Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des R A, vertreten durch Mag. Karin Fridl, Rechtsanwältin in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2024, W150 2211302 28/22E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1Zur Vorgeschichte wird zunächst auf das Erkenntnis VwGH 19.11.2020, Ro 2020/21/0015, verwiesen. Mit dieser Entscheidung hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 7. August 2020, mit dem im Rahmen einer amtswegigen Überprüfung nach § 22a Abs. 4 BFA VG das Vorliegen der für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen festgestellt worden war, wegen Überschreitung der höchstzulässigen Schubhaftdauer von 18 Monaten wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.
2 Für den vorliegenden Fall ist wesentlich, dass gegen den 1991 geborenen Revisionswerber, einen russischen Staatsangehörigen, im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des BVwG vom 9. April 2018 unter einem mit der Aberkennung des (im September 2008 zuerkannten) Status des Asylberechtigten und der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigteneine Rückkehrentscheidung erlassen wurde. Überdies wurde über den Revisionswerber, der zuletzt infolge seiner Teilnahme an Kampfhandlungen im Februar 2014 in Syrien mit Urteil vom 27. Februar 2017 wegen der Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB und der Ausbildung für terroristische Zwecke gemäß § 278e Abs. 2 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden war, ein unbefristetes Einreiseverbot verhängt.
3 Am 5. August 2021 wurde der Revisionswerber im Rahmen einer begleiteten Abschiebung in die Russische Föderation zurückgeführt. Im Sommer 2023 kehrte er entgegen dem aufrechten Einreiseverbot wieder in das österreichische Bundesgebiet zurück.
4 Nach erfolglosen Festnahmeversuchen wurde der Revisionswerber schließlich am 19. Oktober 2024 aufgrund eines vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 34 BFA VG erlassenen Festnahmeauftrags bei einem Vereinsfußballspiel, an dem der Revisionswerber teilnahm, festgenommen.
5 Sogleich nach der Festnahme stellte er einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den er in der Erstbefragung mit dem Erhalt eines Einberufungsbefehles in seiner Heimat und der Furcht vor einem Einsatz an der Kriegsfront sowie mit der Anwesenheit seiner Ehefrau und seiner Tochter in Österreich begründete. Dazu hielt das BFA mit Aktenvermerk vom 20. Oktober 2024 fest, dass „zum jetzigen Zeitpunkt“ im Sinne des § 40 Abs. 5 BFA VG Gründe zur Annahme bestünden, dass dieser Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden sei. Dies begründete das BFA unter anderem damit, dass sich der Revisionswerber, der bereits in der Vergangenheit erfolglose Asylanträge gestellt habe, nach seiner Wiedereinreise rund ein Jahr lang im Bundesgebiet aufgehalten und den Folgeantrag dennoch erst nach seiner Festnahme gestellt habe, obwohl bei einer tatsächlichen Bedrohung im Herkunftsstaat eine proaktive Antragstellung ohne unnötigen Aufschub zu erwarten gewesen wäre. Der Revisionswerber habe die Russische Föderation legal über den Flughafen wieder verlassen können und befinde sich nicht mehr im wehrpflichtigen Alter, wobei keine Hinweise auf eine Teilnahme russischer Grundwehrdiener an Kampfhandlungen in der Ukraine vorlägen.
6Mit sofort in Vollzug gesetztem Mandatsbescheid vom 22. Oktober 2024 verhängte das BFA über den Revisionswerber dann gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.
7 Zwei Tage später trat der Revisionswerber in einen Hungerstreik.
8 Die gegen den Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 17. November 2024 als unbegründet ab, und es stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFAVG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen. Gemäß § 35 Abs. 1 und 3 VwGVG verpflichtete es den Revisionswerber zum Aufwandersatz an den Bund. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als nicht zulässig erweist.
10 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
12 Unter diesem Gesichtspunkt wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision das Fehlen von Rechtsprechung zur Frage geltend gemacht, ob die Abschiebung von Personen in einen Staat zulässig sei, in dem der Abgeschobene gegen seinen Willen in eine Kampfeinheit zur Begehung von Kriegsverbrechen im Rahmen eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs eingezogen werden könne. In diesem Kontext rügt die Revision, dass das BVwG die im Folgeantrag vorgebrachten neuen Fluchtgründe des Revisionswerbers schlichtweg ignoriert und sich nicht mit dem Vorbringen auseinandergesetzt habe, dass der Revisionswerber sowohl nach der Ankunft in der Russischen Föderation infolge seiner Abschiebung im August 2021 als auch aufgrund seiner Weigerung, freiwillig zum Militär zu gehen, im Juli 2023 gefoltert worden sei. Stattdessen habe das BVwG angemerkt, nicht ausschließen zu können, dass der Ukrainekrieg auf Betreiben des im Entscheidungszeitpunkt neugewählten US-Präsidenten, dessen zentrales Wahlversprechen die Beendigung dieses Krieges gewesen sei, früher enden werde als bislang angenommen.
13 Den vorgelegten Einberufungsbefehl habe das BVwG weder übersetzen noch einer Echtheitsüberprüfung etwa durch das Bundeskriminalamt unterziehen lassen, und auch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Objektivierung der Herkunft der durch die Folter erlittenen Verletzungen, die der Revisionswerber auf Fotos dokumentiert habe, sei unterblieben. Die beantragten Zeugen, die womöglich Auskunft über die Frage der angeblichen Gefährlichkeit und Radikalisierung des Revisionswerbers hätten geben können, seien nicht einvernommen und das Protokoll der Sicherheitspolizeilichen Konferenz, aus dem sich das Fehlen einer Gefährdung durch den Revisionswerber und seine Vertrauenswürdigkeit hätten ableiten lassen, nicht beigeschafft worden.
14 In Anbetracht der Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung der Revision über die Situation des Revisionswerbers im Herkunftsstaat im Falle seiner Abschiebung ist Folgendes vorauszuschicken:
15 Die hier zu beurteilende Schubhaft wurde nachdem die Festnahme trotz des unmittelbar danach gestellten Folgeantrags gemäß § 40 Abs. 5 BFA VG aufrechterhalten worden warauf der Grundlage des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestützt.
16 In dieser Konstellation bedarf die Verhängung von Schubhaft neben der Fluchtgefahr und der Verhältnismäßigkeit ergänzend des in § 40 Abs. 5 BFAVG angesprochenen missbräuchlichen Verhaltens, dass also der Antrag auf internationalen Schutz „einzig und allein“ zu dem Zweck gestellt wurde, den Vollzug der Rückführungsentscheidung zu verzögern oder zu gefährden (vgl. dazu VwGH 23.6.2022, Ra 2021/21/0270, Rn. 18, mwN).
17In dieser Hinsicht hatte das BVwG eine (inhaltliche) Grobprüfung des Antrags auf internationalen Schutz insofern vorzunehmen, als sich daraus Schlüsse auf die Motivation für die Antragstellung ableiten ließen (vgl. zur Übertragung der zu § 76 Abs. 6 FPG angestellten Überlegungen auf die in § 40 Abs. 5 BFAVG geregelte Konstellation des Näheren VwGH 27.8.2020, Ro 2020/21/0003, Rn. 20, mwN).
18 Dem entsprechend begründete das BVwG die Annahme der Missbrauchsabsicht wie bereits das BFA im Aktenvermerk vom 20. Oktober 2024 insbesondere „mit den äußeren Umständen der Antragstellung“, nachdem der Revisionswerber ungeachtet seines mehr als einjährigen Aufenthaltes seit seiner Wiedereinreise in das österreichische Bundesgebiet im Sommer 2023 erst nach der Festnahme am 19. Oktober 2024 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte. Abgesehen vom behaupteten Einberufungsbefehl habe der Revisionswerber selbst in der mündlichen Verhandlung keinen „wirklich neuen Grund“ für seinen neuerlichen Antrag nennen können. Nach Darlegung einer Unstimmigkeit im Vorbringen des Revisionswerbers zum Einberufungsbefehl ging das BVwG ferner davon aus, es sei lebensfremd, dass der nach eigenen Angaben vielfach durch Angehörige des russischen Geheimdienstes und von „Kadyrov Leuten“ eingehend befragte Revisionswerber trotz aufrechten bzw. missachteten Einberufungsbefehls ungehindert auf dem Luftweg das Land hätte verlassen können. Die Fluchtschilderung erscheine daher unglaubwürdig. Gleiches gelte für die behaupteten Folterungen, wobei die vorgelegten Fotos keine Auskunft geben könnten, wann und wodurch diese Verletzungen zustande gekommen seien. Deshalb gelange das BVwG wie schon das BFA zur Auffassung, der gegenständliche Folgeantrag sei in der Absicht gestellt worden, die Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verzögern bzw. zu verhindern.
19 Unter Bedachtnahme auf diese Begründung, der in der Zulässigkeitsbegründung der Revision argumentativ nicht ausreichend konkret entgegengetreten wird, kann keine Rede davon sein, dass das BVwG die mit dem Folgeantrag geltend gemachten Fluchtgründe des Revisionswerbers und den Einberufungsbefehl wie die Revision vorbringt schlicht ignoriert habe. Die in der Revision kritisierten spekulativen Anmerkungen des BVwG über die Dauer des Krieges erweisen sich dabei als nicht tragend.
20Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf bei Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 76 Abs. 6 FPG vor allem auch berücksichtigt werden, ob der nunmehrige Asylwerber schon früher Gelegenheit gehabt hätte, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, weil diese Tatsache nach Art. 8 Abs. 3 lit. d der AufnahmeRL ausdrücklich zu den objektiven Kriterien für die Annahme einer Verzögerungs- oder Vereitelungsabsicht zählt (vgl. etwa VwGH 11.4.2024, Ra 2022/21/0169, Rn. 20). In Anbetracht des sehr langen Zeitraums, in dem der Revisionswerber trotz Gelegenheit dazu keinen Antrag auf internationalen Schutz stellte, um erst in Reaktion auf die Festnahme eine asylrelevante Verfolgung geltend zu machen, zeigt die Revision fallbezogen nicht auf, dass die nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Verwertung des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vorgenommene Beweiswürdigung des BVwG zur Frage der Missbrauchsabsicht bei der Folgeantragstellung unvertretbar gewesen wäre.
21An diesem Ergebnis vermögen auch die behaupteten Verfahrensmängel nichts zu ändern. Dies gilt zum einen für das gerügte Unterbleiben der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Klärung der Herkunft der auf Fotos dokumentierten Verletzungen des Revisionswerbers, weil ein derartiges Gutachten in einem Fall wie dem vorliegenden nicht geeignet wäre, über die Frage, im Zuge welcher Ereignisse der Revisionswerber die Verletzungen erlitten haben mag, und damit über die Nachvollziehbarkeit des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers Aufklärung zu geben (vgl. etwa VwGH 25.1.2022, Ra 2021/19/0128 bis 0130, Rn. 21, mwN). Auch wurde den Ausführungen des BFA, dass einberufenen Grundwehrdienern kein Einsatz an der Front drohe, nicht konkret entgegengetreten.
22 Soweit die Beweisanträge zum anderen wie auch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich dargelegtauf den Nachweis, dass vom Revisionswerber keine tatsächliche und erhebliche Gefahr ausgehe, gerichtet waren, genügt der Hinweis, dass gemäß § 76 Abs. 2 letzter Satz FPG in den Fällen des § 40 Abs. 5 BFAVG die Schubhaft keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit voraussetzt. Im Übrigen war die Abweisung dieser Beweisanträge auch für die Frage der Fluchtgefahr nicht entscheidungswesentlich, weil sich das BVwG in dieser Hinsicht ausreichend auf das Vorliegen der weiteren, Fluchtgefahr indizierenden Tatbestände des § 76 Abs. 3 Z 2 und 5 (erster und zweiter Fall) FPG stützen konnte.
23 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG aufgezeigt. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 9. September 2025