AANES gehabt hätten. Die Beschlagnahmungen seien so umfangreich, dass ganze Dörfer oder große Teile von Dörfern, mit den dazugehörigen landwirtschaftlichen Flächen, beschlagnahmt worden seien und es den Einheimischen weiterhin nicht erlaubt sei, in die Dörfer zurückzukehren.
NPA berichtet, dass es in Ras Al-Ayn (auch Sere Kaniye genannt) und Tell Abyad zu Massenvertreibung gekommen sei. Laut NPA sei die kurdische Bevölkerung von Ras Al-Ayn von rund 70.000 auf 42 Personen geschrumpft. In Tell Abyad hätten Kurd·innen früher 30 Prozent der Bevölkerung ausgemacht. Es seien mit Oktober 2024 nur noch wenige Familien übrig“.
Die von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen der SNA verhinderten, dass Menschen im Bezirk Afrin in der Provinz Aleppo nach den Erdbeben Hilfe erhielten. Sie schossen in die Luft, um Menschenmengen zu zerstreuen, die Hilfsgüter von Lastwagen in Empfang nehmen wollten, und zweigten Hilfsgüter für ihre eigenen Angehörigen ab.
Vier von Amnesty International befragte Personen bestätigten, dass die SNA mindestens 30 Lastwagen mit Kraftstoff und anderen Hilfsgütern der kurdischen Autonomieverwaltung daran hinderte, in Gebiete unter Kontrolle der SNA zu gelangen. Die Lastwagen warteten sieben Tage lang vergeblich am Grenzübergang zwischen Nordostsyrien und dem Norden der Provinz Aleppo, bevor die Autonomieverwaltung sie zurückbeorderte. Ein kurdischer Mann im Bezirk Afrin, dessen Haus bei den Erdbeben zerstört worden war, berichtete Amnesty International, dass man ‚Beziehungen‘ (wasta) zu den bewaffneten Gruppen benötige, um Hilfe zu erhalten, und dass niemand gekommen sei, um zu helfen.“
Auch Ceasefire Centre for Civilan Rights und YASA berichten über ungerechte Verteilung von Hilfsgütern und die Diskriminierung vor allem gegen lokale kurdische Gruppen in Dschinderes. Der Präsident des Zivilrats von Dschinderes habe den Vorwurf der Diskriminierung bestritten.
Die Hawar News Agency (ANHA) zitiert im Mai 2024 den Menschenrechtsaktivisten Ibrahim Sheikho. Laut Sheikho würden Schulen gezwungen, Türkisch zu unterrichten. Kurdischen Sprachunterricht gebe es nur ein oder zwei Mal pro Woche.
Ceasefire Centre for Civilan Rights und YASA erklären in ihrem Bericht über die Situation in Afrin, dass Türkisch und Arabisch als Pflichtfächer in den Schulen unterrichtet würden, während die kurdische Sprache nur zwei Mal pro Woche unterrichtet werde und der Unterricht optional sei.
Laut Yek.Dem sei die kurdische Sprache seit 2018 bewusst vernachlässigt worden und die Lehrpläne seien im Zuge einer Türkisierung bzw. Arabisierung des Gebiets vollkommen verändert worden.
Laut dem oben genannten Ibrahim Sheikho sei Kurd·innen in Afrin das Tragen von Waffen verboten, während es Siedlern („settlers“) gestattet sei.
Laut HRW würden Fraktionen der SNA und der Militärpartei, die Menschenrechtsverletzungen verübt hätten, in türkisch kontrollierten Gebieten sehr selten angemessen zur Rechenschaft gezogen. Es würden keine öffentlichen Informationen darüber vorliegen, ob die Türkei gegen ihre eigenen Beamt·innen wegen ihrer Mitschuld an inhaftierungsbezogenen Missbräuchen und Verletzungen von Wohn-, Land- und Eigentumsrechten in den von ihr kontrollierten Gebieten ermittelt oder sie zur Rechenschaft gezogen hat.“
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt der dem BVwG vom BFA vorgelegten Unterlagen im gegenständlichen Beschwerdeverfahren.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität (Name, Geburtsdatum und –ort und Nationalität) des BF ergeben sich aus seinen Angaben bei seiner Erstbefragung, vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und den von ihm im Asylverfahren vorgelegten Dokumenten, insbesondere seinem syrischen Personalausweis.
Der Beschwerdeführer hat im gesamten Verfahren nicht immer gleichbleibende Angaben zu seiner Herkunft gemacht. So hat er in der Beschwerdeverhandlung angegeben, dass er in der Stadt Aleppo geboren sei. Das erkennende Gericht vermutet, dass der BF zwischen Aleppo Stadt und dem Gouvernement Aleppo, in dem sich auch sein tatsächlicher Geburtsort im Distrikt Afrin befindet, nicht unterscheidet und wahrscheinlich entweder die Frage nicht richtig verstanden hat, bzw. überhaupt die Übersetzung der Frage durch die Dolmetscherin nicht abgewartet hat. Der BF war in der Beschwerdeverhandlung offensichtlich nicht in der Lage wirklich konzentriert zuzuhören, sodass er vom verhandelnden Richter auch mehrfach hingewiesen wurde zuzuhören und auf Fragen zu antworten, anstelle allenfalls vorbereitete Ausführungen an Stellen, wo diese Ausführungen nicht sinnvoll waren, loszuwerden. Der Geburtsort ist auf seinem syrischen Personalausweis vermerkt. Dieser Angabe auf seinem syrischen Personalausweis wird geglaubt. Die vorgelegte Kopie seines syrischen Familienregisterauszuges enthält auch den Geburtsort seiner Ehefrau und jene seiner Kinder. Da sowohl der BF selbst, seine Ehefrau und seine älteste Tochter XXXX in „Saghur“ geboren wurde und dieses Dorf auch das Herkunftsdorf seiner eigenen Familie ist, wo sich auch das Haus seines Vaters befindet, in welchem er sich zuletzt niedergelassen hatte, bevor er Syrien verlassen hat, steht für das erkennende Gericht fest, dass der BF zu „Saghur“ eine enge Beziehung hat und dieses Dorf auch als sein syrischer Herkunftsort bezeichnet werden kann bzw. bezeichnet werden muss. Seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden hat er durch seine ausgezeichneten Sprachkenntnisse der Sprache Kurmandschi nachgewiesen. Das erkennende Gericht glaubt ihm auch, dass er Muslim bzw. Sunnite ist.
Seine familiären Beziehungen zu seiner Ehefrau und seine vier Kinder hat er durch die Ablichtung eines Auszuges aus dem syrischen Familienregister glaubhaft gemacht.
Dass der Beschwerdeführer in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist aktenkundig.
Die Feststellung, dass „Saghur“ im Distrikt Afrin im Gouvernement Aleppo, der Herkunftsort des Beschwerdeführers, aktuell von SNA/FSA, türkischen Streitkräften bzw. pro-türkischen Milizen kontrolliert wird, ergibt sich aus einer Internetabfrage auf https://syria.liveuamap.com/de, sowie aus dem immer noch aktuellsten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 27.03.2024 sowie der ACCORD-Anfragebeantwortung zu Syrien „Lage von Kurdinnen in Türkisch kontrollierten Gebieten (Einsatz von Gewalt, extralegalen Mitteln, Marginalisierung durch die Türkei bzw. mit der Türkei verbündeten Milizen; in welchen Gebieten/Regionen); Lage im Dorf al Thamad in der Nähe der Stadt Ras Al-Ayn in der Provinz Al-Hasakah [a-12487]“ vom 22.11.2024.
Davon, dass der BF gesund und arbeitsfähig ist, konnte sich das erkennende Gericht in der Beschwerdeverhandlung selbst überzeugen. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister des BF.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Der Beschwerdeführer hat in seinen Ausführungen im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA und in der Beschwerde zusammengefasst vorgebracht, dass er befürchte, im Falle seiner Rückkehr nach Syrien vom syrischem Regime verfolgt zu werden, weil er einen Reservewehrdienst beim syrischen Assad-Militär verweigere.
Selbst wenn die Behauptung des Beschwerdeführers stimmen würden, dass er in seinem türkisch kontrollierten Herkunftsort einen ihm aufgezwungenen Reservewehrdienst beim syrischen Assad-Militär tatsächlich verweigern würde, wird darauf hingewiesen, dass sich aus dem aktuellsten Kurz-Länderbericht zu Syrien und der medialen Berichterstattung ergibt, dass das syrische Regime am 08.12.2024 gestürzt wurde und Staatspräsident Baschar al-Assad Syrien Richtung Russland verlassen hat. Oppositionelle Kräfte und kurdische Kämpfer kontrollieren nun Syrien. Da das syrische Assad-Regime die Kontrolle über Syrien verloren hat, ist es diesem faktisch nicht mehr möglich, den BF zu verfolgen. Das gesamte Vorbringen des BF in Bezug auf die Befürchtung einer möglichen Verfolgung durch das syrische Regime geht daher ins Leere, da das syrische Regime aufgehört hat zu existieren und daher keine Verfolgung durch dieses – auch aus allen vom BF genannten Gründen – mehr vorliegen kann.
2.2.2. Sofern der Beschwerdeführer jedoch eine Verfolgung durch SNA/FSA, türkischen Streitkräften bzw. pro-türkischen Milizen behauptet, weil er der Volksgruppe der Kurden angehört, hat er eine solche drohende Verfolgungsgefahr angesichts der in dieser Entscheidung über weite Strecken wörtlich wiedergegebenen Berichte über die Lage der Kurden in seinem syrischen Herkunftsgebiet glaubhaft gemacht. In diesen Berichten wird für Kurden ein Bild gezeichnet, dass dazu führt, dass Kurden generell und unabhängig von einer Nahebeziehung zu politischen oder militärischen kurdischen Gruppierungen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gefährdet sind, Opfer von Übergriffen durch SNA/FSA, türkische Streitkräfte bzw. pro-türkischen Milizen zu werden, die ein asylrelevantes Ausmaß erreichen.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Beschwerdeverfahren vom BVwG eingebrachten Länderberichten, hinsichtlich derer auch im Vorfeld der beim BVwG abgehaltenen mündlichen Verhandlung das Parteiengehör durchgeführt wurde. Dabei ist besonders auf die mediale Berichterstattung und die Kurzinformationen der Staatendokumentation zu Syrien – „Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht“ vom 10.12.2024 hinzuweisen, welche auf öffentlich zugänglichen Medienberichten aufbaut und daher der Entscheidung zugrunde gelegt werden konnte. Für das BVwG bestand kein Grund, an der Richtigkeit der Länderberichte bzw. der stringenten medialen Berichterstattung zu zweifeln.
Der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertretung haben gegen die ins Verfahren eingebrachten Berichte zwar eingewendet, dass eine Voraussetzung für die Entscheidungsreife das Vorliegen neuer Länderberichte zu Syrien wäre. Sie haben jedoch nicht dargelegt, was an den medialen Berichten und den Kurzinformationen der Staatendokumentation zu Syrien nicht mehr stimmen würde. Sie haben auch keine neuen Berichte oder Kurzinformationen jüngeren Datums vorgelegt, sodass die ins Verfahren eingebrachten Berichte ungekürzt und unwidersprochen in voller Länge dem Beschwerdeverfahren zugrunde gelegt werden können.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:
3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
…“
3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.1.3. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates oder wegen Schutzes in einem EWR-Staat oder in der Schweiz zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).
3.1.4. Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist ein Flüchtling, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
3.1.5. Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist somit die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.).
3.1.6. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
3.1.7. Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 2005 setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627). Nach ständiger Rechtsprechung stellt im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 04.11.1992, 92/01/0560). Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.
3.1.8. Im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erscheint es nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (vgl. VwGH 08.07.1993, 92/01/1000; VwGH 30.11.1992, 92/01/0832; VwGH 20.05.1992, 92/01/0407; VwGH 19.09.1990, 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, 92/01/0181). Auch unbestrittenen Divergenzen zwischen den Angaben eines Asylwerbers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung und dem Inhalt seines schriftlichen Asylantrages sind bei schlüssigen Argumenten der Behörde, gegen die in der Beschwerde nichts Entscheidendes vorgebracht wird, geeignet, dem Vorbringen des Asylwerbers die Glaubwürdigkeit zu versagen (Vgl. VwGH 21.06.1994, 94/20/0140). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, 2001/20/0006, zum Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH 23.01.1997, 95/20/0303 zu Widersprüchen bei einer mehr als vier Jahre nach der Flucht erfolgten Einvernahme hinsichtlich der Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in seinem Heimatdorf nach seiner Haftentlassung) können für sich allein nicht ausreichen, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. dazu auch VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).
3.1.9. Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es zudem nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; VwGH 16.02.2000, 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können jedoch im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).
3.1.10. Einzelfallrelevant kann aber immer nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Die Verfolgungsgefahr muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
3.1.11. Die Verfolgungsgefahr muss ferner dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (VwGH 27.01.2000, 99/20/0519). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; VwGH 23.07.1999, 99/20/0208; VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
3.1.12. Im Asylverfahren ist lediglich die Glaubhaftmachung der Fluchtgründe und nicht ein strikter Beweis erforderlich. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit.
Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, Zl. 2005/17/0252). Es genügt, wenn der Betreffende die Behörde von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Vorliegens, der zu bescheinigenden Tatsache überzeugt (VwGH 11.11.1991, Zl. 91/19/0143; Hengstschläger/Leeb, AVG II [2005] § 45 Rz 3 mwN). Nach der Judikatur ist die Wahrscheinlichkeit dann gegeben, wenn die für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Erscheinungen, wenn auch noch so geringfügig, gegenüber den im entgegengesetzten Sinn verwertbaren Erscheinungen überwiegen (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 324 mwN).
Es entspricht der ständigen Judikatur des VwGH, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens – niederschriftlichen Einvernahmen –unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen, oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650).
3.1.13. Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt zusammenfassend dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
3.2. Wie sich aus den obigen Feststellungen und der zugehörigen Beweiswürdigung ergibt, ist es dem Beschwerdeführer im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem BVwG gelungen, eine aktuelle, konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr maßgeblicher Intensität und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund eines Konventionsgrundes im Sinne der GFK ausgehend von SNA/FSA, türkischen Streitkräften bzw. pro-türkischen Milizen für den Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsregion des Beschwerdeführers in Syrien darzutun bzw. glaubhaft zu machen.
Insgesamt liegen somit Umstände vor, wonach es ausreichend wahrscheinlich ist, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimat in asylrelevanter Weise bedroht ist. Daher war dem Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten stattzugeben.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des BVwG auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.