Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter und die Hofrätinnen Dr. in Sembacher und Mag. Bayer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr.in Zeitfogel, über die Revision des E A in T, vertreten durch Dr. in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. April 2024, I419 2280229 1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Ägyptens, stellte am 23. September 2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er bei seiner Erstbefragung am 6. Juli 2023 nach seiner Rücküberstellung aus Deutschland mit seiner Konversion zum Christentum und der aufgrund dessen zu gewärtigenden Verfolgung begründete.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 15. September 2023 hinsichtlich des Antrags auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, sprach aus, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Diesen Bescheid begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Rahmen seiner Beweiswürdigung im Wesentlichen damit, dass die Kenntnisse des Revisionswerbers über das Christentum nur in marginalen Ansätzen vorhanden gewesen seien und er niemals eine Bibel besessen hätte, er kenne keinen Bibelvers und kein Gebet und könne keine konkreten Angaben zum Ablauf eines Gottesdienstes machen. Auch habe der Revisionswerber die zuletzt gehaltene Predigt in der von ihm besuchten christlichen Gemeinde nicht wiedergeben können. Die Angaben zur Konversion in Korea seien vage und in sich nicht schlüssig. Bei dem vorgelegten Taufschein handle es sich bloß um eine Kopie. Zudem habe der Revisionswerber keine missionarische Tätigkeit vorgebracht, weshalb umso weniger nachvollzogen werden könne, dass der Revisionswerber konvertiert sei.
4 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der er zunächst unter Wiedergabe von Länderberichten zu seinem Herkunftsstaat ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren rügte. Die Länderfeststellungen seien unvollständig. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde sei mangelhaft, weil sie sich primär auf Widersprüche zwischen Erstbefragung und Einvernahme stütze. Der Beschwerde lagen eine Kopie der koreanischen Taufurkunde, eine Kirchenbesuchsbestätigung und eine Bestätigung über den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft bei.
5 Diese Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit der angefochtenen Entscheidung ohne Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab (Spruchpunkt A.) und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
6 Das Bundesverwaltungsgericht gab zunächst im Rahmen seiner Feststellungen zum Fluchtvorbringen das gesamte Fluchtvorbringen im Verfahren vor der belangten Behörde wie auch in der Beschwerde wieder und stellte sodann fest, dass der Revisionswerber nicht habe glaubhaft machen können, sich vom Islam abgewendet und dem Christentum zugewendet zu haben. Es stehe nicht fest, dass er in Korea in einer näher bezeichneten Kirche an einer „Aufnahmefeier“ teilgenommen habe. Auch habe er keine Kernelemente christlicher Bekenntnisse erfasst und sie auch nicht verinnerlicht.
7 Im Rahmen seiner Beweiswürdigung schloss sich das Bundesverwaltungsgericht zunächst jener der belangten Behörde an und führte aus, dass „das rudimentäre, [...] noch immer kaum vorhandene Wissen betreffend die Religion“ auffallend sei. Es möge zwar sein, dass eine Aufnahmezeremonie stattgefunden und der Revisionswerber daran teilgenommen habe, eine Aktivität in der Kirche oder ein Interesse an den Glaubensinhalten habe der Revisionswerber damit aber nicht dargelegt. Den vor der belangten Behörde weiters getätigten Widersprüchen sei die Beschwerde nicht substantiiert entgegentreten. Auch habe die Beschwerde nicht dargelegt, warum der Revisionswerber nur eine Kopie der Taufurkunde mitgenommen und nicht, was weniger gefährlich erscheine, sich das Original per Post schicken habe lassen. Die ihm drohende Verfolgung habe er in der Beschwerde sodann gesteigert und neben der Furcht um sein Leben dort auch eine zu erwartende lange Haft unter menschenunwürdigen Bedingungen ins Treffen geführt. Die Beurteilung der Fluchtgründe und die diesbezügliche Beweiswürdigung seien nicht zu beanstanden. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Sachverhalt durch die belangte Behörde vollständig erhoben worden sei und die nötige Aktualität aufweise. Das Gericht habe sich der Beweiswürdigung der belangten Behörde zur Gänze angeschlossen.
8 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die ihre Zulässigkeit mit der Verletzung der Verhandlungspflicht durch das Bundesverwaltungsgericht begründet und dazu vorbringt, dass die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG zur Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung nicht vorgelegen wären. In der Beschwerde sei substantiiertes Vorbringen erstattet und es seien Urkunden vorgelegt worden, die das Bundesverwaltungsgericht sodann einer ergänzenden Beweiswürdigung unterzogen habe, ohne dass es eine mündliche Verhandlung durchgeführt habe. Zudem sei das Bundesverwaltungsgericht von näher genannter Rechtsprechung zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Konversion abgewichen.
9 Der Verwaltungsgerichtshof führte nach Vorlage der Verfahrensakten ein Vorverfahren durch. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet:
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:
12 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 11.4.2023, Ra 2022/14/0343, mwN).
13 Schließt das Bundesverwaltungsgericht sich nicht nur der Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde an, sondern zeigt darüber hinaus in seiner Beweiswürdigung noch weitere bedeutsame Aspekte auf, mit welchen es die Widersprüchlichkeit des Vorbringens begründet, nimmt es damit eine zusätzliche Beweiswürdigung vor, die dazu führt, dass das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt. Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat jedoch regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. aus vielen erneut VwGH 11.4.2023, Ra 2022/14/0343, mwN).
14 Im vorliegenden Fall nahm das Bundesverwaltungsgericht mehrere Aspekte der Beschwerde des Revisionswerbers, so sein Vorbringen zum Glaubensübertritt in Südkorea und eine der in der Beschwerde vorgelegten Urkunden zum Anlass, sich beweiswürdigend damit auseinander zu setzen und ergänzte die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung damit nicht bloß unwesentlich. Dies zeigt die Revision zutreffend auf. Sohin lagen die oben dargestellten Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung nicht vor.
15 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier gegeben des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 7.11.2022, Ra 2022/14/0048, mwN).
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen in der Revision einzugehen war.
17 Das Bundesverwaltungsgericht wird sich im fortgesetzten Verfahren nach Durchführung einer Verhandlung und einem vollständigen Ermittlungsverfahren mit dem gesamten Vorbringen des Revisionswerbers unter Einbeziehung aktueller Länderberichte auseinanderzusetzen und auf dieser Grundlage zu beurteilen haben, ob dem Revisionswerber in Ägypten Verfolgung im Sinne der GFK droht.
18 Im Übrigen ist auf die zu § 17 VwGVG iVm § 60 AVG ergangene Rechtsprechung zur Begründungspflicht und dem Aufbau der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte hinzuweisen (vgl. grundlegend VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).
19 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. März 2025