JudikaturVwGH

Ra 2024/18/0344 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
14. März 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des F A, vertreten durch Mag. Thomas Mayer als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Bruno Marek Allee 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Mai 2024, I423 2291058 1/2E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Syriens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, stellte am 15. August 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er sein Heimatland wegen des Krieges und der fehlenden Sicherheit verlassen habe. Zudem befürchte er eine (zwangsweise) Einberufung zum Militärdienst des syrischen Regimes oder der kurdischen Truppen.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 26. März 2024 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3 Das BFA begründete die mangelnde Asylrelevanz des Vorbringens des Revisionswerbers zusammengefasst damit, dass sich die Angaben des Revisionswerbers zu den Rekrutierungsversuchen der kurdischen Milizen als unglaubwürdig erwiesen hätten. Zudem stehe dem Revisionswerber hinsichtlich des syrischen Regimes die nach syrischem Wehrrecht legale Möglichkeit offen, als Alternative zur (bloßen) Verweigerung des Wehrdienstes eine gesetzlich vorgesehene Befreiungsgebühr zu leisten, die zur rechtsgültigen und rechtssicheren Befreiung vom Wehrdienst führe.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, im Falle einer Rückkehr des Revisionswerbers in sein Herkunftsgebiet bestehe schon deshalb nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, zum Wehrdienst des syrischen Militärs eingezogen zu werden bzw. bei dessen Verweigerung Konsequenzen daraus ausgesetzt zu sein, da dieses Gebiet nach wie vor unter kurdischer Kontrolle stehe und ohne Kontakt zum syrischen Regime erreichbar sei. In Ermangelung von Zugriffsmöglichkeiten des syrischen Regimes müsse auf die Frage des Freikaufs vom Wehrdienst daher nicht eingegangen werden. Zudem liege hinsichtlich der befürchteten Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Truppen keine Asylrelevanz vor, zumal sich aus den relevanten Informationen der Länderberichte weder ableiten lasse, dass mit der Ableistung der „Wehrpflicht“ im Rahmen der kurdischen Selbstverwaltung eine unverhältnismäßige Belastung einhergehe, noch, dass eine übermäßige Bestrafung der betroffenen Personen im Falle der Entziehung drohe.

6 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, da die Entscheidung des BFA bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweise. Das BFA habe ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren geführt, in dessen Rahmen der Revisionswerber einvernommen und ausführlich befragt worden sei. Das BFA habe die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen in gesetzmäßiger Weise offengelegt, und das BVwG habe diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung geteilt. Die Länderfeststellungen seien in den wesentlichen Inhalten, insbesondere betreffend die Kontrollverhältnisse und Zugriffsmöglichkeiten, unverändert.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit insbesondere vorbringt, das BVwG sei von näher dargestellter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht abgewichen, da es insbesondere die Beweiswürdigung des BFA nicht bloß unwesentlich ergänzte.

8 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und begründet.

10 Vorauszuschicken ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist. Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren (vgl. etwa VwGH 19.3.2024, Ra 2022/18/0326, mwN).

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 erster Fall BFA VG nur dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; sowie zuletzt etwa VwGH 18.9.2024, Ra 2024/18/0073, mwN).

12 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in seiner Rechtsprechung zur Verhandlungspflicht des BVwG in Asylsachen auch, dass die Aktualisierung der Länderfeststellungen durch das Verwaltungsgericht, die eine zusätzliche Beweiswürdigung erfordert, grundsätzlich nur nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfolgen darf (vgl. VwGH 7.5.2024, Ra 2023/18/0003, mwN).

13 Diesen Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall wie in der Revision zutreffend aufgezeigt wird nicht entsprochen:

14 Zunächst hat das BVwG durch Zugrundelegung des Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIB) zu Syrien vom 27. März 2024 zusätzliche Feststellungen zur Situation in Syrien getroffen, während die Feststellungen im Bescheid des BFA noch auf einer wenn auch nur geringfügig älteren Version des LIB basieren. Das BVwG hat in der Folge allerdings die vom BFA noch nicht verwerteten Länderberichte nämlich insbesondere das Kapitel „Zur Einreise nach Syrien“ mit dem Abschnitt „Fishkhabour/Semalka als einziger für Personen offener Grenzübergang zum Irak ohne direkten Regimekontakt“ (vgl. Erkenntnis S. 73ff bzw. S. 76f) einer ergänzenden Beweiswürdigung unterzogen.

15 Das BVwG traf ausgehend davon erstmals die Feststellung, dass die Heimatregion des Revisionswerbers ohne Kontakt zum syrischen Regime erreichbar sei, etwa über den Grenzübergang Semalka Faysh Khabur, und setzte sich damit in der Beweiswürdigung wertend auseinander, indem es davon ausging, der Revisionswerber habe schon aus diesem Grund nicht zu befürchten, zum Wehrdienst des syrischen Militärs eingezogen zu werden, zumal seine Heimatregion nach wie vor unter kurdischer Kontrolle stehe. Da keine Zugriffsmöglichkeiten des syrischen Regimes bestünden, müsse auf die Frage des Freikaufs vom Wehrdienst nicht eingegangen werden. Dementgegen stützte das BFA seine Erwägungen tragend darauf, dass eine Zwangsrekrutierung des Revisionswerbers durch das syrische Regime nicht maßgeblich wahrscheinlich sei, da dem Revisionswerber die Möglichkeit offenstehe, sich durch die gesetzlich vorgesehene Befreiungsgebühr vom Wehrdienst freizukaufen; es ging also zumindest implizit davon aus, dass eine Rekrutierung des Revisionswerbers durch das syrische Regime prinzipiell möglich sei.

16 Schließt sich das BVwG nicht nur der Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde an, sondern zeigt es darüber hinaus wie hier in seiner Beweiswürdigung noch weitere bedeutsame Aspekte auf, nimmt es damit eine zusätzliche Beweiswürdigung vor, die dazu führt, dass es die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt. Eine solche (ergänzende) Würdigung hat jedoch regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. etwa VwGH 23.4.2024, Ra 2023/18/0150, mwN).

17 Somit lagen die Voraussetzungen für ein Absehen von der Durchführung einer Verhandlung im Revisionsfall nicht vor.

18 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier gegeben des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 5.11.2024, Ra 2023/18/0425, mwN).

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das übrige Vorbringen in der Revision einzugehen war.

20 Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abzusehen.

21 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. März 2025

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