Spruch
W216 2293857-1/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER-KOPSCHAR als Vorsitzende und die Richterin Mag. Benedikta TAURER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 15.05.2024, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
I. Dem Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 21.12.2023 wird stattgegeben.
Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen auf Grund des in Höhe von sechzig (60) vom Hundert (v.H.) festgestellten Grades der Behinderung vor.
II. Der Behindertenpass ist befristet bis 31.12.2027 auszustellen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer brachte am 21.12.2023 (einlangend) beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge: belangte Behörde) einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ein.
2. Zur Überprüfung des Antrages ersuchte die belangte Behörde einen Facharzt für Unfallchirurgie und Arzt für Allgemeinmedizin sowie einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie um Erstellung von Sachverständigengutachten basierend auf persönlichen Begutachtungen des Beschwerdeführers sowie um Erstellung einer Zusammenfassung der Sachverständigengutachten durch den Facharzt für Unfallchirurgie sowie Arzt für Allgemeinmedizin. In dieser Gesamtbeurteilung vom 29.04.2024 kommt der Facharzt für Unfallchirurgie sowie Arzt für Allgemeinmedizin zu dem Ergebnis, dass beim Beschwerdeführer ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. vorliegt.
3. Im Rahmen des von der belangten Behörde mit Schreiben vom 29.04.2022 gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs erhob der Beschwerdeführer – unter Vorlage medizinischer Befunde – mit Schreiben vom 13.05.2024 Einwendungen und zeigte sich mit den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens als nicht einverstanden.
3.1. Zur Überprüfung der Einwendungen sowie der vorgelegten medizinischen Beweismittel wurde von der belangten Behörde vom bereits befassten sachverständigen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie – basierend auf der Aktenlage – eine mit 14.05.2024 datierte Stellungnahme mit dem Ergebnis eingeholt, dass keine Änderung objektivierbar sei.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.05.2024 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG ab und stellte einen Grad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. fest.
Begründend wurde ausgeführt, dass das durchgeführte medizinische Beweisverfahren ergeben habe, dass ein Grad der Behinderung von 30 v.H. vorliege. Da somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht gegeben seien, sei der Antrag abzuweisen gewesen. In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des BBG.
5. Mit Schreiben vom 31.05.2024 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. In diesem wendet er sich im Wesentlichen gegen die vorgenommene Einstufung.
6. Die gegenständliche Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden mit Schreiben der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 18.06.2024 zur Entscheidung vorgelegt.
7. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes holte das Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 08.10.2024, mit dem Ergebnis ein, dass beim Beschwerdeführer ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. vorliegt.
8. Im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG mit Hinweis auf die Neuerungsbeschränkung gemäß § 46 BBG erteilten Parteiengehörs vom 20.11.2024 haben weder der Beschwerdeführer noch die belangte Behörde Einwendungen erhoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Da sich der Beschwerdeführer mit dem im angefochtenen Bescheid festgestellten Grad der Behinderung nicht einverstanden erklärt hat, war dieser zu überprüfen.
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland.
Der verfahrensgegenständliche Antrag ist am 21.12.2023 bei der belangten Behörde eingelangt.
1.2. Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 60 v.H.
1.2.1. Ausmaß der Funktionseinschränkungen:
XXXX -jähriger BF in ausreichendem AZ und EZ, keine Zyanose, keine Dyspnoe, ausreichend gepflegtes Auftreten, trägt angepasstes orthopädisches Schuhwerk.
Psychischer Status
Bewusstseinsstörungen: keine
Orientierung: in allen Qualitäten ausreichend
Auffassung: ausreichend
Konzentration: soweit beurteilbar etwas reduziert
Gedächtnis und Merkfähigkeit: subj ausreichend
Formale Denkstörungen: soweit beurteilbar keine
Patholog. Ängste: rez Ängste und Panikattacken
Zwänge: keine
Wahn: nein
Sinnesstäuschungen (inkl. Halluzinationen): keine
ICH Störungen: keine
Stimmung/Affekt/Affizierbarkeit: depressiv, dysthym, etwas dysphorisch, leicht agitiert, dzt kaum depressiv
Insuffizienzgefühle: vorhanden
Antrieb/psychomotorische Störungen: reduziert, erscheint dzt ausreichend
Schlaf und circadiane Störungen: schlecht, Einschlaf- und Durchschlafprobleme, Albträume
Soziales Verhalten: eher wenig soziale Kontakte
Selbstgefährdung (SMG, SMV, Selbstverletzung): nein
Fremdgefährdung: nein
Appetit: gut
Gewicht: dzt stabil
Medikamentencompliance: laut glaubhafter Angabe gut
Krankheitseinsicht: voll erhalten
Krankheitsgefühl: ausgeprägt
Weitere Beschwerden: psychosomatisch: -
Persönlichkeitsbeschreibung: ängstlich, etwas angespannt, einfach strukturiert, Anpassungsprobleme, rez Flashbacks, grübelnd
Alkohol: neg
Drogen: neg
Neurologischer Untersuchungsbefund:
Rechtshänder
Hirnnerven: bei grober Prüfung unauffällig, Visus ausreichend, altersentsprechend, Hören altersentsprechend, Sprache unauffällig.
Obere und UE Extremitäten: an der linken OE und v. der UE zeigen sich deutliche große und blande Narben, an der linke UE Kraftabschwächung, v.a. Fußheberschwäche links, Zn Hauttransplantation vom rechten Bein auf das linke, Hypästhesie linke UE und tlw im linken Arm, am Handgelenk links und in den Fingerspitzen, Dysbradydiadochokinese links, Tonus, Trophik, grobe Kraft und Sensibilität rechts unauffällig. Finger-Nase-Versuch bds zielsicher. Muskeleigenreflexe rechts mittellebhaft auslösbar, links nicht auslösbar.
Gang ausreichend sicher und stabil, links etwas hinkend, keine Fallneigung, auf Zehen und Fersen links erschwert, Strichgang noch möglich, nur mit geschlossenen Augen etwas unsicher.
Wirbelsäule: keine stärkere paravertebrale Verspannung oder Bewegungseinschränkung.
Finger-Boden-Abstand etwas erschwert durchführbar
1.2.2. Beurteilung der Funktionseinschränkungen:
Der Grad der Behinderung ergibt sich führend durch das Leiden 1; das Leiden 2 hebt wegen negativer wechselseitiger Leidensbeeinflussung um eine Stufe an.
Da der Beschwerdeführer einen Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. erreicht, sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfüllt.
Der Grad der Behinderung ist ab Antragstellung anzunehmen.
Durch weitere Therapie ist eine Besserung des Gesundheitszustandes zu erwarten, weswegen eine Nachuntersuchung in drei Jahren indiziert ist.
Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß und medizinischer Einschätzung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im seitens des Bundesverwaltungsgerichts eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie zu Grunde gelegt.
Die vom Bundesverwaltungsgericht beigezogene fachärztliche Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers mit 60 v.H. festzustellen sei, sodass sich eine entscheidungsmaßgebliche Anhebung des Gesamtgrades der Behinderung ergibt; vgl. dazu die nachfolgenden beweiswürdigenden Ausführungen. Die Gutachterin begründet diese Beurteilung im Gutachten vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Dieses aktuelle Gutachten wurde von beiden Parteien nicht bestritten.
2. Beweiswürdigung:
Zu 1.1.) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen sowie der Einbringung des Antrages ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Zu 1.2.) Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkung gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die eingeholten und vorgelegten Beweismittel:
Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte fachärztliche Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie weicht im Ergebnis von den der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Gutachten ab und begründet schlüssig die nunmehr höhere Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung. Das eingeholte Gutachten ist hinsichtlich der beschriebenen Leidenszustände nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers erhobenen klinischen Befund, entsprechen unter Berücksichtigung der vorgelegten Beweismittel den festgestellten Funktionseinschränkungen. Die vorliegenden Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen, die Sachverständige hat sich damit auch ausreichend auseinandergesetzt. Die Zuordnung der einzelnen Gesundheitsschädigungen zu den Positionen der Anlage der Einschätzungsverordnung und deren Einstufung innerhalb des jeweiligen Rahmensatzes erfolgte korrekt und ist weder der Beschwerdeführer noch die belangte Behörde im Rahmen des ihnen hierzu seitens des Bundesverwaltungsgerichts eingeräumten Parteiengehörs entgegengetreten.
Die belangte Behörde hatte die Feststellung des Grades der Behinderung mit 30 v.H. auf Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie eines Arztes für Allgemeinmedizin sowie Facharztes für Unfallchirurgie gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte aufgrund des Beschwerdevorbringens und der Stellungnahmen den Auftrag zur Erstellung eines weiteren Sachverständigengutachtens – erneut basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers – erteilt. Die vom erkennenden Gericht im Beschwerdeverfahren herangezogene Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie führt in ihrem Sachverständigengutachten zur Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu den zuvor eingeholten Gutachten nachvollziehbar und schlüssig aus, dass sich bei der persönlichen Untersuchung erhebliche psychische und körperliche Einschränkungen zeigen würden, die in den Vorgutachten deutlich zu niedrig eingeschätzt worden seien. Die Depressionen, Schlafstörungen, Ängste und Flashbacks nach den Kriegserlebnissen seien nachvollziehbar und würden auch eine anhaltende psychiatrische Behandlung sowie eine umfassende medikamentöse Therapie erfordern. Der Beschwerdeführer müsse nun auch in einem betreuten Wohnen untergebracht werden. Die körperlichen Einschränkungen seien augenscheinlich, es bestünden ausgedehnte Narben (die auch psychisch weiter belastend seien und immer wieder an die Traumen erinnern würden), eine Muskelschwäche und auch Schmerzen inklusive im Kreuz und den Schultern, die auch sekundär u.a. bei Beinverkürzung bedingt sein dürften. Es würden daher die Leiden 2 bis 4 aus dem zusammenfassenden Vorgutachten zum nunmehrigen Leiden 2 zusammengefasst. Es handle sich beim Leiden 1 um eine schwere Erkrankung, die infolge des erlebten Krieges aufgetreten sei. Dasselbe gelte auch für das nunmehrige Leiden 2. Beides zusammen bedinge eine Anhebung des Gesamtgrades der Behinderung von 30 auf 60 vH.
Dies erscheint aus Sicht des erkennenden Senates plausibel und nachvollziehbar und steht dies auch im Einklang mit dem Beschwerdevorbringen. Die belangte Behörde trat den getroffenen Feststellungen ebenfalls nicht entgegen, weshalb das Gericht die in dem Gutachten getroffenen Feststellungen ohne weitere Ermittlungen als Sachverhalt feststellt.
Das Gericht hat ein Gutachten auf seine Vollständigkeit und Schlüssigkeit zu überprüfen. Weitere Gutachten hat die Behörde nur dann einzuholen, wenn sich die vorliegenden Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen; will eine Partei außer dem vorliegenden schlüssigen und vollständigen Gutachten noch ein weiteres in das Verfahren einbezogen wissen, steht es ihr frei, selbst ein Gutachten eines privaten Sachverständigen zu beschaffen und vorzulegen. Im vorliegenden Fall wird das vom Bundesverwaltungsgericht beauftragte Gutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie als schlüssig und vollständig betrachtet. Es ist nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Das Bundesverwaltungsgericht legt daher dieses Sachverständigengutachten seiner Entscheidung zugrunde. Die belangte Behörde und der Beschwerdeführer sind den getroffenen Feststellungen nicht entgegengetreten, weshalb das Gericht die im Gutachten getroffenen Feststellungen ohne weitere Ermittlungen dem Sachverhalt zugrunde legt.
Die Angaben des Beschwerdeführers waren sohin geeignet, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Sachverständigengutachten zu entkräften und eine geänderte Beurteilung herbeizuführen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.
Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
3.2. Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
„BEHINDERTENPASS
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.“
„§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
(…)“
„§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(…)“
„§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
(…)“
3.3. §§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:
„Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.“
„Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.“
3.4. Festzuhalten ist, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall – wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm – nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war. Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es dem Antragsteller freisteht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023; 20.05.2015, 2013/11/0200).
Gegenständlich wurde im Rahmen des Beschwerdeverfahrens seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zwecks Beurteilung des Beschwerdevorbringens und der vorgelegten medizinischen Beweismittel ein Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten Neurologie und Psychiatrie eingeholt, welches auf Basis einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers erstattet wurde und – sowohl hinsichtlich der Einschätzung der Funktionseinschränkungen als auch hinsichtlich der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung – den von der Judikatur (sowie von der Einschätzungsverordnung) aufgestellten Anforderungen entspricht.
3.5. Wie unter Punkt II.2. eingehend ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das schlüssige Sachverständigengutachten zugrunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers – entgegen der Feststellung im angefochtenen Bescheid – 60 v.H. beträgt. Wie ebenfalls bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, wurde das vorliegende Gutachten von den Verfahrensparteien nicht bestritten.
Mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, erfüllt.
Der Beschwerde war daher stattzugeben und der angefochtene Bescheid spruchgemäß abzuändern. Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer folglich einen befristeten Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. auszustellen. Es ist eine Verbesserung der Leiden bei weiterer Therapie möglich, weswegen der Behindertenpass befristet auf drei Jahre auszustellen sein wird.
3.6. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und dem seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zur Überprüfung des Beschwerdevorbringens eingeholten – vom erkennenden Gericht als schlüssig erachteten – Sachverständigengutachten, das von den Verfahrensparteien unwidersprochen zur Kenntnis genommen wurde. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich an, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die angewendeten Teile des Bundesbehindertengesetzes sind – soweit im Beschwerdefall relevant – eindeutig. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.