JudikaturBVwG

W189 2256537-2 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
05. März 2025

Spruch

W189 2256537-2/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die Erwachsenenvertreterin RA MMag. Annemarie ENTSCHEV, diese vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU-GmbH), gegen die Spruchpunkte I. und II. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.08.2024, Zl. 830054505-220339781, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.02.2025 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge: die BF), eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte nach Einreise in das Bundesgebiet am 23.02.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem sie am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Zu ihrem Ausreisegrund gab sie zu Protokoll, dass sie 83 Jahre alt sei und alleine in der Nähe von Moskau wohne. Ihre Kinder seien in Österreich und sie wolle zu ihnen. Im Falle einer Rückkehr habe die BF Angst, alleine zu sein und krank zu werden. Sie könne sich keine Hilfe leisten. Sie wolle zu ihren Kindern.

2. In ihrer in Anwesenheit ihres Sohnes als Vertrauensperson vorgenommenen, niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: das BFA) am 19.05.2022 gab die BF zu ihrem Gesundheitszustand an, dass sie alles vergesse und sie an beiden Beinen starke Schmerzen habe, sodass sie sich kaum fortbewegen könne. Ihr Sohn gab als Vertrauensperson zu Protokoll, dass die BF an Demenz leide.

Die BF führte aus, dass sie noch zwei Schwestern „in der Russischen Föderation“ habe, die zwei bis vier Jahre jünger seien und mit ihren Familien in Aktau (Kasachstan) und Sungaiti (Aserbaidschan) leben würden.

Die BF sei nach Österreich gekommen, weil sie ihre Beine kaum noch tragen würden und weil ihre Kinder hier seien. Sie wolle bei ihren Kindern sein. Sie sei gekommen, um bei ihrer Familie zu sein. Sie sei in einer schlechten Verfassung. Fremde Leute würden sich nicht um sie kümmern. Es könne sein, dass sie bald bettlägerig werde, und was werde dann aus ihr. Hier seien ihre Kinder. Es könne sein, dass sie demnächst krank werde und Allah sie zu sich hole. Jemand müsse sie dann begraben. Ihre Tochter und deren Familie würden sich um sie kümmern und sie dann auch beerdigen, denn einer müsse das schließlich tun. Die BF habe in Moskau ganz alleine gelebt. Sie habe in einem Vorort von Moskau in einer Datscha gelebt. Manchmal hätten die Nachbarn ihr beim Einkaufen geholfen, manchmal sei sie selbst gegangen. Es habe auch eine Bekannte aus Moskau gegeben, die sie hin und wieder unterstützt habe. Für sich alleine brauche die BF ja nicht so viel. Sie sei in der Russischen Föderation nie persönlich bedroht worden und befürchte Derartiges auch nicht im Falle einer Rückkehr.

In Österreich habe sie keine Integrationsschritte unternommen. Sie wisse nicht einmal, was sie gestern gegessen habe. Sie habe in der Russischen Föderation eine Pension gehabt, aber wisse nicht, wie es derzeit damit aussehe. Sie werde derzeit von ihrer Familie versorgt. In der Russischen Föderation habe sie niemanden, der sich um sie kümmern würde und sie beerdigen würde. Sie wolle nur hier bei ihrer Familie leben, das sei alles.

3. Mit der als „Bescheid“ bezeichneten Erledigung des BFA vom 20.05.2022 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Der BF wurde eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 gewährt (Spruchpunkt IV.).

4. In der gegen die Spruchpunkte I. und II. dieser Erledigung gerichteten Beschwerde führte die BF durch ihre gewillkürte Rechtsvertretung aus, dass sie an Demenz leide und nicht in der Lage gewesen sei, sämtliche Fluchtgründe vor dem BFA zu schildern. Sie wolle nun angeben, dass sie in ihrer Wohnung in Moskau gelebt habe, ihre Familienangehörigen aber bereits in Österreich gewesen seien. Mehrere Personen, die sich als Sozialarbeiter ausgegeben hätten, seien zur BF in die Wohnung gekommen. Sie hätten Lebensmittel gebracht und Unterstützung angeboten. Nachdem sie die BF ein paar Mal besucht hätten, sei sie von ihnen bedroht und gezwungen worden, Urkunden zu unterschreiben, mit denen das Eigentumsrecht an ihrer Wohnung an diese übertragen worden sei. Danach habe die BF in ihrer Datscha in Moskau gelebt. Zwei bis drei Jahre lang habe sie dort ihre Ruhe gehabt. Dann seien wieder drei Personen erschienen, die sich als Sozialarbeiter ausgegeben hätten. Einer davon sei ein Mann gewesen, der auch bereits an der Bedrohung der BF in ihrer Wohnung in Moskau beteiligt gewesen sei. Weil sie diesen Mann wiedererkannt habe, habe die BF gewusst, dass es sich um dieselbe Verbrecherbande handle. Diese hätten der BF gesagt, dass sie die BF nur unterstützen würden, wenn sie die Urkunden unterschreibe, was die BF jedoch abgelehnt habe. Die Personen hätten die BF sodann mit einer Giftspritze bedroht und so gezwungen, Urkunden zur Übertragung der Eigentumsrechte an ihrer Datscha zu unterschreiben. Einer der Beteiligten habe die BF gestoßen, wodurch sie sich einen Hüftbruch zugezogen habe. Im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation sei von einer schwerwiegenden Verschlechterung des Zustandes der BF auszugehen. Die BF sei davon überzeugt, dass sie von dieser Verbrecherbande verfolgt werden würde. Dieses Vorbringen stehe im Einklang mit Medienberichten über derartige Vorfälle in der Russischen Föderation. Die BF beantragte zudem die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens auf dem Gebiet der Neurologie zur Klärung, ob sie in der Lage sei, ihre Fluchtgründe darzulegen.

5. Am 03.07.2023 fand in Anwesenheit der BF, ihrer Rechtsvertretung und einer Sachverständigen auf dem Gebiet der Psychiatrie und Neurologie eine öffentliche, mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Befundung und Gutachtenserstellung über die Verhandlungs- und Einvernahmefähigkeit der BF, ihre konkrete gesundheitliche Situation und eine sich hieraus ergebende gesundheitliche Prognose statt. Die Sachverständige kam unter anderem zum Schluss, dass bei der BF eine krankheitswertige, neuropsychologische und psychiatrische Störung in Form einer leichten demenziellen Erkrankung und einer Anpassungsstörung vorliege.

6. Mit Note vom 10.11.2023 teilte die nunmehrige Erwachsenenvertreterin der BF dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass sie mit bezirksgerichtlichem Beschluss hierzu bestellt wurde. Das in diesem Zusammenhang vom Bezirksgericht in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten vom 18.12.2023 ergab eine mittelgradige senile Demenz der BF. Eine telefonische Nachfrage bei der Gutachterin im Erwachsenenvertretungsverfahrens ergab, dass die BF bereits im Mai 2022 nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Tragweite ihres Asylverfahrens zu begreifen und damit Zusammenhängendes zu verstehen.

7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.01.2024 wurde die Beschwerde der BF gegen den Bescheid vom 20.05.2022 als unzulässig zurückgewiesen. Begründet wurde dies mit der mangelnden Prozessfähigkeit der BF und der folglich unwirksamen Erlassung des „Bescheides“ durch das BFA, wodurch dieser nicht rechtlich existent wurde.

8. Mit Schreiben vom 05.08.2024 verständigte das BFA im fortgesetzten Verfahren die BF durch ihre Erwachsenenvertreterin davon, dass beabsichtigt sei, ihr einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 zu erteilen. Die BF erklärte sich durch ihre Erwachsenenvertreterin damit einverstanden.

9. Mit Bescheid vom 14.08.2024 (elektronisch signiert am 18.09.2024) wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Der BF wurde eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 gewährt (Spruchpunkt IV.).

10. Gegen die Spruchpunkte I. und II. dieses Bescheides erhob die BF durch ihre Erwachsenenvertreterin, diese wiederum nun vertreten durch die gewillkürte Rechtsvertretung, Beschwerde und monierte im Wesentlichen, dass die BF als alleinstehende Frau und aufgrund ihrer Erkrankungen in der Russischen Föderation asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt sei bzw. eine solche Rückkehr jedenfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK bedeuten würde. Es bestehe ein akuter medizinischer Betreuungs- und Behandlungsbedarf der BF. Sie leide an Altersschwäche und einer mittelgradigen senilen Demenz. Ohne Begleitung und Rollstuhl sei sie nicht fähig, das Seniorenheim zu verlassen. Die BF verfüge über keine ausreichenden finanziellen Mittel, um in der Russischen Föderation Zugang zu medizinischer Versorgung zu erhalten.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.02.2025 eine öffentliche, mündliche Verhandlung über diese Beschwerde durch, in welcher die in Österreich wohnhafte Adoptivtochter der BF als Zeugin zu den Lebensumständen der BF befragt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF

Die Identität der BF steht nicht fest. Sie ist eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehört der Religionsgemeinschaft der Muslime sowie der Volksgruppe der Lesgier an.

Die BF leidet an einer mittelgradigen senilen Demenz. Es besteht eine Sturzneigung und Gangstörung. Sie ist in Österreich in einem Pflegeheim untergebracht und bedarf dauerhafter Anleitung und Betreuung. Die Kosten werden vom österreichischen Staat getragen.

Sie wohnte in ihrer Heimat zuletzt in einem Vorort von Moskau und lebte von einer staatlichen Pension, bevor sie im Februar 2022 ausreiste. Sie hat keine Angehörigen oder Verwandten in der Russischen Föderation. Ihr Sohn sowie ihre Adoptivtochter leben mit ihren Familien in Österreich.

Die BF ist in der Russischen Föderation keiner individuell gegen sie gerichteten Bedrohung durch die staatlichen russischen Behörden oder durch Privatpersonen, gegen die die staatlichen russischen Behörden keinen Schutz bieten können oder wollen, ausgesetzt.

Die BF wäre allerdings bei einer Rückkehr nicht in der Lage, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse zu befriedigen, weshalb sie in der Russischen Föderation in eine ausweglose Lage geriete.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

1.2.1. Grundversorgung

Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung ist armutsgefährdet (BS 2024). Im Jahr 2023 betrug der Anteil der russischen Bevölkerung mit Einkommen unter der Armutsgrenze - nach offiziellen Angaben - 9,3 % (13,5 Millionen Personen) (Rosstat o.D.a). Seit 2021 wird die Armutsgrenze neu berechnet. Die neue Berechnungsmethode wird als willkürliche Verschleierung der wahren Zustände kritisiert (AA 28.9.2022). Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern (vor allem Großfamilien), Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren Moskau und St. Petersburg ist die Armutsquote halb so hoch wie im Landesdurchschnitt. Prinzipiell ist die Armutsgefährdung auf dem Land höher als in den Städten (Russland-Analysen/Brand 21.2.2020). Spezielle Regierungsprogramme, die sich dem Kampf gegen Armut im ländlichen Raum widmen, sind aufgrund der sich darstellenden massiven Probleme nur begrenzt erfolgreich (BS 2024).

Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2022 76 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu sicher verwalteten Trinkwasserdiensten (WB o.D.a). Nach staatlichen Angaben werden 88,6 % der Bevölkerung des Landes mit hochwertigem Trinkwasser versorgt. Der dementsprechende Anteil für die Stadtbevölkerung beträgt 94,9 % (NPRU o.D.a). Gemäß dem Welthunger-Index 2023 belegt die Russische Föderation Platz 26 von 125 Ländern. Mit einem Wert von 5,8 fällt die Russische Föderation in die Schweregradkategorie niedrig. Weniger als 2,5 % der Bevölkerung sind laut dem Welthunger-Index unterernährt (GHI o.D.). Laut der Weltbank hatten im Jahr 2022 89 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu einer (zumindest) Basisversorgung im Bereich Hygiene (WB o.D.b). Ein Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Bezahlbare Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für Teile der Bevölkerung unerschwinglich (AA 28.9.2022). Mietkosten variieren je nach Region (IOM 12.2022). Russlands öffentliche Heizinfrastruktur ist zunehmend marode. Mangelhaft gewartete Heizkraftwerke fallen regelmäßig aus (Standard 19.1.2024).

Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 12.2022). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben darf der Mindestlohn das Existenzminimum nicht unterschreiten (FGML RUSS 27.11.2023). Die Höhe des Mindestlohns wird von der Regierung jährlich angepasst (RBK 14.12.2023) und beträgt für das Jahr 2024 RUB 19.242 [ca. EUR 198] (monatlicher Mindestlohn) (Duma 1.1.2024; vgl. Lenta 24.12.2023). Der Mindestlohn kann in jeder Region durch regionale Abkommen individuell festgelegt werden. Jedoch darf die Höhe des regionalen Mindestlohns nicht niedriger als der national festgelegte Mindestlohn sein (ARBGB RUSS 6.4.2024). In der Stadt Moskau beträgt der Mindestlohn RUB 29.389 [ca. EUR 302] (Lenta 24.12.2023). Im Jahr 2024 beträgt die Höhe des monatlichen Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung RUB 16.844 [ca. EUR 173], für Kinder RUB 14.989 [ca. EUR 154] und für Pensionisten RUB 13.290 [ca. EUR 137] (Rosstat 22.12.2023). Die primäre Versorgungsquelle der russischen Bevölkerung bleibt ihr Einkommen (AA 28.9.2022). Weitverbreitet ist die Praxis, Löhne gar nicht oder verspätet auszuzahlen (USDOS 22.4.2024). Nach staatlichen Angaben betrug die Arbeitslosenrate im März 2024 2,7 % (Rosstat o.D.b). Die Arbeitslosenrate ist von Region zu Region verschieden (IOM 12.2022). Die versteckte Arbeitslosigkeit ist schwer einzuschätzen. Schwer am Arbeitsmarkt haben es ältere Arbeitnehmer. Besonders schwierig bis prekär ist die Lage für viele Migranten, welche überwiegend gering qualifiziert sind. Sie verdienen oft (wenn überhaupt) nur den Mindestlohn (AA 28.9.2022).

1.2.2. Sozialbeihilfen

Die russische Verfassung definiert die Russische Föderation als Sozialstaat und garantiert Bürgern soziale Unterstützung sowie eine obligatorische Sozialversicherung (Verfassung RUSS 6.10.2022). Es ist ein System der sozialen Sicherheit und sozialen Fürsorge in Russland vorhanden, welches Pensionen auszahlt und die vulnerabelsten Bürger unterstützt. Zum Kreis vulnerabler Gruppen zählen Familien mit mindestens drei Kindern, Menschen mit Behinderungen sowie ältere Menschen (IOM 12.2022). Der Staat bietet verschiedene Sozialleistungen an, wovon unter anderem folgende Personengruppen profitieren: Veteranen, Waisenkinder, ältere Personen, Alleinerziehende, Erwerbslose, Landbewohner (AÜSU o.D.), Menschen mit Behinderungen, Familien, Pensionisten (SFR o.D.a), Bewohner des hohen Nordens sowie Familienangehörige Militärbediensteter und von infolge der Ausübung ihrer Dienstpflichten verstorbenen Bediensteten des Innenressorts (Regierung RUSS o.D.b). Das föderale Pensionsversorgungsgesetz zählt folgende staatliche Pensionsleistungen auf: Pensionen für langjährige Dienste; Alters-; Invaliditäts-; Hinterbliebenen- und Sozialpensionen (FGSP RUSS 29.5.2024). Gemäß dem russischen Sozialfonds erhalten alle Pensionisten, welche keiner Arbeit nachgehen, und deren finanzielle Mittel unter dem Existenzminimum für Pensionisten liegen, einen Sozialzuschlag zur Pension. Dadurch erfolgt eine Anhebung bis zur Höhe des Existenzminimums (SFR o.D.b).

Mit 1.1.2023 wurden der Pensions- und der Sozialversicherungsfonds zum neu geschaffenen 'Fonds für Pensions- und Sozialversicherung der Russischen Föderation' (kurz 'Sozialfonds') verschmolzen (SFR o.D.c). Zu den Aufgaben des neu geschaffenen Sozialfonds gehört die Auszahlung von Pensionen und staatlicher finanzieller Hilfen. In den einzelnen Subjekten der Russischen Föderation gibt es territoriale Abteilungen des Sozialfonds (SFR 18.4.2024).

1.2.3. Medizinische Versorgung

Artikel 41 der Verfassung der Russischen Föderation garantiert russischen Staatsbürgern das Recht auf kostenlose medizinische Versorgung in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen (Duma 6.10.2022). Eine gesetzliche Grundlage stellt das föderale Gesetz 'Über die Grundlagen des Gesundheitsschutzes der Bürger in der Russischen Föderation' dar (RF 28.4.2023d). Es existiert eine durch präsidentiellen Erlass festgelegte Strategie der Entwicklung des Gesundheitswesens in der Russischen Föderation für den Zeitraum bis 2025 (Präsident 27.3.2023).

Das Basisprogramm der obligatorischen Krankenversicherung gewährleistet die kostenlose medizinische Versorgung für Bürger in allen Regionen Russlands. Das entsprechende Territorialprogramm umfasst Programme auf der Ebene der Subjekte der Russischen Föderation (§ 3 des föderalen Gesetzes 'Über die obligatorische Krankenversicherung') (RF 19.12.2022). Der föderale Fonds der obligatorischen Krankenversicherung ist für die Umsetzung der staatlichen Politik zuständig (Regierung o.D.). Es besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Krankenversicherung, welche eine medizinische Versorgung auf höherem Niveau erlaubt (Sber Bank o.D.). Im Rahmen einer freiwilligen Krankenversicherung oder gegen direkte Bezahlung können entgeltliche medizinische Dienstleistungen in staatlichen und privaten Krankenhäusern in Anspruch genommen werden. Die Webseiten der einzelnen medizinischen Einrichtungen enthalten für gewöhnlich Preislisten (IOM 12.2022). Für Leistungen privater Krankenhäuser müssen die Kosten selbst getragen werden.

Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos (ÖB 30.6.2022). Bestimmte Patientengruppen erhalten kostenlose oder preisreduzierte Medikamente. Befreit von Medikamentengebühren sind Kinder bis zu einem Alter von drei Jahren; Menschen mit Behinderungen; Veteranen; Patienten mit spezifischen Erkrankungen wie HIV/Aids, onkologischen Erkrankungen, Diabetes, psychiatrischen Erkrankungen usw. (EUAA 9.2022). Regionale Behörden dürfen kostenlose Medikamente für zusätzliche Patientengruppen zur Verfügung stellen (IOM 12.2022). Die Verfügbarkeit von Medikamenten schwankt. Die Beschaffung und Verteilung medizinischer Vorräte ist unzuverlässig, was zu Medikamentenknappheit und starken Preisschwankungen führt. Ursachen dafür sind unter anderem politische Sanktionen, welche Importe begrenzen, und der damit verbundene Umstieg auf einheimische Arzneimittel (EUAA 9.2022). Die vom Staat vorgegebenen Wartezeiten auf eine Behandlung werden um das Mehrfache überschritten und können mehrere Monate betragen. Die Notfallversorgung ist nicht mehr überall gewährleistet. Durch Sparmaßnahmen sind in vielen russischen Verwaltungseinheiten die Notfall-Krankenwagen nur mit einer Person besetzt, welche die notwendigen Behandlungen nicht alleine leisten kann. Besonders angespannt ist die medizinische Versorgung für Kinder, es fehlen Physiotherapeuten und Psychologen (AA 28.9.2022). Mitunter gibt es Probleme bei der Diagnose und Behandlung von Patienten mit besonders seltenen Krankheiten, da meist die finanziellen Mittel für die teuren Medikamente und Behandlungen in den Regionen nicht ausreichen (ÖB 30.6.2022).

In der Praxis müssen viele Leistungen von Patienten selbst bezahlt werden, obwohl die medizinische Versorgung für russische Staatsangehörige kostenfrei sein sollte (AA 28.9.2022). Patienten dürfen Beschwerden einreichen, wenn öffentliche medizinische Einrichtungen Gebühren für eigentlich kostenfreie Dienstleistungen einzuheben versuchen. Patientengebühren tragen zu steigender Ungleichheit bei. Zuzahlungen werden entweder von unversicherten Personen geleistet oder dienen dazu, die Leistungsdeckung der obligatorischen oder freiwilligen/privaten Krankenversicherung zu erhöhen. Beispiele für Zuzahlungen sind offizielle Zahlungen im öffentlichen oder Privatsektor oder informelle Zahlungen im öffentlichen Sektor, um beispielsweise eine spezielle Behandlung zu erhalten. Personen mit höherem Einkommen sowie Bewohner wohlhabenderer Städte wie Moskau und St. Petersburg leisten höhere Zuzahlungen, vor allem betreffend stationäre Behandlungen. Allerdings steigt die Höhe der Zuzahlungen gemäß einer Quelle aus dem Jahr 2018 für ambulante Leistungen für ärmere Bevölkerungsschichten rascher an (EUAA 9.2022). 27,76 % der Ausgaben im Gesundheitssektor entfielen im Jahr 2020 auf Zuzahlungen (WB o.D.c.).

Das Gesundheitssystem ist zentralisiert. Öffentliche Gesundheitsdienstleistungen gliedern sich in drei Ebenen: Die Primärversorgung umfasst allgemeine medizinische Leistungen, Notfallversorgung sowie einige spezielle Dienstleistungen. Die Sekundärversorgung beinhaltet eine größere Bandbreite spezieller medizinischer Leistungen, und die Tertiärversorgung bietet medizinische Leistungen auf Hightechniveau an. Wegen Personalmangels sind Mitarbeiter auf der Primärversorgungsebene oft überlastet. Es fehlt an Koordination zwischen den Ebenen Primär- und Sekundärversorgung. Dem öffentlichen Gesundheitssystem mangelt es an finanziellen Mitteln, Patientenorientierung sowie an Personal, vor allem in ländlichen Gebieten. Das medizinische Personal weist Ausbildungsdefizite auf. Viele Bedienstete im medizinischen Bereich sind wenig motiviert, was teilweise auf niedrige Gehälter zurückzuführen ist. Hinsichtlich verfügbarer Ressourcen und Dienstleistungen herrschen beträchtliche regionale Unterschiede (EUAA 9.2022). Der Staat hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt, die in manchen Fällen nicht ausreichend Budget haben (ÖB 30.6.2022). Die medizinische Versorgung ist außerhalb der Großstädte in vielen Regionen auf einfachem Niveau und in ländlichen Gebieten nicht überall ausreichend. Ein Drittel der Ortschaften in ländlichen Gebieten verfügt über keinen direkten Zugang zu medizinischer Versorgung. Der Weg zum nächsten Arzt kann in manchen Fällen bis zu 400 Kilometer betragen (AA 28.9.2022). Einrichtungen, die hochmoderne Diagnostik sowie Behandlungen anbieten, sind vorwiegend in den Großstädten Moskau und St. Petersburg zu finden (EUAA 9.2022).

Zurückgekehrte Staatsbürger haben ein Anrecht auf eine kostenlose medizinische Versorgung im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung. Jeder Bürger der Russischen Föderation kann dementsprechend gegen Vorlage eines gültigen russischen Reisepasses oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis zu einem Alter von 13 Jahren) eine Krankenversicherungskarte erhalten. Diese wird von der nächstgelegenen Krankenversicherungszweigstelle am Wohnsitzort ausgestellt (IOM 12.2022). Personen ohne Dokumente haben das Recht auf eine kostenlose medizinische Notfallversorgung (EUAA 9.2022).

1.2.4. Psychische Erkrankungen

In Russland existieren stationäre und ambulante Einrichtungen zur Behandlung psychischer Erkrankungen (EUAA 9.2022). In Moskau gibt es mehrere öffentliche psychiatrische Krankenhäuser: die Krankenhäuser Nr. 1, 15 und 22 (EUAA 9.2022; vgl. PK1 o.D., PK 22 o.D.). In St. Petersburg befindet sich das öffentliche psychiatrische Krankenhaus Nr. 1 (EUAA 9.2022; vgl. SPK1 o.D.). In manchen Regionen haben Patienten nur einen sehr eingeschränkten Zugang zu psychischen Gesundheitseinrichtungen, da die meisten dieser Einrichtungen in Städten und weniger in entlegenen Gebieten zu finden sind. In einigen Regionen gibt es praktisch keine psychiatrischen Einrichtungen. Die Zahl ambulanter Einrichtungen sinkt. Teilweise wird die psychische Gesundheitsversorgung von der regionalen Ebene finanziert. Problematisch sind mangelnde finanzielle Ressourcen sowie dürftig ausgestattete Einrichtungen und fehlende Unterstützung durch NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationen. Die Qualität der psychischen Gesundheitsversorgung ist niedrig. Die Zahl, der im psychischen Gesundheitsversorgungsbereich Beschäftigten sinkt (EUAA 9.2022).

Die Behandlung psychischer Erkrankungen ist im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung kostenlos. Anspruch auf Behandlung psychischer Erkrankungen haben unter anderem Staatsbürger, legal Beschäftigte sowie Personen mit Langzeitaufenthaltsberechtigungen, welche eine obligatorische Krankenversicherung und einen registrierten Wohnsitz in Russland aufweisen. Zugang zu psychiatrischer Notfallversorgung ist für alle Patienten kostenlos. In der Praxis sind Medikamente für stationäre Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos, im Gegensatz zu Medikamenten für ambulante Behandlungen. In diesen Fällen müssen Patienten die Kosten selbst tragen. Kostenrückerstattungen für verschriebene Medikamente gehen sehr mühsam vonstatten, sodass viele Patienten selbst das Geld für die Medikamente aufbringen müssen. Im Allgemeinen sind psychiatrische Medikamente in der gesamten Russischen Föderation verfügbar, vor allem in größeren Städten (EUAA 9.2022).

1.2.5. Rückkehr

Gemäß der russischen Verfassung (Verfassung RUSS 6.10.2022) und im Einklang mit gesetzlichen Vorgaben haben russische Staatsbürger das Recht, ungehindert in die Russische Föderation zurückzukehren (FGAE RUSS 4.8.2023). Jedoch kommt es de facto beispielsweise im Zuge von Grenzkontrollen zu Befragungen Einreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB Moskau 8.5.2024). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen. Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments nach Russland einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen beim Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 28.9.2022). Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (ÖB Moskau 30.6.2023; vgl. EGRÜ 17.5.2007). Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 30.6.2023).

Rückkehrende haben - wie alle anderen russischen Staatsbürger - Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen (IOM 7.2022). Sozialleistungen hängen vom spezifischen Fall des Rückkehrers ab. Zurückkehrende Staatsbürger haben ein Anrecht auf eine kostenlose medizinische Versorgung im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung. Jeder Bürger der Russischen Föderation kann dementsprechend gegen Vorlage eines gültigen russischen Reisepasses oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis zu einem Alter von 13 Jahren) eine Krankenversicherungskarte erhalten. Diese wird von der nächstgelegenen Krankenversicherungszweigstelle am Wohnsitzort ausgestellt (IOM 12.2022). Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können nicht als spezifische Probleme von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB Moskau 30.6.2023).

Es sind keine Fälle bekannt, in welchen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten (AA 28.9.2022). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB Moskau 30.6.2023). Der Kontrolldruck der Sicherheitsbehörden gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. NGOs berichten von willkürlichem Vorgehen der Polizei bei Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen. Letztere finden vor allem in Tschetschenien auch ohne Durchsuchungsbefehle statt (AA 28.9.2022).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person der BF

Mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente steht die Identität des BF nicht fest. Es besteht jedoch kein Grund, ihre Angaben zu ihrer Staats-, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit in Zweifel zu ziehen.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Unterbringung der BF in Österreich folgen den aus dem bezirksgerichtlichen Erwachsenenvertretungsverfahren übermittelten Unterlagen und den damit übereinstimmenden Angaben der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht als Zeugin befragten Adoptivtochter der BF.

In einer Zusammenschau der Angaben der – wenn auch kognitiv beeinträchtigten – BF sowie der Zeugin lässt sich davon auszugehen, dass die BF vor ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation im Februar 2022 in einem Vorort von Moskau lebte, eine staatliche Pension bezog und sie dort keine Angehörigen oder Verwandten mehr hat. Letzteres ist auch vor dem Hintergrund des hohen Alters der BF – zumal in Relation zur in der Russischen Föderation allgemeinen niedrigeren Lebenserwartung – sowie des Umstandes, dass sowohl ihr Sohn als auch ihre Adoptivtochter mit ihren Familien in Österreich leben, durchaus plausibel.

Zum Grund der Ausreise aus der Russischen Föderation wurde im Verfahren zunächst lediglich vorgebracht, dass die BF in ihrer Heimat niemanden mehr habe und sie ihren Lebensabend bei ihrer Familie verbringen wolle. Im weiteren Verfahrensverlauf wurde zudem geltend gemacht, dass Kriminelle in der Russischen Föderation die BF dazu gebracht hätten, ihr Wohnungseigentum zu übertragen. Ob letzteres der Wahrheit entspricht, kann aber mangels Verfahrensrelevanz dahingestellt bleiben, da es sich um ein in der Vergangenheit liegendes, lediglich kriminelles Ereignis handeln würde, welches weder erkennbar an einen Konventionsgrund anknüpft, noch vom russischen Staat ausgeht, wodurch grundsätzlich staatlicher Schutz anzunehmen sein wird, und welches nicht zuletzt bei einer Rückkehr nicht erneut drohen würde, hätte die BF demnach doch kein Eigentum und keinen Besitz mehr, den sie weiter überschreiben könnte. Die BF wäre somit in der Russischen Föderation nicht von einer derartigen Gefährdung betroffen.

Es ist allerdings zu konstatieren, dass die BF aufgrund ihrer – zumal fortschreitenden – psychischen Erkrankung sowie zusätzlich ihrer körperlichen Einschränkung nicht in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen, sodass sie dauerhafter Pflege und Hilfe bedarf, um ihren Alltag bewältigen zu können. In der Russischen Föderation hat die BF mangels Anknüpfungspunkten niemanden, der für diese Unterstützung und letztlich auch Überwachung sorgen könnte, sodass sie augenscheinlich Gefahr liefe, dort mangels Selbsthilfefähigkeit grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können. Es ist vielmehr zu befürchten, dass die BF auf sich allein gestellt mangels mentaler Kapazität und Fähigkeit, ihre Umwelt zu verstehen und gedanklich zu verarbeiten, unmittelbar nach einer Rückführung ein selbstgefährdendes Verhalten setzen würde. Es kann demnach auch nicht davon ausgegangen werden, dass die BF dort in der Lage wäre, staatliche oder private Hilfsleistungen in Anspruch zu nehmen, zumal auch keine erheblichen finanziellen Mittel der BF oder ihrer Angehörigen in Österreich hervorkamen. Von alledem geht die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid im Grunde selbst aus (vgl. AS 392: „Sie sind nicht nur finanziell von ihrer Familie abhängig, sondern aufgrund Ihrer gesundheitlichen Probleme (mittelgradige senile Demenz, Einschränkung beim Gehen) auf die Betreuung Ihrer Angehörigen angewiesen. Sie sind weder in der Lage, sich selbst zu versorgen noch alltägliche Verrichtungen selbständig zu bewerkstelligen.“), setzt es jedoch nicht in den logischen Zusammenhang damit, dass dies im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation Lebensgefahr für die BF bedeuten würde. Weshalb die belangte Behörde die Situation der BF nicht in diesem Zusammenhang behandelte, geht aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervor.

2.2. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation beruhen auf den angeführten Quellen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zur Russischen Föderation vom 12.06.2024 (Version 14). Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in der Russischen Föderation ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Ein Vergleich mit dem – insbesondere hinsichtlich dem Ukrainekrieg – aktualisierten Länderinformationsblatt vom 16.12.2024 (Version 15) hat keine Änderung des für das vorliegende Verfahren maßgebenden Sachverhaltes ergeben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Teillstattgabe der Beschwerde:

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend (VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Das Vorbringen des Antragstellers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit der Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 10.08.2019, Ra 2018/20/0314).

Wie beweiswürdigend dargelegt, erstattete die BF kein asylrelevantes Vorbringen und ist ein solches auch sonst nicht hervorgekommen. Entgegen der in der Beschwerde geäußerten Ansicht, ist die BF weder aufgrund einer bloßen Eigenschaft als alleinstehende Frau noch gar aufgrund ihrer Erkrankungen in der Russischen Föderation einer Verfolgung ausgesetzt. Es besteht somit keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlichen Verfolgung der BF in der Russischen Föderation aus Konventionsgründen.

Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten durch das BFA war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist Voraussetzung einer positiven Entscheidung nach dieser Bestimmung, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 8.6.2000, 2000/20/0141). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, mit weiteren Nachweisen).

Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des „real risk“, wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, Zl. 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; VwGH 08.09.2016, Zl. 2016/20/0063).

Der EGMR sprach aus, dass das Leid, das aus natürlich auftretenden Krankheiten resultiert, von Art. 3 EMRK erfasst sein kann, wenn es durch eine Behandlung verschlimmert wird oder droht verschlimmert zu werden, die sich aus Haftbedingungen, einer Abschiebung oder anderen Maßnahmen ergibt, für die die Behörde verantwortlich gemacht werden können. Zusätzlich zu Fällen von unmittelbar bevorstehendem Tod kann es „andere sehr außergewöhnliche Fälle“ geben, in denen die gegen eine Ausweisung sprechenden humanitären Gründe gleichermaßen zwingend sind. Im Fall Paposhvili gg. Belgien verdeutlichte der EGMR, dass solche „anderen sehr außergewöhnlichen Fälle“ so verstanden werden müssen, dass sie sich auf die Ausweisung einer schwer kranken Person betreffende Situation beziehen, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme aufgezeigt wurden, dass sie, obwohl sie nicht in unmittelbarer Lebensgefahr ist, mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Empfangsstaat oder des fehlenden Zugangs zu solcher Behandlung einer ernsten, raschen und irreversiblen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. Der EGMR betont, dass diese Situationen einer hohen Schwelle für die Anwendung von Art. 3 EMRK in Fällen entsprechen, welche die Ausweisung von an einer schweren Erkrankung leidenden Ausländern betreffen. Die Behörden müssen von Fall zu Fall prüfen, ob die allgemein erhältliche Versorgung im Empfangsstaat für die Behandlung der Krankheit des Beschwerdeführers in der Praxis ausreichend und angemessen ist um zu vermeiden, dass er einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung ausgesetzt wird. Das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks ist eines der wesentlichen zu berücksichtigenden Elemente bei der Prüfung, ob ein Einzelner in der Praxis tatsächlich Zugang zu medizinischer Betreuung hat (EGMR 01.10.2019, Savran gg. Dänemark, 57467/15, mwN).

In der gegenständlichen Angelegenheit ist somit von Relevanz, dass die inzwischen 85-jährige BF von einer (aktuell) mittelgradigen senilen Demenz sowie Einschränkungen ihrer Bewegungsfähigkeit betroffen ist, die dazu führen, dass sie unfähig ist, ihre Umwelt korrekt und begreiflich zu verarbeiten, und für sich selbst zu sorgen, weshalb sie auf dauerhafte Betreuung und Anleitung angewiesen ist. Da ihr eine solche mangels sozialer Anknüpfungspunkte bei einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht mehr zuteilwerden würde, sie mit anderen Worten auf sich alleine gestellt wäre, würde eine Rückführung unmittelbare Lebensgefahr für die BF bedeuten, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen wäre, dass sie aufgrund ihres Selbstsorgedefizits und ihrer Unfähigkeit, ihre Umwelt sinnvoll zu begreifen, ein selbstgefährdendes Verhalten setzen würde bzw. sie nicht für ihre elementarsten Bedürfnisse sorgen könnte. Eine solche Rückführung würde somit eine unmittelbare Gefährdung der ihr nach Art. 2 und 3 EMRK zukommenden Rechte bedeuten. Es wird dabei nicht übersehen, dass es grundsätzlich auch in der Russischen Föderation Pflegeeinrichtungen gibt, allerdings wird die BF mangels sozialer Anknüpfungspunkte sowie auch mangels hervorgekommener finanzieller Mittel nicht in der Lage sein, diese in Anspruch zu nehmen. Eine Rückführung der BF würde somit eine Gefährdung ihrer Existenz bedeuten.

In Ermangelung von Ausschlussgründen ist der BF daher gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuzuerkennen.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr zu erteilen.

Infolge der Gewährung des subsidiären Schutzstatus sind die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides ersatzlos aufzuheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.