JudikaturVwGH

Ra 2024/18/0710 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
22. September 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des F A, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2024, W228 2294567 1/9E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Syriens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, stellte am 26. Juli 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Verlauf des Verfahrens im Wesentlichen damit begründete, dass er in seinem Heimatland von der Wirtschaftspolizei verfolgt werde und Angst um sein Leben habe, da er als Geschäftsmann im Bereich Großhandel tätig gewesen sei und mit US Dollar gehandelt habe, was in Syrien ohne Ausnahmegenehmigung verboten sei.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 22. Mai 2024 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Begründend stellte das BVwG zu den Fluchtgründen fest, der Revisionswerber habe in Syrien seit dem Jahr 2012 bei der Firma A. gearbeitet. Er sei dort in leitender Funktion im Bereich Import und Export von Lebens und Grundreinigungsmitteln tätig und für alle Aufträge betreffend den Import dieser Produkte und den Weiterverkauf an die Großhändler verantwortlich gewesen. Da die syrische Währung an Wert verloren habe, seien die Geschäfte ab den Jahren 2017/2018 in US Dollar durchgeführt worden. Das Geld von den Großhändlern sei in bar kassiert worden, in weiterer Folge in Kartons eingepackt, in das Lager gebracht und dort gezählt worden. Ein Teil des Geldes sei gleich für Löhne und Gehälter ausbezahlt worden, mit einem weiteren Teil seien Rechnungen beglichen und wieder ein weiterer Teil sei in eine fremde Währung umgewandelt worden. Die Firma A. habe keine Ausnahmegenehmigung, um Waren mit Devisen zu kaufen bzw. zu verkaufen. Da der Handel mit Devisen in Syrien verboten sei, hätten die syrischen Behörden begonnen, den von der Firma A. betriebenen Devisenhandel zu beobachten. Im März 2023 sei einer der dem Revisionswerber unterstellten Angestellten angehalten und festgenommen worden. Einige Tage später sei der Revisionswerber ebenfalls von den syrischen Behörden kontaktiert und zu einer Vorsprache geladen worden. Im Zuge dieser Vorsprache sei der Revisionswerber befragt worden und ihm sei der nicht erlaubte Umgang mit Devisen in großem Ausmaß vorgeworfen worden. Der Revisionswerber sei schließlich aufgefordert worden, 10.000 Dollar zu bezahlen, damit die Ermittlungen gegen ihn eingestellt werden würden. Der Revisionswerber habe zugestimmt und das Geld bezahlt. Eine konkrete Strafe für den unterstellten unerlaubten Devisenhandel sei dem Revisionswerber nicht angedroht worden. Der Revisionswerber sei im Zuge dieser Befragung nicht geschlagen bzw. gefoltert worden. Ebenso sei dem Revisionswerber im Zuge dieser Befragung nicht vorgeworfen worden, dass er mit diesem Geld die Opposition unterstütze und finanziere bzw. für die Amerikaner und Israel arbeite. Da der Revisionswerber im Juli 2023 von den syrischen Behörden erneut eine Vorladung zur Vorsprache erhalten habe und er davon ausgegangen sei, dass er neuerlich zur Zahlung eines Geldbetrages aufgefordert werden würde, habe er Syrien schließlich verlassen.

5 Beweiswürdigend führte das BVwG aus, die Feststellungen zur Tätigkeit des Revisionswerbers bei der Firma A., zum unerlaubten Handel mit Devisen und der mangelnden Ausnahmegenehmigung würden sich jeweils aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des Revisionswerbers ergeben. Dass der Handel mit Devisen in Syrien verboten sei, ergebe sich aus den (näher angeführten) Länderberichten. Den Angaben des Revisionswerbers sei weiters dahin zu folgen, dass er von den Behörden kontaktiert und wegen des unerlaubten Hantierens mit Devisen zu einer Vorsprache geladen worden sei. Hingegen könne dem Vorbringen, wonach der Revisionswerber im Zuge dieser Befragung drei Tage in Haft gewesen, geschlagen bzw. gefoltert worden und ihm vorgeworfen worden sei, dass er mit dem Geld aus seinen Geschäften die Opposition unterstütze und finanziere bzw. er für die Amerikaner und Israel arbeite, nicht gefolgt werden. So habe der Revisionswerber in der Verhandlung vor dem BVwG die Frage, ob er durch die Folterungen bleibende Verletzungen davongetragen habe, verneint. Es sei jedoch davon auszugehen, dass hätten die syrischen Behörden dem Revisionswerber aufgrund seiner Tätigkeit tatsächlich unterstellt, für die Opposition zu arbeiten die Folter in einem solchen Ausmaß erfolgt wäre, dass sie bleibende Verletzungen nach sich gezogen hätte. Abgesehen davon habe der Revisionswerber zu seiner angeblichen dreitägigen Haft vor dem BFA angegeben, er habe nichts zu essen bekommen, „nur schmutziges Wasser“. Im Widerspruch dazu habe er vor dem BVwG ausgeführt, es habe gekochte Kartoffeln gegeben. Zuletzt sei darauf zu verweisen, dass die Frau und der Sohn weiterhin in Damaskus lebten, obwohl mit der Vergewaltigung beider gegenüber dem Revisionswerber gedroht worden sei, „was im Falle eines tatsächlichen Bestehens einer solchen Bedrohungslage unverständlich wäre“.

6 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Verwaltungsgericht daraus, dass der Revisionswerber tatsächlich Probleme mit den syrischen Behörden wegen des unerlaubten Umgangs mit Devisen gehabt habe. Da dem Revisionswerber keine konkrete Strafe betreffend den unterstellten Devisenhandel genannt worden sei, liege der Schluss nahe, dass die syrischen Behördenvertreter es hauptsächlich auf die Bestechungsgelder in Devisenform angelegt hätten. Der Revisionswerber habe hingegen nicht glaubhaft machen können, dass ihm im Zuge seiner Befragung durch die syrische Behörde vorgeworfen worden sei, dass er mit dem Geld aus dem Devisenhandel die Opposition unterstütze und finanziere bzw. er für die Amerikaner und Israel arbeite. Die Verfolgung des Revisionswerbers durch die syrischen Behörden erfolge sohin nicht aufgrund einer (ihm unterstellten) oppositionellen Gesinnung, sondern ausschließlich aus dem Grund, dass der Revisionswerber illegal mit Devisen gehandelt habe und die Behörden darin eine Möglichkeit gesehen hätten, Bestechungsgelder von ihm zu bekommen. Gerade bei der Unterstellung von oppositioneller Gesinnung wäre nach den Länderinformationen mit Folter und bleibenden Folterspuren beim Revisionswerber zu rechnen und auch mit der Umsetzung der Drohungen gegenüber Frau und Sohn. Beides sei jedoch nicht der Fall gewesen. Es liege daher gegenständlich kein Konnex zu einem der in Art. 1 A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Konventionsgründe vor.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit geltend macht, das angefochtene Erkenntnis erweise sich auf der Ebene der Beweiswürdigung als unschlüssig und weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an die Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen ab. Das BVwG hätte davon ausgehen müssen, dass ein Konnex zwischen den dem Revisionswerber widerfahrenen und ihm noch drohenden Verfolgungshandlungen und dem Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung gegeben sei, da jede Weigerung oder das Unvermögen des Revisionswerbers, weitere Bestechungsgelder zu bezahlen, zu Gewalthandlungen des Regimes gegenüber ihm und seinen Familienmitgliedern führen würde und zu einem Akt des (zu brechenden) Widerstands gegen ihre Politiken und Verfahren verstanden würde.

8 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und begründet.

10Vorauszuschicken ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sachund Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist (vgl. etwa VwGH 7.8.2025, Ra 2024/18/0486, mwN). Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren.

11Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. erneut z.B. VwGH 7.8.2025, Ra 2024/18/0486, sowie grundlegend VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).

12Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen. Nach der höchstgerichtlichen Judikatur verlangt eine schlüssige Beweiswürdigung, dass das Verwaltungsgericht dabei alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. z.B. VwGH 3.3.2025, Ra 2024/18/0064, mwN).

13 Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das BVwG seine Begründungspflicht verletzt.

14 Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass die Einschätzung des BVwG, dem Revisionswerber drohe trotz des Vorwurfs des nicht erlaubten Umgangs mit Devisen im großen Ausmaß keine Verfolgung durch das syrische Regime, nur mangelhaft begründet wurde.

15 Das BVwG ging im Revisionsfall obgleich es das Fluchtvorbringen wie oben dargestellt weitgehend als glaubhaft beurteilte davon aus, die syrischen Behörden seien lediglich an der Eintreibung von Bestechungsgeldern interessiert gewesen. Der Revisionswerber sei entgegen dessen Vorbringen im Zuge seiner Befragung weder geschlagen bzw. gefoltert worden, noch sei ihm vorgeworfen worden, er unterstütze mit dem aus dem Devisenhandel erwirtschafteten Geld die Opposition bzw. arbeite für die Gegner des syrischen Regimes. Diese Annahme stützte es wie die Revision zurecht beanstandet ganz überwiegend auf das Argument, die behauptete Folter hätte bleibende Verletzungen nach sich ziehen bzw. schwerwiegender ausfallen müssen, wenn die syrischen Behörden dem Revisionswerber tatsächlich unterstellt hätten, für die Opposition zu arbeiten.

16 Dies allein lässt aber den gezogenen Schluss schon deshalb nicht zu, weil das BVwG nicht erläutert, woher es den angenommenen Erfahrungssatz, jede Folter müsse bleibende Verletzungen nach sich ziehen, genommen hat. Abgesehen davon glaubt das BVwG, dass der Revisionswerber trotz Zahlung der geforderten Geldleistung erneut vorgeladen worden sei; warum er im Zuge einer weiteren Befragung keiner Foltergefahr unterliegen sollte (siehe dazu gleich die in den Länderberichten dokumentierte Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden), erklärt eine allenfalls in der Vergangenheit unterbliebene Folter nicht.

17 Zudem unterstellt es dem syrischen Regime wie die Revision zurecht ins Treffen führt eine gewisse Rationalität in seinem Handeln, die aus den im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Länderfeststellungen nicht abgeleitet werden kann, ergibt sich daraus doch unter anderem, dass sich die Risiken politischer Oppositionstätigkeit nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung beschränken würden. Die seit Beginn des Konflikts dokumentierten zahllosen Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, sexualisierter Gewalt, Folter und Tötung im Gewahrsam der Sicherheitskräfte sowie Mordanschlägen, stünden immer wieder in offensichtlichen Zusammenhängen zu regimekritischen Tätigkeiten der Betroffenen. Auch gebe es weder Rechtssicherheit noch Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, bleibe für Einzelne unvorhersehbar. Personen, die unter dem Verdacht stünden, sich oppositionell zu engagieren oder als regimekritisch wahrgenommen würden, unterlägen einem besonders hohen Folterrisiko (vgl. etwa Seite 7 des angefochtenen Erkenntnisses).

18 Dass eine angedrohte Vergewaltigung der Familienangehörigen nicht vollzogen worden sei, bezeichnet das BVwG „im Falle eines tatsächlichen Bestehens einer solchen Bedrohungslage [als] unverständlich“. Es erläutert aber nicht, weshalb es davon ausgeht, dass die zur Erzwingung eines bestimmten Verhaltens des Revisionswerbers gesetzten Drohungen auch nach seiner Flucht aus Syrien umgesetzt hätten werden sollen.

19 Soweit das BVwG schließlich einen Widerspruch in den Angaben des Revisionswerbers zu seiner Versorgung im Zuge der behaupteten dreitägigen Haft darin erkennen möchte, dass er vor dem BFA angeführt habe, er habe nichts zu essen bekommen, während er vor dem BVwG auf gekochte Kartoffeln verwiesen habe, stützt es sich auf einen einzelnen Aspekt, der den geltend gemachten Fluchtgrund des Revisionswerbers nicht im Kern betrifft und daher für die Lösung einer der entscheidenden Fragen des Falles, nämlich ob die dreitägige Haft tatsächlich stattgefunden hat, nur geringen Beweiswert hat.

20 Die Beweiswürdigung des BVwG erweist sich damit wie die Revision zutreffend aufzeigt als mangelhaft begründet.

21Aufgrund dieser wesentlichen Begründungsmängel war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen eingegangen werden musste.

22Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. September 2025