JudikaturVwGH

Ra 2023/09/0151 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
15. September 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, I. über den Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof und II. über die außerordentliche Revision des Fonds A in B, vertreten durch Mag. Dr. Peter Döller, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Brucknerstraße 4/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. Juli 2023, W151 2270556 1/3E, betreffend Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz), den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (Verwaltungsgericht) wurde der Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für eine bestimmte Person gemäß § 4 Abs. 1 Z 5 AuslBG abgewiesen; die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

2 Das Erkenntnis wurde dem Rechtsvertreter der revisionswerbenden Partei durch Hinterlegung per ERV am 13. Juli 2023 übermittelt; die Zustellung wurde sohin gemäß § 21 Abs. 8 BVwGG am 14. Juli 2023 bewirkt. Die sechswöchige Revisionsfrist gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 VwGG endete daher am 25. August 2023.

3 Am 25. August 2023 brachte die revisionswerbende Partei, vertreten durch einen bevollmächtigen Rechtsanwalt, eine außerordentliche Revision im Wege des ERV beim Verwaltungsgerichtshof ein.

4 Die fehlerhaft beim Verwaltungsgerichtshof erhobene Revision wurde am 31. August 2023 zuständigkeitshalber an das Bundesverwaltungsgericht als der korrekten Einbringungsstelle gemäß § 24 Abs. 1 VwGG weitergeleitet. Von dort wurde sie am 1. September 2023 dem Verwaltungsgerichtshof wieder vorgelegt.

5 Der Vertreter der revisionswerbenden Partei erlangte am 28. August 2023 durch einen Anruf Kenntnis von der falschen Einbringung der Revision.

6 I. Mit Schriftsatz vom 1. September 2023 beantragte die revisionswerbende Partei, vertreten durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Revisionsfrist. Begründend wurde ausgeführt, der Antrag sei rechtzeitig. Der Rechtsanwalt habe den Schriftsatz am 24. und 25. August 2023 erstellt und am 25. August 2023 seine näher bezeichnete Sekretärin angewiesen, den fertigen Schriftsatz im ERV zur Versendung vorzubereiten. Die Formalia sämtlicher einzubringender Schriftsätze würden vor ihrer Versendung vom Rechtsanwalt persönlich oder bei seiner Verhinderung durch eine seiner Konzipientinnen kontrolliert werden. Die Kontrolle auf der Rubrik erfolge durch Sichtung des ausgedruckten Schriftsatzes. Die Sekretärin habe im vorliegenden Fall folgende Schriftsatzmaske aus dem ERV vorgelegt:

„Überschrift: ‚Verfassungs-, Verwaltungsgerichtshof, BVwG‘

Unterüberschrift: ‚VwGH Ersteingabe‘

Status: ‚NS‘

Die Parteien

‚Verwaltungsgerichtshof Antrag 1

Angefochtener Rechtsakt:

GZ: W151 2270566-1/3E

Datum: 12.07.2023

Zustelldatum: 14.07.2023

Eingabengebühr: Ja‘

Anlagen: ‚25.08.2023, Schriftsatz, außerordentliche Revision‘“

7 Die Bezeichnung in der Unterüberschrift „VwGH Ersteingabe“ sei für den Rechtsvertreter stimmig gewesen, weil seine außerordentliche Revision der erste in diesem Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Schriftsatz gewesen sei und in der Überschrift ohnehin das Bundesverwaltungsgericht aufgeschienen sei.

8 Die Bemerkung „NS“ im Status werde vom System nur dann angeführt, wenn die formalen Daten stimmen würden. Wenn etwa die Geschäftszahl ein Verfahren betreffe, das nicht von dem als Empfänger angegebenen Gericht geführt werde, würde das System „Falsch“ vermerken. Da die bei „angefochtener Rechtsakt“ angeführte Geschäftszahl jene des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes gewesen sei, sei der Rechtsvertreter aufgrund der Bemerkung „NS“ davon ausgegangen, dass nur das Bundesverwaltungsgericht, und nicht der Verfassungs- oder der Verwaltungsgerichtshof von der Software bzw. vom ERV System als empfangendes Gericht ausgewählt sein könne.

9 In der Überschrift seien „Verfassungs-, Verwaltungsgerichtshof, BVwG“ angeführt. In weiterer Folge seien Daten für einen angefochtenen Rechtsakt anzuführen. Entscheidungen des Verfassungs- oder des Verwaltungsgerichtshofes könnten nicht angefochten werden. Aus der Kombination der in der Überschrift angeführten Gerichte mit dem Umstand, dass Daten eines angefochtenen Rechtsaktes einzugeben gewesen seien, habe der Rechtsvertreter geschlossen, dass der Schriftsatz beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht werde. Aus dem Umstand, dass beim Feld „Eingabengebühr“ „Ja“ ausgewählt worden und für Eingaben an den VwGH nur bei Revisionen eine Eingabengebühr zu entrichten sei, habe für den Rechtsvertreter ebenfalls kein Zweifel bestanden, dass der Schriftsatz an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt werden würde. Am 28. August 2023 sei die Kanzlei kontaktiert worden, dass die Revision beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt sei.

10 Die revisionswerbende Partei bzw. ihr Rechtsvertreter sei durch ein plötzliches und unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme der Einbringung der Revisionsschrift gehindert worden.

11 Auf dem vorgelegten Ausdruck der im ERV eingegebenen Daten sei im Unterschied zu Eingaben an Zivilgerichte nicht ausdrücklich angeführt, bei welchem Gericht der Schriftsatz eingebracht werde. Es finde sich nur die Überschrift „Verfassungs-, Verwaltungsgerichtshof, BVwG“. Als Beispiel für die unterschiedliche Darstellung bei Gerichts- und Verwaltungseingaben schließe der Rechtsvertreter das ERV Deckblatt einer vorbereiteten, für die revisionswerbende Partei eingebrachten außerordentlichen Revision an den Obersten Gerichtshof an. Die Unterüberschrift „Ersteingabe VwGH“ stehe nicht an der Stelle, an der bei allen anderen Eingabemöglichkeiten, in denen das empfangende Gericht ausdrücklich angeführt werde, angebracht sei. Aus dieser Unterüberschrift könne daher nicht abgeleitet werden, welches Gericht bzw. welche Behörde den Schriftsatz empfange. Der Ausdruck der im ERV eingegebenen Daten lasse aber aus den zuvor genannten Umständen insbesondere der Akzeptanz der Geschäftszahl des BVwG keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Schriftsatz an das Bundesverwaltungsgericht gesendet werde. Der Rechtsvertreter demnach darauf vertraut, dass der Schriftsatz an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt werde.

12 Den Wiedereinsetzungswerber treffe an der Versäumung der Frist zur Einbringung der Revision kein Verschulden, weil sein Rechtsvertreter einem durch die vor Eintritt des gegenständlich zur Versäumung der Frist führenden Ereignisses nicht erkennbare Unvollständigkeit verursachten Irrtum unterlegen sei. Allenfalls treffe den Rechtsvertreter nur ein minderer Grad des Versehens, das gelegentlich auch einem sorgfältigen Rechtsanwalt unterlaufen könne.

13 Ein Organisationsverschulden sei ausgeschlossen, weil der Wiedereinsetzungsgrund nicht auf mangelhafte Organisation zurückzuführen sei und der Rechtsvertreter die Kontrolle der eingegebenen Daten persönlich durch Sichtung des Ausdrucks vorgenommen habe. Der Rechtsvertreter habe in der Vergangenheit zahlreiche Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof problemlos bei dem jeweils zuständigen Gericht eingebracht. Für den Rechtsvertreter habe daher kein Grund zur Annahme bestanden, dass dieses Mal eine andere Eingabemaske als bisher verwendet worden sein sollte. Selbst wenn bei früheren Eingaben an das Bundesverwaltungsgericht eine andere Maske verwendet worden sein sollte, sei der Vertreter auf Grund der Kombination aus der Überschrift, des Umstandes eines „angefochtenen“ Rechtsaktes und der unterbliebenen Fehlermeldung des Systems nach eingegebener Geschäftszahl davon ausgegangen, dass die Revision beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht werde. Im System der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit sei keine Eingabe an den Verwaltungsgerichtshof unter Angabe der Geschäftszahl des Bundesverwaltungsgerichtes vorgesehen. Ebensowenig werde die Eingabegebühr vom Verwaltungsgerichtshof eingezogen. Auch aus diesem Grund sei der Vertreter davon ausgegangen, dass schon von den Einstellungen des Systems eine Eingabe, für die eine Eingabegebühr zu entrichten sei, nicht beim Verwaltungsgerichtshof, sondern nur beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht werden könne.

14 Er habe daher nach Kontrolle der Daten seine Sekretärin angewiesen, den Schriftsatz auf Basis der ihm vorgezeigten Daten vermeintlich an das Bundesverwaltungsgericht zu senden. Der Wiedereinsetzungsgrund sei daher auf einen Irrtum des Rechtsvertreters zurückzuführen, der auf eine erst im Nachhinein erkennbare unvollständige Darstellung der Eingabedaten im ERV zurückzuführen sei.

15 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erlitten hat, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

16 Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, d.h. die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten (vgl. etwa VwGH 9.11.2016, Ra 2016/10/0071, mwN).

17 Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Frage, ob rein manipulative Tätigkeiten von einer Kanzleikraft richtig durchgeführt bzw. vom Vertreter ausreichend überwacht wurden. Die Ursache für die Versäumung der Revisionsfrist war vielmehr eine unrichtige Festlegung der gesetzlich vorgesehenen Einbringungsstelle für die außerordentliche Revision, die in den juristischen Aufgabenbereich des Vertreters selbst fällt. Dem Vertreter ist im vorliegenden Fall im Hinblick auf den in seinen Verantwortungsbereich fallenden Fehler ein eigenes Verschulden an der Verspätung der eingebrachten Revision anzulasten: Aus dem vom Vertreter vorgelegten Ausdruck aus der Schriftsatzmaske des ERV ergibt sich im Hinblick auf die Titulierung, „Verfassungs-, Verwaltungsgerichtshof, BVwG“ sowie der Eingabe „VwGH Ersteingabe“ und „Verwaltungsgerichtshof Antrag 1“ keineswegs, dass dieser Schriftsatz an das Bundesverwaltungsgericht abgefertigt wird. Bereits aus diesem Ausdruck hätte der Vertreter Zweifel an der richtigen Eingabe im ERV haben müssen und nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Schriftsatz an das Bundesverwaltungsgericht gesendet werden würde. Dazu kommt, dass der Vertreter überdies vorbringt, dass er in der Vergangenheit problemlos zahlreiche Revisionen beim jeweils zuständigen Gericht eingebracht habe was er nach seinen weiteren Angaben aufgrund des Ausdruckes zuvor persönlich kontrolliert habe ihm jedoch hier dennoch erst im Nachhinein erkennbar gewesen sei, dass sein Irrtum über die richtige Einbringungsstelle auf eine unvollständige Darstellung der Eingabedaten im ERV zurückzuführen sei. Dieses Verschulden des Vertreters ist angesichts der von ihm selbst vorgelegten auf eine Eingabe beim Verwaltungsgerichtshof hinweisende Schriftsatzmaske nicht als lediglich gering anzusehen. Angesichts des an berufliche Rechtsvertreter anzulegenden Sorgfaltsmaßstabes wäre es an ihm gelegen gewesen, genauer zu überprüfen, ob bei der Auswahl von „VwGH Ersteingabe“ und „Verwaltungsgerichtshof Antrag 1“ seine Eingabe tatsächlich an das Bundesverwaltungsgericht übermittelt wird.

18 An dieser Verantwortlichkeit ändert der Verweis auf das Zuarbeiten durch die Sekretärin der Kanzlei nichts (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 28.3.2020, Ra 2019/18/0479, mwN).

19 Es kann daher ein nur minderer Grad des Versehens im Sinne des § 46 Abs. 1 zweiter Satz VwGG nicht angenommen werden.

20 Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher gemäß § 46 Abs. 1 und 4 VwGG abzuweisen.

21 II. Der festgestellte zeitliche Verfahrenshergang ist aktenkundig und stimmt mit dem Vorbringen des Rechtsvertreters zur Rechtzeitigkeit der Revision überein (zur Zugrundelegung der Angaben betreffend die Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels vgl. VwGH 2.11.2014, Ra 2014/18/0006, mwN).

22 Auf der Grundlage des von der revisionswerbenden Partei selbst vorgebrachten Sachverhaltes erweist sich die Revision als verspätet:

23 Gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 VwGG beginnt die Revisionsfrist mit der Zustellung des Erkenntnisses zu laufen. Fallbezogen endete die Revisionsfrist daher (unter Berücksichtigung der elektronischen Zustellung des Erkenntnisses am 14. Juli 2023) mit Ablauf des 25. August 2023.

24 An diesem letztgenannten Tag langte die Revision zwar beim Verwaltungsgerichtshof ein; ihre Einbringung war jedoch nach ständiger Rechtsprechung nicht fristwahrend, weil sie bei der unzuständigen Einbringungsstelle erhoben wurde und unstrittig erst nach Ablauf der Revisionsfrist (am 31. August 2023) an die zuständige Einbringungsstelle weitergeleitet worden ist (vgl. dazu etwa VwGH 15.11.2021, Ra 2021/03/0150, mwN).

25 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen.

Wien, am 15. September 2023

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