Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Schartner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr.in Zeitfogel, über die Revision des H M, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Februar 2025, I425 22533423/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DR Kongo), stellte erstmals am 7. August 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen damit begründete, dass er von kongolesischen Sicherheitskräften aufgrund des Verkaufs von militärgrüner Kleidung gefoltert worden sei.
2Mit Bescheid vom 4. März 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die DR Kongo zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte es mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit Erkenntnis vom 8. November 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG nicht zulässig sei. Die in der Folge erhobene außerordentliche Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 5. Juli 2023, Ra 2022/18/0328, zurück.
4 Am 3. September 2024 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er die DR Kongo wegen seines Gesundheitszustandes verlassen habe. Er fürchte sich vor dem dort weitverbreiteten Mpox Virus. Das Gesundheitssystem sei in der DR Kongo sehr schlecht und er habe Angst sich mit diesem Virus zu infizieren.
5Mit Bescheid vom 30. Dezember 2024 wies das BFA auch diesen Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die DR Kongo zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
6 Diesen Bescheid begründete das BFA zusammengefasst und soweit für das vorliegende Verfahren wesentlich damit, der Revisionswerber habe ein konkretes, ihn persönlich betreffendes fluchtauslösendes Ereignis nicht vorgebracht. Eine asylrelevante Verfolgung habe nicht festgestellt werden können. Der Revisionswerber leide auch an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung. Es ergebe sich für ihn keine wie immer geartete Rückkehrgefährdung.
7 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das BVwG, in der er unter Wiedergabe von Länderberichten zu seinem Herkunftsstaat und Behauptungen zu seinem Gesundheitszustand ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren insbesondere in Zusammenhang mit der vom Mpox Virus für ihn ausgehenden Gefahr rügte.
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
9 Das BVwG schloss sich in den Entscheidungsgründen zunächst der Begründung des BFA an und führte aus, der Revisionswerber habe seinen verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in der Erstbefragung und vor der belangten Behörde im Wesentlichen damit begründet, dass er Angst habe, bei einer Rückkehr in die DR Kongo „an dem Mpox Virus zu erkranken“. Dieses Vorbringen entbehre jeglicher Asylrelevanz. Zudem habe der Revisionswerber keine schweren oder lebensbedrohlichen Krankheiten glaubhaft darlegen können.
10 Darüber hinaus setzte sich das BVwG im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz mit dem Vorbringen des Revisionswerbers betreffend die für ihn vom Mpox Virus ausgehende Gefahr auseinander und traf unter Zugrundelegung der in der Beschwerde dazu zitierten Länderberichte eingehende Feststellungen zum genannten Virus. Dabei hielt es fest, dass ein allfälliges Ansteckungsrisiko mit dem Mpox Virus alle in der Herkunftsregion des Revisionswerbers lebenden Personen gleichermaßen treffe und der Revisionswerber keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Mpox Erkrankung angehöre.
11 Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung stütze das BVwG auf § 21 Abs. 7 BFA VG.
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die ihre Zulässigkeit mit der Verletzung der Verhandlungspflicht durch das BVwG begründet. Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG zur Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung würden nicht vorliegen. Anders als das BFA habe sich das BVwG mit der vom Revisionswerber behaupteten Gefahr, die sich für ihn im Falle seiner Rückkehr in die DR Kongo aus der dort verbreiteten, durch das Mpox Virus ausgelösten Krankheit ergebe, sowie mit den Länderberichten beweiswürdigend auseinandergesetzt. In Bezug auf diese, für die Entscheidung wesentlichen Aspekte habe das BVwG die verwaltungsbehördliche Beweiswürdigung nicht bloß unmaßgeblich ergänzt.
13Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat, erwogen:
14 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch berechtigt.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:
16 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung VwGH 17.7.2025, Ra 2025/14/0028, mwN).
17Schließt sich das BVwG nicht nur der Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde an, sondern zeigt darüber hinaus in seiner Beweiswürdigung noch weitere bedeutsame Aspekte auf, mit welchen es die Widersprüchlichkeit des Vorbringens begründet, nimmt es damit eine zusätzliche Beweiswürdigung vor, die dazu führt, dass das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt. Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat jedoch regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. erneut VwGH 17.7.2025, Ra 2025/14/0028, mwN).
18 Im vorliegenden Fall ergänzte das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich, indem es sich nun erstmals im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz eingehend mit dem Mpox Virus und dessen Auswirkungen unter Verweis auf die in der Beschwerde zitierten Länderberichte beweiswürdigend auseinandersetzte. Das BFA würdigte dagegen das Vorbringen des Revisionswerbers in Zusammenhang mit dem Mpox Virus lediglich im Rahmen der Prüfung des Status des Asylberichtigten. Damit lagen die oben dargestellten Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung nicht vor.
19Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier gegebendes Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. abermals VwGH 17.7.2025, Ra 2025/14/0028, mwN).
20Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen in der Revision einzugehen war.
21Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 5. September 2025