JudikaturVfGH

E2684/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
28. November 2023

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein aus dem palästinensischen Autonomiegebiet des Gazastreifens (im Folgenden: Gaza) stammender staatenloser Palästinenser, der sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islams bekennt. Er ist beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East – UNRWA) als palästinensischer Flüchtling in Gaza registriert. Nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am 23. Juni 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er in der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, dass er eine Landwirtschaft in der Nähe einer palästinensischen Militärbasis betrieben habe, die ständig bombardiert werde. Daher hätten seine Frau und sein Kind große psychische Probleme und Angst um ihr Leben. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte der Beschwerdeführer zudem aus, er sei von Mitgliedern einer radikalen Gruppierung aufgefordert worden, ein Gerät – von dem er annehme, dass es mit Luftanschlägen zu tun habe – auf seinem Grundstück zu platzieren.

2. Mit Bescheid vom 5. April 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung nach Gaza zulässig sei und setzte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 11. Juli 2023 mit der Maßgabe ab, dass der Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides zu lauten habe: "Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 23.06.2021 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs3 Z2 iVm §2 Z13 und §6 Abs1 AsylG abgewiesen." Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes aus:

3.1. Der Beschwerdeführer sei als palästinensischer Flüchtling bei UNRWA registriert. Die behauptete Gefährdung durch radikale Islamisten sei nicht glaubwürdig. Daher sei der Beschwerdeführer nicht aus von ihm nicht zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen zum Verlassen des UNRWA Mandatsgebietes gezwungen gewesen. Er könne ferner nach seiner Rückkehr in seine Heimatregion die Unterstützung von UNRWA in Anspruch nehmen. Den Länderfeststellungen sei nicht zu entnehmen, dass UNRWA seine Aufgaben in Gaza wegen eines aktuellen innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes nicht mehr ausreichend wahrnehmen könne oder aus sonstigen Gründen nicht mehr vor Ort agieren würde. Im Ergebnis hätte der Beschwerdeführer den Schutz und Beistand des UNRWA in Anspruch nehmen können und er habe sich diesem Schutz freiwillig entzogen. Da dieser Schutz auch weiterhin gewährt werden könne, sei sein Wegzug nicht gerechtfertigt gewesen. Der Beschwerdeführer sei somit gemäß §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen.

3.2. Dem Beschwerdeführer sei auch nicht der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen: Es lägen zunächst keine Hinweise für das Vorliegen einer existenzbedrohenden Notlage vor, aus denen das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art2 bzw 3 EMRK abgeleitet werden könne. In Gaza herrsche auch kein landesweiter bewaffneter Konflikt, der für die Bewohner einen Aufenthalt unzumutbar machen würde. Es komme zwar gelegentlich zu bewaffneten Konflikten zwischen militanten palästinensischen Gruppierungen und israelischen Militärkräften, die mitunter auch mit zivilen Opfern in geringer Zahl einhergingen. Angesichts dessen sowie einer teils schwierigen allgemeinen Versorgungslage stelle sich die Lage in Gaza jedoch nicht dergestalt dar, dass jeder dort Lebende mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Verletzung seiner Rechte nach Art2 und 3 EMRK ausgesetzt werde. Dies auch zumal laut den herangezogenen Länderberichten nach der letztmaligen Eskalation der Lage zwischen Israel und Gaza im Mai 2021 nunmehr seit 21. Mai 2021 eine von Ägypten vermittelte Waffenruhe herrsche, auch wenn diese nicht umfassend eingehalten werde. Zur individuellen Versorgungslage des Beschwerdeführers führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dieser verfüge in Gaza über eine hinreichende Existenzgrundlage. Er sei ein mobiler, gesunder und arbeitsfähiger Mann, der über eine mehrjährige Schulausbildung und Berufserfahrung in der Geflügelzucht verfüge. Ferner lebten seine Eltern, Ehegattin sowie seine Tochter weiterhin in Gaza und es seien im Verfahren keine Hinweise hervorgekommen, dass ihn seine Familie im Falle der Rückkehr nicht unterstützen könne. Es könne auch davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer und seine Familie Anspruch auf Unterstützung im Rahmen des Hilfsprogrammes von UNRWA hätten.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird. Begründet wird die Beschwerde im Wesentlichen damit, das Bundesverwaltungsgericht habe sich – auch vor dem Hintergrund einschlägiger UNHCR Empfehlungen – unzureichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob UNRWA tatsächlich in der Lage sei, Rückkehrenden ausreichend Schutz zu bieten.

5. Weder das Bundesverwaltungsgericht noch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben die Gerichts- bzw Verwaltungsakten vorgelegt.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

3. Ein solcher, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. UNRWA ist eine Organisation der Vereinten Nationen im Sinne des Art1 Abschnitt D GFK, auf den sowohl Art12 Abs1 lita Status RL (RL 2011/95/EU) als auch §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 Bezug nehmen. Die Rechtsstellung von Asylwerbern, die unter dem Schutz oder Beistand von UNRWA stehen, unterscheidet sich von jener anderer Asylwerber (VfSlg 19.777/2013; VfGH 24.9.2018, E761/2018 ua mwN):

Gemäß §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 (in Umsetzung des Art12 Abs1 lita erster Satz Status RL und dieser wiederum in Entsprechung des Art1 Abschnitt D erster Satz GFK) sind diese Personen von der Anerkennung als Flüchtling zunächst ausgeschlossen. Sie genießen aber – nach der in diesem Punkt im innerstaatlichen Recht nicht umgesetzten und sohin unmittelbar anwendbaren Bestimmung des zweiten Satzes des Art12 Abs1 lita Status RL – dann "ipso facto" den Schutz der Status RL bzw der GFK, wenn der Schutz oder Beistand von UNRWA "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird. Dieser "ipso facto" Schutz bewirkt insofern eine Privilegierung, als für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft zu machen ist, sondern nur, dass sie erstens unter dem Schutz von UNRWA gestanden sind und zweitens, dass dieser Beistand aus "irgendeinem Grund" weggefallen ist.

Die erste Voraussetzung ist mit der Vorlage einer UNRWA-Registrierungskarte erfüllt (EuGH 17.6.2010, C 31/09, Bolbol , Rz 52). Die zweite Voraussetzung erfordert eine Prüfung, "ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen" (EuGH 19.12.2012, C 364/11, El Kott , Rz 61). Ein Zwang zum Verlassen des Einsatzgebietes einer Organisation im Sinne des Art12 Abs1 lita zweiter Satz Status RL liegt nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union dann vor, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA im Einklang stehen (EuGH, El Kott , Rz 65; vgl auch EuGH 25.7.2018, C 585/16, Alheto , Rz 86; vgl auch EuGH 5.10.2023, C 294/22, OFPRA , Rz 48 betreffend die Unmöglichkeit der Gewährleistung des Zuganges zu dringender medizinischer Verfolgung und Behandlung durch UNRWA). Bei dieser Beurteilung ist nach der weiteren Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union auch festzustellen, ob der Betroffene derzeit daran gehindert ist, Schutz oder Beistand des UNRWA zu erhalten, weil sich mutmaßlich die Lage im betreffenden Einsatzgebiet aus nicht von ihm zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen verschlechtert hat (EuGH 3.3.2022, C 349/20, NB und AB , Rz 57).

Zur Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, sind im Rahmen einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände des fraglichen Sachverhaltes alle Operationsgebiete des Einsatzgebietes des UNRWA zu berücksichtigen, in die ein Staatenloser palästinensischer Herkunft, der dieses Einsatzgebiet verlassen hat, eine konkrete Möglichkeit hat, einzureisen und sich dort in Sicherheit aufzuhalten (EuGH 13.1.2021, C 507/19, Bundesrepublik Deutschland , Rz 67). Für die Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, sodass eine Person "ipso facto" die "Anerkennung als Flüchtling" im Sinne dieser Bestimmung beanspruchen kann, sind im Rahmen einer individuellen Beurteilung die relevanten Umstände nicht nur zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Person das UNRWA Einsatzgebiet verlassen hat, sondern auch zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, zu dem die zuständigen Verwaltungsbehörden einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft prüfen oder die zuständigen Gerichte über den Rechtsbehelf gegen eine die Anerkennung als Flüchtling versagende Entscheidung erkennen (EuGH, NB und AB , Rz 58).

3.2. Bereits im Februar 2015 veröffentlichte UNHCR – dessen Einschätzungen maßgebliches Gewicht zukommt (vgl VfGH 24.9.2018, E761/2018 ua mwN) – eine mit UNWRA koordinierte Position, in der die Staaten ersucht werden, von einer Rückverbringung palästinensischer Flüchtlinge nach Gaza abzusehen, bis sich die Lebensbedingungen und die humanitäre Situation spürbar und erheblich bessern, wobei dies auch bei der Prüfung von Anträgen nach Art1 Abschnitt D GFK gebührend zu berücksichtigen sei (UNHCR, Position on Deportations to Gaza, Februar 2015, 2). Sowohl im Februar 2018 (UNHCR, Country of Origin Information on the Situation in the Gaza Strip, Including on Restrictions on Exit and Return, Februar 2018) als auch im März 2022 wiederholte UNHCR diese Position und appellierte an die internationale Staatengemeinschaft, "[a]gainst the background of the security, human rights and humanitarian situation in Gaza, […] not to forcibly return Palestinians, including Palestine refugees registered with UNRWA, to Gaza" (UNHCR, Position on Returns to Gaza, März 2022, 32). Demzufolge müsse der Stopp zwangsweiser Rückführungen so lange aufrechterhalten werden, bis sich die Sicherheits , Menschenrechts- und humanitäre Lage in Gaza deutlich verbessert habe, um eine sichere und würdige Rückkehr derjenigen zu ermöglichen, die keinen internationalen Schutz benötigten.

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht verweist zunächst darauf, dass es die UNHCR Position zu Rückführungen nach Gaza von März 2022 zur Entscheidungsfindung herangezogen habe und eine Auseinandersetzung mit dieser erforderlich sei, zumal Empfehlungen internationaler Organisationen Indizwirkung zukomme. Eine derartige Auseinandersetzung findet jedoch in weiterer Folge nicht statt. Es ist für den Verfassungsgerichtshof insbesondere nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das Bundesverwaltungsgericht von der UNHCR Empfehlung, zwangsweise Rückführungen nach Gaza zu unterlassen, – vor allem im Hinblick auf die volatile Sicherheitslage – abgeht:

Wie das Bundesverwaltungsgericht selbst im Rahmen der Beweiswürdigung feststellt, habe sich die Sicherheitslage in Gaza in den vergangenen Jahren verschlechtert und erweise sich als volatil. Demgegenüber erblickt es – ohne nähere Begründung – "unter Einbeziehung der Länderberichte keine landesweite Gefahr für Leib oder Leben, wonach sich für alle Bewohner insgesamt ein Aufenthalt für unzumutbar darstell[e]". Zudem wirke sich "[d]en Angaben des BF zu den Lebensumständen seiner Familie in Gaza […] folgend die allgemeine Sicherheitslage nicht derart aus[…], dass es palästinensischen Flüchtlingen in Gaza derzeit generell nicht möglich wäre, den Beistand der UNRWA in Anspruch zu nehmen". Das Bundesverwaltungsgericht geht insofern davon aus, dass der Beschwerdeführer "nicht substantiiert dargetan [habe], inwiefern er persönlich von der angespannten Sicherheits- und Menschenrechtslage betroffen" sei. Diese Feststellung steht jedoch im Widerspruch zum im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstatteten Fluchtvorbringen. In dieser gab der Beschwerdeführer an, die familieneigene Landwirtschaft werde auf Grund deren Nähe zu einer palästinensischen Militärbasis häufig von Bomben getroffen, weshalb seine Frau und sein Kind große psychische Probleme und Angst um ihr Leben hätten. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich mit diesen Angaben nicht näher auseinander und stellt – ohne dies näher darzulegen – lediglich fest, dass die Familie des Beschwerdeführers weiterhin "unbehelligt" in Gaza leben würde. Inwiefern der Umstand, dass der Vater des Beschwerdeführers eine Geflügelzucht betreibe und zwei Brüder studieren würden, den "Eindruck erweck[e], dass seine Familie von etwaigen Konflikten nicht unmittelbar betroffen [sei]", legt das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls nicht dar.

Ohne sich mit dem Fluchtvorbringen zur Sicherheitslage und der UNHCR Position zu Rückführungen nach Gaza näher auseinanderzusetzen, kommt das Bundesverwaltungsgericht in seinen rechtlichen Erwägungen – unter Heranziehung einer vom Verfassungsgerichtshof bereits beanstandeten Standardformulierung (vgl hiezu ua VfGH 22.9.2017, E1965/2017; 26.11.2018, E2067/2017; 14.12.2022, E3069/2022; 13.6.2023, E2452/2022) – zum Ergebnis, den Länderfeststellungen sei nicht zu entnehmen, dass UNRWA seine Aufgaben in Gaza wegen eines aktuellen innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes nicht mehr ausreichend wahrnehmen könne oder aus sonstigen Gründen nicht mehr vor Ort agieren würde. Welche Gründe das Bundesverwaltungsgericht bei dieser Annahme leiten, ist für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar. Vielmehr hat es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen, sich mit der UNCHR Position zu Rückführungen nach Gaza auseinanderzusetzen sowie nachvollziehbar darzulegen, auf Grund welcher zeitlich nachfolgenden Länderinformationen es im Hinblick auf die Sicherheitslage zu einer anderen Einschätzung als UNHCR gelangt. Die für die Eigenschaft als Flüchtling iSd Art1 Abschnitt D GFK relevante (Un )Möglichkeit der Rückkehr wurde somit nicht hinreichend ermittelt. Auch die Berücksichtigung der Versorgungslage in Gaza sowie der individuellen Situation des Beschwerdeführers als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann im Hinblick auf die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz kompensiert nicht diese unzureichende Auseinandersetzung mit der volatilen Sicherheitslage im Herkunftsstaat (vgl VfGH 14.12.2022, E3069/2022; 13.6.2023, E2452/2022).

3.4. Indem das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar dargelegt hat, aus welchen Gründen es von der UNHCR Position zu Rückführungen nach Gaza – insbesondere im Hinblick auf die volatile Sicherheitslage – abgeht, hat es seine Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen und sein Erkenntnis daher mit Willkür belastet (vgl ua VfGH 14.6.2022, E761/2022; VfGH 20.9.2022, E4601/2021; VfGH 27.2.2023, E1119/2022; VfGH 13.6.2023, E2452/2022; VfGH 13.6.2023, E48/2023).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

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