IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri.*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, ***Bf.-Adr.***, über die Beschwerde vom 10.10.2023 gegen den Einkommensteuerbescheid 2022 des Finanzamtes Österreich vom 14.09.2023, Steuernummer ***Bf.-StNr.***, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird im Sinne der Beschwerdevorentscheidung abgeändert.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Im Rahmen ihrer Arbeitnehmerveranlagung 2022 begehrte die Beschwerdeführerin (im Folgenden Bf.) die Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen in Zusammenhang mit der eigenen Behinderung. Die Bf. gab an, dass der Grad ihrer Behinderung 100 % betrage und sie von Jänner bis Dezember Pflegegeld bezogen habe. Sie begehrte die Berücksichtigung von Ausgaben für Hilfsmittel bzw. Kosten der Heilbehandlung (KZ 476) iHv. 4.338,02 Euro.
Mit Ersuchen um Ergänzung vom 20.03.2023 wurde die Bf. seitens des Finanzamtes aufgefordert, die geltend gemachten Aufwendungen nachzuweisen.
Mit Schreiben vom 28.03.2023 gab die Bf. bekannt, dass sich die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen aus Aufwendungen für Taxi, Medikamente, Pediküre Zahnsanierung, Mundhygiene, Notrufuhr inkl. Zubehör und Porto, Arzthonorare (Kardiologe samt Labor, Spezialuntersuchung eines Urologen), diverse weitere Hilfsmittel, Versicherungsprämien für ihr Prozessor-Hörgerät, Mitgliedsbeiträge für das Wiener Rote Kreuz und "Cochlea Implantat Austria" (= österreichische Gesellschaft für implantierbare Hörhilfen) sowie Kosten für die Erstellung einer Vorsorgevollmacht zusammensetzen würden und übermittelte die entsprechenden Rechnungen. Daneben gab die Bf. an, dass sie 68,00 € gespendet habe, diese Spenden allerdings nicht an das Finanzamt gemeldet worden seien. Entsprechende nähere Information zu den Spendenempfängern oder Zahlungsnachweise wurden von der Bf. nicht vorgelegt. Weiters legte die Bf. ein Schreiben ihrer behandelten Ärztin vor, in welcher wie folgt angeführt ist:
"Diagnosen: Osteogenesis imperfecta, Osteoporose, rez. Harnwegsinfekt (rez. Antibiotikatherapie) Aortenklappeninsuffizienz, Mitralklappeninsuffizienz St.p. Herz OP 2019, Cochlearimplantate bds, deutl Gehbehinderung mit Rollator St.p. Sturz 2021 St.p. Unterarmfraktur.chron latenter Eisenmagel Coronarisikopatient aufgrund der VorerkrankungenAuf Grund obiger Diagnosen ist die Einnahme der in der Liste angeführten Zusatzmedikamenten/Nahrungsergänzungsmittel medizinisch indiziert. Die Geräte für Physiotherapie sind ebenfalls medizinisch wichtig, damit die Patientin laufend trainieren kann und ihre eingeschränkte Mobilität sich nicht verschlechtert."
Im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2022 berücksichtigte das Finanzamt die geltend gemachten Aufwendungen nur teilweise. Nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt wurden die Kosten für Mitgliedsbeiträge, Vorsorgevollmacht, Pediküre, Porto, Versicherung sowie die Spenden, da diese keine Krankheitskosten iSd § 34 EStG darstellen würden. Die Aufwendungen für Zahnsanierung und Mundhygiene wurden als allgemeine Krankheitskosten eingestuft und daher als außergewöhnliche Belastung mit Selbstbehalt berücksichtigt, da die Kosten in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehen würden.
Hiergegen richtet sich die verfahrensgegenständliche Beschwerde. Darin führte die Bf. aus, dass sie unter der Haupterkrankung "Osteogeneis Imperfekta" (auch "Glasknochenkrankheit" genannt) leide, welche die Ursache all ihrer Behinderungen sei. Diese Bindegewebeschwäche umfasse nicht nur die Knochen, sondern auch sämtliche andere Organe im Körper. Alle zusätzlichen Erkrankungen und Behinderungen, die sie habe (Ohren, Augen, Zähne, Knochen, Sehnen, Herz usw.), seien auf diese Haupterkrankung zurückzuführen.Die Bf. gab an, aufgrund ihrer Behinderung an folgenden Symptomen zu leiden:
{ "type": "ol", "children": [ { "type": "li", "children": [ "extreme Knochenbrüchigkeit," ] }, { "type": "li", "children": [ "blaue Skleren," ] }, { "type": "li", "children": [ "Schwerhörigkeit (mittlerweile Gehörlosigkeit und beidseits ein Cochlea Implantat)," ] }, { "type": "li", "children": [ "überdehnbare Gelenke (mittlerweile durch die zusätzliche rheumatoide Arthritis eher umgekehrt, alle Gelenke sind über die Jahre versteift, einige durch künstliche Gelenke ersetzt)," ] }, { "type": "li", "children": [ "schwache Muskulatur (daher ständige Therapie/Reha notwendig)," ] }, { "type": "li", "children": [ "Herzklappenfehlbildungen mit Insuffizienz (mittlerweile biologische Aortenklappe, Mitralklappe undicht und Loch zwischen Aorten- und Mitralklappe)," ] }, { "type": "li", "children": [ "starkes Schwitzen," ] }, { "type": "li", "children": [ "Kurzsichtigkeit (mittlerweile Linsenlosigkeit und Glaukom mit hohem Sehverlust)." ] }, { "type": "li", "children": [ "Zahnbeteiligung (starke Verfärbung der Zähne, starker Zahnabrieb)." ] } ], "attributes": { "class": "ListeAufzhlung", "style": "list-style-type: disc;" } }
Bei den Kosten für die Versicherung handele es sich um Versicherungskosten für den Hörersatz, da es sich um sehr teure Geräte handele und die Krankenkasse nur für ein Gerät die Kosten einer Reparatur oder eines Ersatzes übernehmen würde. Die Kosten für die Fußpflege würden ebenso mit der Behinderung in Verbindung stehen, da sie diese Dienstleistung einmal im Monat in Anspruch nehmen müsse und keine Alternativen habe. Weiters seien diese Kosten bisher immer anerkannt worden. Auch die Zahnarztkosten seien ohne Selbstbehalt zu berücksichtigen, da die Zahnprobleme eine Folge ihrer Behinderung seien. Der Abschluss der Vorsorgevollmacht sei ebenfalls auf die schweren Behinderungen zurückzuführen.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 04.04.2024 wurde der angefochtene Bescheid abgeändert und zusätzlich die Aufwendungen für Pediküre, Porto, Zahnsanierung und Zahnersatz als außergewöhnliche Belastungen im Zusammenhang mit der Behinderung berücksichtigt. Weiterhin unberücksichtigt blieben die Aufwendungen für die Mitgliedsbeiträge, Vorsorgevollmacht, Versicherung sowie Spenden. Dies zusammengefasst mit der Begründung, dass Spenden und Kirchenbeiträge ab dem Jahr 2017 auf Basis der Sonderausgaben-Datenübermittlungsverordnung automatisch vom Empfänger an die Finanzverwaltung gemeldet und daher nicht mehr im Formular erfasst werden könnten. Sollten Beträge im Bescheid bzw. der Aufstellung im Anhang des Bescheides fehlen, möge sich die Bf. an den Spendenempfänger wenden und eine Nachmeldung veranlassen. Die geltend gemachten Aufwendungen für die Hörgeräteversicherung, die Vorsorgevollmacht sowie die Mitgliedsbeiträge seien weder aus tatsächlichen, rechtlichen noch sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen und würden daher keine außergewöhnliche Belastung darstellen. Eine Belastung erwachse zwangsläufig, wenn sich ihr der Steuerpflichtige aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen könne. Eine Belastung erwachse nicht zwangsläufig, wenn sie unmittelbare Folge eines Verhaltens ist, zu dem sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken entschlossen habe.
Mit Schreiben vom 09.04.2024 stellte die Bf. den Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht (Vorlageantrag). Darin gab sie an, dass sowohl die jährliche Versicherung der Hörprozessoren als auch die Vorsorgevollmacht Unkosten darstellen würden, die aufgrund der Behinderung entstanden seien. Es handle sich dabei um tatsächliche Kosten aufgrund der Behinderung.
Mit Vorlagebericht vom 06.08.2024 legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und verwies darin auf die Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung.
Die Beschwerde wurde der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesfinanzgerichts aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses iZm. der Karenzierung der bisherigen Richterin mit 01.07.2025 zugeteilt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin leitet an der Hauptkrankheit "Osteogeneis Imperfekta" (auch "Glasknochenkrankheit" genannt), welche bei ihr zahlreiche Symptome - wie oben angeführt - hervorruft. Daher wurde bei der Bf. seitens des Sozialministeriumsservices eine Behinderung festgestellt, deren Grad 100 % beträgt. Die Bf. hat im Jahr 2022 für die Monate Jänner bis Dezember Pflegegeld bezogen.
Die Bf. hat im Jahr 2022 die folgenden Aufwendungen geleistet, wobei die von der ÖGK geleisteten Kostenersätze bereits in Abzug gebracht wurden:
Aufwendung | Kosten |
Taxi | 123,60 € |
Notrufuhr + Zubehör | 444,89 € |
Porto iZm. der Notfalluhr | 19,77 € |
Medikamente | 1.375,12 € |
Pediküre | 280,00 € |
Arztrechnungen (Kardiologe samt Labor, Spezialuntersuchung Urologe) | 188,58 € |
Zahnsanierung und Mundhygiene | 455,00 € |
Diverse weitere Hilfsmittel | 75,75 € |
Mitgliedsbeitrag Wiener Rotes Kreuz | 25,00 € |
Mitgliedsbeitrag Cochlea Implantat Austria (= österreichische Gesellschaft für implantierbare Hörhilfen) | 35,00 € |
Erstellung einer Vorsorgevollmacht | 577,60 € |
Versicherung für Hörgerät-Prozessoren | 669,71 € |
2. Beweiswürdigung
Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den jeweils angeführten Unterlagen, welche unbedenklich erscheinen, und sind überdies unstrittig.
Die Feststellung zur Erkrankung ergibt sich aus dem dahingehend unbedenklichen Vorbringen der Bf. im Verfahren sowie aus der vorgelegten Arztbestätigung (OZ 14). Die Feststellung zum Pflegegeldbezug ergibt sich aus dem dahingehend unbedenklichen Vorbringen der Bf. Die Feststellung zu den geleisteten Aufwendungen ergibt sich aus der Aufstellung der Bf. (OZ 12) bzw. den zugehörigen Belegen (OZ 13). Anderslautendes wurde seitens des Finanzamts nicht vorgebracht, ebenso ergeben sich aus dem Aktenbestand keine entgegenstehenden Hinweise, sodass keine gegenteiligen Feststellungen getroffen werden konnten.
Die Feststellung zur Behinderung der Bf. ergibt sich aus der aktenkundigen Mitteilung des Sozialministeriumsservices (Auszug aus dem Abgabeninformationssystem, OZ 22)
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)
Die Berücksichtigung von außergewöhnlichen Belastungen iZm. einer Behinderung richtet sich nach den §§ 34 und 35 EStG 1988, wobei für das verfahrensgegenständliche Jahr und die folgenden Gesetzeszitate die Fassung BGBl. I Nr. 103/2019 anzuwenden ist.
Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:1. Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).2. Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).3. Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein. Die angeführten Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.
Die Belastung ist nach § 34 Abs. 2 EStG 1988 außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.
Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
§ 34 Abs. 3 EStG 1988 macht den Anspruch zur Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung ua. davon abhängig, dass die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwächst. Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, dass freiwillig getätigte Aufwendungen ebensowenig Berücksichtigung finden können wie Aufwendungen, die vom Steuerpflichtigen vorsätzlich herbeigeführt wurden oder die sonst die Folge eines Verhaltens sind, zu dem sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken entschlossen hat (vgl. Fuchs in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG24 (2024) § 34 Tz 35; VwGH 21.11.2013, 2010/15/0130).
§ 34 Abs. 4 EStG 1988 bestimmt, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch die Belastung wesentlich beeinträchtigt wird, soweit die Belastung einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt, und legt in weiterer Folge die Höhe des Selbstbehaltes fest.
Krankheitskosten erfüllen dem Grunde nach diese Voraussetzungen, allerdings ist in der Regel von diesen Kosten der Selbstbehalt abzuziehen. Eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Berücksichtigung eines Selbstbehaltes ergibt sich aus § 34 Abs. 6 EStG 1988. Demnach können ua. Aufwendungen im Sinne des § 35 EStG 1988 (Vorliegen einer Behinderung), die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden ( § 35 Abs. 5 EStG 1988), sowie Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, soweit sie die Summe der vom Steuerpflichtigen bezogenen pflegebedingten Geldleistungen übersteigen, ohne Berücksichtigung eines Selbstbehaltes abgezogen werden.
Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung und erhält er keine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage), so steht ihm nach § 35 Abs. 1 EStG 1988 ein Freibetrag zu, wobei dessen Höhe in § 35 Abs. 3 EStG 1988 geregelt ist.
Da die Bf. im verfahrensgegenständlichen Jahr für 12 Monate Pflegegeld bezogen hat, steht ihr dieser Freibetrag jedoch nicht zu.
Nach § 35 Abs. 5 EStG 1988 können anstelle des Freibetrages auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden.
Die zu §§ 34 und 35 EStG 1988 ergangene Verordnung über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996 idF. BGBI II Nr. 430/2010 (in der Folge kurz: VO), enthält weiterführende Regelungen hinsichtlich der Anerkennung von außergewöhnlichen Belastungen. Nach § 1 Abs. 2 der VO liegt eine Behinderung vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25% beträgt.
Diese Voraussetzung ist bei der Bf. unstrittig erfüllt, zumal der Grad der seitens des Sozialministeriumsservices festgestellten Behinderung 100 % beträgt.
In § 1 Abs. 3 der VO wird ausgeführt, dass Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 der VO nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen sind. Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 der VO stehen auch dann zu, wenn eine pflegebedingte Geldleistung bezogen wird und folglich ein Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 ausgeschlossen ist (vgl. Peyerl in Jakom EStG 2025, § 35 Rz 22).
Nach § 4 der VO sind nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.
Aufwendungen für bestimmte Hilfsmittel sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß dann berücksichtigen, wenn sie mit der Behinderung in Zusammenhang stehen. Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel iSd § 4 sind Aufwendungen für Gegenstände oder Vorrichtungen, die geeignet sind, die Funktion fehlender oder unzulänglicher Körperteile zu übernehmen oder die mit einer Behinderung verbundenen Beeinträchtigungen zu beseitigen bzw zu mildern. Kostenersätze sind in Abzug zu bringen (vgl. Peyerl in Jakom EStG 2025, § 35 Rz 22).
Unter Kosten der Heilbehandlung im Sinne des § 4 der Verordnung des BMF über außergewöhnliche Belastungen fallen einerseits Kosten der Heilbehandlung der die Behinderung verursachenden, andererseits Krankheitskosten etwaiger Folgeerkrankungen einer Behinderung. Es muss sich damit um Kosten im Zusammenhang mit der Behandlung von Krankheiten handeln, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehen (vgl. VwGH 20.09.2023, Ro 2021/13/0025 mwN). Somit können auch Krankheitskosten etwaiger Folgeerkrankungen einer Behinderung im Sinne des § 1 Abs. 2 der VO als Kosten der Heilbehandlung nach § 4 der VO und somit ohne Abzug des Selbstbehalts berücksichtigt werden. Dass aus der Folgeerkrankung selbst eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) von mindestens 25% resultieren müsste, ist dabei nicht erforderlich. Dies gilt aber nur dann, wenn nachvollziehbar auf eine Ursächlichkeit des die Behinderung bewirkenden Hauptleidens für die Folgeerkrankung geschlossen werden kann (vgl. VwGH 23.01.2019, Ro 2016/13/0010).
Seitens des Finanzamts wurden bereits im angefochtenen Bescheid bzw. im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung die Aufwendungen für Taxi, Medikamente, Pediküre, Notrufuhr samt Zubehör und Porto, Arztrechnungen, Zahnsanierung, Mundhygiene sowie diverse weitere Hilfsmittel, insgesamt somit 2.962,71 Euro, als außergewöhnliche Belastung iZm. der Behinderung der Bf. anerkannt. Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts hat die Bf. durch die Vorlage ihres Arztbriefes sowie durch ihr Vorbringen zu den vorliegenden Symptomen hinreichend dargelegt, dass die geltend gemachten Aufwendungen ursächlich auf die Behinderung bzw. deren Folgeerkrankungen zurückzuführen sind. Aus dem Akteninhalt sowie unter Berücksichtigung der oben angeführten Rechtsprechung ergeben sich keine Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der diesbezüglichen Auffassung des Finanzamts im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung begründen könnten. Das Bundesfinanzgericht schließt sich daher der Auffassung an, diese Kosten als außergewöhnliche Belastung iZm. der Behinderung der Bf. zu berücksichtigen.
Die Berücksichtigung der im Schreiben der Bf. vom 28.03.2023 genannten, vorgeblich nicht dem Finanzamt gemeldeten Spenden sowie der Mitgliedsbeiträge wurde von der Bf. weder in der Beschwerde noch im Vorlageantrag weiter begehrt.
Strittig ist nurmehr, ob die Aufwendungen für die Versicherung der Hörprozessoren sowie für die Erstellung der Vorsorgevollmacht als außergewöhnliche Belastungen iZm. der Behinderung der Bf. betrachtet werden können.
{ "type": "ol", "children": [ { "type": "li", "children": [ "Ad Versicherungsprämien" ] } ], "attributes": { "class": "ListeAufzhlung", "style": "list-style-type: disc;" } }
Wie bereits dargestellt, folgt aus der gesetzlich erforderlichen Zwangsläufigkeit, dass freiwillig getätigte Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden können, ebenso wenig wie solche, die auf einem Verhalten beruhen, zu dem sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken entschlossen hat.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs eine Versicherung, die aus freier Willensentscheidung abgeschlossen wurde, aufgrund fehlender Zwangsläufigkeit keine außergewöhnliche Belastung begründet. An der Zwangsläufigkeit einer Versicherung fehlt es selbst dann, wenn im Schadensfall eine außergewöhnliche Belastung vorliegen würde (vgl. VwGH 03.03.2022, Ra 2021/15/0069; VwGH 30.05.2001, 96/13/0052; Fuchs in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG24 (2024) § 34 Tz 35/4).
Die Bf. brachte vor, dass sie die Versicherung deswegen abgeschlossen hat, da es sich um sehr teure Geräte handelt und seitens der Sozialversicherung nur "für ein Gerät die Kosten einer Reparatur oder einen Geräteersatz übernehmen würde".
Damit macht die Bf. deutlich, dass der Abschluss der Versicherung auf einer freien Willensentscheidung beruhte, um Kosten abzudecken, die nicht von der Sozialversicherung übernommen werden. Auch wenn eine aufgrund eines Schadens notwendige Neuanschaffung bzw. Reparatur der Hörprozessoren - wie oben ausgeführt - eine Aufwendung für ein Hilfsmittel iSd. § 4 der VO darstellen würde und diese Kosten steuerlich geltend gemacht werden könnten, ist die Versicherung, die diesen Schadensfall absichert, nach der oa. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig.
Somit musste der Berücksichtigung der Prämien für diese freiwillig abgeschlossene Versicherung als außergewöhnliche Belastung der Erfolg versagt werden.
{ "type": "ol", "children": [ { "type": "li", "children": [ "Ad Vorsorgevollmacht" ] } ], "attributes": { "class": "ListeAufzhlung", "style": "list-style-type: disc;" } }
Darüber hinaus beantragt die Bf. die Berücksichtigung der Kosten für die Erstellung einer Vorsorgevollmacht als außergewöhnliche Belastung.
Eine Vorsorgevollmacht iSd §§ 260 ff Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) ist eine Vollmacht, die nach ihrem Inhalt dann wirksam werden soll, wenn der Vollmachtgeber die zur Besorgung der anvertrauten Angelegenheiten erforderliche Entscheidungsfähigkeit verliert. Die Vorsorgevollmacht kann für einzelne Angelegenheiten oder für Arten von Angelegenheiten erteilt werden. Die Vorsorgevollmacht ist vor einem Notar, einem Rechtsanwalt oder einem Erwachsenenschutzverein ( § 1 ErwSchVG) höchstpersönlich und schriftlich zu errichten und in weiterer Folge vom Errichter im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis einzutragen.
Eine Vorsorgevollmacht dient der Vorsorge durch Vertretung einer Person, wenn sie die nötige Entscheidungsfähigkeit verloren hat, also der Vorsorgefall eingetreten ist. Sie verwirklicht von den vier Säulen der Erwachsenenvertretung (also neben der gewählten, gesetzlichen und gerichtlichen Erwachsenenvertretung) das höchste Maß an Autonomie und verlangt das geringste Maß an gerichtlicher Kontrolle. Sie erfordert dementsprechend auch das höchste Ausmaß an "Errichtungsfähigkeit", begleitet von Voraussetzungen, die einen selbstbestimmten Willen sicherstellen und Missbrauch verhindern sollen. Die Vorsorgevollmacht geht den anderen Vertretungsformen vor (vgl. Traar/Pesendorfer/Lagger-Zach/Fritz/Barth, Erwachsenenschutzrecht2 § 260 ABGB Rz. 9 f).
Die Erstellung einer Vorsorgevollmacht war somit eine von der Bf. getroffene freie Willensentscheidung, ihre Vertretung für den Fall des Verlusts der Entscheidungsfähigkeit entsprechend zu regeln.
Eine Vorsorgevollmacht stellt lediglich eine von mehreren Möglichkeiten der Erwachsenenvertretung dar, die die Bf. freiwillig gewählt hat. Es besteht keine Verpflichtung zum Abschluss einer solchen Vollmacht. Fehlt eine Vorsorgevollmacht, führt dies im Vorsorgefall nicht zwangsläufig zu einer unzureichenden Vertretung, da das Gesetz alternative Vertretungsformen vorsieht.
An der Erstellung einer Vorsorgevollmacht kann somit seitens des Bundesfinanzgerichts keine Zwangsläufigkeit im Zusammenhang mit der Behinderung der Bf. erkannt werden, auch wenn diese die Erstellung subjektiv als Folge ihrer Behinderung ansieht.
Die Berücksichtigung der Aufwendungen für die Erstellung der Vorsorgevollmacht als außergewöhnliche Belastung ist daher nicht möglich.
{ "type": "ol", "children": [ { "type": "li", "children": [ "Abänderung" ] } ], "attributes": { "class": "ListeAufzhlung", "style": "list-style-type: disc;" } }
Wie bereits dargestellt, hat das Finanzamt dem Beschwerdebegehren mit Beschwerdevorentscheidung teilweise stattgegeben und den angefochtenen Bescheid insofern abgeändert, als es die Aufwendungen für Taxi, Medikamente, Pediküre, Notrufuhr samt Zubehör und Porto, Arztrechnungen, Zahnsanierung, Mundhygiene sowie diverse weitere Hilfsmittel als außergewöhnliche Belastung iZm. der Behinderung der Bf. berücksichtigte. Wie ausgeführt, schließt sich das Bundesfinanzgericht dieser Beurteilung an.
Auch wurden im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung die Aufwendungen für die Versicherungsprämien sowie für die Erstellung der Vorsorgevollmacht zutreffenderweise nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt.
Als Ergebnis war daher der Beschwerde teilweise Folge zu geben und die Einkommensteuer im Sinne der Beschwerdevorentscheidung vom 04.04.2024 festzusetzen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Mit der vorliegenden Entscheidung folgt das Bundesfinanzgericht der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Die Voraussetzungen für die Revisionszulassung sind demnach nicht erfüllt.
Graz, am 11. August 2025