Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Dezember 2024, W191 2295393 1/5E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: R S), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volksgruppenzugehörigkeit aus der Provinz Baghlan, stellte am 16. Mai 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, von den Taliban bedroht und verfolgt zu werden.
2Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 7. Juni 2024 zur Gänze ab, erteilte dem Mitbeteiligten keine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Mitbeteiligten gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab, gab der Beschwerde aber im Übrigen statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG (zum subsidiären Schutz) zusammengefasst aus, die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich seit der Machtübernahme der Taliban etwas gebessert, sei aber weiterhin als volatil und instabil zu bezeichnen. Abgesehen davon laufe der Mitbeteiligte nach den getroffenen Länderfeststellungen in Zusammenschau mit seinen persönlichen Umständen bei Rückkehr nach Afghanistan Gefahr, dort keine Lebensgrundlage vorzufinden und seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können. Es sei im Hinblick auf die allgemein desaströse Versorgungslage nicht zu erwarten, dass der Mitbeteiligte von seinen Eltern, Brüdern, Schwestern und von seinen anderen Familienangehörigen, die nach wie vor in Afghanistan in recht bescheidenen Verhältnissen lebten, ausreichend Unterstützung erhalte, um seine Lebensbedürfnisse hinreichend befriedigen zu können. Er würde deshalb in eine ausweglose und existenzbedrohende Notlage geraten, weshalb ihm subsidiärer Schutz gewährt werden müsse.
5Dagegen wendet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, die zur Zulässigkeit der Revision im Wesentlichen geltend macht, das BVwG gehe von einer volatilen Sicherheitslage aus, ohne auf die einschlägigen Länderrichtlinien der EUAA (Country Guidance) zu Afghanistan einzugehen, denen zufolge die Sicherheitslage einer Rückkehr nicht entgegenstehe. Außerdem stütze sich das BVwG auf eine aktuell schlechte Versorgungslage, zeige damit aber die bloße Möglichkeit einer Verletzung von Art. 3 EMRK auf. Hingegen sei es dem BVwG nicht gelungen, detailliert und auf den konkreten Einzelfall bezogen darzulegen, weshalb dem Mitbeteiligten eine derartige Grundrechtsverletzung drohen solle. Insbesondere gehe aus dem angefochtenen Erkenntnis nicht hervor, wieso es konkret dem Mitbeteiligten als arbeitsfähigem jungen Mann mit Schulbildung und Arbeitserfahrung in Afghanistan mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein solle, seine notwendigen Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen zu können. Auch die mangelnde Tragfähigkeit des in Afghanistan nach wie vor vorhandenen familiären Netzes, von der das BFA in seinem Bescheid ausgegangen sei, sei vom BVwG nicht schlüssig dargelegt worden.
6 Der Mitbeteiligte erstattete im durchgeführten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. dazu etwa VwGH 18.3.2021, Ra 2020/18/0294, mwN).
11Im gegenständlichen Fall ging das BVwG davon aus, dass die allgemeine Lage in Afghanistan in Zusammenschau mit den persönlichen Umständen des Mitbeteiligten die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertige. Wenn die Amtsrevision geltend macht, die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich seit der Machtübernahme durch die Taliban verbessert, ist ihr lediglich zu erwidern, dass auch das BVwG dies nicht in Frage stellte, sondern lediglich von einer „weiterhin als volatil und instabil“ bezeichneten Sicherheitslage ausging und dies näher zu begründen versuchte. Keinesfalls ging das BVwG aber davon aus, dass allein die Sicherheitslage einer Rückkehr des Mitbeteiligten unter dem Blickwinkel seiner verfassungsgesetzlich geschützten Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK entgegenstünde. Es nahm vielmehr die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geforderte Gesamtbeurteilung im Einzelfall vor, bei der es vor allem auch die schlechte, in den Länderberichten dokumentierte (Grund )Versorgungslage ins Kalkül zog und überprüfte, ob der Mitbeteiligte aufgrund seiner persönlichen Umstände in der Lage wäre, seine Grundbedürfnisse bei Rückkehr dennoch zu befriedigen. Es führte aus, dass Rückkehrende nur in Einzelfällen über die notwendigen sozialen und familiären Netzwerke verfügten, um die desolaten wirtschaftlichen Umstände abzufedern, und verneinte fallbezogen, dass der Mitbeteiligte über ein derartiges ausreichendes und tragfähiges soziales Netzwerk verfüge. Es stützte sich dabei auf die Angaben des Mitbeteiligten, die es als glaubhaft wertete.
12Wenn die Amtsrevision ausführt, das BFA habe diesbezüglich eine andere beweiswürdigende Einschätzung getroffen, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung des BVwG im Allgemeinen nicht berufen ist; im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. zu diesem Prüfmaßstab im Revisionsverfahren etwa VwGH 26.6.2025, Ra 2024/18/0733, mwN), was von der Revision nicht hinreichend aufgezeigt wird.
13 Ausgehend davon werden in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 22. September 2025