Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. STEINER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BBU GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.06.2024, Zl. 1379252004/232527280, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer ist in die Republik Österreich eingereist und hat am 10.12.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
2. Bei der Erstbefragung durch Organe des Sicherheitsdienstes am nächsten Tag begründete der Beschwerdeführer seine Antragstellung dahingehend, Somalia wegen der Diskriminierung verlassen zu haben und heimlich eine Frau einer mächtigen Volksgruppe geheiratet zu haben und sodann von der Familie der Frau attackiert, geschlagen und mit dem Leben bedroht worden zu sein. Zudem hätten sie seine Mutter ermordet.
3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 23.04.2024 gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Somali zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass er einer Minderheit angehöre und immer diskriminiert worden sei. Im Jahr 2022 habe er sich in eine Frau verliebt, aber ihr Bruder habe vom Kontakt und der Liebe erfahren und den Beschwerdeführer gemeinsam mit Freunden zuhause attackiert. Er habe danach seine Frau trotzdem getroffen und heimlich ohne Wissen ihrer Eltern geheiratet. Seine schwangere Frau sei von ihrer Familie zusammengeschlagen worden und seine Mutter sei bedroht worden, um den Aufenthalt des Beschwerdeführers zu erfahren. Die Mutter sei gezwungen worden, den Beschwerdeführer zu kontaktieren, und sei danach erschossen worden. Der Beschwerdeführer sei dann zu einem Onkel nach Mogadischu geflohen und habe sich dort bis zu seiner Ausreise versteckt. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, dass seine Frau in Äthiopien sei.
Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der Einvernahme Integrationsunterlagen vor.
4. Mit angefochtenem Bescheid vom 19.06.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wurde ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsland Somalia aufgrund von Verfolgung bzw. einer Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Seine Ausführungen in Bezug auf eine Gefährdung seiner Person aufgrund einer etwaigen Verfolgung wegen der Beziehung mit einer Frau aus einem „höhergestellten“ Clan seien nicht glaubhaft gewesen, weil sie in keiner Weise plausibel und in höchstem Maße vage gehalten gewesen seien sowie zudem Widersprüche enthalten hätten, für die der Beschwerdeführer keine nachvollziehbare Erklärung habe liefern können. Er habe sich eines Konstrukts bedient, um sich etwaige Vorteile im Verfahren zu erschleichen. Insgesamt betrachtet sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen, eine Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen. Aufgrund widersprüchlicher Angaben und nicht plausiblen Ausführungen ging das Bundesamt von einer konstruierten Geschichte aus und hielt fest, dass der Beschwerdeführer als Person unglaubwürdig sei. Jedoch sei eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr nach Somalia aufgrund der momentanen schlechten Versorgungslage anzunehmen, insbesondere der sich rapide verschlechternden Nahrungsversorgungssituation und der vorherrschenden Dürre.
5. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde Beschwerde erhoben wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erlassen worden wäre.
Der Beschwerdeführer bringt erneut vor, dass er seine Fluchtgründe näher ausgeführt habe und insbesondere angegeben habe, dass er aufgrund seiner Clanzugehörigkeit zu den Gabooye und einer Mischehe mit seiner dem Mehrheitsclan Agbal zugehörigen Ehefrau bedroht, verletzt und verfolgt worden sei. Er könne auch keinen ausreichenden Schutz von Sicherheitsbehörden oder in Mogadischu aufgrund der Minderheitenclanzugehörigkeit erhalten und sei auch seine Mutter aufgrund der Mischehe getötet worden. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und unrichtig, weil es die belangte Behörde unterlassen habe, sich einerseits näher mit dem Clan der Gabooye, einer Minderheitengruppe in Somalia, und andererseits dem tatsächlichen „in der Praxis“ bestehenden Einfluss von Al Shabaab auseinanderzusetzen. Aus den angeführten Berichten ergebe sich, dass Angehörige der Minderheitenclans, auch in Mogadischu, immer noch schwer benachteiligt würden und stark diskriminiert seien, weshalb sie keine menschenwürdige Existenz aufbauen könnten. Da sie über keinen effektiven Schutz verfügen würden, seien diese unproportional stark von Tötungen, Folter, Vergewaltigung, Kidnapping und Plünderung betroffen. Der Beschwerdeführer gehöre dem Gabooye Minderheitenclan an und könne daher weder in Mogadischu noch woanders in Somalia ein menschenwürdiges Leben aufbauen, ohne erneut aufgrund des in Somalia landesweit herrschenden Clansystems bedroht zu werden. Das Parteivorbringen decke sich mit den Angaben, die dem aktuellen LIB zu entnehmen seien, und komme diesem – entgegen der Ansicht der Behörde – besondere Glaubwürdigkeit zu. Dem Beschwerdeführer wäre daher der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen.
6. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 24.07.2024 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
7. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses wurde die gegenständliche Rechtssache am 03.09.2024 neu zugewiesen.
8. Mit Eingabe vom 02.10.2024 übermittelte das Bundesamt die Abmeldung des Beschwerdeführers von der Grundversorgung. Als Abmeldungsgrund wurde „Privat verzogen Inland“ angeführt.
9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 17.10.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher kein Vertreter der belangten Behörde teilnahm. Im Beisein der Vertreterin des Beschwerdeführers und eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch wurde der Beschwerdeführer zu seinen Lebensumständen in Somalia und seinen Fluchtgründen befragt. Im Rahmen der Verhandlung bzw. bereits mit der Ladung zu dieser wurden überdies aktuelle Länderberichte zu Somalia ins Verfahren eingebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt und in den Gerichtsakt, durch Befragung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und Einsichtnahme insbesondere in folgende Länderberichte: Länderinformationen der Staatendokumentation: Somalia aus dem COI-CMS (Country of Origin Information – Content Management System), Version 6 vom 08.01.2024; EUAA, Country of Origin Information (COI) Somalia: Security Situation, Februar 2023; EUAA, Country Guidance: Somalia, August 2023; SEM Focus Somalia – Clans und Minderheiten vom 31.05.2017; UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing Somalia, September 2022.
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seiner Antragstellung:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia und wurde am XXXX in XXXX (Middle Shabelle) geboren. Er gehört dem Clan Gabooye, Subclan XXXX , Subsubclan XXXX an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.
Der Beschwerdeführer lebte durchgehend bis kurz vor seiner Ausreise im Mai 2023 in XXXX , wo er höchstens zwei Jahre lang die Koranschule besuchte, aber die somalische Sprache in Wort und Schrift beherrscht. Darüber hinaus verfügt er über keine Schul- oder Berufsausbildung. Seinen Lebensunterhalt finanzierte er durch Hilfsarbeiten. Er hat am 30.04.2023 XXXX und am 20.05.2023 Somalia über Mogadischu verlassen.
XXXX wird von den Regierungskräften kontrolliert und kann hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden.
In Somalia verfügt der Beschwerdeführer mit seinem Vater und zwei Brüdern sowie zwei Schwestern über Familienangehörige, die außerhalb von Mogadischu in einem Flüchtlingslager namens XXXX leben. Zudem lebt ein Onkel des Beschwerdeführers in Mogadischu. Er hat regelmäßig telefonischen Kontakt mit seiner Familie. Seine Mutter ist den Angaben des Beschwerdeführers zufolge bereits verstorben.
Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen in Österreich eingereist und hat am 10.12.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz gewährt. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Dem Beschwerdeführer drohen aufgrund einer Mischehe mit einer dem Clan der Hawiye zugehörigen Frau keine Verfolgungshandlungen. Der Beschwerdeführer und seine Angehörigen waren vor der Ausreise des Beschwerdeführers keinen damit in Zusammenhang stehenden Übergriffen seitens der Familie seine Ehefrau ausgesetzt und sind solche Angriffe auch im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nicht zu erwarten. Es kann insbesondere auch nicht festgestellt werden, dass die Mutter des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der Eheschließung des Beschwerdeführers bedroht und getötet wurde.
Für den Beschwerdeführer besteht überdies bei einer Rückkehr nach Somalia keine maßgebliche Gefahr, im Herkunftsstaat aufgrund seiner Zugehörigkeit zur berufsständischen Gruppe Gabooye, Subclan XXXX , Subsubclan XXXX , verfolgt zu werden.
Der Beschwerdeführer ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft oder politisch aktiv gewesen und ihm drohen persönlich weder erhebliche Diskriminierung oder Gewalt durch somalische Behörden, Al Shabaab oder Angehörige eines Mehrheitsclans.
Der Beschwerdeführer hat bei einer Rückkehr nach Somalia auch keine sonstige konkret gegen seine Person gerichtete Bedrohung zu erwarten.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird Folgendes festgestellt:
Politische Lage
(Letzte Änderung 2024-01-03)
Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in die somalischen Bundesstaaten und Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird.
Somalia bleibt ein fragiler Staat, die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, wesentliche Staatsfunktionen können von ihnen nicht ausgeübt werden. Es gibt jedenfalls keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Denn obwohl das Land nominell von Präsident Hassan Sheikh Mohamud regiert wird, steht ein Großteil des Landes nicht unter staatlicher Kontrolle. Al Shabaab kontrolliert fast 70 % von Süd-/Zentralsomalia.
Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, ihren Pflichten in und um Mogadischu auch nur teilweise nachzukommen, geschweige denn ein landesweites Gewaltmonopol zu errichten. Sie bietet ihren Bürgern derzeit nur wenige wesentliche Dienstleistungen an. Die ständige Instabilität bleibt ein prägendes Merkmal des Lebens. Viele Menschen verlassen sich hinsichtlich grundlegender Dienstleistungen und Schutz weiterhin auf bestehende traditionelle, informelle Institutionen. Denn der Staat leidet an gescheiterten Institutionen, vom Gesundheitswesen bis zu den Sicherheitskräften. Persönlichkeitsorientierter Politik wird Vorrang gewährt. Informelle politische und Clanbeziehungen dominieren einen fragilen Staat. Und die immer noch offene institutionelle Lücke wird durch eine Reihe anderer Akteure – darunter al Shabaab – aufgefüllt.
Die Bundesregierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen, da sie nur wenige Gebiete kontrolliert. Gleichzeitig gilt Somalia als eines der korruptesten Länder der Welt und die Regierung ist zum Überleben stark auf internationale Hilfe angewiesen.
Generell ist die politische Landschaft durch ein komplexes Zusammenspiel von Clandynamiken, regionalen Rivalitäten und Machtkämpfen auf oberen Ebenen gekennzeichnet. Clanbasierte Politik und Identitäten haben die Bildung politischer Allianzen und Konflikte im ganzen Land erheblich beeinflusst. Verschiedene Fraktionen und regionale Regierungen wetteifern um die Macht, was zu politischer Fragmentierung und einem Mangel an kohärenter Regierungsführung geführt hat.
Die Übergangsverfassung sieht föderale Strukturen mit zwei Regierungsebenen vor: Die Bundesregierung (Federal Government) sowie die Bundesstaaten (Federal Member States), welche auch Lokalregierungen umfassen. Seit damals sind sechs Entitäten durch die Bundesregierung als Bundesstaaten anerkannt worden: Puntland, Galmudug, Jubaland, South West State (SWS) und HirShabelle. Jeder dieser Bundesstaaten hat eine eigene Verfassung. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet. Die Hauptstadtregion Benadir (Mogadischu) verbleibt als Banadir Regional Administration/BRA unter direkter Kontrolle der Bundesregierung. Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden.
Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
(Letzte Änderung 2024-01-03)
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen. Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, wird die Lage über die Kontrolle geringer Teilgebiete von Puntland von al Shabaab beeinflusst – und in noch geringeren Teilen vom Islamischen Staat in Somalia – während es hauptsächlich an Clandifferenzen liegt, wenn Puntland tatsächlich keinen Zugriff auf gewisse Gebiete hat. In Süd-/Zentralsomalia ist die Situation noch viel komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist.
Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 sind Hargeysa, Berbera, Burco, Garoowe und – in gewissem Maße – Dhusamareb sichere Städte. Alle anderen Städte variieren demnach von einem Grad zum anderen. Auch Kismayo selbst ist sicher, aber hin und wieder gibt es Anschläge. Bossaso ist im Allgemeinen sicher, es kommt dort aber zu gezielten Attentaten. Dies gilt auch für Galkacyo. Laut einer weiteren Quelle sind Baidoa, Jowhar und Belet Weyne diesbezüglich innerhalb des Stadtgebietes wie Kismayo zu bewerten. Laut einer anderen Quelle sind alle Hauptstädte der Bundesstaaten relativ sicher.
Quelle: PGN 23.1.2023 Quelle: Williams/ACSS 17.4.2023
Die Sicherheitslage bleibt volatil, mit durchschnittlich 234 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat (Zeitraum Februar-Juni 2023). Insgesamt gab es im Zeitraum 8.2.-7.6.2023 935 Vorfälle, davon 355 mit terroristischem Hintergrund. Al Shabaab führt immer wieder komplexe Angriffe durch, so etwa am 19. und 22.4. in Bud und Masagway (Galgaduud) und am 26.5. in Buulo Mareer (Lower Shabelle). U.a. bei Sprengstoffanschlägen kommen Menschen ums Leben oder werden verletzt. Weiterhin führt der Konflikt zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen. Im og. Zeitraum waren 11 % der davon Betroffenen Zivilisten. Die Zahl an terroristischen Vorfällen war im ersten Quartal 2023 überdurchschnittlich. Am meisten von Sprengsätzen betroffen waren in diesem Zeitraum Mogadischu/Benadir, Lower Shabelle, Hiiraan und Lower Juba. Mogadischu wird immer wieder auch von indirektem Feuer der al Shabaab getroffen. Im Zusammenhang mit der laufenden Offensive am meisten betroffen sind Middle Shabelle, Mudug, Galgaduud und Hiiraan. Die österreichische Botschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem bewaffneten Konflikt, während das deutsche Auswärtige Amt von Bürgerkrieg und bürgerkriegsähnlichen Zuständen in vielen Teilen Süd-/Zentralsomalias berichtet.
Generell ist die Regierung nicht in der Lage für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf ATMIS, aber auch auf Unterstützung anderer Staaten angewiesen. Im April 2022 hat die African Union Transition Mission in Somalia (ATMIS) von der African Union Mission in Somalia (AMISOM) übernommen, nachdem dies vom UN Security Council und zuvor vom Sicherheitsrat der Afrikanischen Union so beschlossen wurde. AMISOM war zuvor seit 2007 in Somalia aktiv. ATMIS wurde im Juni 2023 um 2.000 Mann reduziert, die nächste Truppenreduktion um 3.000 Mann steht mit Ende Dezember 2023 an. Die Ausbildung neuer Soldaten für die Bundesarmee machte 2023 gute Fortschritte, es mussten aber auch hohe Verluste hingenommen werden. Das größte Problem derzeit ist neben der Truppenstärke die fehlende Ausrüstung (schwere Waffen, Luftkomponente, etc.).
Trend: Nach den Erfolgen der Macawiisley-Offensive hat man es wieder nicht geschafft, erobertes Gebiet ausreichend abzusichern. Dort wo die Bundesarmee in Richtung neuer Ziele abgerückt ist, konnte al Shabaab teils schnell wieder an Einfluss gewinnen. Ein Grund dafür ist das Fehlen von Darawish-Kräften, die mit lokalen Gegebenheiten und der Lokalbevölkerung vertraut sind. Generell stehen keine bzw. zu wenige leistungsfähige und verlässliche Truppen zur Verfügung, um diese Orte zu halten, wenn die Angriffstruppen weiterziehen. Die Macawiisley erfüllen eine wichtige Hilfsfunktion, man kann sich jedoch nicht darauf verlassen, dass sie als wirksame Haltetruppe in neu eroberten Gebieten dienen. Zudem könnten sie sich selbst zum Problem entwickeln: Sie sind schwer zu kontrollieren und können jahrelang schwelende Clankonflikte befeuern.
Die Beziehungen der Bundesregierung zu manchen im Kampf gegen al Shabaab erfolgreichen Clans (v.a. die Hawadle) haben sich aufgrund politischer Verwerfungen abgekühlt. Al Shabaab konnte daraus Vorteile ziehen und hat mit einigen Clanmilizen in HirShabelle und Galmudug Abkommen ausgehandelt. Während al Shabaab nun versucht, den einen Teil der Hawiye gegen die Bundesregierung zu mobilisieren (v.a. Habr Gedir Mohamud Hirab, Murusade und Abgal Wacaysle), versucht die Bundesregierung, den anderen Teil (z.B. Habr Gedir) gegen al Shabaab in Stellung zu bringen. Al Shabaab hat versucht sich anzupassen – etwa im Umgang mit der Lokalbevölkerung. Die Gruppe setzt nun mehr auf Anreize als auf Zwang und Erpressung. Bereits Ende Dezember 2022 wurde mit Teilen der Saleban ein neues Abkommen geschlossen. Gleichzeitig schürt al Shabaab unter den Clans Angst, dass fremde Clanmilizen über sie herzufallen drohen. Diese Propaganda dient auch als Rekrutierungsmittel, z.B. bei den Murusade in Zentralsomalia. Spannungen in neu eroberten Gebieten haben teils zu Kampfhandlungen zwischen Clans geführt.
Insgesamt ist die Offensive seit Anfang 2023 zum Stillstand gekommen. Al Shabaab hat diese Pause genutzt, um sich zu konsolidieren, um Rekrutierung und Ausbildung zu intensivieren, Erpressungsaktivitäten auszuweiten und Angriffe auf hochwertige Ziele zu verstärken. Im September 2023 hat al Shabaab so viele Selbstmordattentate versucht und ausgeführt wie in keinem Monat zuvor: 14, drei davon wurden vereitelt. Die Hälfte der Attentate ereignete sich in Zentralsomalia.
Al Shabaab stand gemäß Aussagen des Experten Rashid Abdi vom November 2022 mit dem Rücken zur Wand. Die Gruppe hatte viele Gebiete verloren und stand gleichzeitig einer Revolte mehrere Clans gegenüber. Damit befand sich auch das Wirtschaftsimperium al Shabaab unter Druck. Trotz der nominell hohen Verluste, die al Shabaab durch Luftangriffe und Gefechte zugefügt worden sind, hat die Gruppe dennoch keinen Mangel an Kämpfern. Zumindest ist es nicht gelungen, Angriffe von al Shabaab auf Militärstützpunkte einzudämmen. Sie ist auch immer noch in der Lage, Angriffe in Mogadischu, gegen Stützpunkte der ATMIS und über die Grenzen der ATMIS-Mitgliedsstaaten Äthiopien und Kenia hinweg zu verüben. Al Shabaab greift weiterhin regierungsnahe Kräfte und Ziele sowie Zivilisten im ganzen Land an. Die Gruppe übt Druck auf Zivilisten aus, ihre extremistische Ideologie zu unterstützen. Angegriffen werden Regierungseinrichtungen und Sicherheitskräfte, aber auch Hotels, Märkte und andere öffentliche Einrichtungen. In Zentralsomalia hält sich al Shabaab weiterhin im freien Gelände zwischen den Ortschaften auf und greift bei jeder Gelegenheit die Orte selbst bzw. die Bewegungen zwischen den Ortschaften an. Insgesamt haben die militärischen Kräfte der al Shabaab in Zentralsomalia zwar hohe Verluste hinnehmen müssen, sind aber bei Weitem nicht geschlagen.
Al Shabaab verwendet gewalttätige, extremistische Taktiken. Die Gruppe bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden, Stabilität und Sicherheit. Sie ist in hohem Maß anpassungsfähig und mobil und kann ihren Einfluss auch in Gebieten außerhalb der eigenen Kontrolle geltend machen. Die Gruppe bedient sich neben politischen und kriminellen Mitteln (wie Einschüchterung, Erpressung, etc.) zur Kontrolle der Bevölkerung im militärischen Bereich zur Erreichung der Ziele der gesamten Bandbreite der asymmetrischen Kriegsführung. Mit unterschiedlichen Methoden gelingt es al Shabaab, die Bevölkerung zu kontrollieren, Einfluss auf die Politik zu nehmen und in Süd-/Zentralsomalia für ein Klima der Angst zu sorgen: Kontrolle großer Gebiete; sogenannte Hit-and-Run-Angriffe gegen Städte und militärische Positionen; Ausnutzung von Clanstreitigkeiten mit einer Taktik des „teile und herrsche“; Unterbrechung von Hauptversorgungsrouten und Blockade von Städten; und in wichtigen Städten (z.B. Mogadischu, Baidoa, Galkacyo, Jowhar) gezielte Attentate, Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen und Mörserangriffe. Zusätzlich ist die Gruppe auch weiterhin in der Lage, größere – sogenannte „komplexe“ – Angriffe durchzuführen. Al Shabaab verfolgt eine klassische Guerilla-Doktrin: Die Einkreisung von Städten aus dem ländlichen Raum heraus.
Als al Shabaab an den Fronten an Boden verloren hat, steigerte die Gruppe ihre terroristischen Aktivitäten. Beim Einsatz von improvisierten Sprengsätzen ist hinsichtlich der Anzahl in den letzten Jahren keine Veränderung eingetreten. Allerdings sind die Opferzahlen seit 2020 stetig nach oben gegangen. Im Jahr 2020 wurden 501 Menschen durch improvisierte Sprengsätze getötet; 2021 waren es 669; und in den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 gab es mindestens 855 Opfer. Auch die Zahl an terroristischen Vorfällen im ersten Quartal 2023 war überdurchschnittlich. Es wurden 61 Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen gezählt (höchste Zahl seit 2017), bei denen 291 Menschen ums Leben gekommen sind. Als Reaktion auf die anhaltende Offensive werden häufig Regierungs- und lokale Clanmilizen ins Visier genommen. Am meisten davon Sprengsätzen betroffen waren Mogadischu/Benadir, Lower Shabelle, Hiiraan und Lower Juba. Mogadischu ist immer wieder auch von indirektem Feuer der al Shabaab betroffen.
Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es regelmäßig zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. ATMIS und al Shabaab. Die aktuelle Offensive konzentriert sich im Wesentlichen auf die Regionen Galgaduud, Hiiraan, Middle Shabelle und Mudug. Sie soll zu einem späteren Zeitpunkt auf den SWS und Jubaland ausgeweitet werden. Auch entlang der Hauptversorgungsrouten unterhält al Shabaab weiterhin Angriffe, und die Gruppe hat einige davon einnehmen können.
Gebietskontrolle: Innerhalb der letzten zehn Jahre ist es der Regierung und den Truppen von AMISOM/ATMIS gelungen, die Kontrolle über viele Teile des Landes zurückzuerlangen. Al Shabaab wurde erfolgreich aus den großen Städten gedrängt. Während ATMIS und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen. Gleichzeitig hat al Shabaab die Fähigkeit behalten, in Mogadischu zuzuschlagen. Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias befinden sich also teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle von al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen. In Baidoa und Jowhar hat sie stärkeren Einfluss. Ihre Verbündeten kontrollieren viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin. Viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und ATMIS sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Gebessert hat sich die Lage in Ost-Hiiraan und in Middle Shabelle, wo auch Bewegungen zwischen den Orten möglich sind. In Gebieten, in welchen al Shabaab keine direkte Kontrolle ausübt – sei es wegen der Präsenz von somalischen oder internationalen Sicherheitskräften, sei es wegen der Präsenz von Clanmilizen – versucht die Gruppe die lokale Bevölkerung und die Ältesten durch Störoperationen entlang der Hauptversorgungsrouten zu bestrafen bzw. deren Unterstützung zu erzwingen. Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle hält al Shabaab Blockaden aufrecht. Als „Inseln“ zu bezeichnen sind etwa Xudur, Waajid, Diinsoor, Wanla Weyne und Baraawe. In den zuletzt von der Regierung eroberten Gebieten findet sich die Bundesarmee v.a. in kritischen Teilen – etwa entlang der Hauptversorgungsrouten.
Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab. Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind:
1. das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; de facto die gesamte Region Middle Juba;
2. Jamaame und Badhaade in Lower Juba;
3. größere Gebiete um Ceel Cadde und Qws Qurun in der Region Gedo;
4. Gebiete nördlich und entlang des Shabelle in Lower Shabelle, darunter Sablaale und Kurtunwaarey;
5. der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;
6. Gebiete rechts und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;
7. die südliche Hälfte von Galgaduud mit der Stadt Ceel Buur; nach neueren Angaben reicht das Gebiet dort nur ein Stück nach Galgaduud hinein;
8. sowie die Region Bakool abzüglich eines Streifens entlang der äthiopischen Grenze und der Städte Xudur und Waajid.
In Süd-/Zentralsomalia kann kein Gebiet als frei von al Shabaab bezeichnet werden. – Insbesondere durch die Infiltration mit verdeckten Akteuren kann al Shabaab nahezu überall aktiv werden. Ein Vordringen größerer Kampfverbände von al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch ATMIS und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit – i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und ATMIS – können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden. Immer wieder gelingt es al Shabaab, kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte einzunehmen, um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen. Al Shabaab hat sich – in begrenztem Ausmaß – fähig gezeigt, Territorien, die bereits durch die Bundesarmee und ATMIS befreit wurden, wieder zurückzuerobern. In der Vergangenheit war das Scheitern, eroberte Territorien erfolgreich zu halten, mit dem Mangel an Polizeipräsenz in den eroberten Gebieten und der allgemein schlechten Moral in der Bundesarmee verbunden, die auf sehr geringe und oftmals verzögerte Besoldung zurückzuführen war.
Andere Akteure: Kämpfe zwischen Clans und Subclans, insbesondere um Wasser- und Landressourcen sind weit verbreitet, insbesondere in den Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle bzw. in Regionen, in denen die Regierung oder staatliche Behörden schwach oder nicht vorhanden sind. Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander sowie zwischen Milizen einzelner Subclans bzw. religiöser Gruppierungen. Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es auch zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten. Generell sind Clan-Auseinandersetzungen üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer - generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter - Gewalt verbunden sein.
Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. Gewaltakte durch bewaffnete Gruppen und Banden und Armutskriminalität sind im gesamten Land weit verbreitet. Bewaffnete Überfälle, Autoraub („Carjacking“), sexueller Missbrauch und auch Morde kommen häufig vor.
Im Zeitraum August 2022 bis Juni 2023 erwähnen die Berichter der UN nur einen Angriff des sogenannten Islamischen Staats in Somalia (ISIS), namentlich die Ermordung eines hochrangigen Beamten in Mogadischu mit einem improvisierten Sprengsatz. ISIS ist in Puntland weiterhin präsent, verfügt jedoch nicht über die Fähigkeit, große Gebiete zu kontrollieren oder bedeutende Operationen durchzuführen.
Zivile Opfer: Al Shabaab ist für einen Großteil der zivilen Opfer verantwortlich [siehe Tabelle weiter unten]. Nach eigenen Angaben greift al Shabaab einfache Zivilisten nicht gezielt an. Laut einer Quelle trifft es zwar zu, dass al Shabaab bei Sprengstoffanschlägen meist nicht mutwillig Zivilisten angreift und diese Taktik im Vergleich zu anderen Gruppen gezielter anwendet; dennoch wählt sie in regelmäßigen Abständen Ziele aus, bei denen die Gruppe weiß, dass viele Zivilisten Kollateralschäden erleiden werden - etwa bei Angriffen auf Hotels, Kaffee- oder Teehäuser, Restaurants oder belebte Straßenkreuzungen. Jedenfalls gelten die meisten Anschläge außerhalb von Mogadischu den somalischen Sicherheitskräften und vermehrt auch Führungspersonen aus Clans, die sich dem Kampf gegen al Shabaab verpflichtet haben. Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt.
Luftangriffe: Immer wieder kommt es zu Luftschlägen, v.a. durch die USA. Unter der Trump-Regierung wurden innerhalb von vier Jahren fast 220 Luftangriffe durchgeführt. Dahingegen waren es 2021 nur elf und 2022 15. Im Zeitraum Jänner-August 2023 waren es 13. Bei Luftangriffen auf al Shabaab und den ISIS sind zwischen 2017 und 2021 ca. 1.000 Kämpfer getötet worden. Auch Kenia führt nach wie vor Luftschläge in Somalia durch, z.B. am 22.6.2022 im Grenzgebiet von Gedo zu Kenia; und es kommt auch zu äthiopischen Luftangriffen, z.B. am 30.7.2022 in der Region Bakool. Nach Angaben somalischer Armeevertreter sind auch türkische Drohnen bei Operationen gegen al Shabaab aktiv. Generell hat die Zahl an Luftangriffen aber erheblich abgenommen, die durchgeführten konzentrieren sich auf höherrangige Angehörige der al Shabaab.
Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)
(Letzte Änderung 2024-01-03)
Die Sicherheitslage in Mogadischu ist weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass al Shabaab Angriffe auf Behörden und ihre Unterstützer verübt. Zugleich stecken hinter der Gewalt in der Stadt neben al Shabaab auch Regierungskräfte, der sogenannte Islamische Staat in Somalia (ISIS) und Unbekannte. In der Stadt befinden sich die Polizei, die Präsidentengarde, die Bundesarmee, die National Intelligence and Security Agency (NISA), private Sicherheitskräfte und Clanmilizen in unterschiedlichem Umfang im Einsatz.
Al Shabaab kontrolliert in Mogadischu keine Gebiete, ist aber im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich. Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer. Die Gruppe verfügt in Mogadischu über keine nennenswerte institutionelle Präsenz. Trotzdem erhebt die Gruppe den Zakat (islamische Steuer) von Unternehmen in der Stadt. Zudem macht al Shabaab ihre Präsenz insofern bemerkbar, dass sie ihre Form der „Moral“ umsetzt. So tötete die Gruppe beispielsweise Anfang März 2023 zehn Personen, denen der Verkauf von Drogen in den Stadtbezirken Yaqshiid und Dayniile vorgeworfen worden war.
Bei allen Möglichkeiten, über welche al Shabaab verfügt, so hat die Gruppe in Mogadischu kein freies Spiel. Regierungskräfte sind in allen Bezirken der Stadt präsent – etwa mit Checkpoints; und es werden Razzien durchgeführt. Die Anzahl an Mitgliedern, Unterstützern und Ressourcen in Mogadischu sind begrenzt, und daher muss al Shabaab diesbezügliche Prioritäten setzen.
Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Gruppe in Mogadischu aktiv Deserteure sucht und liquidiert. Laut einer Quelle rekrutiert al Shabaab in der Stadt auch keine neuen Mitglieder. Nach Angaben einer anderen Quelle ist aufgrund des massiven Bevölkerungsanstiegs und der zahlreichen Jugendlichen ohne Auskommen für al Shabaab ohnehin ein großes Rekrutierungspotenzial gegeben, das auch genutzt wird.
Zivilisten: Im Zeitraum Jänner 2020 bis November 2022 gab es mehr als 166 Vorfälle, wo Sprengsätze innerhalb der Stadt detoniert sind oder aber gefunden und entschärft werden konnten. Die Gruppe ist zudem weiterhin in der Lage, in Mogadischu auch größere Sprengstoffanschläge durchzuführen. Üblicherweise zielt al Shabaab mit Angriffen auf Sicherheitskräfte und Vertreter des Staates [„officials“]. Zivilisten stellen im Allgemeinen kein Ziel von Angriffen der al Shabaab dar. Sie leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Jene, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Und natürlich besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und damit zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden.
Bewegungsfreiheit: Die Menschen wissen um die Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese zu meiden. Sie bewegen sich in der Stadt, vermeiden aber unnötige Wege. Für viele Bewohner der Stadt ist die Instabilität Teil ihres Lebens geworden. Sie versuchen, Gefahren auszuweichen, indem sie Nachrichten mitverfolgen und sich gegenseitig warnen. An neuralgischen Punkten der Stadt befinden sich Checkpoints, allerdings weniger als früher. An den Einfahrtsstraßen wird jedes Fahrzeug kontrolliert.
Für normale Bürger gibt es hinsichtlich der Bewegungsfreiheit allgemein keine Probleme in Mogadischu. Clan oder Geschlecht spielen hier keine Rolle. Frauen können sich auch problemlos alleine bewegen, nur spät in der Nacht könnte es hier zu Sicherheitsproblemen kommen.
Gewaltkriminalität: Es gibt Bandenwesen und Straßenkriminalität. Teile von Karaan, Heliwaa und Yaqshiid bzw. alle Ränder der Stadt sind hoher Kriminalität ausgesetzt. Für Zivilisten besteht nach wie vor die Sorge vor Raubüberfällen und Gewalt, insbesondere nachts. Dabei ist die Ermordung von Raubopfern keine Seltenheit. Dies steht insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufstieg von Jugendbanden (bekannt als „ciyaal weero“ oder „aggressive Kinder“) seit 2021.
Der sogenannte Islamische Staat in Somalia (ISIS) verfügt in Mogadischu nur über sehr begrenzten Einfluss.
Vorfälle: In Benadir/Mogadischu leben nach Angaben einer Quelle 2,874.431 Einwohner. Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2021 insgesamt 85 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 79 dieser 85 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2022 waren es 105 derartige Vorfälle (davon 94 mit je einem Toten). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und violence against civilians ergeben sich für 2022 folgende Zahlen (Vorfälle je 100.000 Einwohner): 3,7.
HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle)
(Letzte Änderung 2024-01-03)
Die Macht der Regierung von HirShabelle reicht in alle Gebiete östlich des Shabelle und jedenfalls die Regionalhauptstädte Jowhar und Belet Weyne. Die Macawiisley haben beeindruckende Erfolge gegen al Shabaab erzielt und die Gruppe weitgehend aus den östlichen Teilen von Hiiraan und Middle Shabelle verdrängt. Quellen der FFM Somalia 2023 geben an, dass Busse zwischen Mogadischu und Belet Weyne und weiter nach Dhusamareb und Galkacyo verkehren. Es gibt nur wenige Checkpoints, an den Eingängen der Städte wird kontrolliert; die Straße ist offen. Eine andere Quelle gibt an, dass die Route immer noch gefährlich ist und Menschen mit dem Flugzeug reisen. Eine aktuellere Quelle erklärt, dass sich die Lage entlang der Verbindung von Jowhar nach Belet Weyne nach Rückschlägen der Regierungstruppen im September 2023 wieder verschlechtert hat, diese ist aber nicht mit der schlechten Lage vor der Offensive 2022 vergleichbar. Generell hat sich die Lage in Ost-Hiiraan und in Middle Shabelle verbessert. Hier sind in weiten Gebieten auch Bewegungen zwischen den Orten möglich.
Hiiraan: Belet Weyne, Buulo Barde und Jalalaqsi befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS. Die beiden erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Im Nordwesten Hiiraans ist al Shabaab nur in geringer Stärke präsent. Vor allem der Bereich entlang der somalisch-äthiopischen Grenze ist aktuell als sicher anzusehen. Gemäß Regierungsangaben haben die Hawadle in Hiiraan alle Teile ihres Clangebiets von al Shabaab zurückerobert. Nur noch das südwestliche Hiiraan befindet sich unter Kontrolle von al Shabaab. Die Verbindung von Jowhar nach Belet Weyne ist grundsätzlich offen. Zwischen Buulo Barde und Belet Weyne ist es in den letzten Monaten aber wiederholt zu Zusammenstößen gekommen, die mit den Versuchen von al Shabaab, Truppen über den Shabelle nach Osten zu verlegen, zusammenhängen. Die Ortschaften entlang der Straße befinden sich jedenfalls nicht unter Kontrolle von al Shabaab.
Auch eine Quelle der FFM Somalia 2023 gibt an, dass sich die Erreichbarkeit von Hiiraan nach der Offensive verbessert hat. Tatsächlich verfügt die Regierung aber nicht über ausreichend Ressourcen, um jedes Dorf abzusichern. Trotzdem sich die Situation entlang der Hauptroute also verbessert hat, gibt es nach wie vor sogenannte Hit-and-Run-Angriffe und Hinterhalte. Aus Sicherheitsgründen bevorzugen manche Menschen weiterhin den Luftweg. Normalbürger können aber auch den Landweg nutzen und tun dies auch. Eine andere Quelle berichtete allerdings schon im September 2022, dass die Verbindung von Belet Weyne nach Buulo Barde sicher ist; eine weitere Quelle gibt im Juni 2023 an, dass Bürger zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt ohne Angst vor al Shabaab auf dieser Straße reisen können. Die meisten der wichtigen Verbindungsstraßen befinden sich unter Kontrolle der Regierung.
In Belet Weyne ist die Sicherheitslage unverändert vergleichsweise stabil, es kommt nur sporadisch zu Gewalt oder Attacken der al Shabaab. In der Stadt befinden sich das Regionalkommando der Bundesarmee sowie Stützpunkte dschibutischer ATMIS-Truppen und der äthiopischen Armee. Zusätzlich gibt es einzelne Polizisten und Teile einer Formed Police Unit von ATMIS. Zudem gibt es eine relativ starke Bezirksverwaltung und lokal rekrutierte Polizeikräfte. Clankonflikte werden nicht in der Stadt, sondern mehrheitlich außerhalb ausgetragen. Die in Belet Weyne vorhandene Präsenz der al Shabaab scheint kaum relevant. Anfang Oktober 2022 führte al Shabaab in Belet Weyne einen dreifachen Sprengstoffanschlag gegen einen Militärstützpunkt und das Hauptquartier der Lokalregierung durch. Dabei wurden mehr als 20 Personen getötet, darunter der Vizegouverneur von Hiiraan und der Gesundheitsminister der Region.
Middle Shabelle: Jowhar, Balcad, Adan Yabaal und Cadale befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS. Die beiden erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Auch in Adan Yabaal gibt es eine Garnison der Bundesarmee. Ansonsten findet sich die Armee nur in kritischen Gebieten – also entlang der Hauptversorgungsrouten. Al Shabaab wurde im Dezember 2022 aus der Bezirkshauptstadt Adan Yabaal vertrieben. Die Stadt war seit 2016 eine wichtige Bastion der Gruppe. In Middle Shabelle befindet sich lediglich noch ein schmaler Streifen im Nordwesten, westliche des Shabelle an der Grenze zu Hiiraan, unter Kontrolle von al Shabaab.
Jowhar gilt als relativ ruhig. Dort befinden sich das Brigadekommando der burundischen ATMIS-Kräfte und ein Bataillon dieser Truppen. Am 17.7.2022 verübte al Shabaab einen schweren Anschlag auf ein Hotel, unter den Toten fanden sich zwei hohe Staatsvertreter.
Im Bezirk Cadale waren im November 2022 Clanauseinandersetzungen ausgebrochen, nachdem sich al Shabaab aus dem Gebiet zurückgezogen hatte. Auslöser war ein Landkonflikt, es gab Dutzende Tote. Die somalische Regierung hat Sicherheitskräfte entsandt, Friedensverhandlungen wurden in Gang gesetzt. In den nachfolgenden Monaten ist die Lage im Bezirk ruhig verblieben.
Vorfälle: In den beiden Regionen Hiiraan (420.060) und Middle Shabelle (961.554) leben nach Angaben einer Quelle 1,381.614 Einwohner. Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2021 insgesamt 32 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 24 dieser 32 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2022 waren es 36 derartige Vorfälle (davon 28 mit je einem Toten). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und violence against civilians ergeben sich für 2022 folgende Zahlen (Vorfälle je 100.000 Einwohner): Middle Shabelle 1,04; Hiiraan 6,12;
Folter und unmenschliche Behandlung
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Staatlichen Akteuren werden Menschenrechtsverletzungen wie Tötungen, militärische Angriffe auf Zivilisten und zivile Einrichtungen, willkürliche Verhaftungen, außergerichtliche Hinrichtungen, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigungen, Entführung, Folter, schwere Misshandlung von Kindern, Raub, Bestechung, Korruption und willkürlicher Waffengebrauch vorgeworfen oder diese wurden dokumentiert. Vorwürfe aufgrund systematischer Verfolgung werden jedoch nicht erhoben. Es kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass Sicherheitskräfte den entsprechenden völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen und bei Verstößen straffrei gehen.
Tötungen: Die Regierung und ihre Handlanger verüben willkürliche und ungesetzliche Tötungen. Auch bei bewaffneten Zusammenstößen werden Zivilisten getötet. Alleine im Dezember 2021 töteten Sicherheitskräfte bei unterschiedlichen „Unfällen“ in Mogadischu mehrere Zivilisten. Während immer noch al Shabaab und Clanmilizen für die Mehrheit der extra-legalen Tötungen verantwortlich zeichnen, wächst die Zahl an Fällen von Tötungen durch Sicherheitskräfte. Es fehlen Regeln hinsichtlich der Gewaltanwendung gegen Zivilisten. Der Einsatz tödlicher Gewalt – etwa von scharfer Munition gegen Demonstranten – ist nicht unüblich und jedenfalls üblicher als eine graduelle Eskalation.
Folter: Folter ist zwar laut Verfassung verboten, es gibt allerdings keinen konkreten Tatbestand im Gesetz. Nach anderen Angaben sind Folter und unmenschliche Behandlung gesetzlich verboten, es kommt aber dennoch zu derartigen Vorfällen. Regierungskräfte und alliierte Milizen setzen exzessiv Gewalt ein - darunter auch Folter. NISA misshandelt Personen bei Verhören, es kommt dabei zu Folter. Verhaftete sind einem Risiko ausgesetzt, gefoltert bzw. unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten und misshandelt zu werden. Bei mehr als tausend Besuchen in Haft- und Anhalteeinrichtungen in Baidoa, Kismayo und Mogadischu wurde festgestellt, dass Folter dort üblich ist.
Der UN-Menschenrechtskommissar hat Besorgnis geäußert, wonach sowohl NISA als auch Armee in Fälle von Folter, geschlechtsspezifischer Gewalt und anderen Vergehen verwickelt sind. Unter Folter fallen demnach auch öffentliche Exekutionen. V.a. NISA verhaftet Personen ohne Haftbefehl, sperrt diese über längere Zeiten ein, misshandelt Personen bei Verhören. Vorwürfe gibt es mitunter auch gegen Angehörige der Spezialeinheit Haramcad. So wurde z. B. am 19.2.2021 ein Journalist verhaftet und dann gefoltert. Außerdem wenden auch Clanmilizen – auch mit der Regierung affiliierte – Folter und unmenschliche Behandlung an. Aufgrund des Clanschutzes für Täter herrscht diesbezüglich eine Kultur der Straflosigkeit.
In Puntland gibt es einige Vorwürfe gegen die Puntland Intelligence Agency, wonach diese gegen Terrorismusverdächtige in Haft Folter anwendet.
Verhaftungen: Willkürliche Verhaftungen sind üblich. Es gibt immer wieder Berichte über Polizeigewalt und exzessive Gewaltanwendung, Drohungen, Belästigungen und willkürliche Verhaftungen – vor allem von Terrorverdächtigen, Menschenrechtsverteidigern und Journalisten. Alleine von Februar bis Mai 2022 wurden 27 Journalisten und Medienmitarbeiter willkürlich verhaftet. NISA verhaftet Menschen und hält diese über längere Zeit ohne Anklage fest.
Rechenschaft: Hinsichtlich Folter durch Polizei und Armee besteht weitgehende Straffreiheit. Sicherheitskräfte agieren, ohne eine Strafe befürchten zu müssen. Fälle von Polizeigewalt werden oft nicht registriert, die Straffreiheit bei der Polizei floriert. Polizisten können selbst im Fall eines Mordes ungeschoren davonkommen. Nur einige Sicherheitsbeamte wurden in der Vergangenheit zur Verantwortung gezogen. Der Polizei fehlt für Untersuchungen schon die Kapazität. Die Armee verfügt diesbezüglich über bessere Justizmechanismen, diese werden allerdings nicht immer effizient eingesetzt. Im Juli 2022 wurde ein Soldat für einen an einem Zivilisten begangenen Mord von einem Militärgericht zum Tod verurteilt; ein Soldat wurde im Juli 2022 hingerichtet, der zuvor von einem Militärgericht wegen des Mordes an einem Geheimdienstmitarbeiter und dessen Schwester in Cabudwaaq verurteilt worden war; Anfang September 2022 wurden zwei Soldaten der Gorgor-Einheit wegen der Ermordung zweier Zivilisten in Lower Shabelle zum Tode verurteilt, ein weiterer Soldat, der bei der Tat anwesend war, wurde zu drei Jahren Haft verurteilt; ein Soldat wurde Anfang Dezember 2022 von einem Militärgericht zum Tode verurteilt, weil er an einer Straßensperre einen Taxilenker erschossen hat.
Generell bleibt Straffreiheit aber die Norm. Dies gilt auch für willkürliches Vorgehen der Polizeikräfte, dieses bleibt i.d.R. ungeahndet, denn ohne zivilrechtliche Aufsicht und Rechenschaftsablegung haben die Opfer polizeilicher Willkür und Gewalt oft gar keine legale Möglichkeit, juristisch dagegen vorzugehen.
Al Shabaab: Die Gruppe tötet, entführt und misshandelt Zivilisten, verübt geschlechtsspezifische Gewalt und führt Frauen einer Zwangsehe zu. Zudem rekrutiert al Shabaab Kinder und setzt diese auch ein. Außerdem verhängt und vollstreckt die Gruppe in den Gebieten unter ihrer Kontrolle weiterhin harte Strafen. Dort ist auch von unmenschlicher Behandlung auszugehen, wenn Personen gegen die Interessen von al Shabaab handeln oder dessen verdächtigt werden. Mitunter wird gegen Zivilisten – z.B. gegen potenzielle Spione und gegen Personen, die keine Abgaben leisten – auch Folter eingesetzt. Mitunter entführt al Shabaab Zivilisten – etwa Verwandte von Clanmilizionären.
Allgemeine Menschenrechtslage
(Letzte Änderung 2023-03-17)
In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle.
Trotzdem werden Grund- und Menschenrechte regelmäßig und systematisch verletzt. Im Wettstreit stehende, politische Akteure in Süd-/Zentralsomalia sind in schwere und systematische Menschenrechtsverbrechen involviert. Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: willkürliche und ungesetzliche Tötungen durch Kräfte der somalischen Bundesregierung; Entführungen und Verschwindenlassen; Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten; Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen. Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen und für den größten Teil ziviler Todesopfer verantwortlich. Es gibt aber auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch Kräfte der Bundesregierung und von Regionalregierungen. Auch Clanmilizen sind für Vergehen verantwortlich - darunter Tötungen, Entführungen und Zerstörung zivilen Eigentums.
Bei Kämpfen unter Beteiligung von ATMIS, Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten sowie zu anderen Kriegsverbrechen, welche durch alle Konfliktbeteiligten verübt werden. Es gibt zahlreiche Berichte, wonach die Regierung und ihre Handlanger Personen willkürlich und außergesetzlich töten. Nach anderen Angaben stellen extralegale Tötungen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar. Jedenfalls werden Sicherheitskräfte beschuldigt, Zivilisten bei Streitigkeiten um Land, bei Checkpoints, bei Zwangsräumungen und anderen Gelegenheiten willkürlich angegriffen zu haben. In solchen Fällen ist aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems häufig von Straflosigkeit auszugehen.
Für die meisten Tötungen sind aber al Shabaab und Clanmilizen verantwortlich. Im Zeitraum 7.5. bis 23.8.2022 kamen landesweit 419 Zivilisten ums Leben oder wurden verletzt. Für 88 Opfer trug dabei al Shabaab, für 249 Unbekannte, für 30 Clanmilizen, für 46 staatliche Sicherheitskräfte und für sechs die Liyu Police die Verantwortung. Im Zeitraum 1.2. bis 6.5.2022 sind es vergleichsweise insgesamt 428 Opfer gewesen. In den vergangenen Jahren war die Zahl an zivilen Opfern stetig zurückgegangen. Gemäß verfügbarer Zahlen der UN ist aber 2022 bereits im November das Jahr mit den höchsten Zahlen an getöteten (613) und verletzten (948) Zivilisten seit dem Jahr 2017. Dabei wurden bei Sprengstoffanschlägen 315 Menschen getötet und 686 verletzt. Von diesen Anschlägen können mindestens 94 Prozent al Shabaab angelastet werden. Die restlichen Opfer wurden durch staatliche Kräfte, Milizen und Unbekannte verursacht.
Es gibt mehrere Berichte über von der Regierung gesteuertes, politisch motiviertes Verschwindenlassen. Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch Bundes- und Regionalbehörden sowie durch alliierte Milizen. Die Regierung verwendet bei derartigen Verhaftungen oft den Vorwurf der Mitgliedschaft bei al Shabaab.
Generell ist Straflosigkeit die Norm. Die Regierung macht zumindest einige Schritte, um öffentlich Bedienstete – vor allem Sicherheitskräfte – strafrechtlich zu verfolgen.
Al Shabaab verletzt in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Grundrechte. Die Gruppe ist für die Mehrheit schwerer Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten, entführt Menschen und nimmt Geiseln. Die Entführung und Verhaftung von Zivilisten erfolgt, um Regelbrüche zu ahnden oder Kollaboration zu erzwingen. Von Ende 2020 bis September 2021 wurden 13 derartige Entführungen dokumentiert, betroffen waren 155 Zivilisten – u. a. Älteste, Wirtschaftstreibende und Jugendliche. Nachdem sich al Shabaab bei schweren Kämpfen im Bereich Siigale Degta (Lower Shabelle) am 8.3.2022 zurückziehen musste, kehrte die Gruppe noch am selben Tag in das Dorf zurück. Al Shabaab beschuldigte die Gemeinde der Spionage und Kollaboration mit der Bundesarmee, tötete mindestens einen Mann und entführte 33 Dorfbewohner (darunter neun Frauen). Der Verbleib dieser Menschen ist bis heute ungeklärt.
Al Shabaab verhängt in ihren Gebieten Körperstrafen. So werden sexuelle Vergehen mitunter mit Auspeitschen, Diebstahl mit Amputation und Spionage mit dem Tode bestraft. Al Shabaab richtet regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit der Regierung, internationalen Organisationen oder westlichen Hilfsorganisationen vorgeworfen wird, bzw. Zivilisten, die zu Abtrünnigen oder Spionen deklariert werden. Al Shabaab übt teils Rache an der Bevölkerung von Gebieten, die zuvor „befreit“ aber danach von al Shabaab wieder eingenommen worden waren. Die Gruppe wendet u. a. auch das Mittel von Zwangsvertreibungen an, um sich an sich widersetzenden oder nicht die eigenen Regeln befolgenden Bevölkerungsgruppen zu rächen. Bei derartigen Kollektivstrafen wurden z. B. im ersten Halbjahr 2021 im SWS und in Galmudug mehr als 11.000 Familien vertrieben. Mitunter kommt es bei al Shabaab auch zu Zwangsarbeit.
Minderheiten und Clans
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Der Clan ist die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia. Er bestimmt den Zugang zu Ressourcen sowie zu Möglichkeiten, Einfluss, Schutz und Beziehungen. Dementsprechend steht Diskriminierung in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben. Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt. Selbst relative starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist.
Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessenvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des Xeer. Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler. Al Shabaab installiert oft Älteste, welche die Gruppe repräsentieren. Er wird so zum Bindeglied zwischen der Gemeinschaft und al Shabaab. So werden zuvor legitime Strukturen in Geiselhaft genommen.
In ganz Somalia sehen sich Menschen, die keinem der großen Clans angehören, in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz und für ökonomische sowie politische Partizipation. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt – trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten. Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung. Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt.
Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor. Weder das traditionelle Recht (Xeer) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren. Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen. Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile. Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans. Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet. Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei. Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen.
Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen.
Politik: Politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel. Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten. Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert. Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaften einzusetzen. So ist also selbst die gegebene, formelle Vertretung nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die 4.5-Formel hat bisher nicht zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bezogenen Gleichberechtigung beigetragen.
Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion. Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt. Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausgebaut, und sie verfügen über geringere Ressourcen und erhalten weniger Remissen. Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird. Dementsprechend stehen Haushalte, die einer Minderheit angehören, einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber. Meist sind Minderheitenangehörige von informeller Arbeit abhängig, und die allgemeinen ökonomischen Probleme haben u.a. die Nachfrage nach Tagelöhnern zurückgehen lassen. Dadurch sind auch die Einkommen dramatisch gesunken.
Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans – oft unter Duldung lokaler Behörden. In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist.
Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt. Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen „noblen“ Clans und Minderheiten. Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet. Al Shabaab hat sich die gesellschaftliche Benachteiligung von Gruppen zunutze gemacht. Ein überproportionaler Teil von al Shabaab setzt sich aus Angehörigen der am meisten marginalisierten Gruppen Somalias zusammen. Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist ein weiterer Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten. Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke. Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen.
Bevölkerungsstruktur
(Letzte Änderung 2022-07-26)
Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen. Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar. Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft. Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist. Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden. Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren. Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt. Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie.
Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern. Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem.
Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage. Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden:
Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.
Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).
Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.
Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie. Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren.
Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern. In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen.
Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind. Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine „falsche“ Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden.
Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung. Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen. Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen. Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir. Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan.
Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye. In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler.
Die berufsständischen Kasten werden zudem diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse erachtet. Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen. Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, S. 44ff).
Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, S. 49).
Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch. Aufgrund dieses teils starken sozialen Drucks kommen Mischehen äußerst selten vor. Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt. In Mogadischu sind Mischehen möglich. Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen. Die Gruppe hat Fußsoldaten, die zu Gruppen mit niedrigem Status gehören, dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von „noblen“ Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten.
Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert. Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört. So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem „noblen“ Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck. Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie aber meist akzeptiert.
Ergänzende Feststellungen zu Clans und Minderheiten
(Stand 31.05.2017)
Die somalische Gesellschaft kennt verschiedene Arten von Minderheiten:
Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und teils auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums. Die größten ethnischen Minderheiten sind die Bantu und die Benadiri.
Berufsständische Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Abstammung und Sprache nicht von der Mehrheitsbevölkerung. Anders als die «noblen» Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als «unrein» angesehen.
Auch Angehörige „starker“ Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter Dir-Clan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gilt, dass eine Einzelperson immer dann in der „Minderheiten“-Rolle ist, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Sie gilt als „Gast“ in dem Territorium, was sie in eine schwächere Position bringt als die „Gastgeber“.
Es ist wichtig festzuhalten, dass es in der somalischen Sprache keinen generellen Ausdruck für Minderheiten gibt, sondern nur für die einzelnen Gruppen bzw. Konstellationen.
Die ethnischen Minderheiten und die Berufsgruppen werden von den Mehrheits-Clans nicht als Teil der somalischen Nation angesehen. Manche Angehörige berufsständischer Gruppen sehen sich aber als Nachkommen des jüngeren Bruders von Isaaq, dem Gründervater des Isaaq-Clans.
Berufsständische Gruppen
Die berufsständischen Gruppen stehen auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie der somalischen Gesellschaft. Sie unterscheiden sich in ethnischer, sprachlicher und kultureller Hinsicht nicht von der Mehrheitsbevölkerung, sind aber traditionell in Berufen tätig, die von den Mehrheitsclans als „unrein“ oder „unehrenhaft“ angesehen werden. Diese Berufe und andere ihrer Praktiken (z.B. Fleischverzehr) gelten darüber hinaus als unislamisch (haram). Im Gegensatz zu den Mehrheitsclans können sie ihre Abstammung nicht auf den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Generell ist ein „Makel“ im Stammbaum aus Sicht der «noblen» Somali wohl der Hauptgrund für den niedrigen Stellenwert der berufsständischen Gruppen. Die berufsständischen Gruppen sprechen generell denselben somalischen Dialekt wie die Mehrheitsclans, in deren Region sie leben. Teils sprechen sie aber auch einen eigenen Jargon. Der Anteil der berufsständischen Gruppen an der Bevölkerung Somalias ist nicht bekannt. Schätzungen reichen von 1 % bis 5 %. Gesprächspartner der Fact-Finding Mission erwähnten dazu allerdings, dass die berufsständischen Gruppen weniger aufgrund ihrer Anzahl eine Minderheit seien, sondern aufgrund ihres sozialen Stigmas.
Angehörige dieser Gruppen arbeiten traditionell als Friseure, Schmiede, Metallbearbeiter, Färber, Schuhmacher und Töpfer. Neben den handwerklichen Berufen sind sie auch als Jäger, Viehhüter, Bauern und Beschneider tätig. Frauen führen Beschneidungen bei Jungen und Mädchen durch und arbeiten als Hebammen. Das Entstehen großer Städte nach dem 2. Weltkrieg ermöglichte den berufsständischen Gruppen, neue Berufe in den Städten zu ergreifen, was ihre wirtschaftliche Bedeutung steigerte.
Die berufsständischen Gruppen leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. In einigen Städten gibt es Stadtteile, in denen fast ausschließlich Angehörige dieser Clans leben. Die Infrastruktur dieser Stadtteile ist meist schlechter als in anderen Stadtteilen. Bekannt ist etwa Daami in Hargeysa. In Berbera heißt der entsprechende Stadtteil Jamalaye. In Burco lebten sie lange in Urayso („stinkender Ort“). Mittlerweile wurde der Boden aber verkauft, sie wohnen darum nun in einem namenlosen Stadtteil beim Manhal-Spital. In Jijiga leben berufsständischen Gruppen in der Kebele 01, Kebele 03 und Suuq Yare. Manche leben auch verstreut in anderen Stadtteilen.
Die Clans der berufsständischen Gruppen sind gleich strukturiert wie die Mehrheitsclans, mit dem einzigen Unterschied, dass sie ihre Abstammung nicht auf die Gründerväter Samaale bzw. Saab zurückverfolgen können, sondern «nur» auf den «Vater» ihres Clans. Gleich wie die Mehrheitsclans haben das Aufzählen der Väter (Abtirsiimo) und die Zugehörigkeit zu einem Clan eine große Bedeutung. Bis in die 1990er Jahre waren die berufsständischen Gruppen mehrheitlich im Rahmen von Klientelverhältnissen den Mehrheitsclans angeschlossen. Der Bürgerkrieg trug zu einer eigenen Identitätsbildung bei, besonders in den Flüchtlingslagern im angrenzenden Ausland sowie unter den Asylsuchenden in westlichen Staaten. Aufgrund der wahrgenommenen Bevorzugung der berufsständischen Gruppen in Asylverfahren sollen sich gemäß mehreren Gesprächspartnern der FactFinding Mission auch andere Somalis in Asylverfahren als deren Angehörige ausgeben.
Für die berufsständischen Gruppen gibt es zahlreiche somalische Bezeichnungen, bei denen regionale Unterschiede bestehen. Häufig genannt werden Waable, Sab, Madhibaan und Boon. Zur Regierungszeit von Präsident Siyaad Barre (1969-1991) nannte man sie Dan Wadaag. Die landesweit geläufige Bezeichnung Midgaan ist negativ konnotiert (er bedeutet „unberührbar“ oder „ausgestossen“) und wird von den Berufsgruppen-Angehörigen als Beleidigung empfunden; sie bevorzugen Begriffe wie Madhibaan oder Gabooye. Im Süden werden die berufsständischen Gruppen allgemein als Gacan Walaal bezeichnet.
Der Ausdruck Gabooye wird besonders im Norden des somalischen Kulturraums (Somaliland, äthiopischer Regionalstaat Somali) als Dachbegriff benutzt. Nach Angaben der meisten Gesprächspartner der Fact-Finding Mission umfasst er nicht alle Berufsgruppen, aber zumindest vier untereinander nicht verwandte Clans berufsständischer Gruppen: Tumaal, Madhibaan, Muse Dheriyo und Yibir. Andere Gesprächspartner nannten eine davon abweichende Zusammensetzung, u.a. auch, dass die Gabooye ein Clan der berufsständischen Gruppen unter vielen seien. Ursprünglich bezeichnete Gabooye nur einen Clan aus dem Süden, dessen Angehörige sich als Jäger betätigten. In den 1990er Jahren kamen aber verschiedene berufsständische Gruppen insbesondere im Norden überein, die Bezeichnung als Dachbegriff („umbrella“) zu nutzen. Da es im Somalischen keine allgemeine Bezeichnung dieser Clans gibt, verwendet dieser Bericht den deutschen Ausdruck „berufsständische Gruppen“.
Aufgrund der regionalen Unterschiede in der Bezeichnung der verschiedenen Berufsgruppen ist es schwierig, eine zuverlässige Unterteilung vorzunehmen. Als wichtigste Gruppen werden meist die Folgenden genannt:
Die Madhibaan sind ursprünglich Jäger, heute aber als Färber, Gerber, Schuhmacher und in anderen Berufen tätig. Sie leben im ganzen somalischen Kulturraum.
Die Tumaal sind traditionell als Schmiede tätig, arbeiten mittlerweile aber auch in anderen Berufen. Zudem sind auch andere Berufsgruppen-Angehörige als Schmiede tätig. Sie leben in Nord- und Zentralsomalia sowie in einigen Städten Südsomalias.
Die Muse Dheriyo kommen in Somaliland und in Süd-/Zentralsomalia vor und arbeiten traditionell als Korbmacher.
Die Yibir haben angeblich einen jüdischen Hintergrund, andere sagen ihnen eine arabische Abstammung nach. Sie praktizieren den Islam und haben keine Kenntnis jüdischer Traditionen. Ihnen werden übernatürliche Kräfte nachgesagt. Die Yibir leben vorwiegend in Nord- und Zentralsomalia und in einigen Städten Südsomalias. Eine verwandte Gruppe sind die Yaxar in Süd- und Zentralsomalia. Traditionell vollziehen die Yibir religiöse Riten.
Als Boon werden Angehörige der Berufsgruppen in Süd- und Zentralsomalia bezeichnet. Die Bezeichnung ist ähnlich negativ konnotiert wie Midgaan.
Daneben gibt es viele weitere kleine Berufsgruppen, deren Bezeichnungen manchmal überlappend sind. Dazu gehören die Galgale (Umgebung von Mogadischu), Gaheyle (in Sanaag), Yahhar (traditionell als Weber tätig), Jaaji (Fischer in Zentral- und Nordsomalia), Guuleed Hadde, Hawr Warsame, Habr Yaqub, Madgal und Warabeeye.79 Boni und Eyle gelten teils auch als Berufsgruppen. Übersichten dazu finden sich in den Berichten des Österreichischen Integrationsfonds und der norwegischen Fachstelle Landinfo.
Einer Quelle zufolge gibt es auch innerhalb der Berufsgruppen-Clans stärkere und schwächere Abstammungslinien, die schwächeren seien marginalisiert. Vertreter einer Nichtregierungsorganisation, die sich für Minderheiten einsetzt, widersprachen aber dieser Darstellung. Einer anderen Quelle zufolge sind die urbanen Gabooye generell besser gestellt als andere Berufsgruppen.
Situation der Minderheiten
Angehörige ethnischer Minderheiten und berufsständischer Gruppen werden in der somalischen Gesellschaft häufig diskriminiert bzw. marginalisiert. Das Ausmaß der Diskriminierung hängt dabei von der Gruppenzugehörigkeit ab. Berufsständische Gruppen werden stärker marginalisiert als ethnische Minderheiten, aber innerhalb beider Kategorien gibt es ebenfalls große Unterschiede.
Heute hat sich die Situation für die Gabooye im Vergleich zur Zeit um die Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Eine Quelle der FactFinding Mission dazu: „There is some general improvement when it comes to how the society treats the minorities. But there is still a lot to do.“
Gesellschaft
Der gesellschaftliche Umgang mit den Angehörigen von Minderheiten hat sich in den letzten Jahren verbessert. Insbesondere unter jungen Leuten ist die Einstellung zu ihnen gemäß Erkenntnissen der Fact-Finding Mission positiver geworden. Obwohl ein gewisses Stigma weiterhin besteht, ist es mittlerweile für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten, wie mehrere befragte Quellen übereinstimmend aussagten:
„We socialize, we have friends with them. They also tell you that they are a Gabooye.“ „The minorities are spoken to. They may stay in the house with you, working with you at the business centres. Usually they don’t hide their clan.“ „In the past there were more social taboos. Shaking hands with Gabooye is not a problem anymore, or eating together, this is a sort of exaggeration. Social interaction is possible.“
Dabei handelt es nicht nur um einen oberflächlichen Wandel, sondern um einen „change of mind-set“ – selbst bei älteren Generationen. Die offizielle Anerkennung von Minderheiten-Clanältesten in Somaliland hat ihren gesellschaftlichen Ruf dort generell verbessert.
Ein Gesprächspartner der Fact-Finding Mission ging sogar davon aus, dass in den Städten Somalilands in den nächsten Jahren die Clans zunehmend an Bedeutung verlieren und dafür die Gesellschaftsschichten bzw. soziale Klassen wichtiger werden könnten. Schon jetzt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem.
Früher kam es vor, dass Angehörige der Mehrheitsclans Minderheiten-Angehörige aufgrund von Vorurteilen beschimpften. Die soziale Interaktion mit Angehörigen berufsständischer Gruppen wie z. B. das Grüßen oder gemeinsame Mahlzeiten war eingeschränkt. Nach Einschätzung einer westlichen Botschaft kommt es im Allgemeinen zu keinen gezielten Angriffen oder Misshandlungen der Gabooye.
Einzig in der Frage der Mischehen besteht noch eine gesellschaftliche Diskriminierung.
Mischehen
Alle dazu befragten Gesprächspartner der Fact-Finding Mission waren sich darin einig, dass Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies stimmt auch mit den Angaben in der Literatur überein. Dabei richtet sich dieses Tabu ausschließlich gegen diese Art von Minderheiten.
In der traditionell exogamen somalischen Gesellschaft ist dies ein Nachteil, da es den Minderheitenclans verunmöglicht, Allianzen auf Augenhöhe zu schließen und Netzwerke aufzubauen.
Als besonders problematisch wird es angesehen, wenn eine Mehrheits-Frau einen Minderheiten-Mann heiratet, da dann ihre Kinder der Minderheit angehören werden. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch, da die Kinder eines Mehrheiten-Mannes trotz einer Minderheiten-Mutter dem Mehrheitsclan angehören. Der Druck auf Mischehen ist insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt, während er in den Städten etwas abgenommen haben dürfte. Eine Quelle der Fact-Finding Mission gab gar an, dass eine Mischehe in kosmopolitischen Städten wie Mogadischu oder Kismayo „keine große Sache“ sei.
Mischehen zwischen Mehrheitsclans und berufsständischen Gruppen kommen nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer Gesprächspartner der Fact-Finding Mission „sehr, sehr selten“ vor – insbesondere zwischen Mehrheits-Frauen und Minderheits-Männern.
Es bestehen offenbar regionale Unterschiede. Im clanmäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums ist den Mehrheitsclans tendenziell die „Reinheit“ des Clans wichtiger als im stark durchmischten Süden. Deshalb sind Mischehen im Norden seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. In Somaliland lehnen die Clanfamilien Isaaq und Darod Mischehen vehement ab, während sie die Dir eher akzeptieren. Eine Quelle der Fact-Finding Mission gab an, dass auch die Hawiye und die Rahanweyn die Frage der Mischehe weniger eng sehen würden als die Isaaq. Eine weitere Quelle gab an, dass Hawiye in einer Ehe zwischen einem Hawiye-Mann und einer Minderheiten-Frau tendenziell kein großes Problem sehen. Einige wenige Mischehen sind auch in Jijiga in Äthiopien bekannt.
Probleme können vor der eigentlichen Eheschließung beginnen. In der somalischen Gesellschaft müssen Heiratswillige bei ihren Familien einige traditionelle Verfahren absolvieren, bevor die Familien ihr Einverständnis zur Ehe geben. Wenn jemand eine Person aus einer Minderheit heiraten möchte, gelingt dies in aller Regel nicht und die Betroffenen akzeptieren das Verdikt. Selbst bei Heiraten unter Mehrheitsclans kommt es vor, dass die Familie das Einverständnis zur Heirat nicht gibt. In diesem Fall reisen die Betroffenen manchmal die Distanz von drei Tagesreisen per Kamel von ihrem Wohnort weg, wo sie nach Ansicht moderater Sufi-Kleriker auch ohne Einverständnis ihrer Eltern heiraten dürfen. Die im islamischen Recht erforderliche Funktion des Vormunds der Braut nehmen dann drei Zeugen anstelle des Vaters der Braut ein. Auf Englisch heißen diese Heiraten als runaway marriages, auf Somalisch gubdo sireed. Nach der Rückkehr an den Wohnort akzeptieren die Familien solche Heiraten in vielen, aber nicht allen Fällen. Bekannte Städte für solche Heiraten sind Wanlaweyn für die Einwohner Mogadischus und Gabiley für die Einwohner Hargeysas.
Heiraten werden von religiösen Sheikhs gemäß islamischem Recht geschlossen. Es kommt vor, dass Sheikhs von Mehrheitsclans das Schließen von Mischehen verweigern. Bei den Sheikhs der Minderheiten ist dies hingegen nicht der Fall.
Kommt eine Mischehe zustande, kommt es gemäß den befragten Gesprächspartnern der Fact-Finding Mission häufig vor, dass die Familienangehörigen auf der Seite des Mehrheits-Clans die betroffene Person verstoßen: Sie besuchen sie nicht mehr, kümmern sich nicht um ihre Kinder oder brechen den Kontakt gar ganz ab. Hierzu einige Aussagen der befragten Quellen vor Ort:
„If you marry a woman from Gabooye, your status will be lowered, but you will not become a Gabooye.“ „Our suldaan has a wife from majority. Her family said: ‚You are forbidden to come back to the house.‘ When you have children in a family, the parents of the wife usually help in the house. Now, they isolated their girl, because she had married a Gabooye. They consider her dead. Her mother and father consider her dead, even though they are near neighbours.“ „If a Gabooye man marries an Ogaden girl, she might not be considered the daughter of the family anymore, that sort of thing. The family would cut the contact, but only on the majority side, for the minorities it is no issue.“ „The stigma is still there, you cannot deny it. (…) Everyone may go to a Gabooye sheikh in the mosque, but again many may not marry his daughter. (…) However, this taboo is not that strong than it used to be.“ „If a majority woman marries a Gabooye man, it would not be the end of the world. However, it is bad news for the family of the woman. They would not let the girl marry the Gabooye man, that’s a big issue and very rare, people avoid it. But it is not the end of the world.“ „It may happen that within the clan they say ‚you are a shame‘, and you are cut off from the networks.“
Die Gesprächspartner der Fact-Finding Mission bekräftigten aber, dass es unter solchen Umständen so gut wie nie zu Gewalt oder gar Tötungen kommt. Auch dazu einige Zitate aus den Gesprächen:
„Nobody gets killed, I have never heard of such a case. But there will for sure be threats of violence.“ „Threatening in this context will not go up to that level, where somebody is killed. (…) But it is not up to the level that they will kill the person who has ‚wrongly‘ married. (…) I have a lot of friends who are Gabooye and have never heard something like that somebody has been killed for a marriage. If such a case would happen, this would be made public – you could read about it in the web.“ „I haven’t heard of any cases of repercussions. It could be possible that even a murder could happen, but this is more about marrying without the consent and agreement of the parents. This can happen in any clan. It is certainly not very frequent.“ „I have never heard that somebody has been killed for intermarriage.“ „I have never heard of murder in such a case of intermarriage.“ „An intermarriage with a Gabooye will lead to social pressure, but not to the point of killing.“
Gesprächspartner der Fact-Finding Mission in Somaliland nannten die jeweils gleichen Vorfälle, in denen es im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam. Diese Fälle haben auch Medien Somalilands dokumentiert:
In Boorama drohte 2014 ein Vater, seinen Sohn zu töten, falls er wie beabsichtigt eine Minderheiten-Frau heirate. Der Sohn brachte sich um. Darauf begannen physische Übergriffe seines Clans gegen die Minderheiten-Familie, die auch ihre Läden in der Stadt schließen mussten.
In Gabiley gab 2012 ein ziviles Gericht trotz Widerstand der betroffenen Mehrheitsclans Familie einem Paar das Recht zu heiraten. Die Verwandten der Mehrheits-Frau verprügelten den Minderheits-Mann und töteten angeblich das gemeinsame Kind.
Im Mai 2017 heiratete in Hargeysa eine Isaaq-Frau einen Mann der Gabooye. Die Familie der Frau griff daraufhin die Familie des Mannes mit Stöcken und Messern an und fügte der Ehefrau aus der eigenen Familie Verbrennungen zu. Nach Auskunft einer Nichtregierungsorganisation, die sich für berufsständische Gruppen einsetzt, schritt die Polizei nicht ein.
Ein Gesprächspartner der Fact-Finding Mission äußerte die Ansicht, dass nicht alle Vorfälle von den Medien dokumentiert würden. Dem widersprachen andere Gesprächspartner.
Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab und andere terroristische Gruppen
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt:
- Angehörige der AMISOM bzw. ATMIS;
- nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter;
- Angehörige der Sicherheitskräfte;
- Regierungsangehörige, Parlamentarier, Offizielle und Wahlkandidaten;
- mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten;
- Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen;
- Wirtschaftstreibende, insbesondere dann, wenn sie sich weigern, Schutzgeld („Steuer“) abzuführen;
- Älteste und Gemeindeführer; gemäß somalischen Regierungsangaben hat al Shabaab innerhalb von zehn Jahren 324 Älteste ermordet; einige der Opfer waren in Wahlprozesse involviert; in jüngerer Vergangenheit hat al Shabaab v. a. solche Älteste ermordet, die ihre Clans zur Beteiligung an der Offensive gegen die Gruppe aufgerufen bzw. deren Teilnahme öffentlich unterstützt haben;
- Wahldelegierte und deren Angehörige; dabei hat al Shabaab in der Vergangenheit Delegierte vor die Wahl gestellt, entweder zu ihnen zu kommen und sich zu entschuldigen, oder aber einem Todesurteil zu unterliegen; die große Mehrheit entschuldigte sich; immer wieder werden jedenfalls an Wahlen Beteiligte ermordet, so z. B. ein Delegierter und Ältester am 13.6.2022 sowie ein weiterer Delegierter Mitte April 2022 – beide in Hodan (Mogadischu); al Shabaab bekennt sich nicht immer zu derartigen Attentaten, hat in der Vergangenheit allerdings betont, jede an Wahlen beteiligte Person zum Ziel zu machen;
- Angehörige diplomatischer Missionen;
- prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten;
- religiöse Führer;
- Journalisten;
- Telekommunikationsarbeiter;
- mutmaßliche Kollaborateure und Spione;
- Deserteure;
- als glaubensabtrünnig Bezeichnete (Apostaten);
- (vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des IS; den IS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse.
Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie kein Schutzgeld bzw. „Steuern“ an al Shabaab abführen. Gleichzeitig muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde auf o.g. Personengruppen politisch motiviert oder einfache Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen.
Bewegungsfreiheit und Relokation
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Gesetze schützen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Land und das Recht zur Ausreise. Diese Rechte sind in einigen Landesteilen eingeschränkt – v. a. durch die Unsicherheit entlang der wichtigsten Straßen, durch Checkpoints und Straßenblockaden der jeweiligen Machthaber in bestimmten Gebieten aber auch durch Kampfhandlungen. IDPs sind in den Lagern in und um Mogadischu teils strikten Beschränkungen bezüglich ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen. Davon abgesehen sind keine Einschränkungen für bestimmte Gruppen bekannt.
Überlandreisen: Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Bedrohung hinsichtlich Bewegungsfreiheit entlang von Hauptversorgungsrouten in Süd-/Zentralsomalia. Die Gruppe verwendet entlang dieser Straßen Sprengsätze und legt Hinterhalte. Manchmal placiert al Shabaab Sprengsätze auch deswegen, um dadurch den Verkehr auf Straßen umzulenken, an welchen sie Checkpoints unterhält, wo Gebühren eingehoben werden.
Reisende werden durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Zudem sind sie dort Plünderung, Erpressung, Belästigung und Gewalt ausgesetzt. Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen. Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle führt al Shabaab eine Blockade durch und greift manchmal Zivilisten an, welche die Blockade durchbrechen wollen. Einige Bezirke sind demnach auf Luftbrücken angewiesen.
Der durchschnittliche Somali kann eine Überlandreise antreten, muss aber mit einem gewissen Risiko rechnen, während das Risiko für Sicherheitskräfte oder Regierungsbedienstete höher ist. Trotzdem bereisen Zivilisten und Wirtschaftstreibende tagtäglich die Überlandverbindungen. Die Menschen reisen nicht uninformiert. Reisende und Fahrer versuchen ihre Reise nach neuesten sicherheitsrelevanten Informationen zu adaptieren. Überlandreisen werden bevorzugt mit Minibussen (9-Sitzer), auf Lastwägen oder aber zu Fuß unternommen. Es ist einfach, sich in Mogadischu eine solche Fahrt zu organisieren. Straßenzustand und Sicherheitsüberlegungen können den Zugang zu einzelnen Destinationen fallweise verunmöglichen. Generell können Menschen aber jedes Ziel in Süd-/Zentralsomalia erreichen. Um in kleinere Dörfer zu gelangen, muss meist in der nächstgelegenen Bezirkshauptstadt umgestiegen werden.
Al Shabaab kontrolliert den Ort Leego an der Straße zwischen Wanla Weyne und Buur Hakaba. Damit ist die Route von Mogadischu nach Baidoa für Zwecke der Regierung geschlossen; diese gilt auch für die Hauptversorgungsroute nach Baraawe. Die Verbindung von Mogadischu nach Belet Weyne ist hingegen offen, die Zahl an Reisebewegungen auf dieser Route ist zuletzt stark angestiegen. Der Teil von Buulo Barde nach Belet Weyne wurde gesäubert, und damit ist diese Hauptverbindungsstraße nach 13 Jahren wieder frei. Die Route von Belet Weyne nach Dhusamareb ist weitgehend sicher. Al Shabaab kontrolliert etwa auch an der Hauptversorgungsroute von Kismayo nach Dhobley. Al Shabaab verfügt an allen Ausfallstraßen aus Kismayo – sowohl in Richtung Jamaame, als auch in Richtung Dhobley oder Kolbiyow – über Checkpoints. Generell kann es an den Straßenverbindungen in der Region Lower Juba zu Übergriffen durch al Shabaab kommen. Dies gilt auch in der Region Gedo für die Verbindungen südlich von Garbahaarey. Dahingegen kommt es im Gebiet zwischen Doolow und Luuq nur selten zu Zwischenfällen. In Bakool kommt es entlang der Verbindungsstraßen zwischen Waajid, Yeed und Ceel Barde nur selten zu Zwischenfällen. Die Verbindungen von und nach Xudur unterliegen wiederkehrenden Angriffen von al Shabaab, Xudur ist von al Shabaab eingekreist. In Bay bzw. Lower Shabelle kann es an der Route von Baidoa nach Mogadischu zu Übergriffen durch unterschiedliche Akteure kommen. Al Shabaab hat Zugriff auf die gesamte Straße, sie kontrolliert die Verbindung von Baidoa nach Buur Hakaba und weiter nach Bali Doogle. Rund um Baidoa betreibt die Gruppe Straßensperren.
Straßensperren: In ganz Süd-/Zentralsomalia gibt es Straßensperren (Checkpoints), an welchen Fahrzeuge aufgehalten und Personen kontrolliert werden. Prinzipiell geht es an einer Straßensperre um die Einhebung von Wegzoll, wobei die Höhe des Zolls mitunter willkürlich ist. Es gibt permanente und ad hoc Straßensperren, betrieben von Sicherheitskräften, al Shabaab oder Clanmilizen. Häufig kommt es an Checkpoints zwischen Clanmilizen, aber auch mit und unter staatlichen Einheiten, die sich um die Kontrolle und um Einnahmen streiten, zu kämpfen.
In Mogadischu gibt es mehrere hundert permanente oder mobile Kontrollpunkte, dadurch wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dort werden keine offiziellen Gebühren eingehoben, es kann aber zur Forderung nach Bestechungsgeldern kommen. Gemäß neueren Angaben wurde die Mehrzahl der Checkpoints innerhalb des Stadtgebietes geräumt (Ausnahme: in den Bereichen wichtiger Infrastruktur wie der Villa Somalia, des Parlamentsgebäudes, dem Flughafen u. a.). Einschränkungen ergeben sich durch Sicherheitsmaßnahmen zu besonderen Anlässen wie Staatsbesuchen, die teilweise wichtige Straßenzüge für den zivilen Verkehr unpassierbar machen. Die Dauer dieser Auswirkungen ist unterschiedlich: von mehreren Stunden bis zu mehreren Tagen. Clanälteste, Bundes- und Bundesstaatsminister sowie Abgeordnete können sich in der Stadt nicht ohne Leibwächter frei bewegen. Insgesamt können sich Menschen in Mogadischu aber unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit frei bewegen und sich niederlassen.
Straßensperren von al Shabaab: Das Netzwerk an Straßensperren bzw. Checkpoints bleibt stabil, es ist auch für einen großen Teil der Einnahmen von al Shabaab verantwortlich. Die Gruppe betreibt über 100 Checkpoints in Süd-/Zentralsomalia. In ländlichen Gebieten der gesamten Südhälfte Somalias ist jederzeit mit spontan errichteten Checkpoints der al Shabaab zu rechnen. Al Shabaab kontrolliert die Versorgungsrouten zwischen den meisten Städten. Außerhalb der tatsächlich von der Regierung und ihren Alliierten kontrollierten Gebieten besteht eine große Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre von al Shabaab zu stoßen. Straßensperren zielen in erster Linie auf die Einhebung von Steuern und Abgaben ab, und in zweiter Linie darauf, Spione zu identifizieren. Generell ist es weder Ziel von al Shabaab, Menschen am Reisen zu hindern, noch sind Reisende selbst ein Ziel. Menschen können z. B. aus den Gebieten von al Shabaab in Städte reisen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen. Ein Bericht über die „Besteuerung“ von Straßenverkehr und Gütern an Checkpoints der al Shabaab zeigt, dass der Verkehr in Süd-/Zentralsomalia aus, in und durch das Territorium der al Shabaab möglich ist. Die Studie dokumentiert mehr als 800 Fahrzeuge, die im Zeitraum Dezember 2020 bis Oktober 2021 in Lower und Middle Juba, Lower Shabelle, Bay, Bakool und Gedo unterwegs waren. Passagierfahrzeuge müssen an Straßensperren der al Shabaab nur einen vergleichsweise geringen Betrag abführen.
Allerdings verhält sich al Shabaab an Straßensperren unberechenbar. Menschen können nie voraussehen, wie sie dort behandelt werden. Gebühren werden eingehoben, die Identität aller Reisenden wird verifiziert. Al Shabaab kennt den Hintergrund vieler Menschen, ihr Nachrichtendienst ist effizient. Wenn also eine Person in eine solche Kontrolle gerät, und über diese Person im Rahmen der ausführlichen Netzwerke der al Shabaab eine Meldung vorliegt, dass diese Person z. B. vor ein paar Monaten negativ aufgefallen ist, dann kann dies zu Repressalien führen.
Angst vor al Shabaab müssen in erster Linie jene Reisenden haben, die öffentlich Bedienstete sind oder die Verbindungen zur Regierung haben. Außerhalb größerer Städte können sie jederzeit auf eine Straßensperre von al Shabaab treffen. Sie befinden sich in Lebensgefahr. Dies gilt insbesondere an Straßensperren in jenen Gebieten, die nicht vollständig unter Kontrolle von al Shabaab stehen. Dort dürfen Spione standrechtlich – ohne Verfahren – exekutiert werden. In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab werden Verdächtige i.d.R. verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge. Außerdem kann es Personen treffen, die von al Shabaab – etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) – als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden. Auch Reisende, die im Gebiet der Reisebewegung weder über Familien- noch Clanverbindungen verfügen, können von al Shabaab unter Umständen als Spione verdächtigt werden (außer sie haben einen Bürgen). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Reiseziel der Person im von der al Shabaab kontrollierten Gebiet liegt.
Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor – etwa Auspeitschen. Reisende passen sich daher üblicherweise den Kleidungs- und Verhaltensvorschriften von al Shabaab an, um nicht herauszustechen.
Luftweg: Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen. Regierungsvertreter nutzen das Flugzeug, wo es nur geht. Von Mogadischu aus können Baidoa, Kismayo, Garoowe, Galkacyo, Bossaso, Cadaado und Guri Ceel mit Linienflügen erreicht werden. Anbieter ab Mogadischu gibt es auch für Flüge nach Cabudwaaq, Belet Weyne und Dhobley. Die Kosten für ein One-Way-Ticket im Binnenflugverkehr belaufen sich auf 100-150 US-Dollar.
Eine effektive Ausreisekontrolle an den Grenzübergängen von Somalia in die Nachbarländer findet nicht statt. Sowohl die Landgrenze als auch die Seegrenze werden weitgehend nicht überwacht. Kontrollen werden dagegen bei Flugreisen ab Mogadischu, Garoowe und Bossaso durchgeführt.
Meldewesen und Staatsbürgerschaft
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Es gibt in Somalia kein Personenstandswesen und auch keine Institution oder Behörde, die sich mit dem Meldewesen befassen würde. Somalische Behörden haben keinen Überblick über die eigene Bevölkerung, Bürger werden normalerweise nur dann registriert, wenn sie einen Reisepass beantragen. Zudem gibt es weder Fahndungs- noch Strafregister. Die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt oft nur durch den Ältestenrat eines Dorfes oder durch Verwandte bzw. Bekannte. Auch an Checkpoints wird nicht nach einem Personalausweis gefragt, sondern es wird der Clanhintergrund festgestellt.
Schon vor 1991 und erst recht nach 1991 wurden in Somalia geborene Personen nie offiziell registriert, und auch jetzt werden Geburten nur in sehr geringem Ausmaß behördlich registriert. Eine Geburtsurkunde ist de facto nur für die Ausstellung eines Reisepasses oder aber bei einer formellen Anstellung notwendig. Daher gibt es für die Bevölkerung kaum einen Anreiz, die Geburt eines Kindes erfassen zu lassen. Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige in Süd- und Zentralsomalia und Puntland zu erhalten. Zustellungen sind nicht möglich.
Generell ist das Staatsbürgerschaftsgesetz aus dem Jahr 1962 weiterhin in Kraft. Die Übergangsverfassung sieht allerdings vor, dass es hinsichtlich der Definition, wie jemand an die somalische Staatsbürgerschaft gelangt und wie er diese aussetzt oder verliert, ein Gesetz geben soll. Allerdings wurde ein solches Gesetz noch nicht geschaffen, und es gibt daher keine neue Definition.
Die somalische Staatsbürgerschaft wird daher weiterhin mit der Geburt erlangt, wenn der Vater Somali ist. Vor 1991 galt, dass jeder Abkomme eines männlichen Somali somalischer Staatsbürger ist – unabhängig davon, wo diese Person herstammt. Als Somali wird hier definiert, wer durch Herkunft, Sprache oder Tradition zur somalischen Nation gehört, wer also ethnischer Somali ist. Daher ist es auch nicht entscheidend, ob eine Person aus Somalia kommt oder in Somalia lebt. Vielmehr ist relevant, ob diese ethnisch Somali ist. Somalische Behörden betrachten demnach auch Somali, die eigentlich kenianische oder äthiopische Staatsbürger sind, als somalische Staatsbürger. In beiden Ländern gibt es substanzielle Gruppen ethnisch somalischer Nomaden, und es ist unrealistisch, eine klare Linie zu ziehen und einzelne Familien auf der einen oder auf der anderen Seite der Grenze endgültig zu lokalisieren. Folglich können auch ethnische Somali aus Äthiopien, Dschibuti oder Kenia somalische Reisepässe erhalten.
Auch weiterhin erhalten Kinder somalischer Väter bei der Geburt die Staatsbürgerschaft; Kinder somalischer Mütter können die Staatsbürgerschaft nach zwei Jahren erhalten. In einer anderen Quelle wird die Weitergabe durch die Mutter nicht erwähnt. Dahingegen erlangt eine Frau automatisch die somalische Staatsbürgerschaft, wenn sie einen Somali heiratet; umgekehrt ist dies nicht der Fall. Angehörige von Minderheiten werden aus rechtlicher Sicht ebenso als vollwertige Staatsbürger erachtet. Nach anderen Angaben kann es für Angehörige ethnischer Minderheiten mitunter schwierig werden, einen Reisepass zu erhalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie als Flüchtlings außerhalb Somalias aufgewachsen sind. Sie müssen den somalischen Behörden gegenüber „nachweisen“, dass sie aus Somalia stammen – meist durch die Darstellung entsprechender Sprachkenntnisse.
Rückkehr
(Letzte Änderung 2023-03-17)
Rückkehr international: Seit Jahren steigt die Anzahl der nach Somalia zurückgekehrten somalischen Flüchtlinge. Seit 2009 kommen Somali der Diaspora zurück in ihre Heimat, viele mit Bildung, Fähigkeiten und einer unternehmerischen Einstellung. Zuerst tröpfelten sie nur ins Land, ab 2012 fluteten sie zurück. Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft. Viele Somalis in der Diaspora wollen zurückkommen und das Land aufbauen. Manche tun es nicht, weil es in Somalia keine adäquate Schulbildung für ihre Kinder gibt. Andere schicken ihre Kinder gezielt nach Somalia: Alleine im Jahr 2019 wurden hunderte Kinder der somalischen Diaspora in London nach Somalia, Somaliland und Kenia gebracht, weil sich die Eltern zunehmend Sorgen um die Zunahme von Drogenbanden und Gewalt in England machten.
Die USA, Kanada, Großbritannien, Finnland, Dänemark, die Niederlande, Belgien und Norwegen führen grundsätzlich Abschiebungen nach Mogadischu durch. Aus Europa wurden im Jahr 2022 – in geringen Zahlen – jedenfalls Somali aus Belgien, Norwegen, Dänemark, der Schweiz und Schweden nach Somalia rückgeführt, die meisten davon freiwillig. Während der Pandemie fanden auch aufgrund der schwierigen Zusammenarbeit mit den somalischen Behörden nur wenige bis keine Rückführungen statt. Österreich beteiligt sich am von IOM geführten Programm RESTART III, das freiwillige Rückkehr nach Somalia abwickelt. Insgesamt hat IOM von 2020 bis 2022 bei 187 freiwilligen Rückführungen aus Europa Unterstützung geleistet. Die Rückkehrer kamen u. a. aus Belgien (14), Deutschland (66), Finnland (12), Griechenland (20), den Niederlanden (8), Österreich (8), der Schweiz (22) und Zypern (14). 33 der Rückgeführten waren weiblich. 141 verblieben in Mogadischu, die anderen reisten weiter nach Garoowe (6) und Hargeysa (34).
Rückkehr regional: Die Rückkehrbewegung nach Somalia hat sich seit 2020 deutlich verlangsamt. Insgesamt sind von Ende 2014 bis Jänner 2022 knapp 134.000 Menschen mit oder ohne Unterstützung nach Somalia zurückgekehrt. Im Jahr 2021 waren es ca. 2.500 – vor allem aus dem Jemen. Verursacht wurde der Rückgang nicht zuletzt von der COVID-19-Pandemie. In den ersten drei Monaten des Jahres 2022 kehrten nur 187 Personen von UNHCR assistiert nach Somalia zurück.
Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2014 die freiwillige Rückkehr von Somaliern aus Kenia. Grundlage ist ein trilaterales Abkommen zwischen Kenia, Somalia und dem UNHCR. Seit Abschluss des trilateralen Abkommens kehrten mit Unterstützung des UNHCR über 85.000 Menschen aus Kenia nach Somalia zurück. Diese gingen vor allem nach Kismayo und das südliche Jubaland. Noch nie wurde ein Bus, welcher Rückkehrer transportiert, angegriffen. Allerdings kommt es aufgrund von Gewalt und Konflikten sowie durch die Pandemie bedingte Reisebeschränkungen immer wieder zu Unterbrechungen bei der Rückkehrbewegung. Trotz seiner Rolle bei der Rückführung aus Kenia warnt der UNHCR angesichts der aktuellen Lage in Somalia davor, Personen in Gebiete in Süd- oder Zentralsomalia zwangsweise zurückzuschicken, da die Sicherheit nicht gewährt werden kann.
Seit Frühjahr 2018 unterstützt die sogenannte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration rückkehrwillige somalische Migranten vornehmlich in Libyen und Äthiopien. Die Leistungen umfassen Beratung zu Möglichkeiten der Rückkehr sowie der Integration in den somalischen Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Entwicklung von standardisierten Rückführungsverfahren nach Somalia gefördert. Mit Unterstützung von IOM sind 2021 803 Personen nach Somalia zurückgekehrt, davon 340 aus Saudi-Arabien, 295 aus dem Jemen und 16 aus Deutschland.
Behandlung: Die Zahl der von westlichen Staaten zurückgeführten somalischen Staatsangehörigen nimmt stetig zu. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Das RMO hat für alle Rückführungsmaßnahmen nach Somalia eine einheitliche Prozedur festgelegt, die konsequent zur Anwendung gebracht wird. Es liegen keine Informationen dahingehend vor, dass abgelehnte Asylwerber am Flughafen in Mogadischu Probleme seitens der Behörden erfahren. Das RMO befragt sie hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige und andere Rückkehrer. Eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug kann vom RMO organisiert werden, die Rechnung begleichen die rückführenden Staaten. Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer. Nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt. Eine strukturelle Diskriminierung von Rückkehrern aus dem Ausland gibt es nicht.
Rückkehrstudie von UNHCR: Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie von 2018 bis Dezember 2021 fast 2.900 Haushalte mit mehr als 17.000 Angehörigen – darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen – zu ihrer Situation in Somalia befragt. Dabei hatten 48 % der Befragten angegeben, wegen der verbesserten Sicherheitslage nach Somalia zurückgegangen zu sein. 14 % machten diesen Schritt wegen besserer ökonomischer Möglichkeiten. Nur 24 % der befragten Haushalte gaben an, in einem „IDP-Lager“ zu wohnen. 94 % der Rückkehrer gaben an, nach ihrer Rückkehr keinerlei Form von Gewalt (Drohungen, Einschüchterungen, physische Gewalt) erlebt zu haben. 90 % gaben an, sich in ihrer Gemeinde und im Bezirk frei bewegen zu können. 91 % der Befragten gaben an, dass sie nicht als Rückkehrer diskriminiert würden; und 88 % wurden auch nicht wegen ihrer ethnischen oder Clan-Zugehörigkeit diskriminiert. 88 % der Befragten haben keine Streitigkeiten austragen müssen. Von jenen, die in Konflikte verwickelt waren, gaben 38 % Wohnungs- und Landstreitigkeiten als Gründe an, weitere 27 % Familienstreitigkeiten.
Erreichbarkeit: Einen regelmäßigen internationalen Direktflugverkehr nach Mogadischu gibt es aus Istanbul, Addis Abeba, Nairobi, Doha und Entebbe. Darüber hinaus fliegen regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an. Von Bossaso (Puntland) aus wird Addis Abeba und Dubai angeflogen, von Garoowe (Puntland) Addis Abeba und Nairobi. Für Rückführungen somalischer Staatsbürger wurden vor der COVID-19-Pandemie die Verbindungen der Turkish Airlines via Istanbul bzw. via Nairobi mit Jubba Airways bevorzugt. Bei Ersterer erfolgte meist eine polizeiliche Eskortierung bis Mogadischu, bei Letzterer nur bis Nairobi, da die Fluglinie sich dann gegen die Zahlung einer Gebühr um die Sicherheit kümmerte.
Dokumente
(Letzte Änderung 2023-03-15)
Es gibt im Land kein umfassendes Programm zur Geburtenregistrierung, die Registrierungsrate beträgt in ganz Somalia (inkl. Somaliland) nur rund 3 %. Nach anderen Angaben sind 4 % der Kinder unter zwei Jahren registriert, allerdings ist nur 1 % im Besitz einer Geburtsurkunde. Seit dem Fall von Siad Barre im Jahr 1991 herrscht in Somalia eine „dokumentenlose“ Gesellschaft. Normalerweise identifizieren sich Somalis durch Dialekt und Clanzugehörigkeit. Der Großteil der Bevölkerung besitzt also keine Papiere, Somalia hat mit 77 % den weltweit höchsten Prozentsatz an Menschen, die über keinen staatlichen Identitätsnachweis verfügen. Einen Reisepass besitzen nur Personen in formellen Anstellungen oder jene, die ins Ausland reisen.
Identitätsprüfung: Möchte jemand ein Dokument beantragen, dann muss er sich an jene Lokalbehörde wenden, wo er geboren wurde oder lebt. Nachdem in Somalia kein Personenstandsverzeichnis existiert, erfolgt die Ausstellung von Dokumenten allein aufgrund der mündlichen Angaben der antragstellenden Person und ggf. anwesender Zeugen und Verwandten. Die Person selbst wird interviewt und nach dem Ältesten befragt, mit welchem ggf. Kontakt aufgenommen wird. Denn die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt – neben Verwandten – oft durch Älteste eines Dorfes. Folglich kann es bei Angaben, die zur Ausstellung eines Dokuments gemacht werden müssen, leicht zu Falschangaben kommen. Zusätzlich fördern schwache Institutionen, niedrige Gehälter und eine Kultur der Korruption die Bestechlichkeit von Beamten, welche Dokumente ausstellen. Auch die starken Loyalitäten, die auf dem Clansystem beruhen, kommen hier zu tragen. In das System der Identifizierung einzelner Personen kann folglich nicht viel Vertrauen gelegt werden. Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige zu erhalten.
Für Angehörige ethnischer Minderheiten kann es mitunter schwierig werden, einen Reisepass zu erhalten. Sie müssen den somalischen Behörden gegenüber „nachweisen“, dass sie aus Somalia stammen – meist durch die Darstellung entsprechender Sprachkenntnisse, aber auch durch Nennung einer prominenten Bezugsperson (z. B. ein Abgeordneter). Dies gilt insbesondere für Bantu und Bajuni, nicht unbedingt für Benadiri.
Dokumentensicherheit: Für Somalier ist es generell einfach, echte Dokumente unwahren Inhalts zu besorgen, darunter auch unrichtige Pässe der Nachbarländer Dschibuti, Äthiopien und Kenia. In Somalia selbst, aber auch z. B. im Stadtteil Eastleigh in Nairobi, werden gefälschte somalische Reisepässe ebenso wie zahlreiche andere gefälschte Dokumente zum Verkauf angeboten. Dokumenten mangelt es insgesamt an nachweisbaren Grundlagen und Verlässlichkeit der Angaben. Dieser Umstand öffnet die Tür für Betrug und Missbrauch. Personen mit fünf verschiedenen Reisedokumenten und fünf darin anderslautenden Namen sind keine Seltenheit. Hinzu kommen erschwerend die häufige Namensgleichheit bzw. verschiedene Namensschreibweisen. Generell werden Dokumente eher nicht gefälscht, da es einfach ist, an Originale zu gelangen. Mit Hilfe von sogenannten „Fixern“ können alle Arten von Dokumenten arrangiert werden: Reisepässe, Geburts- oder Sterbeurkunden etc. An unterschiedlichen städtischen Behörden werden Identitätsdokumente ausgestellt, wobei es für deren Ausstellung unterschiedlichste Kriterien gibt. Ein Regierungsvertreter hat gegenüber dem Expertenrat der Vereinten Nationen angegeben, dass man alleine in Mogadischu binnen eines Tages zwanzig verschiedene Geburtsurkunden bekommen könnte. Eine Finanzinstitution hat angegeben, dass es Fälle gibt, wo eine Person mit drei unterschiedlich lautenden Identitätsdokumenten versucht, Bankkonten zu eröffnen.
Der Begriff „Somali“ im somalischen Staatsbürgerschaftsgesetz aus dem Jahr 1962 umfasst alle ethnischen Somali. Für die Ausstellung eines Reisepasses ist es nicht entscheidend, ob eine Person aus Somalia kommt oder in Somalia lebt. Vielmehr ist relevant, ob die Person ethnisch Somali ist. Auch ethnische Somali aus Äthiopien, Dschibuti oder Kenia können somalische Reisepässe erhalten. Natürlich spielt die Angabe des Clans hier eine relevante Rolle. Die Echtheit von Dokumenten bzw. Urkundenüberprüfungen hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit bzw. des Wahrheitsgehalts von Dokumenten kann keinesfalls überprüft werden.
Dokumente: Nur wenige Somali können die erforderlichen Mittel aufbringen, um einen Reisepass zu erhalten. Dabei erfolgt die Ausstellung eines Passes in Mogadischu innerhalb weniger Wochen ohne Problem, die Kosten betragen 90-100 US-Dollar. Gleichzeitig mit dem Pass erhält man einen Personalausweis. Für die Beantragung eines Passes ist die Vorlage einer Geburtsurkunde notwendig. Die Daten im Reisepass beruhen auf den mündlichen Angaben des Antragstellers. Üblicherweise nennt der Antragsteller auch eine Bezugsperson – meist einen Clanvertreter. Allerdings gibt es keine Hinweise, wonach die vom Antragsteller zur Verfügung gestellten Informationen systematisch überprüft werden, indem z.B. mit der Bezugsperson Kontakt aufgenommen wird. Ausgestellt werden Pässe in Mogadischu und wenigen anderen somalischen Städten sowie an einigen Botschaften. Generell ist die Ausstellung von Reisepässen an somalischen Botschaften von persönlichen Beziehungen und der jeweiligen Situation abhängig. Insgesamt ist die Ausstellung von Reisepässen von Betrug und Korruption gekennzeichnet, die Integrität dieses Dokuments ist untergraben. Aufgrund von Sorgen hinsichtlich des Ausstellungsprozesses bzw. wegen weitverbreitetem Passbetrug erkennen nur wenige Staaten den somalischen Reisepass als gültiges Reisedokument an
Die große Mehrheit somalischer Geburtsurkunden ist entweder gefälscht oder sonst für einen Identitätsnachweis unbrauchbar. Geburtsurkunden mit falschen Einträgen können gekauft werden. Selbst somalische Behörden schenken somalischen Geburtsurkunden nur wenig Vertrauen.
In Puntland erhalten nicht-puntländische Somali zwar keinen puntländischen Ausweis; sie können aber eine Personalurkunde erhalten (warqadda sugnaanta), wo ihre eigentliche Herkunft eingetragen ist. Für IDPs aus anderen Teilen Somalias gibt es in Puntland eigene ID-Karten.
Ehen werden vor einem Schariagericht geschlossen und auch wieder aufgelöst. Die Scharia-Gerichte können Ehe- und Scheidungsurkunden ausstellen. Es gibt kein zentrales Verzeichnis, das die Akte der Gerichte nachprüfbar macht. Es gibt keine Zivilehe.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, seiner Herkunft, Religionszugehörigkeit sowie Clanzugehörigkeit beruhen auf den diesbezüglich gleichbleibenden und schlüssigen Angaben des Beschwerdeführers im behördlichen als auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. AS 17; AS45; Seite 5 des Verhandlungsprotokolls). So machte der Beschwerdeführer – auch wenn er bei der Erstbefragung abweichend „Somali“ als Volksgruppenzugehörigkeit angab (AS 19) – sowohl bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu seiner Clanzugehörigkeit, inklusive Subclan sowie Subsubclan übereinstimmende Angaben und wurde die Zugehörigkeit zu Gabooye auch bereits von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid festgestellt (AS 47; AS 81; Seite 6 des Verhandlungsprotokolls).
Auch seinen durchgehenden Aufenthaltsort in Somalia schilderte der Beschwerdeführer gleichbleibend (vgl. AS 21; AS 48; Seite 7 des Verhandlungsprotokolls). Die weiteren Feststellungen zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers in Somalia, insbesondere zu seiner Schulbildung und Erwerbstätigkeit beruhen auf einer Zusammenschau seiner Angaben in der Einvernahme und der mündlichen Verhandlung (AS 50; Seite 6-7, 20 des Verhandlungsprotokolls). Hinsichtlich seiner Schulbildung, gab der Beschwerdeführer überwiegend im Asylverfahren an, keine Schule besucht zu haben, aber auf Nachfrage ergänzte er bei der Einvernahme durch das Bundesamt, zwei Jahre in der Koranschule gewesen zu sein, weshalb feststeht, dass der Beschwerdeführer höchstens zwei Jahre eine Koranschule besuchte, aber darüber hinaus über keine weitere Schul- oder Berufsausbildung verfügt. Dass der Beschwerdeführer – allenfalls auch ohne Schulbesuch – Somalisch in Wort und Schrift beherrscht, gab er bereits bei der Erstbefragung an und bestätigte dies in der mündlichen Verhandlung. Er gab hierzu glaubhaft an, zuhause von seiner Mutter Somalisch lesen und schreiben gelernt zu haben (vgl. AS 18f; Seite 6 des Verhandlungsprotokolls).
Ebenso konnte aufgrund der übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung, Einvernahme und mündlichen Beschwerdeverhandlung der genaue Zeitpunkt seiner Ausreise aus Somalia festgestellt werden (AS 23; AS 50; Seite 9 des Verhandlungsprotokolls).
Die Feststellungen zur politischen Situation im Herkunftsort des Beschwerdeführers basieren auf den eingeholten Länderinformationen, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kapitel Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten sowie auf den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers hierzu in der Einvernahme vor dem Bundesamt (AS 51).
Die Feststellungen zu den Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Somalia beruhen insbesondere auf seinen hierzu aktuellen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung, wonach sein Vater und seine vier Geschwister in Somalia, außerhalb von Mogadischu aufhältig seien, welche auch mit den Angaben im behördlichen Verfahren in Einklang stehen (AS 21; AS 50f; Seite 8 des Verhandlungsprotokolls). Dass seine Mutter bereits verstorben ist, brachte der Beschwerdeführer zwar gleichbleibend im gesamten Verfahren vor, vor dem Hintergrund der Unglaubhaftigkeit der Angaben zu den genaueren Umständen, die zum Tod der Mutter führten (siehe unten Pkt. II.2.2.), kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Umständen die Mutter des Beschwerdeführers ums Leben kam.
Die Einreise und Antragstellung des Beschwerdeführers in Österreich sowie die Gewährung subsidiären Schutzes gehen aus dem Inhalt seines Verwaltungsaktes und seinen Angaben hervor. Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers gründet auf einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.
2.2. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine Bedrohung und Verfolgung durch die Familie seiner Ehefrau im Zusammenhang mit einer heimlichen Beziehung und Mischehe und der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur berufsständischen Gruppe Gabooye hat sich aufgrund von Widersprüchen, vagen Angaben und mangelnder Plausibilität vor dem Hintergrund der Länderinformationen als unglaubhaft erwiesen:
Der Beschwerdeführer brachte zwar im Kern eine gleichbleibende Fluchtgeschichte vor (er sei aufgrund einer heimlichen Mischehe mit einer Frau einer mächtigen Volksgruppe bedroht, geschlagen sowie verfolgt worden und sei auch seine Mutter getötet worden), konnte seine Angaben aber sowohl bei der Einvernahme vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zum Teil auch auf Nachfragen nicht konkretisieren und war im Ergebnis nicht in der Lage, die vorgebrachten Vorfälle nachvollziehbar darzustellen.
Nicht nachvollziehbar ist etwa, dass der Beschwerdeführer einerseits ausführte, aus Liebe entgegen den gesellschaftlichen und traditionellen Normen sowie entgegen der Familie der Frau eine heimliche Beziehung geführt zu haben und trotz Drohungen, körperlichen Angriff traditionell geheiratet zu haben, andererseits aber kaum etwas zu seiner Frau, zum Kennenlernen oder der Beziehung erzählen konnte. Trotz mehrmaligem Nachfragen durch das Bundesamt in der Einvernahme gab der Beschwerdeführer neben ihrem Namen lediglich an, dass seine Frau in Äthiopien sei und sie sich auf der Straße kennengelernt und die Telefonnummer ausgetauscht hätten (AS 52f). Diesbezüglich hatte der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht kaum Erinnerungen und gab widersprüchlich an, dass er seine Frau auf der Straße im Jahr 2023 (auf Nachfrage Ende 2022/Anfang 2023) kennengelernt habe, obwohl er in der Einvernahme ausführte sich im Jänner 2022 in seine Frau verliebt zu haben und im August 2022 bereits der Bruder von seiner Frau von der heimlichen Beziehung erfahren habe (vgl. AS 51 und Seite 12-13 des Verhandlungsprotokolls). Dass er seine Frau Ende 2022/Anfang 2023 kennengelernt habe, steht auch im Widerspruch zu seinen weiteren Angaben in der mündlichen Verhandlung, dass zwischen einem ersten und zweiten „zufälligen“ Treffen auf der Straße, als sie der Bruder der Frau gesehen habe, 7-8 Monate vergangen seien (sohin ca. Juni-August 2023), zumal der Beschwerdeführer seinen Herkunftsort nach seinen gleichbleibenden Angaben im April 2023 und Somalia endgültig dann im Mai 2023 verlassen hat.
Auffallend ist des Weiteren, dass der Beschwerdeführer die Vorfälle in Bezug seiner Fluchtgründe – heimliche Beziehung, körperliche Angriff auf den Beschwerdeführer, heimliche „Mischehe“, Schwangerschaft, Tod der Mutter und Flucht nach Mogadischu und Ausreise – chronologisch im Vergleich zur freien Erzählung vor dem Bundesamt, in der mündlichen Verhandlung unterschiedlich vorbrachte. Dass er „eines Abends“ vom Bruder der Frau und seinen Freunden zuhause attackiert worden sei, sparte der Beschwerdeführer im Unterschied zur Einvernahme in der mündlichen Verhandlung in der freien Erzählung aus (vgl. AS 51 und Seite 10 des Verhandlungsprotokolls). Im späteren Verlauf der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer auf Nachfrage zu der Beziehung mit seiner Frau vor der Eheschließung jedoch wiederrum den körperlichen Angriff auf ihn nach einem zweiten Treffen mit seiner Frau vor. Dies aber im Detail widersprüchlich, weil er im Unterschied zu seinen Angaben in der Einvernahme, am gleichen Tag des Treffens in der Nacht (Einvernahme: „eines Abends“) auf der Hauptstraße (Einvernahme: „zuhause“) von den Brüdern der Frau (Einvernahme: „Bruder und seine Freunde“) attackiert und bedroht worden sei (vgl. AS 51-53; Seite 13-15 des Verhandlungsprotokolls). In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer auf Nachfrage durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der Einvernahme widersprüchlich angab, dass diese Attacke im sechsten Monat im Jahr 2023 war, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits ausgereist war (AS 53). Zudem stützte er sich in der mündlichen Verhandlung explizit lediglich auf zwei Treffen mit seiner Frau (Kennenlernen auf der Straße, zufälliges zweites Treffen 7-8 Monate später wieder auf der Straße und am Abend körperliche Attacke durch „Brüder“ der Frau). Im Unterschied dazu sprach der Beschwerdeführer in der Einvernahme davon, dass er seine Frau auch nach der Attacke trotzdem getroffen habe, also von mehr Treffen, die er aber auch nicht konkretisierte oder näher darlegte, wo und wann und wie er sich mit seiner Frau getroffen habe (AS 51).
Des Weiteren ist widersprüchlich, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zuerst in der freien Erzählung seiner Fluchtgründe vorbrachte, dass er nach dem Vorfall mit seiner Mutter zuerst einen Freund angerufen habe, der ihm etwas Geld gegeben und ihm gezeigte habe, wo sich die Haltestelle befindet, obwohl der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben bei einer (Bus-)Haltestelle bei der Verladung von Personen und Gegenständen als Hilfskraft gearbeitet hat und demnach anzunehmen wäre, dass ihm die (Bus-)Haltestelle nach Mogadischu bekannt sein müsste. Danach habe er seinen Onkel angerufen, der „jemanden“ zu ihm geschickt habe, um ihn abzuholen. Zudem sei sein Onkel von den Nachbarn angerufen und informiert worden, dass seine Mutter ins Krankenhaus gebracht wurde, wo sie auch verstorben sei (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls). Im Unterschied hierzu, machte der Beschwerdeführer bei der Einvernahme im Detail zur Reihenfolge andere Angaben und führte aus, dass er zu seinem Freund gegangen sei und er sofort seinen Onkel telefonisch kontaktiert habe, der ihm geraten habe nach Mogadischu zu kommen und ihn die Söhne des Onkels abholen würden. Sein Onkel sei bei seiner Mutter im Krankenhaus gewesen und zurückgekommen und habe vom Tod der Mutter berichtet (AS 51-52). Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass es sich hier teilweise um Ungereimtheiten im Detail handelt, aber ist es dennoch auffallend, dass der Beschwerdeführer gehäuft unterschiedliche Jahresangaben machte sowie die Vorfälle chronologisch nicht gleichbleibend und stimmig erzählte. Nach zweimaliger Nachfrage, wie er zu seinem Onkel in Mogadischu gekommen sei und welche „Männer“ sein Onkel zu ihm geschickt habe, gab der Beschwerdeführer später schließlich an, dass es sich um die Söhne seines Onkels gehandelt habe. Weshalb der Beschwerdeführer, dies nicht auch von Beginn an in der mündlichen Verhandlung vorbrachte ist nicht nachvollziehbar (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls).
Des Weiteren schilderte der Beschwerdeführer auch den Vorfall mit seiner Mutter über Befragen, was nach dem Anruf seiner Frau, die ihm von der Schwangerschaft und dem körperlichen Angriff ihrer Familie auf sie erzählte habe, in der mündlichen Verhandlung zuerst nicht und berichtete, zu seinem Freund geflüchtet zu sein, weil er von der Familie der Frau gesucht worden sei (Seite 21 des Verhandlungsprotokolls). Auf Vorhalt und nach mehrmaligem Nachfragen berichtete der Beschwerdeführer sodann auch den Vorfall mit seiner Mutter, verblieb hierzu aber äußerst vage und oberflächlich und konnte hierzu kaum Angaben machen bzw. stützte er sich auf Spekulationen. Auf genaueres Nachfragen in der mündlichen Verhandlung reagierte der Beschwerdeführer ausweichend oder verstrickte sich in Ungereimtheiten bzw. chronologische Widersprüche oder ließ wesentliche Teile seines Vorbringens aus (Seite 21-22 des Verhandlungsprotokolls). Nicht nachvollzogen werden kann auch, dass der Beschwerdeführer seiner Ehefrau nicht zu Hilfe gekommen ist und in der Arbeit verblieb, sowie dass er zum Tod der Mutter keine Angaben machen konnte, obwohl auch sein Vater und Onkel ins Krankenhaus zur Mutter gekommen seien und der Beschwerdeführer nach wie vor in regelmäßigen Kontakt mit seinen Familienangehörigen steht. Dass seine Mutter von Familienangehörigen seiner Frau getötet wurde, stützt sich nach eigenen Worten des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung auf eine Vermutung (Seite 23 des Verhandlungsprotokolls).
Schließlich ist insbesondere festzuhalten, dass die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers auch vor dem Hintergrund der Länderberichte nicht objektivierbar ist und kaum mit den Feststellungen zur Situation in Somalia in Einklang zu bringen ist. Sohin ist auch unter Wahrstellung, dass der Beschwerdeführer heimlich eine Beziehung und traditionell geschlossene Ehe mit einer Frau eines „höheren“ Clans führte, eine derartige Gewaltausübung gegenüber seiner Frau und die Ermordung seiner Mutter sowie eine drohende Tötung des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr seitens der Familie dieser Frau bzw. ihrer Clanangehörigen vor dem Hintergrund der Länderinformationen nicht plausibel. So ist den aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation und dem bereits älteren SEM Bericht Focus Somalia „Clans und Minderheiten“ aus dem Jahr 2017 übereinstimmend zu entnehmen, dass es in Zusammenhang mit Mischehen – insbesondere dann, wenn (wie gegenständlich vorgebracht) eine „Mehrheitsfrau“ einen „Minderheitenmann“ heiratet – weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung und zur Verstoßung des aus einem „noblen“ Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen kommen kann. Aufgrund dieses sozialen Drucks kommen Mischehen äußerst selten vor. Entgegen dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, führt eine Mischehe laut den Länderinformationen und der Fact-Finding Mission aus dem SEM-Bericht allerdings so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen und sehen Angehörige der Hawiye (der Clan, dem die Frau des Beschwerdeführers angehören soll) gemäß den Berichten die Frage der Mischehe sogar weniger eng. Eine Mischehe sorgt für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie aber meist akzeptiert. Abgesehen von einem sozialen Druck oder allenfalls einer Verstoßung der Frau des Beschwerdeführers durch ihre Familie, erscheint daher das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den Konsequenzen seiner Beziehung bzw. der Eheschließung mit seiner Frau – insbesondere betreffend die Misshandlung seiner Ehefrau, die Tötung seiner Mutter und die drohende Ermordung des Beschwerdeführers durch die Familie der Frau – keineswegs plausibel und deckt sich entgegen den Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz das Vorbringen des Beschwerdeführers gerade nicht mit den Länderinformationen.
Auch auf Vorhalt hierzu in der mündlichen Verhandlung, vermochte der Beschwerdeführer diese gravierende Diskrepanz seines Vorbringens mit den Feststellungen zur Situation in Somalia nicht nachvollziehbar zu entkräften (Seite 24 des Verhandlungsprotokolls).
Im Gesamtzusammenhang betrachtet weisen sohin auch die Angaben des Beschwerdeführers zu einer individuellen Bedrohung aufgrund einer heimlichen Beziehung und Heirat („Mischehe“) mit einer dem „nobleren“ Clan der Hawiye zuordenbaren Frau zahlreiche Ungereimtheiten und Widersprüche in mehreren Teilen des Vorbringens sowie Unplausibilitäten vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen auf, welche der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar zu klären vermochte. Im Zuge des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht hat sich unter Berücksichtigung der mündlichen Verhandlung sowie insbesondere den entgegenstehenden Länderinformationen der Eindruck verstärkt, dass der Beschwerdeführer eine konstruierte Geschichte wiedergegeben hat, und war daher sein gesamtes fluchtbezogenes Vorbringen als unglaubhaft zu werten. Somit war insbesondere auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Somalia im Zusammenhang mit einer heimlichen Beziehung und Heirat („Mischehe“) von der Familie der Frau gesucht wird und aus diesem Grund auch seine Mutter getötet wurde.
Auch eine sonstige Bedrohung des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr nach Somalia – etwa aufgrund seiner politischen Einstellung, Religionszugehörigkeit oder Volksgruppen- bzw. Clanzugehörigkeit – wurde vom Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht bzw. sind hierfür auch keine hinreichenden Anhaltspunkte hervorgekommen, zumal der Beschwerdeführer explizit angab, nie politisch aktiv gewesen zu sein und auch verneinte, jemals in Somalia straffällig gewesen zu sein oder Probleme mit den somalischen Behörden oder der Al Shabaab gehabt zu haben (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer brachte lediglich äußerst vage und pauschal in der mündlichen Verhandlung vor, Somalia aufgrund von Diskriminierungen verlassen zu haben und dass es allgemeine Probleme gegeben habe (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls: „Die allgemeine Lage ist unsicher. Leute werden getötet ohne besonderen Grund. Es wurden auch einige festgenommen ohne Tatverdacht. […] Ich habe Somalia aufgrund Diskriminierung verlassen. Ich wurde geschlagen und diskriminiert aufgrund meiner Clanzugehörigkeit.“). Eine konkrete den Beschwerdeführer betreffende persönliche Gefährdung kann daraus nicht abgeleitet werden und ergibt sich auch aus den Länderinformationen, dass der Herkunftsort des Beschwerdeführers unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS befindet und hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden kann. Eine konkrete Bedrohung durch Al Shabaab wurde vom Beschwerdeführer weder im behördlichen Verfahren noch vor dem Bundesverwaltungsgericht substantiiert behauptet. Hinsichtlich der Clanzugehörigkeit und des pauschalen Vorbringens des Beschwerdeführers, als Gabooye diskriminiert zu werden, ist anzuführen, dass aus den Länderberichten hervorgeht, dass sich die Situation für Gabooye sich im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert hat und es keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye gibt. Dass er selbst in Somalia nie konkret als Gabooye diskriminiert wurde, gab der Beschwerdeführer schließlich auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung selbst zu und relativierte damit sein vorangegangenes pauschales Vorbringen (Seite 24 des Verhandlungsprotokolls). Somit ist vor dem Hintergrund der Länderinformationen und der Angaben des Beschwerdeführers auch keine hinreichend konkrete Gefährdung des Beschwerdeführers, im Falle seiner Rückkehr alleine aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Clan bzw. der berufsständischen Gruppe Gabooye, Subclan XXXX , Subsubclan XXXX , in erheblichem Ausmaß diskriminiert oder verfolgt zu werden, zu erkennen.
Insgesamt hat der Beschwerdeführer somit bei einer Rückkehr nach Somalia auch keine sonstige konkret gegen seine Person gerichtete Bedrohung zu erwarten.
2.3. Die Feststellungen zur gegenständlich relevanten Lage in Somalia beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.01.2024 (Version 6), das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Somalia gewährleistet. Ergänzend wurden vor allem der EUAA-Bericht Country of Origin Information: Security Situation vom Februar 2023, der EUAA-Bericht Country Guidance: Somalia vom August 2023 sowie UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing Somalia, September 2022, herangezogen.
Bezüglich der Clans und Minderheiten in Somalia wurde zusätzlich auch noch der SEM-Bericht vom 31.05.2017 herangezogen.
Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Somalia zugrunde gelegt werden konnten. Der Beschwerdeführer ist den den Länderfeststellungen zugrundeliegenden Länderberichten nicht entgegengetreten und hat im Beschwerdeschriftsatz vielmehr selbst auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation verwiesen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und Verfahren:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Zu A)
3.2. Maßgebliche Rechtslage:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen.
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, 92/01/0792; 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).
Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233 mwH). Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798).
3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass der Beschwerdeführer eine begründete Furcht vor Verfolgung aufgrund einer heimlichen Mischehe mit einer Frau aus dem Clan der Hawiye sowie seiner Zugehörigkeit zur berufsständischen Gruppe der Gabooye nicht glaubhaft gemacht hat und erübrigt sich eine Prüfung der Asylrelevanz des Fluchtvorbringens. Eine gegen den Beschwerdeführer persönlich gerichtete, aktuelle Bedrohung konnte nicht festgestellt werden.
Wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt wurde, ist es dem Beschwerdeführer letztlich nicht gelungen, individuelle Gründe für die Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung glaubwürdig darzutun. Auch für eine sonstige individuelle Gefährdung – etwa aufgrund seiner politischen Einstellung, Religion, Volksgruppen- oder Clanzugehörigkeit – sind keine konkreten Anhaltspunkte hervorgekommen. Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers – XXXX – liegt in Middle Shabelle und wird von den Regierungskräften kontrolliert und hat er ferner auch keinerlei Probleme mit somalischen Behörden oder auch mit anderen Gruppierungen (Al Shabaab) ins Treffen geführt.
Auch aus der allgemeinen Lage in Somalia lässt sich für den Beschwerdeführer eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten. Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH vom 14.03.1995, 94/20/0798; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung – zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist.
Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.
Eine mögliche Gefährdung des Beschwerdeführers insbesondere aufgrund der schlechten Sicherheitslage in Somalia bzw. durch das Fehlen einer Lebensgrundlage im Falle einer Rückkehr wurde bereits im Rahmen der Gewährung subsidiären Schutzes berücksichtigt.
Da sich weder aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch aus internationalen Länderberichten hinreichende Anhaltspunkte für eine Verfolgung des Beschwerdeführers ergeben haben, ist kein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ableitbar.
3.4. Der Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde daher zu Recht abgewiesen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.