Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision der E V E, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum und Mag. a Andrea Blum, Rechtsanwälte in Linz, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Februar 2025, G310 2287481 1/6E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Revisionswerberin, ein Staatsangehörige Guatemalas, stellte am 30. Jänner 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie im Wesentlichen damit begründete, im Herkunftsstaat von einem mächtigen Bandenchef verfolgt zu werden, der ihren Bruder bereits ermorden lassen habe. Die (korrupten) Sicherheitsbehörden würden ihr dagegen keinen Schutz bieten.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 24. Jänner 2024 zur Gänze ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Guatemala zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Begründend schenkte das BFA der Revisionswerberin in Bezug auf ihr Fluchtvorbringen keinen Glauben. Sie habe in Wirklichkeit den Herkunftsstaat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen.
3 Diese Entscheidung bekämpfte die Revisionswerberin mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), in der sie ihr Fluchtvorbringen umfangreich nochmals darlegte, den beweiswürdigenden Erwägungen des BFA substantiiert entgegentrat und ergänzende Ermittlungen zum Fluchtvorbringen einforderte. Eine mündliche Verhandlung wurde beantragt.
4 Das BVwG nahm aufgrund dieser Beschwerde ergänzende Ermittlungen unter Einschaltung der Staatendokumentation vor, zu denen eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 27. Dezember 2024 erging.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Begründend schenkte auch das BVwG dem Fluchtvorbringen der Revisionswerberin keinen Glauben und stützte sich dabei auf eine „Gesamtschau der Angaben der [Revisionswerberin] im Verfahren vor der belangten Behörde und in der Beschwerde“ sowie die Ergebnisse der Recherchen der Staatendokumentation, die keinen Nachweis für die Existenz des behaupteten Verfolgers in Guatemala erbracht hätten. Im Übrigen könnten die staatlichen Sicherheitsbehörden in Guatemala der Revisionswerberin angemessenen Schutz vor Kriminellen bieten.
7 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, da der entscheidungswesentliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde habe geklärt werden können.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit und in der Sache insbesondere eine Verletzung der Verhandlungspflicht des BVwG geltend macht.
9 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die Revision ist zulässig und begründet.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Voraussetzungen, unter denen das BVwG im Asylverfahren von einer Verhandlung absehen kann (§ 21 Abs. 7 BFAVG), in seiner ständigen Rechtsprechung näher präzisiert (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018).
12 Danach ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 erster Fall BFA VG nur dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.
13 Diesen Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall wie in der Revision zutreffend aufgezeigt wird nicht entsprochen:
14 Das BVwG schloss sich gegenständlich nicht nur der Beweiswürdigung des BFA an, sondern sah sich aufgrund der substantiierten Bestreitung der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in der Beschwerde zu weiteren Ermittlungen (Einholung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation) und darauf aufbauend zu ergänzenden Erwägungen veranlasst. Von einem „geklärten Sachverhalt“ im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG konnte daher gegenständlich nicht ausgegangen werden.
15 Auch die Hilfsbegründung des BVwG, die staatlichen Sicherheitsbehörden in Guatemala seien grundsätzlich schutzwillig und fähig, ändert daran nichts, hat sich das BFA auf eine solche Begründung für die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz doch (noch) nicht gestützt gehabt. Das BVwG hat daher auch insoweit neue Überlegungen in das Verfahren eingeführt (deren Zutreffen an dieser Stelle nicht überprüft zu werden braucht).
16 Somit lagen die Voraussetzungen für ein Absehen von der Durchführung einer Verhandlung im Revisionsfall nicht vor.
17Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier gegebendes Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. etwa VwGH 14.3.2025, Ra 2024/18/0344, mwN).
18Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
19Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 19. August 2025