E2684/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Wie das BVwG selbst im Rahmen der Beweiswürdigung feststellt, habe sich die Sicherheitslage in Gaza in den vergangenen Jahren verschlechtert und erweise sich als volatil. Demgegenüber erblickt es - ohne nähere Begründung - "unter Einbeziehung der Länderberichte keine landesweite Gefahr für Leib oder Leben, wonach sich für alle Bewohner insgesamt ein Aufenthalt für unzumutbar darstell[e]". Zudem wirke sich "[d]en Angaben des BF zu den Lebensumständen seiner Familie in Gaza [...] folgend die allgemeine Sicherheitslage nicht derart aus[...], dass es palästinensischen Flüchtlingen in Gaza derzeit generell nicht möglich wäre, den Beistand der UNRWA in Anspruch zu nehmen". Das BVwG geht insofern davon aus, dass der Beschwerdeführer "nicht substantiiert dargetan [habe], inwiefern er persönlich von der angespannten Sicherheits- und Menschenrechtslage betroffen" sei. Diese Feststellung steht jedoch im Widerspruch zum im Rahmen der Erstbefragung erstatteten Fluchtvorbringen, dass die familieneigene Landwirtschaft auf Grund deren Nähe zu einer palästinensischen Militärbasis häufig von Bomben getroffen werde, weshalb seine Frau und sein Kind große psychische Probleme und Angst um ihr Leben hätten. Das BVwG setzt sich mit diesen Angaben nicht näher auseinander und stellt - ohne dies näher darzulegen - lediglich fest, dass die Familie des Beschwerdeführers weiterhin "unbehelligt" in Gaza leben würde. Inwiefern der Umstand, dass der Vater des Beschwerdeführers eine Geflügelzucht betreibe und zwei Brüder studieren würden, den "Eindruck erweck[e], dass seine Familie von etwaigen Konflikten nicht unmittelbar betroffen [sei]", legt das BVwG ebenfalls nicht dar.
Ohne sich mit dem Fluchtvorbringen zur Sicherheitslage und der UNHCR-Position zu Rückführungen nach Gaza näher auseinanderzusetzen, kommt das BVwG in seinen rechtlichen Erwägungen zum Ergebnis, den Länderfeststellungen sei nicht zu entnehmen, dass UNRWA seine Aufgaben in Gaza wegen eines aktuellen innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes nicht mehr ausreichend wahrnehmen könne oder aus sonstigen Gründen nicht mehr vor Ort agieren würde. Welche Gründe das BVwG bei dieser Annahme leiten ist nicht nachvollziehbar. Vielmehr hat es das BVwG unterlassen, sich mit der UNCHR-Position zu Rückführungen nach Gaza auseinanderzusetzen sowie nachvollziehbar darzulegen, auf Grund welcher zeitlich nachfolgenden Länderinformationen es im Hinblick auf die Sicherheitslage zu einer anderen Einschätzung als UNHCR gelangt. Die für die Eigenschaft als Flüchtling iSd Art1 Abschnitt D GFK relevante (Un-)Möglichkeit der Rückkehr wurde somit nicht hinreichend ermittelt. Auch die Berücksichtigung der Versorgungslage in Gaza sowie der individuellen Situation des Beschwerdeführers als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann im Hinblick auf die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz kompensiert nicht diese unzureichende Auseinandersetzung mit der volatilen Sicherheitslage im Herkunftsstaat.