Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr. Holzinger als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des M B, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. November 2022, I416 2258077 1/9E, betreffend Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der 1981 geborene Revisionswerber ist serbischer Staatsangehöriger. Er ist seit 18. Juli 2016 im Bundesgebiet durchgehend aufhältig. Am 9. August 2016 heiratete der Revisionswerber eine rumänische Staatsangehörige, die von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hatte. Aufgrund dieser Eheschließung wurde dem Revisionswerber am 27. Oktober 2016 eine Aufenthaltskarte mit fünfjähriger Gültigkeitsdauer ausgestellt. Am 3. September 2021 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Verlängerung dieser Aufenthaltskarte.
2 Im Zuge dieses Verfahrens kam hervor, dass die Ehe des Revisionswerbers bereits seit 18. Dezember 2017 rechtskräftig geschieden ist. Der Revisionswerber ist seit 3. Jänner 2019 mit einer serbischen Staatsangehörigen verheiratet, mit der er zwei im September 2015 geborene Kinder hat. Die Ehefrau und die Kinder des Revisionswerbers leben ebenso wie weitere Familienangehörige in Serbien. In Österreich leben zwei Schwestern sowie die Mutter des Revisionswerbers.
3 Der Revisionswerber ist seit 29. März 2017 mit zwei Unterbrechungen von insgesamt wenigen Wochen in Österreich erwerbstätig. Seit 23. September 2019 ist er als Hausmeister an einer Schule beschäftigt.
4 Im Verfahren über den Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltskarte informierte der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz als zuständige Niederlassungsbehörde den Revisionswerber mit Schreiben vom 4. Dezember 2021 darüber, dass infolge der Scheidung im Jahr 2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eine „Überprüfung seines Aufenthaltsstatus nach § 55 Abs. 3 NAG“ eingeleitet werde.
5 Mit Bescheid vom 2. Juni 2022 erließ das BFA gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA VG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei, und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
6 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 17. November 2022 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
7 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit dem Beschluss VfGH 15.3.2023, E 3414/2022 7, ablehnte und unter einem die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
8 Die in der Folge fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision erweist sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig.
9 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
11 Zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision wendet sich der Revisionswerber lediglich gegen die vom BVwG nach § 9 BFA VG durchgeführte Interessenabwägung und macht insbesondere geltend, das BVwG hätte die Beziehungen zu seinen in Österreich lebenden Familienangehörigen und seine berufliche Integration (mehr) berücksichtigen müssen.
12 Dazu ist vorauszuschicken, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage beruht und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt ist nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B VG ist (vgl. etwa VwGH 29.6.2023, Ra 2021/21/0078, Rn. 11, mwN).
13 Fallbezogen nahm das BVwG im Rahmen der Interessenabwägung entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung auf die privaten Bindungen des Revisionswerbers in Österreich ausreichend Bedacht. Es führte aus, dass die privaten Beziehungen des Revisionswerbers (offenbar gemeint: zur Mutter und den Schwestern sowie zu Arbeitskollegen) durch seine Rückkehr nach Serbien zwar gelockert würden, jedoch nichts darauf hindeute, dass der Revisionswerber gezwungen würde, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm derzeit in Österreich nahe stünden, gänzlich abzubrechen. Es stehe ihm frei, die Kontakte anderweitig aufrecht zu erhalten.
14 Auch berücksichtigte das BVwG die Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers sowie den Umstand, dass er über eine Kranken und Sozialversicherung verfüge und sein Aufenthalt derzeit zu keiner Belastung einer Gebietskörperschaft führe. In diesem Zusammenhang ist dem Revisionswerber zwar zuzugestehen, dass das BVwG offenbar rechtsirrig davon ausging, dass aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die (öffentlichen) Interessen des inländischen Arbeitsmarktes nicht von Art. 8 EMRK umfasst sind (Hinweis u.a. auf VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, Rn. 48), abzuleiten sei, dass eine berufliche Integration des Revisionswerbers „lediglich gemindert zu berücksichtigen“ wäre. Allerdings führte das BVwG zutreffend aus, dass die Dauer des Aufenthaltes des Revisionswerbers dadurch gemindert sei, dass die Länge seines Aufenthaltes im Bundesgebiet letztlich auf der Nichtbekanntgabe seiner bereits ein Jahr nach der Eheschließung erfolgten Scheidung gründet. Es ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden, wenn das BVwG auch die berufliche Integration des Revisionswerbers, die schon aufgrund des Zeitverlaufs zu einem deutlich überwiegenden Teil nach der Ehescheidung erfolgte, iSd § 9 Abs. 2 Z 8 BFA VG als entscheidend relativiert erachtete (zu einer vergleichbaren Konstellation siehe etwa VwGH 26.7.2022, Ra 2021/21/0361, Rn. 16, mwN).
15 Vor dem Hintergrund der vom BVwG zutreffend bloß als relativiert angesehenen privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich sowie der ebenfalls vom BVwG ins Treffen geführten und in der Revision auch nicht in Zweifel gezogenen besonders starken Bindungen des Revisionswerbers nach Serbien, wo er bis zu seiner Aufenthaltnahme in Österreich gelebt hatte und wo nach wie vor seine Ehefrau und seine Kinder leben, erweist es sich als jedenfalls nicht unvertretbar, dass das BVwG nach mündlicher Verhandlung und unter Verwertung des persönlichen Eindrucks davon ausging, dass die öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet dessen persönliches Interesse an einem Verbleib überwiegen.
16 In der Revision, in der ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Hinblick auf die gegenständliche Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 FPG (anstelle einer Ausweisung nach § 66 FPG) und eine dadurch bewirkte Rechtsverletzung nicht geltend gemacht werden, werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 27. September 2023