JudikaturVwGH

Ra 2025/11/0090 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
14. Oktober 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm und den Hofrat Dr. Faber sowie die Hofrätin Dr. in Oswald als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, über die Revision der Mag. (FH) B G, vertreten durch die Celar Senoner Weber Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juni 2025, Zl. W166 2304646 1/5E, betreffend Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialministeriumservice), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendung in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Bescheid vom 24. Oktober 2024 wies die belangte Behörde den Antrag der Revisionswerberin auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten nach dem Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) ab.

2 Begründend stützte sich die belangte Behörde auf ein ärztliches Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin und Pneumologie (sowie eine ergänzende Stellungnahme und ein weiteres Gutachten auf Grund der Aktenlage derselben Ärztin), welches lediglich einen Grad der Behinderung von 20 % ergeben habe.

3 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Beschwerde. Darin brachte sie u.a. vor, die Wechselwirkungen zwischen den festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen seien von der Sachverständigen nicht richtig gewichtet worden. Entgegen der Annahme der Sachverständigen befinde sie sich in psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung. Sie leide an einer ausgeprägten Belastungsreaktion und einer Anpassungsstörung, die eine engmaschige medizinische Betreuung erforderlich mache und die Bewältigung des Alltages erschwere. Die Revisionswerberin beantragte in der Beschwerde ergänzende Untersuchungen durch Sachverständige aus den Fachgebieten der Neurologie und Psychiatrie, der inneren Medizin, der Pulmologie und der Arbeitspsychologie. Insbesondere bei Einholung des beantragten Gutachtens aus dem Fachbereich der Psychiatrie und Neurologie wäre auf Grund der bestehenden depressiven Erkrankung bzw. Anpassungsstörung nach Auffassung der Revisionswerberin ein Grad der Behinderung von mehr als 50 % festzustellen gewesen.

4 Schließlich beantragte sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung der beantragten Verhandlung ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 Das Verwaltungsgericht stellte vier Funktionseinschränkungen der Revisionswerberin fest. Das führende Leiden werde durch die anderen Leiden nicht weiter erhöht, da diese nicht von maßgeblicher funktioneller Relevanz seien.

7 In seiner Beweiswürdigung stützte sich das Verwaltungsgericht auf das im verwaltungsbehördlichen Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten (samt Stellungnahme und Aktengutachten). Sodann setzte sich das Verwaltungsgericht beweiswürdigend ausführlich mit dem Beschwerdevorbringen der Revisionswerberin zu den einzelnen festgestellten Leiden und mit von ihr im verwaltungsbehördlichen Verfahren vorgelegten Befunden auseinander. Alle medizinisch nachgewiesenen Beschwerden und Leiden der Revisionswerberin seien von der fachärztlichen Sachverständigen in ihren schlüssigen und vollständigen Gutachten berücksichtigt und entsprechend der Einschätzungsverordnung (mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 20 %) beurteilt worden. Die Revisionswerberin sei den Gutachten auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.

8 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können, da der Grad der Behinderung unter Mitwirkung einer ärztlichen Sachverständigen und nach Durchführung einer persönlichen Untersuchung der Revisionswerberin eingeschätzt worden sei. Das Beschwerdevorbringen sei weder substantiiert noch geeignet gewesen, die sachverständigen Feststellungen und Beurteilungen zu entkräften. Der Sachverhalt sei daher geklärt gewesen.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Revision ist schon deswegen zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Sie ist auch begründet.

11 Nach der ständigen hg. Rechtsprechung geht es bei der Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten um ein „civil right“ im Sinn des Art. 6 EMRK, sodass die Durchführung einer Verhandlung essenziell ist. Gerade die mündliche Verhandlung, deren Durchführung nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichts steht, ermöglicht es, im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit eines Parteienvorbringens zum körperlichen Befinden, insbesondere zu Schmerzzuständen, einerseits ergänzende Fragen an die beigezogenen Sachverständigen zu stellen und andererseits auch den für die Entscheidungsfindung wesentlichen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu gewinnen. Die Einschätzung des Grades der Behinderung auf der Grundlage eines medizinischen Sachverständigengutachtens stellt auch keine Frage bloß technischer Natur dar (vgl. VwGH 2.11.2022, Ra 2020/11/0068, mwN).

12 Angesichts des sachverhaltsbezogenen Vorbringens in der Beschwerde und seiner gegenüber dem angefochtenen Bescheid ausführlichen ergänzenden Beweiswürdigung hätte das Verwaltungsgericht nicht von der beantragten mündlichen Verhandlung absehen dürfen.

13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Gemäß § 23 BEinstG war die Revision von der Eingabengebühr nach § 24a VwGG befreit.

Wien, am 14. Oktober 2025

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