Spruch
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin DIEHSBACHER als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Mag. Walter ENZLBERGER und Mag. Peter SIGHARTNER über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Wakolbinger Rechtsanwälte GesbR, gegen den Bescheid des AMS Steyr vom 24.04.2024 zur Versicherungsnummer XXXX , nach ergangener Beschwerdevorentscheidung vom 09.07.2024, GZ: XXXX und nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.01.2025, beschlossen:
A.)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das AMS Steyr zurückverwiesen.
B.)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang
1. Mit Bescheid vom 24.4.2024 sprach das AMS aus, dass der nunmehrige Beschwerdeführer (im Folgenden kurz: „BF“) den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 in Verbindung mit § 10 AlVG im Ausmaß von 42 Tagen ab 27.3.2024 verloren habe; Nachsicht werde nicht erteilt. Begründend führte das AMS aus, der BF habe durch sein Verhalten das Zustandekommen einer möglichen Beschäftigung beim Dienstgeber B. Personalmanagement GmbH vereitelt. Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen würden nicht vorliegen bzw. könnten nicht berücksichtigt werden.
2. Mit (handschriftlichem) Schreiben vom 23.5.2024 erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des AMS vom 24.4.2024. Darin brachte der BF insbesondere vor, es sei unrichtig, dass er der Stellenzuweisung nicht nachgekommen sei. Vielmehr habe er seine handschriftliche Bewerbung termingerecht am 25.3.2024 versendet. Von der Firma B. habe er bis dato keine Rückmeldung erhalten.
3. Mit Schreiben vom 5.6.2024 teilte das AMS dem BF insbesondere mit, dass die Bewerbung auf die Stelle als Reinigungskraft bei der Firma B. online unter Verwendung des angeführten Links zu erfolgen gehabt hätte. Der BF habe sich – ohne Bezugnahme auf die konkrete Stelle – ganz allgemein postalisch als Reinigungskraft beworben. Eine konkrete Zuordnung seiner Bewerbung sei für den Dienstgeber nicht möglich gewesen; zudem habe sich der BF beim Dienstgeber auch nicht telefonisch gemeldet. Der BF könne dazu binnen zwei Wochen Stellung nehmen.
4. Mit (handschriftlicher) Stellungnahme vom 9.6.2024 brachte der BF insbesondere vor, aus der Stellenbeschreibung sei für ihn nicht zu erkennen gewesen, dass er sich ausschließlich online zu bewerben habe, da auch eine Postadresse angegeben gewesen sei. Im Hinblick auf ein zweites Stellenangebot, welches er am selben Tag erhalten habe, habe er im Übrigen trotz postalischer Bewerbung einen Vorstellungstermin bekommen.
5. Mit Bescheid vom 9.7.2024 wies das AMS die Beschwerde des BF gegen den Bescheid vom 24.4.2024 im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung ab. Begründend wurde insbesondere ausgeführt, der BF habe dadurch eine Vereitelungshandlung gesetzt, dass er nicht den vorgeschriebenen Bewerbungsweg (Online-Bewerbung) eingehalten und vor allem seine handschriftliche, postalisch und ohne Anführung einer Telefonnummer übermittelte Bewerbung nicht auf die konkrete Stelle bezogen und den Dienstgeber auch nicht telefonisch kontaktiert habe.
6. Mit Schriftsatz seiner nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertretung vom 26.7.2024 stellte der BF fristgerecht einen Vorlageantrag.
7. Am 12.8.2024 legte das AMS den Akt dem BVwG vor.
8. Mit Schreiben vom 13.11.2024 gab das AMS dem BVwG auf Nachfragen bekannt, dass nach Rückmeldung des Dienstgebers am 27.3.2024 keine weitere Kontaktaufnahme bezüglich der verfahrensgegenständlichen Stelle erfolgt sei, zumal der BF gegenüber dem AMS keine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse bekannt gegeben habe.
9. Am 8.1.2025 führte das BVwG in der Sache des BF in dessen Beisein sowie im Beisein seiner Vertreterin und eines Behördenvertreters eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
In der Beschwerdeverhandlung ergaben sich deutliche Hinweise auf (gravierende) psychische Probleme des BF, die einerseits die Frage aufwerfen, ob die verfahrensgegenständlich zugewiesene Stelle als Reinigungskraft dem BF in gesundheitlicher Hinsicht zumutbar gewesen wäre, und andererseits, ob der BF in Anbetracht seines Gesundheitszustands in der Lage gewesen wäre, den vorgeschriebenen Bewerbungsweg einzuhalten oder zumindest mit dem Dienstgeber telefonisch in Kontakt zu treten. Im Hinblick auf diese – entscheidungswesentlichen – Fragen liegt dem BVwG kein brauchbarer Sachverhalt vor.
2. Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung, in der er mehrfach auf seine (gravierenden) psychischen Probleme verwies, aufgrund derer er einen (telefonischen) Kontakt zur Außenwelt meide. Der BF machte auf den erkennenden Senat zudem persönlich den Eindruck, als hätte er tatsächlich entsprechende psychische Probleme. Darüber hinaus legte der BF in der Beschwerdeverhandlung eine Bestätigung eines Psychotherapeuten vom 4.4.2024 vor, wonach er an einer ausgeprägten Persönlichkeitsstörung und damit in Zusammenhang stehenden starken depressiven Symptomen leide, sodass er nicht mehr in das Berufsleben integrierbar erscheine, wobei insbesondere die Zusammenarbeit mit anderen Personen nicht zumutbar sei und der BF eine mangelnde Stressresistenz aufweise.
Insofern ist völlig offen, ob die verfahrensgegenständlich zugewiesene Stelle als Reinigungskraft dem BF in gesundheitlicher Hinsicht zumutbar bzw. ob der BF in Anbetracht seines Gesundheitszustands in der Lage gewesen wäre, den vorgeschriebenen Bewerbungsweg einzuhalten oder mit dem Dienstgeber zumindest telefonisch in Kontakt zu treten. Die vom BF vorgelegte Bestätigung allein ist keine taugliche Entscheidungsgrundlage. Ermittlungen zu dieser Thematik liegen dem BVwG nicht vor.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung
3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 56 Abs 2 AlVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Das Vorschlagsrecht für die Bestellung der erforderlichen Anzahl fachkundiger Laienrichter und Ersatzrichter steht gemäß § 56 Abs 4 AlVG für den Kreis der Arbeitgeber der Wirtschaftskammer Österreich und für den Kreis der Arbeitnehmer der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte zu; die vorgeschlagenen Personen müssen über besondere fachliche Kenntnisse betreffend den Arbeitsmarkt und die Arbeitslosenversicherung verfügen.
Gegenständlich liegt somit die Zuständigkeit eines Senats vor.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gemäß § 28 Abs 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2. Das AMS hat gegenständlich eine Beschwerdevorentscheidungen gemäß § 14 VwGVG erlassen und der BF hat fristgerecht einen Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG gestellt; gemäß § 15 Abs 1 VwGVG kann jede Partei binnen zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird. Anders als in § 64a AVG tritt mit der Vorlage der Beschwerde die Beschwerdevorentscheidung nicht außer Kraft; Beschwerdegegenstand im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht soll die Beschwerdevorentscheidung sein (EB zur RV 2009 dB XXIV.GP, S. 5).
3.3. § 28 VwGVG lautet auszugsweise:
[...]
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
[...]
(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
3.4. Im konkreten Fall bedeutet dies:
Der Tatbestand des § 10 Abs 1 Z 1 AlVG wird nur verwirklicht, wenn es sich um eine zumutbare und damit für die Zuweisung geeignete Beschäftigung handelt (vgl. VwGH 28.1.2015, 2013/08/0176). Nach § 8 Abs 2 AlVG sind Arbeitslose (unter anderem) dann, wenn zu klären ist, ob bestimmte Tätigkeiten ihre Gesundheit gefährden können, verpflichtet, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Die Untersuchung, ob bestimmte Tätigkeiten die Gesundheit einer bestimmten Person gefährden können, hat durch einen geeigneten Arzt oder eine geeignete ärztliche Einrichtung zu erfolgen.
Es muss weiters geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nach § 10 Abs 1 Z 1 AlVG nicht hin (z. B. VwGH 27.8.2019, Ra 2019/08/0065).
Im konkreten Fall sind – wie oben dargelegt – erhebliche Zweifel aufgetreten, ob dem BF die verfahrensgegenständlich zugewiesene Stelle als Reinigungskraft im Klinikum S. (siehe dazu das konkrete Stellenangebot der Firma B. Personalmanagement GmbH: „Körperliche Fitness und Belastbarkeit unbedingt notwendig“) in gesundheitlicher Hinsicht zumutbar gewesen wäre. Auch wenn diese Frage bejaht werden sollte, so wäre in weiterer Folge zu prüfen, ob der BF in Anbetracht allfälliger psychischer Probleme in der Lage gewesen wäre, den vorgeschriebenen Bewerbungsweg einzuhalten oder mit dem Dienstgeber zumindest telefonisch in Kontakt zu treten, zumal für die Verwirklichung des Vereitelungstatbestandes jedenfalls bedingter Vorsatz erforderlich ist.
Dem BVwG liegt zu diesen entscheidungswesentlichen Fragen kein brauchbarer Sachverhalt im Sinne der Erkenntnisse des VwGH vom 10.9.2014, Zl. Ra 2014/08/0005, und vom 26.6.2014, Zl. Ro 2014/03/0063, vor. Das AMS wird im fortgesetzten Verfahren ein nachvollziehbares (psychiatrisches bzw. arbeitsmedizinisches) Sachverständigengutachten einzuholen haben, welches nach persönlicher Untersuchung des BF ergeht und welches das Leistungskalkül des BF nachvollziehbar darlegt und durch welches nachvollziehbar Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Zumutbarkeit der verfahrensgegenständlichen Stelle – ebenso wie zur Frage, welche Bewerbungswege dem BF abverlangt werden können - getroffen werden können.
Im Übrigen steht der gegenständlichen Entscheidung auch § 28 Abs 2 Z 2 VwGVG nicht entgegen, zumal das AMS die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes rascher und nicht mit höheren Kosten als das BVwG bewerkstelligen wird können.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, da zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Verwaltungsgericht kassatorisch entscheiden darf, eine klare und aktuelle (siehe insbesondere die Erkenntnisse des VwGH vom 10.09.2014, Zl. Ra 2014/08/0005 und vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt.