JudikaturVwGH

Ra 2024/14/0651 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
16. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Marzi als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Janitsch, über die Revision 1. des F A, 2. der H A, 3. des A A (alias A A), 4. des D A (alias D A), und 5. der M A, alle vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum und Mag. a Andrea Blum, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. Mai 2024, 1. L519 2285724 1/6E, 2. L519 2285727 1/7E, 3. L519 2285719 1/5E, 4. L519 2285722 1/5E und 5. L519 22857251/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Erstrevisionswerber ist mit der Zweitrevisionswerberin verheiratet, sie sind die Eltern der minderjährigen zwischen 2015 und 2023 geborenen dritt bis fünftrevisionswerbenden Parteien. Alle sind Staatsangehörige des Irak, Zugehörige der Volksgruppe der Araber und muslimischen Glaubens.

2 Die erstbis viertrevisionswerbenden Parteien stellten jeweils am 2. Juli 2021 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Diese begründeten sie im Wesentlichen damit, der Erstrevisionswerber sei von der Miliz „Asa’ib al Haq“ aufgrund seiner Demonstrationsteilnahmen im Herkunftsstaat bedroht und die Zweitrevisionswerberin von diesen geschlagen und bestohlen worden. Zudem sei der Bruder des Erstrevisionswerbers bei einer Demonstration getötet worden. Aus Angst vor dieser Miliz hätten sie den Irak verlassen. Die Dritt und Viertrevisionswerber machten keine eigenen Fluchtgründe geltend.

3Am 14. Oktober 2021 wurden die Asylverfahren gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt; nach Rücküberstellung der erst bis viertrevisionswerbenden Parteien aus Deutschland im Juli 2022 wurden die Asylverfahren fortgesetzt.

4 Zu Beginn des Jahres 2023 wurde die Fünftrevisionswerberin geboren, für welche ihre Eltern in der Folge ebenfalls ohne Geltendmachung eigener Fluchtgründeeinen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 stellten.

5 Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30. November 2023 wurden jeweils die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen, jeweils kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), jeweils festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.) und je eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

6 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

7 Mit Beschluss vom 17. September 2024, E 2351 2355/2024 9, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse erhobenen Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurden die gegenständlichen außerordentlichen Revisionen eingebracht.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Die revisionswerbenden Parteien wenden sich in der Begründung für die Zulässigkeit der Revision (gerade noch) erkennbar gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten und die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) erfolgte Interessenabwägung und machen in diesem Zusammenhang Ermittlungs und Begründungsmängel geltend.

12 Sofern die revisionswerbenden Parteien zunächst vorbringen, das BVwG habe sich mit der besonderen Vulnerabilität der minderjährigen drittbis fünfrevisionswerbenden Parteien nicht auseinandergesetzt und veraltete Länderinformationen zur Situation von Kindern im Irak herangezogen, machen sie Verfahrensmängel geltend. Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass das BVwG seinen Entscheidungen das im Entscheidungszeitpunkt aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 28. März 2024, Version 8, zugrunde gelegt hat. Es hat sich mit der Situation bei Rückkehr der gesamten Familie, welche gemäß den Ausführungen des BVwG weiterhin über umfangreiche familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft verfüge, sowie dem Alter und den Sprachkenntnissen der minderjährigen revisionswerbenden Parteien auseinandergesetzt. Mit dem lediglich pauschalen Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung, welches keine konkreten Berichte zur Lage von Kindern im Irak anführt, gelingt es den revisionswerbenden Parteien nicht darzutun, dass diese Ausführungen mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären (vgl. zum Erfordernis der Relevanzdarlegung bei Verfahrensmängeln etwa VwGH 10.10.2024, Ra 2024/14/0369 bis 0374, mwN).

13Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurdenicht revisibel (vgl. VwGH 23.10.2024, Ra 2024/20/0554, mwN).

14Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. § 9 BFAVG vorzunehmenden Abwägung auch das Kindeswohl der minderjährigen revisionswerbenden Parteien in Betracht zu ziehen. Dabei sind insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen die Kinder im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. VwGH 13.12.2023, Ra 2023/18/0436 bis 0442, mwN).

15 Mit dem allgemeinen Verweis auf Länderberichte zum Irak und das Alter der dritt bis fünftrevisionswerbenden Parteien vermögen es die erst seit ihrer Rücküberstellung aus Deutschland im Juli 2022 wieder im Bundesgebiet aufhältigen erst bis viertrevisionswerbenden Parteien bzw. die erst 2023 geborene Fünftrevisionswerberin nicht, eine derartige Unvertretbarkeit der vom BVwG durchgeführten umfassenden Interessenabwägung, in welcher es sich auch hinreichend mit der Situation der drittbis fünftrevisionswerbenden Parteien unter dem Aspekt des Kindeswohls auseinandergesetzt hat, darzutun (vgl. zur grundsätzlichen Anpassungsfähigkeit eines knapp über Zehnjährigen VwGH 18.3.2021, Ra 2020/20/0451, sowie überdies VwGH 3.5.2018, Ra 2018/18/0195 bis 0199, mwN, wonach für Kinder im Alter von sieben und elf Jahren eine Anpassungsfähigkeit grundsätzlich angenommen werden kann).

16 Werden Verfahrensmängel wie hier Ermittlungsmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auf das Wesentliche zusammengefasstjene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. neuerlich VwGH 10.10.2024, Ra 2024/14/0369 bis 0374, mwN). Eine solche konkrete und fallbezogene Relevanzdarstellung enthält die Revision auch mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen in Bezug auf fehlende Ermittlungen im Herkunftsstaat sowie die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens nicht. Insbesondere verabsäumt sie es, konkret auszuführen, welche Feststellungen zu treffen gewesen wären und aufgrund welcher Umstände diese zu einer anderen Entscheidung hätten führen können.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 16. Dezember 2024