JudikaturVwGH

Ra 2023/17/0093 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
03. August 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des T S, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Dr. Thomas Lechner und Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. April 2023, W152 2262136 1/22E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 30. September 2022 wurde gegen den Revisionswerber, einen Staatsangehörigen von Thailand, der sich seit Ende des Jahres 2007 zum Teil auf Grund von Aufenthaltstiteln im Bundesgebiet aufgehalten hatte, eine Rückkehrentscheidung erlassen. Weiters wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Thailand festgestellt, und ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt und keine Frist für die freiwillige Ausreise des Revisionswerbers eingeräumt.

2 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde.

3 Mit (Teil)Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. November 2022 wurde der Beschwerde insoweit Folge gegeben, als dieser die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass dem Revisionswerber eine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt werde. Eine Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht nach Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

5 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird zunächst ins Treffen geführt, dass das Bundesverwaltungsgericht neben der als Zeugin einvernommenen (Halb)Schwester des Revisionswerbers weitere beantragte Zeugen, die mit diversen Entschuldigungen der mündlichen Verhandlung ferngeblieben seien, zu ihrer Beziehung zum Revisionswerber hätte einvernehmen müssen. Dies habe das Bundesverwaltungsgericht unterlassen und daher das Familienleben des Revisionswerbers nicht hinreichend berücksichtigt. In dem Zusammenhang wendet sich die Revision auch gegen die vom Bundesverwaltungsgericht im Zuge der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots angestellte Interessenabwägung.

10 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 21.6.2023, Ra 2023/17/0001, mwN).

11 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. erneut VwGH 21.6.2023, Ra 2023/17/0001, mwN).

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt auch ein mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt trotz Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend zu einem Überwiegen des persönlichen Interesses, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Insbesondere strafrechtliche Verurteilungen stellen derartige Umstände dar, die die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland und eine erfolgte Integration relativieren können, wobei in dem Zusammenhang auch länger zurückliegende Straftaten berücksichtigt werden können (vgl. VwGH 2.4.2021, Ra 2021/01/0091, mwN).

13 Ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern in der Regel zu bejahenden Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 9.11.2022, Ra 2022/17/0163, mwN). Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision nicht auf, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Revisionswerber, der seit Oktober 2014 mit seinen Verwandten keinen Wohnsitz mehr teilte und sich seit Jänner 2020 in Haft befindet, mit diesen kein entscheidungswesentliches Familienleben mehr pflegt, mit einem im Revisionsverfahren aufzugreifenden Fehler belastet wäre.

14 Das Bundesverwaltungsgericht hatte vor allem auch zu berücksichtigen, dass der Revisionswerber wiederholt, insbesondere wegen qualifizierter Suchtmitteldelikte, und zuletzt mit Urteil des Landesgerichts vom 27. November 2020 wegen des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel (§ 28 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG) sowie des Verbrechens des Suchtgifthandels (§§ 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 4 Z 3 SMG) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde.

15 Selbst bei Zugrundelegung der in der Zulässigkeitsbegründung aufgestellten Behauptung, dass das Bundesverwaltungsgericht bei Vornahme der weiteren Zeugenvernehmungen enge familiäre Bindungen des Revisionswerbers zu seinen Verwandten zugrunde zu legen gehabt hätte, wird damit keine Fehlbeurteilung in der nach § 9 BFA VG und Art. 8 EMRK anzustellenden Interessenabwägung und damit keine Relevanz des gerügten Verfahrensmangels dargelegt. Denn die beim Revisionswerber wiederholt und gravierend vorliegende Suchtgiftdelinquenz stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein besonders verpöntes Fehlverhalten dar, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) hingewiesen, der Drogenhandel als Plage [„scourge“] bezeichnet und daher ein hartes Vorgehen nationaler Behörden dagegen billigt (vgl. erneut VwGH 9.11.2022, Ra 2022/17/0163, mwN, sowie erneut 26.5.2021, Ra 2021/01/0159, mit Verweis auf EGMR 15.10.2020, Akbay u.a./Deutschland , 40495/15, Z 110).

16 Im Übrigen berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht in einer Gesamtbetrachtung neben der langen Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Bundesgebiet und seinen ausgezeichneten Deutschkenntnissen auch, dass er lediglich sporadisch erwerbstätig war, zeitweise Sozialleistungen bezog und wiederholt gravierend straffällig wurde. Dass diese Interessenabwägung unvertretbar erfolgt wäre, zeigt die Revision nicht auf.

17 Soweit sich der Revisionswerber gegen das zehnjährige Einreiseverbot wendet und dazu auf seine Bindungen in Österreich und seinen in der noch andauernden Haft eingetretenen Gesinnungswandel verweist, ist auf Folgendes hinzuweisen:

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen hat, dass bei schweren Verbrechen im Zusammenhang mit Suchtmitteln weder ein langjähriger Aufenthalt in Österreich noch eine sonst vollkommene soziale Integration im Inland einem Einreiseverbot entgegenstehen (vgl. VwGH 15.2.2021, Ra 2021/17/0006, mwN).

19 Das Vorliegen einer Gefährdung im Sinne des § 53 Abs. 3 FPG („schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit“) wird hier schon durch die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 53 Abs. 3 Z 5 FPG („wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist“) indiziert und ergibt sich evident aus den dem zuletzt ergangenen Strafurteil vom 27. November 2020 zugrunde liegenden besonders gravierenden Straftaten. Daran ändert auch der durch den Revisionswerber ins Treffen geführte Gesinnungswandel während der Haft nichts, weil nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug einer Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten hat; für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden ist somit in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat (vgl. erneut VwGH 15.2.2021, Ra 2021/17/0006, mwN).

20 Aufgrund der Strafhaft des Revisionswerbers liegt ein im Sinn des Vorgesagten beachtliches Wohlverhalten während eines längeren Beobachtungszeitraums jedenfalls (noch) nicht vor. Im Übrigen stellt die Suchtmitteldelinquenz des Revisionswerbers ein besonders verpöntes Fehlverhalten dar, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr besteht (vgl. erneut VwGH 15.2.2021, Ra 2021/17/0006, mwN). Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung stellt sich daher in diesem Zusammenhang nicht.

21 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 3. August 2023

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