IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. H.P. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch B. Stb. GmbH, über die Beschwerde vom 14. Mai 2020 gegen den Bescheid des Finanzamtes ***1*** (nunmehr: Finanzamt Österreich) vom 28. November 2019 betreffend Haftung gemäß § 9 Bundesabgabenordnung (BAO) zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird dahin abgeändert, dass der Beschwerdeführer für folgende Abgaben gemäß §§ 9 iVm 80 BAO als Haftungspflichtiger in Anspruch genommen wird:
| Abgabenart | Zeitraum | Betrag in Euro |
| Umsatzsteuer | 06/2011 | 2.496,86 |
| Umsatzsteuer | 12/2011 | 313,55 |
| Umsatzsteuer | 02/2012 | 1.414,59 |
| Lohnsteuer | 02/2012 | 190,65 |
| Lohnsteuer | 04/2012 | 224,44 |
| Lohnsteuer | 05/2011 | 190,65 |
| Lohnsteuer | 06/2012 | 933,50 |
| Körperschaftsteuer | 04-06/2012 | 6,38 |
| Körperschaftsteuer | 07-09/2012 | 6,38 |
| Dienstgeberbeitrag | 02/12 | 1,88 |
| Dienstgeberbeitrag | 04/12 | 2,37 |
| Dienstgeberbeitrag | 5/12 | 2,77 |
| Dienstgeberbeitrag | 6/12 | 7,72 |
| Zuschlag z. DG | 2/2012 | 0,17 |
| Zuschlag z. DG | 4/2012 | 0,21 |
| Zuschlag z. DG | 5/2012 | 0,25 |
| Zuschlag z. DG | 6/2012 | 0,70 |
| Stundungszinsen | 2012 | 119,15 |
| Säumniszuschlag | 2012 | 32,85 |
| SUMME | 5.945,07 |
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1.) Vorhalt vom 3. März 2015:
Das Finanzamt informierte mit Vorhalt vom 03.03.2015 den Beschwerdeführer als verantwortlichen Geschäftsführer der Primärschuldnerin über die beabsichtigte Erlassung eines Haftungsbescheides betreffend nicht entrichteter Abgaben und forderte ihn zur Abgabe einer Stellungnahme und Bekanntgabe der Gründe für die Nichtentrichtung der Abgaben auf.
2.) Vorhaltsbeantwortung vom 15. April 2015:
In der Beantwortung des Vorhaltes führte der Beschwerdeführer aus, dass der Abgabenrückstand letztlich daraus resultiere, dass Vorsteuern betreffend den Voranmeldungszeitraum 06/2011 in Höhe von etwa 190.000,00 nicht anerkannt worden sind. Die Firma B GmbH habe eine Schlussrechnung gelegt, obwohl diese Firma "ruhend" bei der Abgabenbehörde gemeldet gewesen ist. Das Finanzamt habe aus diesem Grund im Zuge einer Prüfung die Rechnungen dieser Firma nicht anerkannt und im Monat 06/2011 der GmbH wieder angelastet.
Aus dem vorgelegten Kassenjournal ergebe sich, dass im Zeitraum Juli 2012 bis 27.09.2012 (Konkurseröffnung) keine nennenswerten Zahlungen mehr geleistet worden wären. Die Zahlung an die ***4*** Versicherung am 5.9.2012 betreffe die Versicherung für die WEG in der C. Strasse.
Die Firma B habe zugesagt, die Rechnungsmängel zu sanieren, damit die Rechnungen umsatzsteuerrechtlich wieder anerkannt würden.
3.) Haftungsbescheid vom 28. November 2019:
Der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid vom 28.11.2019 zur Haftung für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Firma A. GmbH in Höhe von insgesamt Euro 304.868,64 herangezogen. Die Abgaben wurden wie folgt tabellarisch dargestellt:
| Abgabenart | Zeitraum | Betrag in Euro |
| Umsatzsteuer | 06/2011 | 171.018,16 |
| Umsatzsteuer | 12/2011 | 21.497,11 |
| Umsatzsteuer | 02/2012 | 96.890,07 |
| Lohnsteuer | 02/2012 | 381,30 |
| Lohnsteuer | 04/2012 | 448,88 |
| Lohnsteuer | 05/2011 | 381,30 |
| Lohnsteuer | 06/2012 | 1.867,00 |
| Körperschaftsteuer | 04-06/2012 | 437,00 |
| Körperschaftsteuer | 07-09/2012 | 433,00 |
| Dienstgeberbeitrag | 02/2012 | 129,28 |
| Dienstgeberbeitrag | 04/2012 | 162,31 |
| Dienstgeberbeitrag | 05/2012 | 190,13 |
| Dienstgeberbeitrag | 06/2012 | 528,93 |
| Zuschlag Dienstgeberbeitrag | 02/2012 | 11,78 |
| Zuschlag Dienstgeberbeitrag | 04/2012 | 14,79 |
| Zuschlag Dienstgeberbeitrag | 05/2012 | 17,32 |
| Zuschlag Dienstgeberbeitrag | 06/2012 | 48,19 |
| Stundungszinsen | 2012 | 8.161,13 |
| Säumniszuschlag | 2012 | 2.250,96 |
| SUMME | 304.868,64 |
Begründend führte das FA aus, dass über die GmbH mit Beschluss des LG ***1*** vom *5*.m.j, Zl. ***2***, das Konkursverfahren eröffnet wurde. Mit Beschluss vom 01.02.2013 wurde das Konkursverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung des Sanierungsplanes aufgehoben. Es stehe fest, dass nach Vollendung des Sanierungsplanes und Eingang der Quotenzahlung in Höhe von 30% der Abgabenrückstand bei der GmbH uneinbringlich ist.Der Beschwerdeführer sei seit 28.11.2000 alleiniger, selbständiger Geschäftsführer der GmbH und als solcher für die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten verantwortlich gewesen.
Der Beschwerdeführer sei mit Vorhalt vom 13. März 2015 aufgefordert worden, darzulegen, warum die Abgaben nicht fristgerecht entrichtet wurden.
Der Beschwerdeführer habe in seiner schriftlichen Vorhaltsbeantwortung am 15.04.2015 einen Auszug aus dem Kassenjournal für die letzten drei Monate vor der Konkurseröffnung beigelegt. Das allgemeine Vorbringen, es wären keine nennenswerten Zahlungen mehr geleistet worden, sei nicht stichhältig und vermag ihn nicht zu exculpieren.
Der Nachweis der Gleichbehandlung aller Gläubiger im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben sei nicht erbracht worden. Konkrete Beweismittel, warum er nicht für die Einbringlichkeit der Abgabenschulden habe Sorge tragen können, lägen nicht vor.
Der Einwand, dass die im Umsatzsteuerbescheid 06/2011 festgesetzte Nachforderung auf nicht anerkannte Vorsteuerbeträge zurückzuführen ist, weil die zugrunde liegende Schlussrechnung von einer Firma ausgestellt worden wäre, die als "ruhend" gemeldet gewesen ist, könne ihn nicht vom Vorwurf einer schuldhaften Pflichtverletzung exculpieren. Ebensowenig die in Aussicht gestellte Rechnungsberichtigung durch diese Firma.
Der Beschwerdeführer habe die beantragte Fristerstreckung zur Beschaffung und Beibringung weiterer Unterlagen ungenützt verstreichen lassen. Mit seiner knappen, allgemein gehaltenen Argumentation habe er seinen obliegenden Mitwirkungspflichten nicht entsprochen. Die Abgabenbehörde gehe daher zu Recht von einer Pflichtverletzung aus und sei er daher zu Recht zur Haftung heranzuziehen.
4.) Ansuchen um Fristverlängerung vom 18. Dezember 2019:
Im Fristverlängerungsansuchen zwecks Einbringung einer Beschwerde führte der Beschwerdeführer aus, dass er angesichts des aufgehobenen Sanierungsverfahrens im Februar 2013 und der lange verstrichenen Zeit bis zum Haftungsbescheid im November 2019 Akteneinsicht nehmen werde, weil er sich einen Überblick über den geltend gemachten Haftungsanspruch dem Grunde und der Höhe nach machen müsse. Die mit dem Sachverhalt betrauten Personen und Unterlagen stünden nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung. Um Fristverlängerung bis zum 15.02.2020 wurde ersucht.
Weitere Fristverlängerungsansuchen folgten am 14. Februar 2020, 16. März 2020 und 14. April 2020.
5.) Konkursverfahren, LG ***1***, Zl. ***2***:
Am 27.09.2012 wurde über Antrag der GmbH das Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung eröffnet. Dem Antrag der GmbH gingen massive Zahlungsschwierigkeiten voraus. Mit Beschluss vom 01.02.2013 wurde der Sanierungsplan bestätigt. Die Ouote wurde in Höhe von 30% ermittelt.
Laut Forderungsverzeichnis (Insolvenzakt des LG) wurden Forderungen in Höhe von Euro 26,404.340,13 angemeldet.Anerkannt wurde Forderungen in Höhe von Euro 23.396.200,33.Die größten Gläubiger waren die -Bank mit Forderungen iHv Euro 20,755.632,55 (Pfandrecht vertraglich/exekutiv, ON ***5***),-Finanzamt mit Forderungen in Höhe von Euro 1,125.357,94 (ON ***6***);-Firma E GmbH mit Forderungen iHv Euro 653.889,42 (ON ***7***);-F AG mit Forderungen in Höhe von Euro 473.315,95 (ON ***8***);-G s.r.I. mit Forderungen in Höhe von Euro 438.063,99 (ON. ***9***); -B Bau GmbH mit Forderungen in Höhe von Euro 339.660,00 (ON ***10***);-Gemeinde mit Forderungen in Höhe von Euro 266.253,22;-eine Bau GmbH mit Forderungen in Höhe von Euro 282.121,40 (ON ***11***).
6.) Beschwerde vom 4. Mai 2020:
In der Beschwerde vom 4. Mai 2020 werden Einwendungen gegen den Haftungsanspruch der Höhe und dem Grunde nach erhoben.
Eingewendet wird, dass die bezahlte Quote keine Berücksichtigung bei den gegenständlichen Abgaben gefunden habe. Die Gläubigerin habe die Quote in Höhe von 30% der angemeldeten Forderungen erhalten. Die haftungsgegenständlichen Abgaben sind mit den geltend gemachten Abgaben in dem Rückstandsausweis, welcher der Forderungsanmeldung ON ***6*** zugrunde lag, ident.
Vergleiche man die Forderungsanmeldung mit dem Haftungsbescheid vom 28.11.2019, so erkenne man, dass sich alle geltend gemachten Abgaben auch im Rückstandsausweis wiederfinden, der der Forderungsanmeldung im Sanierungsverfahren zugrunde liegt. Die Quotenzahlung sei im Haftungsbescheid vom 28.11.2019 nicht berücksichtigt worden.Mit Ausnahme der Umsatzsteuer 06/2011 und 12/2011, sowie geringfügig der KöSt. 07-09/2012 ist die Höhe der Forderungen identisch mit jenen im Anmeldungsverzeichnis. Dies sei unverständlich, weil die Quote bezahlt worden ist. Eine Leistung, die bereits von der Schuldnerin erbracht worden sei, könne nicht noch einmal im Haftungsverfahren berücksichtigt werden. Das Finanzamt könne keinesfalls einen Ausfall in Höhe der Quote erlitten haben. Die Konkursquote wäre aliquot mit den Forderungen aufzurechnen gewesen.Differenzschaden:Es müsse berücksichtigt werden, dass bei einer Ungleichbehandlung von Gläubigern lediglich ein Differenzschaden geltend gemacht werden könne. Die Haftung des Vertreters erstrecke sich lediglich auf jenen Betrag, um den bei gleichmäßiger Behandlung aller Abgabengläubiger die Abgabenbehörde mehr erlangt hätte als sie infolge eines pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich bekommen hat (Ritz, BAO, 5. Auflage, § 9 Tz 27). Es müsse berücksichtigt werden, welchen Betrag die Primärschuldnerin bei Gleichbehandlung aller Gläubiger im Fälligkeitszeitraum zu entrichten gehabt hätte.Säumniszuschlag mit Fälligkeit 12.08.2012:Zu diesem Zeitpunkt war die GmbH bereits zahlungsunfähig, da keine Mittel mehr zur Verfügung standen.
Dem Grunde nach:Er habe ab Früherbst 2011 keine Verfügungsmacht mehr gehabt, weil ein Bankenkonsortium am 02.05.2012 die "stand-still Vereinbarung" nicht mehr verlängert hat. Er sei nahezu handlungs- und entscheidungsunfähig gewesen. Die Kreditlinie bei der Bank AG sei zum 30.09.2011 ausgelaufen. Damit wären Kredite fällig geworden und habe die GmbH über keine liquiden Mittel mehr verfügt.
Die Pflicht des rechtlichen Vertreters die Verbindlichkeiten der GmbH zu bezahlen, bestehe nur soweit, als liquide Mittel vorhanden wären (VwGH 07.12.2000, 2000/16/0601).
Er habe als Geschäftsführer der GmbH alle Forderungen und Verbindlichkeiten gleichmäßig behandelt. Aus den vorgelegten Unterlagen leite sich ab, dass eine Gläubigerbevorzugung nicht gegeben ist. Folgende Unterlagen wurden vorgelegt:-Schreiben Bank vom 02.05.2012,-Auswertung Kassajournal 08/2011-09/2012,-Differenzquotenberechnung 08/2011-09/2012,-Übersicht verfügbare Zahlungsmittel und OP Kreditoren sortiert nach Abgabenfälligkeit, -Offene Posten Kreditoren zum Stichtag der Abgabenfälligkeit.
Daraus gehe eindeutig hervor, dass ab Herbst 2011 keine ausreichenden finanziellen Mittel mehr zur Verfügung standen, um Schulden zu bezahlen. Dem Beschwerdeführer könne daher keine Verletzung von Zahlungspflichten vorgeworfen werden. Die Pflicht rechtzeitig Insolvenz anzumelden sei nicht maßgebend für die Frage der Haftung gemäß § 9 BAO.
Die Niederschrift über das Ergebnis der Schlussbesprechung beim Finanzamt vom 12.07.2011, ABNr.: ***3*** wurde vorgelegt.
Zu den Beilagen:
a.) Schriftliche Aufkündigung der zum 02.05.2012 ausgelaufenen "stand-still Vereinbarung" durch die Bank AG (02.05.2012).
b.) Auswertung Kassajournal 08/2011 bis 09/2012:
In dieser Übersicht wurden die Zahlungsausgänge von 3 Kreditkonten bei der Hausbank dargestellt. Folgende Zahlungen in Euro wurden in diesem Zeitraum von diesen Konten getätigt:
| Finanzamt | 310.502,35 |
| Gehalt | 37.132,30 |
| GKK + Magistrat | 15.245,06 |
| div. Aufwand | 8.559,82 |
| Lieferanten | 501.571,89 |
Der A.Kredit erhöhte sich im Zeitraum 08/2011 bis 09/2012 um Euro 517.662,09 von Euro -13,827.623,70 auf Euro -14,345.285,79.Der Endsaldo bei einem Firmenkonto betrug: Euro 458.131,39Der Endsaldo bei einem Kreditkonto betrug: Euro - 483.009,96.
c.) Übersicht verfügbarer Zahlungsmittel und OP-Kreditoren sortiert nach Abgabenfälligkeit:
Daraus leitet sich ab, dass sich die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten von August 2011 in Höhe von -19,492.312,32 bis September 2012 auf Euro -20,636.0548,24 erhöhten.
| Abgabenart | Zeitraum | Betrag in Euro | verfügbare Mittel(Zahlungen) |
| Umsatzsteuer | 06/2011 | 171.018,16 | 86.650,06 |
| Umsatzsteuer | 12/2011 | 21.497,11 | 209.670,49 |
| Umsatzsteuer | 02/2012 | 96.890,07 | 26.434,56 |
| Lohnsteuer | 02/2012 | 381,30 | 26.434,56 |
| Lohnsteuer | 04/2012 | 448,88 | 331,23 |
| Lohnsteuer | 05/2011 | 381,30 | 19.154,94 |
| Lohnsteuer | 06/2012 | 1.867,00 | 23.470,67 |
| Körperschaftsteuer | 04-06/2012 | 437,00 | 331,23 |
| Körperschaftsteuer | 07-09/2012 | 433,00 | 289,58 |
| Dienstgeberbeitrag | 02/2012 | 129,28 | 26.434,56 |
| Dienstgeberbeitrag | 04/2012 | 162,31 | 331,23 |
| Dienstgeberbeitrag | 05/2012 | 190,13 | 19.154,94 |
| Dienstgeberbeitrag | 06/2012 | 528,93 | 23.470,67 |
| Zuschlag z. DG | 02/2012 | 11,78 | 26.434,56 |
| Zuschlag z. DG | 04/2012 | 14,79 | 331,23 |
| Zuschlag z. DG | 05/2012 | 17,32 | 19.154,94 |
| Zuschlag z. DG | 06/2012 | 48,19 | 23.470,67 |
| Stundungszinsen | 2012 | 8.161,13 | 289,58 |
| Säumniszuschlag | 2012 | 2.250,96 | 289,58 |
| SUMME | 304.868,64 | 364.281,53 |
d.) Differenzquotenberechnung:
Aus der Differenzquotenberechnung ergibt sich, dass im Zeitraum 08/2011 bis 09/2012 Zahlungen in Höhe von Euro 364.281,53 (= verfügbare Mittel) getätigt worden sind. Bei Gleichbehandlung aller Verbindlichkeiten wären laut Beschwerdeführer auf das Finanzamt Euro 7.894,80 entfallen.
7.) Beschwerdevorentscheidung vom 24. August 2020:
Das Finanzamt wies mit Beschwerdevorentscheidung vom 24.08.2020 die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid vom 28.11.2019 als unbegründet ab.
Zur Anfechtung des Bescheides der Höhe nach und dem Einwand, man müsse die Quote berücksichtigen, führte das Finanzamt aus, dass die bezahlte Konkursquote gemäß § 214 ff. BAO mit den ältesten aushaftenden Abgabenschuldigkeiten aufzurechnen gewesen ist. Dies entspreche der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Zum Einwand des Beschwerdeführers, er sei ab Frühherbst 2011 als Geschäftsführer unter der Kontrolle eines Bankenkonsortiums gestanden und nahezu handlungsunfähig gewesen, wies das Finanzamt auf die geltende Rechtslage und Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hin. Demnach liege ein haftungsrelevantes Verschulden vor, wenn sich ein Vertreter mit der Beschränkung seiner Pflichten und Befugnisse einverstanden erklärt und dadurch eine abgabenrechtliche Verpflichtung verletzt werde. Der Beschwerdeführer habe sich damit weitestgehend seiner Handlungsmöglichkeiten begeben, sodass er nicht mehr über die Mittel, verfügen habe können.Es obliege dem Vertreter nachzuweisen, welcher Betrag bei gleichmäßiger Behandlung aller Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre. In die rechnerische Darstellung sei einzubeziehen:-die gesamte Einnahmensituation,-die Liquiditätssituation,-freiwillig geleistete Zahlungen,-"Zug um Zug"- Zahlungen,-Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes notwendig gewesen sind.
Die vorgelegten Unterlagen wären insgesamt zu mangelhaft, um einen exakten Quotenschaden zu errechnen.
8.) Anträge auf Fristverlängerung zur Einbringung des Vorlageantrages:
Folgende Anträge auf Fristverlängerung wurden eingebracht:
Der Beschwerdeführer brachte am 24.09.2020, 23.10.2020, 18.11.2020, 17.12.2020,20.01.2020 und 19.02.2021 Fristverlängerungsansuchen ein.
9.) Vorlageantrag vom 19. Februar 2021:
Im Vorlageantrag führte er aus, dass man sämtliche bereits vorgelegte Unterlagen neuerlich analysiert und ausgewertet habe. Betrachte man zeitraumbezogen für die Monate 01-09/2012 die -Einnahmen- und Liquiditätssituation,-Entwicklung der Verbindlichkeiten,-Schuldentilgungen und Zahlungsquoten,werde ersichtlich, dass eine Gläubigerbenachteiligung nicht stattgefunden hat.
Auf das Erkenntnis des VwGH vom 29.01.2014, Zl. 2012/08/0227, werde verwiesen. Dabei hat der VwGH einer zeitraumbezogenen Betrachtungsweise für den Gläubigernachweis zugestimmt.Rund 85% der Verbindlichkeiten entfielen in diesem Zeitraum auf Bankverbindlichkeiten. Die Finanzamtsverbindlichkeiten wären in diesem Zeitraum zu nahezu 40% durch Steuerverrechnungen beglichen worden. Zum 01.01.2012 hätten noch gar keine Finanzamtsverbindlichkeiten bestanden.
Folgende fünf Auswertungen wurden konkretisiert:
Einnahmensituation Jänner bis September 2012:Es erfolgten zwei Kundenzahlungen (Zahlungseingänge) in Höhe von Euro 530.000,00.
Liquiditätssituation Jänner bis September 2012:Das Guthaben auf einem Bankkonto stieg zunächst von TEUR 176 auf TEUR 564 an, um sich bis 09/2012 auf TEUR 458 zu verringern.Die Bankverbindlichkeiten stiegen von TEUR 20.308 auf TEUR 20.805 an.
Verbindlichkeiten Jänner bis September 2012:Die Verbindlichkeiten beliefen sich bis September auf TEUR 24.406, davon TEUR 3.136 Lieferantenverbindlichkeiten. Die Finanzamtsverbindlichkeiten beliefen sich auf TEUR 1.124.
Schuldentilgung Jänner bis September 2012:Die gesamten geleisteten Zahlungen beliefen sich auf TEUR 279; davon TEUR 2 an das Finanzamt. Dem Finanzamtskonto wurden in diesem Zeitraum infolge Steuerverrechnungen TEUR 438 gutgeschrieben. Die gesamte Schuldentilgung betrug TEUR 718 (lt. Kassajournal).
Ermittlung der Zahlungsquote Finanzamt Jänner bis September 2012:Den Gesamtverbindlichkeiten in Höhe von TEUR 24.606 stünden Tilgungen in Höhe von TEUR 718 gegenüber. Daraus errechne sich eine Zahlungsquote in Höhe von 2,92%.
Zahlungsquote Finanzamt:Schriftlich wurde wörtlich erläutert:"Im Zeitraum Jänner bis September 2012 wurden am Finanzamtskonto Steuerverbindlichkeiten in Höhe von rund TEUR 1.124 festgesetzt. Dem stehen Zahlungen in Höhe von TEUR 2 und Steuerverrechnungen in Höhe von TEUR 438 gegenüber. Das ergibt eine Zahlungsquote in Höhe von 40%. …."
Daraus leite sich ab, dass das Finanzamt nicht schlechter gestellt worden sei als andere Gläubiger. Demzufolge entstand der Abgabenbehörde im Betrachtungszeitraum kein Quotenschaden im Sinne einer Gläubigerbenachteiligung.
Angesichts der lange verstrichenen Zeit zwischen dem rechtskräftig bestätigten Sanierungsplan im Februar 2013 und der Ausstellung des Haftungsbescheides am 28.11.2019 erscheine die Heranziehung zur Haftung unbillig. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 3.9.2008, 2006/13/0159) ist dem Element der Zumutbarkeit der Heranziehung eines Haftungspflichtigen im Rahmen der behördlichen Ermessensübung besondere Bedeutung beizumessen.
Folgende Unterlagen (Tabellen) für den Zeitraum Jänner bis September 2012 waren dem Vorlageantrag angeschlossen:-Einnahmensituation,-Liquiditätssituation,-Verbindlichkeiten (Bank-, Lieferanten-, und Finanzamtsverbindlichkeiten),-Ermittlung Schuldentilgung Quote,-Ermittlung Allgemeine Zahlungsquote iHv 2,92%,-Ermittlung Zahlungsquote Finanzamt iHv 39,28%. Einnahmensituation:Im Zeitraum 01-09/2012 erwirtschaftete die GmbH Einnahmen iHv Euro 530.288,72.Guthaben Kreditinstitute: Euro 458.131,64Verbindlichkeiten Kreditinstitute: Euro 20,804.597,67
Verbindlichkeiten bis September 2012 (Konkurseröffnung)Lieferanten: Euro 3,135,860,99Finanzamt: Euro 1,124.132,18Bankverbindlichkeiten: Euro 20.804.597,67
Ermittlung Schuldentilgung 01-09/2012 - durchgeführte Zahlungen laut Kassajournal:Durchgeführte Zahlungen insgesamt: Euro 278.572,28Finanzamt: Euro 2.004,08Steuerverrechnungen: Euro 439.548,16
Ermittlung Allgemeine Zahlungsquote 01-09/2012:Verbindlichkeiten gesamt: Euro 24,606.159,20Schuldentilgung: Euro 718.118,44Zahlungsquote: 2,92%Ermittlung Zahlungsquote Finanzamt:Am Abgabenkonto erfolgten Gutschriften in Höhe von Euro 441.550,24 und Belastungen in Höhe von Euro 1,124.132,18. Die Zahlungsquote an das Finanzamt betrage 39,28%.
10.) Vorlagebericht:
Das Finanzamt führte zu den Steuerverrechnungen aus, dass diese aus UVA Gutschriften und Überrechnungen resultieren und entsprechend der BAO mit den ältesten aushaftenden Abgabenschuldigkeiten zu verrechnen gewesen sind. Die Zahlung von Euro 2.004,08 entspreche einer Quote von 0,18%. Daraus folge, dass dem Finanzamt ein Quotenschaden entstanden ist. Dieser betrage laut den Berechnungen des Beschwerdeführers 2,92%.
Zur langen Verfahrensdauer wies das Finanzamt darauf hin, dass der Beschwerdeführer für die Einbringung der Beschwerde drei und die Einbringung des Vorlageantrages sechs Fristverlängerungsansuchen eingebracht hat, welchen durch die Abgabenbehörde entsprochen wurde.
11.) Verfahren beim BFG:
Im Verfahren beim BFG wurde der Insolvenzakt beim Landesgericht angefordert und ins Anmeldungsverzeichnis Einsicht genommen. Es wurden dazu die unter Punkt 5.-tens getroffenen Feststellungen abgeleitet.
Der Beschwerdeführer und die steuerliche Vertretung zogen im Zuge eines Erörterungsgespräches den Antrag auf mündliche Verhandlung im Senat zurück.
Mit Schriftsatz vom 07.07.2025 erhob der Beschwerdeführer inhaltliche Einwendungen gegen die Vorsteuerkorrektur 06/2011. Es sei ihm nicht erkennbar gewesen, dass diese Firma "ruhend" gestellt worden sei, zumal diese noch Gewährleistungsmängel bis Mitte 2012 behoben habe. Die zuständigen Buchhalter hätten sämtliche UID Nummern laufend geprüft. Bis zum 6.2.2012 habe das Abgabenkonto ein Guthaben iHv TEURO 26 gehabt. Erst durch die Prüfungsfeststellungen sei der Saldo auf minus TEUR 900 angestiegen.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Der Sachverhalt ergibt sich aus dem gesamten Verfahrensgang, wie unter den Punkten 1 bis 11 dargestellt.
Sämtliche vorgelegten Unterlagen (Tabellen) zur Darstellung der wirtschaftlichen Entwicklung im Zeitraum 08/2011 bis 09/2012 bzw. 01-09/2012 wurden berücksichtigt. Ebenso wurden die im Vorlageantrag vorgelegten Tabellen der Beweiswürdigung miteinbezogen.
1. Rechtliche Beurteilung
§ 9 Abs. 1 BAO lautet:"Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können."§ 80 Abs. 1 BAO lautet:"Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden."§ 224 Abs. 1 BAO lautet:"Die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten."§ 20 BAO lautet:"Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen."§ 78 Abs. 3 EStG 1988 lautet:"Reichen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht aus, so hat er die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten."
Die Inanspruchnahme als Haftender setzt daher:- die Stellung als Vertreter(in),- das Bestehen einer Abgabenforderung gegen den Vertretenen,- die Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeit,- die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten durch den Vertreter,- das Verschulden des Vertreters und-die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Abgabenausfall voraus.
Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung. Haftungsvoraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der Abgabe bei der Primärschuldnerin. Die Uneinbringlichkeit der aushaftenden Abgabenforderungen ergibt sich aufgrund des Insolvenzverfahrens, in dem sich eine Quote von 30% ergeben hat. Die Abgabenschulden sind uneinbringlich.Die Haftung des § 9 BAO ist subsidiär und akzessorisch.
Zu den Pflichten eines Vertreters gehört die termingerechte Entrichtung der Abgaben nach Maßgabe der vorhandenen Mittel. Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, die die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haftet der Vertreter für nicht entrichtete Abgaben des Vertretenen auch dann, wenn die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Entrichtung aller Verbindlichkeiten des Vertretenen nicht ausreichten, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschulden im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten.
Im Falle des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung spricht nach der ständigen Rechtsprechung eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung (Ritz, BAO7, § 9 Tz 24 mit Judikaturnachweisen).
Ermessen:
Die Geltendmachung der Haftung liegt im Ermessen der Abgabenbehörde, das sich innerhalb der vom Gesetz aufgezeigten Grenzen zu halten hat (§ 20 BAO). Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Die Geltendmachung der Haftung stellt die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar, wobei die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles ein wesentliches Ermessenskriterium darstellt. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner bzw. bei der Primärschuldnerin uneinbringlich ist.
Das Bundesfinanzgericht hat in seiner Entscheidung vom 24. Juni 2020, GZ RV/5101146/2019, zur Ermessensübung festgehalten:
Das Ermessen umfasst auch das Ausmaß der Heranziehung zur Haftung innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens (VwGH 29.3.2007, 2005/15/0116). Das bedeutet, dass bei Erfüllung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 9 BAO nicht allein und in jedem Fall nur eine volle Inanspruchnahme für jene aushaftenden Abgaben in Betracht kommt, hinsichtlich derer die Voraussetzungen erfüllt sind.
Innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens sind Ermessensentscheidungen gemäß § 20 BAO nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist die Bedeutung "Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" "das öffentliche Interesse an der Einbringung der Abgaben", beizumessen (vgl. Ritz, BAO7, § 20 Tz 7 mit Judikaturnachweisen).
Die "Billigkeit" gebietet bei einer Ermessenentscheidung im Regelfall die Berücksichtigung des steuerlichen Verhaltens und auch der wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei. Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Haftungspflichtigen wären damit im Rahmen der Ermessenübung bei der Geltendmachung der Haftung zu beachten (Ritz, BAO, § 7 Tz 7mit Judikaturhinweisen). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt demgegenüber in ständiger Rechtsprechung zu § 9 BAO die Ansicht, dass den wirtschaftlichen Verhältnissen des Haftungsschuldners im Zeitpunkt der Geltendmachung der Haftung keine Bedeutung zukommt. Eine Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen steht nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes in keinem Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (VwGH 28.5.2008, 2006/15/0089). Diese kann auch dann zweckmäßig sein, wenn die Haftungsschuld im Zeitpunkt der Geltendmachung uneinbringlich ist, da dies nicht ausschließt, dass künftig neu hervorgekommenes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen können. Die wirtschaftliche Lage des Haftungspflichtigen steht für sich allein noch in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (VwGH 23.4.2008, 2004/13/0142). Eine allfällige persönliche Unbilligkeit in der Einhebung der haftungsgegenständlichen Abgaben ist im Rahmen der Ermessensübung zur Geltendmachung der Haftung daher nicht zu berücksichtigen.
1.1. Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)
Schuldhafte Pflichtverletzung
Gemäß § 1298 ABGB obliegt dem, der vorgibt, dass er an der Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen ohne sein Verschulden verhindert war, der Beweis.
Daraus ist abzuleiten, dass der wirksam bestellte Vertreter einer juristischen Person, der die Abgaben der juristischen Person nicht entrichtet hat, für diese Abgaben haftet, wenn sie bei der juristischen Person nicht eingebracht werden können und er nicht beweist, dass die Abgaben ohne sein Verschulden nicht entrichtet werden konnten.
Nur schuldhafte Verletzungen abgabenrechtlicher Pflichten berechtigen zur Haftungsinanspruchnahme. Eine bestimmte Schuldform ist nicht gefordert, weshalb auch leichte Fahrlässigkeit genügt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung im Sinn des § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf. Unterbleibt der Nachweis, kann die Behörde die uneinbringlichen Abgaben dem Vertreter zur Gänze vorschreiben (VwGH 24.02.2004, 99/14/0278).
Da sich der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob der Vertretene die für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel hatte, danach bestimmt, wann die Abgaben bei Beachtung der abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären (VwGH 23.11.2004, 2001/15/0108), ist bei Selbstbemessungsabgaben nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären (VwGH 15.12.2004, 2004/13/0146); maßgebend ist daher ausschließlich der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit, somit unabhängig davon, ob die Abgabe bescheidmäßig festgesetzt wird (VwGH 23.1.2003, 2001/16/0291).
Der Beschwerdeführer war somit verpflichtet, die Abgabenschuldigkeiten bei jeweiliger Fälligkeit am 15. des nächstfolgenden Monats zu entrichten, was unterblieben ist.
Soweit der Beschwerdeführer Einwendungen gegen die Korrektur der Vorsteuern erhebt, wird festgestellt, dass Einwendungen gegen die Vorsteuerkorrektur 06/2011 nicht Gegenstand des Haftungsverfahrens sind.
Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass sich die Verbindlichkeiten in den letzten zwölf Monaten bis zur Konkurseröffnung am 28.09.2012 kontinuierlich auf insgesamt Euro 24,606.159,20 erhöht haben. Die kreditgewährenden Banken ließen keine weitere Ausnützung von Kreditkonten mehr zu, sodass sich die Erhöhungen der aushaftenden Kredite durch die laufenden Zinsanlastungen erklären. Demnach hat der Beschwerdeführer über keine entsprechenden Mittel mehr verfügt, die andrängenden Gläubiger zu befriedigen. Fest steht somit, dass entsprechende Mittel zur Gläubigerbefriedigung nicht mehr vorhanden gewesen sind. Gleichermaßen verhielt es sich mit der Bezahlung der Professionisten und Lieferanten.
Sämtliche vorgelegten Zahlen wurden von der Steuerberatung aus der Buchhaltung der GmbH ermittelt. Für den erkennenden Richter begründet dies die Annahme der Richtigkeit der vorgelegten Berechnungen.
Es bestanden folgende Verbindlichkeiten von 01.01. bis 28.09.2012 (Konkurseröffnung):Lieferanten: Euro 3,135,860,98Finanzamt: Euro 1,124.132,18Bankverbindlichkeiten: Euro 20.804.597,67
Ermittlung Schuldentilgung 01.01.-28.09/2012 - durchgeführte Zahlungen laut Kassajournal:Durchgeführte Zahlungen insgesamt: Euro 278.572,28Finanzamt: Euro 2.004,08Steuerverrechnungen: Euro 439.548,16
Ermittlung Allgemeine Zahlungsquote 01-09.2012: Verbindlichkeiten gesamt: Euro 24,606.159,20Schuldentilgung: Euro 718.118,44Zahlungsquote: 2,92%
Ermittlung Zahlungsquote Finanzamt:Am Abgabenkonto erfolgten Gutschriften in Höhe von Euro 441.550,24 und Belastungen in Höhe von Euro 1,124.132,18. Daraus errechne sich eine Zahlungsquote in Höhe von 39,28%. Daraus folgt, dass am Abgabenkonto Gutschriften einlangten, während das Kreditobligo infolge laufender Zinsanlastungen deutlich angestiegen ist.
Der Beschwerdeführer und die steuerliche Vertretung haben mit diesen Unterlagen im Verfahren den Nachweis erbracht, dass die erforderlichen Mittel zur Begleichung der andrängenden Gläubiger nicht mehr vorhanden gewesen sind (Aufkündigung "stand still" Vereinbarung durch die Bank am 02.05.2011).
Im Jahr 2012 wurden bis zur Konkurseröffnung Zahlungen in Höhe von Euro 718.000,00 geleistet.
Betrachtet man die verfügbaren Mittel in Höhe von Euro 364.281,53 im Verhältnis zu den angemeldeten Forderungen im Insolvenzverfahren in Höhe von Euro 26.404.340,13, wird deutlich, dass die GmbH und deren Geschäftsführer die Finanzamtsverbindlichkeiten nicht mehr vollständig befriedigen hätten können (Gleichbehandlung aller Gläubiger). Dem Finanzamt wäre bei Betrachtung sämtlicher fälligen Verbindlichkeiten eine quotenmäßige Befriedigung zugestanden. Der Großteil der verfügbaren Mittel in Höhe von Euro 364.281,53 wäre im Sinne einer Gleichbehandlung an die Bank zu bezahlen gewesen (fällige Kredite).
Nachdem die Bank die Kredite aufgekündigt und mit Schreiben vom 02.05.2012 die "stand still" Vereinbarung nicht mehr verlängert hat, wird offenbar, dass ab diesem Zeitpunkt Zahlungen nur mehr im geringen Ausmaß möglich gewesen wären (Höchstbetrag: verfügbare Mittel).
Damit ist dem Beschwerdeführer der Nachweis gelungen, dass im Zeitpunkt der Fälligkeiten der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten, keine ausreichenden Mittel zur Bezahlung der andrängenden Gläubiger vorhanden gewesen sind.
Der Richter beim BFG geht auf Grundlage der vorgelegten Berechnungen davon aus, dass dem Finanzamt zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben aliquote Zahlungen im Ausmaß der vom Beschwerdeführer ermittelten Zahlungsquote iHv 2,92% zugestanden wären.
Das Ergebnis des Verfahrens beim BFG stimmt mit der als Beilage zur Beschwerde bei gefügten "Differenzquotenberechnung 08.2011 - 09.2012" überein.
Aus Sicht des erkennenden Richters hat der Beschwerdeführer denklogisch gut nachvollziehbar die gebotene, quotenmäßige Befriedigung der andrängenden Gläubiger darstellen können. Ebenso wurde die erhaltene Quote des Finanzamtes tabellarisch dargestellt und erörtert. Daraus leitet sich für den erkennenden Richter ab, dass der Ouotenschaden des Abgabengläubigers im Zeitraum 08/2011 bis 09/2012 bei etwa 3% liegt.
Ermessen:
Bei der Ermessensübung ist eine Abwägung zwischen den berechtigten Interessen der Partei (Billigkeit) und dem Anspruch der Abgabenbehörde, die ihr zustehenden Abgabeansprüche durchzusetzen (Zweckmäßigkeit), vorzunehmen.
Der Beschwerdeführer bezieht eine Pension und ist schwer erkrankt. Der abgabenrechtlich relevante Sachverhalt reicht weit in die Jahre 2011 bis 2012 zurück. Zwischen der rechtskräftigen Aufhebung des Insolvenzverfahrens bis zur Erlassung des Haftungsbescheides am 28.11.2019 ist ein Zeitraum von mehr als sechs Jahren verstrichen.
Nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) verjähren Schadenersatzansprüche im Privatrecht nach drei Jahren ab Kenntnis des Schadens und Schädigers (§ 1489 ABGB).
Angesichts der langen Verfahrensdauer bei der Abgabenbehörde bis zur Erlassung des Haftungsbescheides erscheint die Kürzung der haftungsrelevanten Abgaben im Ausmaß von der Hälfte des eingetretenen Quotenschadens als gerechtfertigt.
Folgende Abgaben sind daher Gegenstand der Haftungsinanspruchnahme:
| Abgabenart | Betrag in Euro | davon 2,92% | abzgl. 1/2 |
| Umsatzsteuer 06/2011 | 171.018,16 | 4.993,73 | 2.496,86 |
| Umsatzasteuer 12/2011 | 21.497,11 | 627,71 | 313,55 |
| Umsatzsteuer 02/2012 | 96.890,07 | 2.829,19 | 1.414,59 |
| Lohnsteuer 02/2012 | 381,30 | 381,30 | 190,65 |
| Lohnsteuer 04/2012 | 448,88 | 448,88 | 224,44 |
| Lohnsteuer 05/2011 | 381,30 | 381,30 | 190,65 |
| Lohnsteuer 06/2012 | 1.867,00 | 1.867,00 | 933,50 |
| Körperschaftsteuer04-06/2012 | 437,00 | 12,76 | 6,38 |
| Körperschaftsteuer07-09/2012 | 433,00 | 12,76 | 6,38 |
| Dienstgeberbeitrag 2/12 | 129,28 | 3,77 | 1,88 |
| Dienstgeberbeitrag 4/12 | 162,31 | 4,74 | 2,37 |
| Dienstgeberbeitrag 5/12 | 190,13 | 5,55 | 2,77 |
| Dienstgeberbeitrag 6/12 | 528,93 | 15,44 | 7,72 |
| Zuschlag z. DG 2/2012 | 11,78 | 0,34 | 0,17 |
| Zuschlag z. DG 4/2012 | 14,79 | 0,43 | 0,21 |
| Zuschlag z. DG 5/2012 | 17,32 | 0,50 | 0,25 |
| Zuschlag z. DG 6/2012 | 48,19 | 1,40 | 0.70 |
| Stundungszinsen 2012 | 8.161,13 | 238,30 | 119,15 |
| Säumniszuschlag 2012 | 2.250,96 | 65,72 | 32,85 |
| SUMME | 304.868,64 |
Eine weitere Reduktion des Haftungsbetrages ist nicht möglich, weil sich der Beschwerdeführer mit der Beschränkung seiner Befugnisse durch das Bankenkonsortium abgefunden und dadurch den Schaden gegenüber dem Abgabengläubiger verursacht hat.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
1.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Das gegenständliche Erkenntnis hatte die Prüfung der Haftungsvoraussetzungen im Einzelfall zum Gegenstand und fußt auf der oben wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt daher nicht vor.
Klagenfurt am Wörthersee, am 21. Oktober 2025