Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des K S, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 2020, W220 2184548 1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der minderjährige Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Indiens, stellte am 12. August 2016 durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin und gemeinsam mit dieser einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund brachte die Mutter des Revisionswerbers vor, dass sie einen Freund gehabt und ihre Hochzeit mit diesem nach ihrer von den Eltern arrangierten Eheschließung abgesagt habe. Dieser Freund habe mit vielen Männern ihren Ehemann angegriffen sowie sie mehrfach damit bedroht, den Revisionswerber umzubringen und sie zu entführen.
2 Mit Bescheid vom 30. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ebenso wie jenen seiner Mutter ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision, die sich ausschließlich gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wendet, bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das Bundesverwaltungsgericht sei dem Beweisantrag auf Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens nicht nachgekommen, ohne dies hinreichend zu begründen.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa VwGH 26.8.2019, Ra 2019/20/0375, mwN).
9 Das Bundesverwaltungsgericht ist dem Beweisantrag des Revisionswerbers mit der Begründung nicht nachgekommen, dass es in diesem einen unzulässigen Erkundungsbeweis sehe und das Beweisthema nicht konkret umschrieben worden sei.
10 Der Revisionswerber brachte in seinem Beweisantrag vor, die Einholung des kinderpsychologischen Gutachtens diene der Beantwortung der Frage, welche Auswirkungen es auf die Entwicklung des Revisionswerbers hätte, aus seinem Umfeld gerissen zu werden, und was seinem Wohl entspreche. Damit zeigte der Revisionswerber jedoch nicht auf, zum Beweis welcher konkreten Tatsachen das Gutachten dienen hätte sollen. Vielmehr mutmaßt der Revisionswerber mit dieser Umschreibung des Beweisthemas, dass die Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens ein Interesse des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet belegen könnte. Ein bloß allgemeines Vorbringen, das aus Mutmaßungen besteht, läuft nach der Rechtsprechung in der Regel auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus, zu dessen Aufnahme das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet ist (vgl. etwa VwGH 17.9.2019, Ra 2019/18/0332, mwN).
11 Vor diesem Hintergrund ist die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, den beantragten Beweis nicht aufnehmen zu müssen, somit nicht zu beanstanden.
12 Soweit sich die Revision gegen das Ergebnis der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Interessenabwägung wendet, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs eine im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 29.1.2021, Ra 2020/20/0153, mwN).
13 Der Revisionswerber rügt in diesem Zusammenhang, das Bundesverwaltungsgericht habe Art. 1 BVG über die Rechte von Kindern außer Acht gelassen sowie die derzeitige Entwicklung und die mögliche Beeinträchtigung aufgrund einer Abschiebung und Trennung von der Vaterfigur, Herrn S. (Ehemann der Unterkunftgeberin), nicht bedacht.
14 Das Bundesverwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass sich der minderjährige Revisionswerber seit etwa vier Jahren im Bundesgebiet aufhalte, hier in die Schule gehe, gute Deutschkenntnisse aufweise, enge soziale Bindungen, insbesondere zum Ehemann der Unterkunftgeberin habe und der Eingriff in das Privatleben des Revisionswerbers schwer wiege. Dennoch sei festzuhalten, dass sich der gesunde Minderjährige in einem anpassungsfähigen Alter befinde, die ersten sechs Jahre seines Lebens in Indien verbracht habe und auch in Österreich im Familienverband mit seiner in Indien sozialisierten Mutter und einer Familie indischer Herkunft aufwachse. Er sei mit den kulturellen Gepflogenheiten Indiens vertraut und es sei ihm die Eingliederung in die indische Gesellschaft mit Hilfe seiner Familie möglich. Die Mutter des Revisionswerbers verfüge in Indien über zahlreiche Familienangehörige, insbesondere auch ihren Ehemann und Vater des Revisionswerbers. Er könne den Kontakt mit seinen derzeitigen Unterkunftgebern über elektronische Kommunikationsmittel sowie Besuche aufrechterhalten. Unzumutbare Härten könnten in einer Rückkehr des Revisionswerbers nicht erkannt werden. Seine Mutter und er verfügten über mehr Anknüpfungspunkte in ihrem Herkunftsstaat, als dies in Österreich der Fall sei. Seine Existenz sei durch seine Mutter gesichert. Einer Rückkehr in den Herkunftsstaat stehe in Anbetracht der aufgezeigten Umstände, insbesondere des weiteren Zusammenlebens im Familienverband mit seiner Mutter, auch nicht das Kindeswohl entgegen.
15 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich damit hinreichend mit der Situation des Revisionswerbers, auch unter dem Aspekt des Kindeswohls, auseinandergesetzt. Es hat im Rahmen der Interessenabwägung auf die fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände und insbesondere auf das anpassungsfähigen Alter des mittlerweile knapp über zehnjährigen Revisionswerbers Bedacht genommen (vgl. etwa VwGH 3.5.2018, Ra 2018/18/0195 bis 0199, mwN, wonach für Kinder im Alter von sieben und elf Jahren eine Anpassungsfähigkeit grundsätzlich angenommen werden kann).
16 Der Revisionswerber zeigt nicht auf, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung stelle sich nicht als unverhältnismäßig dar, mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit belastet wäre.
17 Wenn in der Revision ganz allgemein die Nichtbeachtung des Art. 1 BVG über die Rechte von Kindern gerügt wird und sich das diesbezügliche Zulässigkeitsvorbringen im Wesentlichen auf die Frage konzentriert, „inwieweit dieses BVG mitsamt der ‚vorrangigen‘ Erwägung des Kindeswohls überhaupt Anwendung finde bzw. wie eine solche Vorrangigkeit auszusehen habe“, ist festzuhalten, dass dazu jegliche fallbezogene Auseinandersetzung fehlt und die genannten Rechtsfragen nur hypothetischen Charakter haben. Um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen, ist aber auf die vorliegende Rechtssache bezogen darzulegen, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof auf Grund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht berufen (vgl. dazu VwGH 4.2.2020, Ra 2020/14/0002, 0003, mwN).
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 18. März 2021