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W167 2270959-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
05. Mai 2025

Spruch

W167 2270959-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Daria MACA-DAASE als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX StA. Syrien, vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der volljährige Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste unrechtmäßig in Österreich ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der Erstbefragung am XXXX gab BF als Fluchtgrund an: „In Syrien herrscht Bürgerkrieg und ich müsste zum Militär einrücken. Ich will nicht in den Krieg ziehen und kämpfen oder jemanden töten.“ Als Rückkehrbefürchtung gab er an: „Vom Miilitärgericht verurteilt zu werden.“

3. In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am XXXX führte BF befragt zu seinen Asyl- und Fluchtgründen insbesondere aus, „Der erste Grund war, dass ich und meine Familie Probleme mit der Regierung hatten. Die schlechte Sicherheitslage und der Krieg haben ebenfalls dazu geführt. Danach hat sich die Lage immer mehr verschlechtert.“ Des Weiteren gab der Beschwerdeführer an: „Ich und meine Familie waren gegen die Regierung und wir haben dies auch öffentlich geäußert. Oft sind Leute von der Staatssicherheit zu uns gekommen und haben nach uns gefragt. Das war der Grund, weshalb wir im Jahr 2012 Syrien verlassen haben.“ Über Nachfrage gab der BF an, sie hätten sich im Bezirk, wo sie gelebt hätten, negativ geäußert und dort kenne jeder jeden. An Demonstrationen habe er nicht teilgenommen. Die Türkei habe er verlassen, da die türkische Bevölkerung rassistisch sei, außerdem sei er für gute Arbeit schlechter entlohnt worden als ein türkischer Kollege.

4. Mit dem im Einleitungssatz genannten Bescheid wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I), ihm wurde allerdings der Status subsidiär Schutzberechtigter zuerkannt (Spruchpunkt II) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III).

5. Der vertretene BF erhob gegen Spruchpunkt I des Bescheides Beschwerde.

6. Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

7. Am XXXX fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an welcher BF und seine Vertretung teilnahmen, das BFA nahm nicht teil.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person:

Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung. Er ist zum Entscheidungszeitpunkt fast XXXX Jahre alt. Seine Muttersprache ist Arabisch, welche er in Wort und Schrift beherrscht.

Der BF stammt aus XXXX , wo geboren wurde, aufgewachsen ist und bis zu seiner Ausreise aus Syrien im Jahr XXXX gelebt hat. Aufgrund dieses Nahebezugs wird XXXX und Umgebung als Herkunftsregion des BF angenommen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung befinden sich XXXX und Umgebung nach dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 unter Kontrolle der HTS-geführten Übergangsregierung.

Der Beschwerdeführer verließ Syrien im XXXX in Richtung XXXX . Ab XXXX war der Beschwerdeführer für zwei Wochen wieder legal in Syrien um Familienangehörigen beim Hausbau zu helfen. Im Jahr XXXX verließ er Syrien endgültig. Anschließend reiste der volljährige Beschwerdeführer unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der gesunde und arbeitsfähige BF lebt als subsidiärer Schutzberechtigter in Österreich.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen:

Dem Beschwerdeführer drohte und droht im Herkunftsstaat keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder einer (unterstellten) politischen Gesinnung. Der Beschwerdeführer war in Syrien keiner individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung durch das syrische Assad-Regime oder durch andere Akteure/Gruppierungen in Syrien ausgesetzt. Auch im Falle seiner Rückkehr nach Syrien wäre der BF keiner solchen Verfolgung ausgesetzt, insbesondere nicht durch die HTS-geführte Übergangsregierung.

Der Beschwerdeführer hat in Syrien den unter der Assad-Regierung verpflichtenden Wehrdienst von XXXX als einfacher Soldat abgeleistet. Er war als XXXX tätig und hat keine Spezialausbildung erhalten. Der Beschwerdeführer befindet sich nach wie vor im Alter eines Reservisten.

Dem Beschwerdeführer drohte jedoch keine asylrelevante Verfolgung durch die syrische Assad-Regierung wegen der vorgebrachten zwangsweisen Einberufung zum Reservedienst, da die Möglichkeit bestanden hat, dass sich der Beschwerdeführer, aufgrund seines langjährigen Auslandsaufenthalts, durch Leistung einer Befreiungsgebühr vom Reservedienst freikauft.

Darüber hinaus wird zur aktuellen Situation festgehalten, dass sich keine Hinweise darauf finden, dass die HTS-geführte Übergangsregierung den Beschwerdeführer als Reservisten einziehen würde. Dies ist im Hinblick darauf, dass der Dienst bei den Streitkräften aktuell freiwillig ist, der Beschwerdeführer das dort vorgesehene Maximalalter von 30 Jahren für den Militärdienst bereits überschritten hat und über keine Spezialausbildung verfügt auch nicht maßgeblich wahrscheinlich. Auch der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung nach dem Umsturz keine diesbezüglichen Befürchtungen geäußert.

Zudem hat der Beschwerdeführer keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen die syrische Assad-Regierung, die aktuelle HTS-geführte Übergangsregierung oder gegen den Dienst an der Waffe an sich glaubhaft gemacht, zumal er den Wehrdienst bereits unter dem Assad-Regime abgeleistet hat. Es besteht daher hinsichtlich der vom BF angegebenen Ablehnung eines allfälligen Reservedienstes kein Konnex zu einem der in der GFK aufgezählten Gründe.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in seine Heimatregion auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine individuelle Verfolgungsgefahr durch Milzen.

Der Beschwerdeführer hat auch keine als oppositionell anzusehenden Handlungen gesetzt, die ihn glaubhaft ins Blickfeld der syrischen Assad-Regierung oder anderer Gruppierungen (inkl. der HTS-geführten Übergangsregierung) gebracht haben, ihm wird auch keine oppositionelle Gesinnung unterstellt.

Dem BF droht aufgrund seiner Ausreise aus Syrien, seines (langjährigen) Auslandsaufenthalts und seiner Asylantragstellung in Österreich keine Gefahr einer Verfolgung in Syrien, ihm wird auch keine oppositionelle Haltung unterstellt.

Nicht jedem Rückkehrer, der lange im Ausland gelebt hat oder im Ausland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wird eine oppositionelle Gesinnung unterstellt.

Der BF hat Syrien seinerzeit wegen der schlechten Sicherheits- und Wirtschaftslage verlassen.

1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Im Verfahren wurden ua. die folgenden Quellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herangezogen:

Länderinformation der Staatendokumentation Syrien aus dem COI-CMS Version 11, Datum der Veröffentlichung: 27.03.2024

EUAA Syria: Country Focus, March 2025 https://www.ecoi.net/en/file/local/2123257/2025_03_EUAA_COI_Report_Syria_Country_Focus.pdf

UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung, März 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060156/opendocpdf.pdf

https://www.ecoi.net/de/laender/arabische-republik-syrien/themendossiers/informationssammlung-zu-entwicklungen-zum-sturz-von-praesident-assad/

ACCORD, Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen (z.B. YPG); Zwangsrekrutierung An-fragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen (z.B. Yekîneyên Parastina Gel, YPG); Zwangsrekrutierungen [a-12592-v2] (Anfragebeantwortung, Deutsch), 25.03.2025

https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html

https://syria.liveuamap.com/

1.3.1. Auszüge aus der Länderinformation der Staatendokumentation Syrien aus dem COI-CMS Version 11:

9 Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung 2023-07-14 13:52

9.1 Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Letzte Änderung 2024-03-11 06:50

Rechtliche Bestimmungen

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben (PAR 1.6.2011). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 2.2.2024). In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden (ÖB Damaskus 12.2022).

Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können (DIS 4.2023). Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert (EB 17.1.2023). Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (DIS 4.2023).

Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind (ÖB Damaskus 12.2022). Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge sollen Männer auch unabhängig ihres Gesundheitszustandes eingezogen und in der Verwaltung eingesetzt worden sein (NMFA 8.2023).

Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB Damaskus 12.2022).

Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen (AA 2.2.2024). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 2.2.2024; vgl. ICWA 24.5.2022).

Männliche Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge, die zwischen 1948 und 1956 nach Syrien kamen und als solche bei der General Administration for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert sind (NMFA 5.2022), bzw. palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht (AA 13.11.2018; vgl. Action PAL 3.1.2023, ACCORD 21.9.2022). Ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee, die den Namen Palästinensische Befreiungsarmee trägt: Palestinian Liberation Army (PLA) (BAMF 2.2023, (AA 13.11.2018; vgl. ACCORD 21.9.2022). Es konnten keine Quellen gefunden werden, die angeben, dass Palästinenser vom Reservedienst ausgeschlossen seien (ACCORD 21.9.2022; vgl. BAMF 2.2023).

Frauen […]

Die Umsetzung

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten (STDOK 8.2017; vgl. DIS 7.2023).

Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).

Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen (NMFA 5.2022; vgl. AA 29.3.2022), wobei zuletzt von einer „Verkürzung“ des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden (ÖB Damaskus 12.2022). Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden (NMFA 5.2022).

Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten (EUAA 9.2022). Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 2.2.2024).

Rekrutierungspraxis

Es gibt, dem Auswärtigen Amt zufolge, zahlreiche glaubhafte Berichte, laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden (AA 2.2.2024). Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert (AA 2.2.2024; vgl. NMFA 5.2022), wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt (NMFA 5.2022; vgl. NLM 29.11.2022). Im September 2022 wurde beispielsweise von der Errichtung eines mobilen Checkpoints im Gouvernement Dara’a berichtet, an dem mehrere Wehrpflichtige festgenommen wurden (SO 12.9.2022). In Homs führte die Militärpolizei gemäß einem Bericht aus dem Jahr 2020 stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 6.3.2020). Im Jänner 2023 wurde berichtet, dass Kontrollpunkte in Homs eine wichtige Einnahmequelle der Vierten Division seien (EB 17.1.2023). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 2.2.2024).

Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Lokale Medien berichteten, dass die Sicherheitskräfte der Regierung während der Fußballweltmeisterschaft der Herren 2022 mehrere Cafés, Restaurants und öffentliche Plätze in Damaskus stürmten, wo sich Menschen versammelt hatten, um die Spiele zu sehen, und Dutzende junger Männer zur Zwangsrekrutierung festnahmen (USDOS 20.3.2023).

Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z. B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. ICG 9.5.2022, EB 6.3.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden (DIS 5.2020). Hausdurchsuchungen finden dabei v.a. eher in urbanen Gebieten statt, wo die SAA stärkere Kontrolle hat, als in ruralen Gebieten (DIS 1.2024). Mehrere Quellen berichteten im Jahr 2023 wieder vermehrt, dass Wehr- und Reservedienstpflichtige aus ehemaligen Oppositionsgebieten von der syrischen Regierung zur Wehrpflicht herangezogen wurden, um mehr Kontrolle über diese Gebiete zu erlangen bzw. um potenzielle Oppositionskämpfer aus diesen Gebieten abzuziehen (NMFA 8.2023; vgl. DIS 7.2023). Eine Quelle des Danish Immigration Service geht davon aus, dass Hausdurchsuchungen oft weniger die Rekrutierung als vielmehr eine Erpressung zum Ziel haben (DIS 1.2024).

Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht (STDOK 8.2017). Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020). Anfang April 2023 wurde beispielsweise von verstärkten Patrouillen der Regierungsstreitkräfte im Osten Dara’as berichtet, um Personen aufzugreifen, die zum Militär- und Reservedienst verpflichtet sind (ETANA 4.4.2023). Glaubhaften Berichten zufolge gab es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 4.12.2020).

Während manche Quellen berichten, dass sich die syrische Regierung bei der Rekrutierung auf Alawiten und regierungstreue Gebiete konzentrierte (EASO 4.2021), berichten andere, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen nun weniger stark in Anspruch nimmt (ÖB Damaskus 12.2022; vgl. EASO 4.2021). Da die Zusammensetzung der syrisch-arabischen Armee ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerung ist, sind ihre Wehrpflichtigen mehrheitlich sunnitische Araber, die vom Regime laut einer Quelle als „Kanonenfutter“ im Krieg eingesetzt wurden. Die sunnitisch-arabischen Soldaten waren (ebenso wie die alawitischen Soldaten und andere) gezwungen, den größeren Teil der revoltierenden sunnitisch-arabischen Bevölkerung zu unterdrücken. Der Krieg forderte unter den alawitischen Soldaten bezüglich der Anzahl der Todesopfer einen hohen Tribut, wobei die Eliteeinheiten der SAA, die Nachrichtendienste und die Shabiha-Milizen stark alawitisch dominiert waren (Al-Majalla 15.3.2023).

Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben (AA 2.2.2024).

Staatenlose Palästinenser werden meistens in die Palestinian Liberation Army (PLA) rekrutiert, seltener auch in die reguläre SAA. Sie sind ebenfalls reservepflichtig. Allerdings dauert ihre Pflicht zum Reservedienst weniger lange, nämlich nur viereinhalb Jahre. Den meisten Quellen des Danish Immigration Service waren keine Fälle bekannt, wonach staatenlose Palästinenser in Syrien zum Reservedienst in der PLA einberufen wurden. Die PLA wurde auch an die Front geschickt (DIS 1.2024).

Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle

Nach dem Abkommen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung Mitte Oktober 2019, das die Stationierung von Truppen der syrischen Regierung in zuvor kurdisch kontrollierten Gebieten vorsah, wurde berichtet, dass syrische Kurden aus dem Gebiet in den Irak geflohen sind, weil sie Angst hatten, in die SAA eingezogen zu werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Die Absolvierung des „Wehrdiensts“ gemäß der „Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien“ [Autonomous Administration of North and East Syria (AANES)] befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien. Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung „Sicherheitsquadrate“ (al-Morabat al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung befinden. Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen können, gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven bzw. „Sicherheitsquadraten“ auseinander - auch bezüglich etwaiger Unterschiede zwischen dort wohnenden Wehrpflichtigen und Personen von außerhalb der Enklaven, welche die Enklaven betreten (DIS 6.2022). Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass die syrische Regierung in den Gebieten unter Kontrolle der Selbstverwaltung dort rekrutieren kann, wo sie im „Sicherheitsquadrat“ im Zentrum der Gouvernements präsent ist, wie z. B. in Qamishli oder in Deir ez-Zor (Rechtsexperte 14.9.2022). Dies wird auch von SNHR bestätigt, die ebenfalls angeben, dass die Rekrutierung durch die syrischen Streitkräfte an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden ist (ACCORD 7.9.2023). Ein befragter Militärexperte gab dagegen an, dass die syrische Regierung grundsätzlich Zugriff auf die Wehrpflichtigen in den Gebieten unter der Kontrolle der PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat] hat, diese aber als illoyal ansieht und daher gar nicht versucht, sie zu rekrutieren (BMLV 12.10.2022). Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und her bewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z.B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o. Ä.] anerkennt (EB 15.8.2022).

Das Gouvernement Idlib befindet sich außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung, die dort keine Personen einberufen kann (Rechtsexperte 14.9.2022), mit Ausnahme einiger süd-westlicher Sub-Distrikte (Nahias) des Gouvernements, die unter Regierungskontrolle stehen (ACLED 1.12.2022; vgl. Liveuamap 17.5.2023). Die syrische Regierung kontrolliert jedoch die Melderegister des Gouvernements Idlib (das von der syrischen Regierung in das Gouvernement Hama verlegt wurde), was es ihr ermöglicht, auf die Personenstandsdaten junger Männer, die das Rekrutierungsalter erreicht haben, zuzugreifen, um sie für die Ableistung des Militärdienstes auf die Liste der „Gesuchten“ zu setzen. Das erleichtert ihre Verhaftung zur Rekrutierung, wenn sie das Gouvernement Idlib in Richtung der Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung verlassen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich auf das Gouvernement Aleppo konzentriert. Sie wird von der Türkei unterstützt und besteht aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA). Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann keine Personen aus diesen Gebieten für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Auch mit Stand Februar 2023 hat die syrische Armee laut einem von ACCORD befragten Syrienexperten keine Zugriffsmöglichkeit auf wehrdienstpflichtige Personen in Jarabulus (ACCORD 20.3.2023).

Reservedienst

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z. B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung) (STDOK 8.2017). Reservisten können laut Gesetz bis zum Alter von 42 Jahren mehrfach zum Militärdienst eingezogen werden. Die syrischen Behörden ziehen weiterhin Reservisten ein (NMFA 5.2022; vgl. NMFA 8.2023; vgl. DIS 1.2024). Die Behörden berufen vornehmlich Männer bis 27 ein, während ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können (ÖB Damaskus 12.2022). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen Über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020). V.a. weil die SAA derzeit nicht mehr so viele Männer braucht, werden über 42-Jährige derzeit eher selten einberufen. Das syrische Regime verlässt sich vor allem auf Milizen, in deren Dienste sich 42-Jährige einschreiben lassen können (DIS 1.2024).

Das niederländische Außenministerium berichtet unter Berufung auf vertrauliche Quellen, dass Männer über 42 Jahre, die ihren Wehrdienst abgeleistet hatten, Gefahr laufen, verhaftet zu werden, um sie zum Reservedienst zu bewegen. Männer, auch solche über 42 Jahren, werden vor allem in Gebieten, die zuvor eine Zeit lang nicht unter der Kontrolle der Behörden standen, als Reservisten eingezogen. Dies soll eine Form der Vergeltung oder Bestrafung sein. Personen, die als Reservisten gesucht werden, versuchen, sich dem Militärdienst durch Bestechung zu entziehen oder falsche Bescheinigungen zu erhalten, gemäß derer sie bei inoffiziellen Streitkräften, wie etwa regierungsfreundlichen Milizen, dienen (NMFA 5.2022). Manchen Quellen des Danish Immigration Service zufolge werden Reservisten unabhängig ihrer Qualifikationen einberufen, andere Quellen wiederum geben an, dass das syrische Regime Reservisten je nach ihrer militärischen Spezialisierung einzieht. Eine Quelle glaubt, dass Reservisten oft qualifikationsunabhängig eingezogen werden, aber immer öfter auf die Spezialisierung geachtet wird. Eine besondere Stellung bei der Einberufung zum Reservedienst nehmen Angestellte des öffentlichen Sektors ein. Manche Quellen sprechen davon, dass diese seltener einberufen werden, andere Quellen geben an, dass diese eher entsprechend ihrer Tätigkeiten (z.B. im medizinischen Bereich) im Rahmen ihres Reservedienstes an Orte geschickt werden, wo ihre Funktion gerade dringender gebraucht wird (DIS 1.2024).

Rekrutierungsbedarf und partielle Demobilisierung

Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Mit der COVID-19-Pandemie und der Beendigung umfangreicher Militäroperationen im Nordwesten Syriens im Jahr 2020 haben sich die groß angelegten militärischen Rekrutierungskampagnen der syrischen Regierung in den von ihr kontrollierten Gebieten jedoch verlangsamt (COAR 28.1.2021), und im Jahr 2021 hat die syrische Regierung damit begonnen, Soldaten mit entsprechender Dienstzeit abrüsten zu lassen. Nichtsdestotrotz wird die syrische Armee auch weiterhin an der Wehrpflicht festhalten, nicht nur zur Aufrechterhaltung des laufenden Dienstbetriebs, sondern auch, um eingeschränkt militärisch operativ sein zu können. Ein neuerliches „Hochfahren“ dieses Systems scheint derzeit [Anm.: Stand 16.9.2022] nicht wahrscheinlich, kann aber vom Regime bei Notwendigkeit jederzeit wieder umgesetzt werden (BMLV 12.10.2022).

Als die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren (DIS 5.2020). Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Der syrische Präsident erließ einen ab Oktober 2022 geltenden Verwaltungserlass mit Blick auf die unteren Ebenen der Militärhierarchie, der die Beibehaltung und Einberufung von bestimmten Offizieren und Reserveoffiziersanwärtern, die für den obligatorischen Militärdienst gemeldet sind, beendete. Bestimmte Offiziere und Offiziersanwärter, die in der Wehrpflicht stehen, sind zu demobilisieren, und bestimmte Unteroffiziere und Reservisten dürfen nicht mehr weiterbeschäftigt oder erneut einberufen werden (TIMEP 17.10.2022; vgl. SANA 27.8.2022). Ziel dieser Beschlüsse ist es, Hochschulabsolventen wie Ärzte und Ingenieure dazu zu bewegen, im Land zu bleiben (TIMEP 17.10.2022). Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020, vgl. NMFA 5.2022). Ein weiterer Beschluss wurde im Dezember 2023 erlassen, wonach Reserveoffiziere, die mit 31.01.2024 ein Jahr oder mehr aktiv ihren Wehrdienst abgeleistet haben, ab 1.2.2024 nicht mehr einberufen werden. Dieser Beschluss beendet ebenfalls die Einberufung von Unteroffizieren und Reservisten, die mit 31.1.2024 sechs Jahre oder mehr aktiven Wehrdienst geleistet haben (SANA 4.12.2023).

Die Rekruten werden während des Wehrdienstes im Allgemeinen nicht gut behandelt. Der Umgang mit ihnen ist harsch. Nur wer gute Verbindungen zu höheren Offizieren oder Militärbehörden hat oder wer seine Vorgesetzten besticht, kann mit einer besseren Behandlung rechnen. Außerdem ist die Bezahlung sehr niedrig und oft ist es den Rekruten während des Wehrdienstes nicht gestattet, ihre Familien zu sehen (DIS 1.2024).

Einsatz von Rekruten im Kampf

Grundsätzlich vermeidet es die syrische Armee, neu ausgebildete Rekruten zu Kampfeinsätzen heranzuziehen, jedoch können diese aufgrund der asymmetrischen Art der Kriegsführung mit seinen Hinterhalten und Anschlägen trotzdem in Kampfhandlungen verwickelt werden (BMLV 12.10.2022), wie in der Badia-Wüste, wo es noch zu Konfrontationen mit dem IS kommt (DIS 7.2023). Alle Eingezogenen können laut EUAA (European Union Agency for Asylum) unter Berufung auf einen Herkunftsländerbericht vom April 2021 potenziell an die Front abkommandiert werden. (EUAA 2.2023; vgl. DIS 7.2023). Ihr Einsatz hängt laut EUAA vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen und ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab (EUAA 2.2023). Andere Quellen hingegen geben an, dass die militärische Qualifikation oder die Kampferfahrung keine Rolle spielt, beim Einsatz von Wehrpflichtigen an der Front (DIS 7.2023). Eingezogene Männer aus „versöhnten“ Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Illoyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt (EUAA 2.2023; vgl. NMFA 8.2023). [Anm.: In welcher Relation die Zahl der Reservisten zu den Wehrpflichtigen steht, geht aus den Berichten nicht hervor.]

9.2 Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts

Letzte Änderung 2024-03-11 07:21

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Auch für Wehrpflichtige, die ins Ausland reisen möchten, ist ein Aufschub von bis zu 6 Monaten möglich und wird von Oppositionsangehörigen genützt, nachdem sie im Rahmen von Versöhnungsabkommen ihren „Status geregelt“ haben (DIS 1.2024). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Als einziger Sohn der Familie kann man sich vom Wehrdienst befreien lassen. Mehrere Quellen des Danish Immigration Service haben angegeben, dass es keine Fälle gibt, in denen die einzigen Söhne einer Familie trotzdem zur Wehrpflicht herangezogen worden sind (DIS 1.2024).

Einem von der European Union Asylum Agency (EUAA) befragten syrischen Akademiker zufolge werden Wehrpflichtbefreiungen erlassen für Personen mit Erkrankungen, die es ihnen verunmöglichen, militärische Pflichten zu erfüllen, wie beispielsweise Herzerkrankungen oder Sehschwächen. Teilweise werden aber anstatt einer Befreiung, diese Personen auf Positionen ohne Gefechtsbereitschaft bzw. auf denen sie keiner physischen Belastung ausgesetzt sind, wie in der Administration, verpflichtet (EUAA 10.2023; vgl. DIS 01.2024). Zur Entscheidung, ob und welcher Art eine Person wehrpflichtig ist, errechnen die Behörden einen Prozentgrad der Behinderung bzw. der gesundheitlichen Beeinträchtigung zum Zeitpunkt der medizinischen Untersuchung (DIS 1.2024). Wobei eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums angibt, dass sechs Monate Grundausbildung unabhängig des Gesundheitszustandes komplett zu durchlaufen sind (NMFA 8.2023). Welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen zur Untauglichkeit bzw. zum eingeschränkten Wehrdienst führen ist unklar, wobei es bestimmte, offensichtliche Behinderungen gibt, die eine Untauglichkeit bedingen, wie Blindheit oder Lähmungen. Oft werden auch Männer, die an Fettleibigkeit, Sehbehinderungen, Krebs, psychischen Krankheiten leiden oder denen eine Gliedmaße fehlt, vom Wehrdienst befreit. Gewisse gesundheitliche Beeinträchtigungen, wie Diabetes, Sehschwächen bis zu einem bestimmten Grad, Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Hörbeeinträchtigungen, Deformierungen an Händen oder Füßen, Asthma oder andere chronische Erkrankungen gelten meist als Gründe, um den Wehrdienst nicht im Feld ausüben zu müssen (DIS 1.2024). Einer vom niederländischen Außenministerium befragten Quelle zufolge werden medizinische Befreiungen häufig ignoriert und die Betroffenen müssen dennoch ihren Wehrdienst ableisten (NMFA 5.2022). Die tatsächliche Handhabung der Tauglichkeitskriterien ist schwer eruierbar, da sie von den Entscheidungen der medizinischen Ausschüsse abhängen (DIS 5.2020; vgl. DIS 1.2024). Der Prozess nimmt manchmal auch viel Zeit in Anspruch, sogar bei offensichtlichen Beeinträchtigungen, wie dem Downsyndrom (DIS 1.2024). Wer aus medizinischen Gründen befreit werden will oder in einer administrativen Position seinen Wehrdienst versehen möchte, hat mit Hürden zu rechnen und Erpressungen sowie das Bezahlen von Bestechungsgeldern ist weit verbreitet (EUAA 10.2023; vgl. NMFA 8.2023). So zahlen laut einem Experten, der vom Danish Immigration Service befragt wurde, manche Wehrpflichtige 3.000-4.000 USD, um ihren Wehrdienst in einem Büro statt am Gefechtsfeld zu leisten oder höhere Summen, um als gänzlich untauglich klassifiziert zu werden (DIS 7.2023). Manchmal müssen auch Personen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung Bestechungsgelder bezahlen, um als untauglich eingestuft zu werden (DIS 1.2024). Wer für den Gefechtsdienst untauglich erklärt wurde, kann sich durch eine Zahlung von 3.000 USD gänzlich von der Wehrpflicht befreien. Weswegen viele Männer Bestechungsgelder bezahlen, um sich für den Gefechtsdienst untauglich schreiben zu lassen, um anschließend Gebrauch von dieser Ausnahmeregelung machen zu können (DIS 1.2024). Wenn die Behörden erkennen, dass medizinische Ausnahmen ungerechtfertigt, beispielsweise durch Bestechung, gewährt wurden, müssen sich die betroffenen Wehrpflichtigen einer erneuten medizinischen Untersuchung unterziehen (EUAA 10.2023). Demgegenüber berichten mehrere Quellen des Danish Immigration Service, dass die Zahlung eines Betrags von 3.000 USD für die Befreiung vom Wehrdienst für den Gefechtsdienst untaugliche Personen, von der Syrischen Regierung meist akzeptiert wird. Allerdings können sich nur wenige Personen diese hohen Geldbeträge überhaupt leisten (DIS 1.2024).

Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB Damaskus 12.2022).

Am 1.12.2023 trat das neue Gesetzesdekret Nr.37 in Kraft, wonach sich Rekruten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und noch nicht in den Reservedienst eingetreten sind, sich von ebendiesem freikaufen können durch eine Zahlung von 4.800 USD. Für jeden Monat, in dem derjenige den Reservedienst bereits geleistet hat, werden 200 USD abgezogen (SANA 1.12.2023).

Polizeidienst als Befreiung vom Wehrdienst

Gemäß Abschnitt 12 des Wehrpflichtgesetzes war eine Person vom Wehrdienst befreit, wenn sie mindestens zehn Jahre in den Diensten der inneren Sicherheit stand, einschließlich der Polizei. Diese Frist wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 1 von 2012 auf fünf Jahre verkürzt. Hat eine Person nicht die vollen fünf Jahre gedient, muss sie dennoch ihren Militärdienst ableisten. Wer bei der Polizei akzeptiert wird, unterschreibt jedoch einen Zehnjahresvertrag. Es ist auch möglich, dass ein Rekrut der Polizei beitritt und dort seinen Militärdienst ableistet, da die internen Sicherheitsdienste gemäß Artikel 10 des Wehrpflichtgesetzes zu den syrischen Streitkräften gezählt werden. Wenn eine Person der Polizei beitritt, wird das Rekrutierungsbüro, dem sie untersteht, angewiesen, sie nicht zum Militärdienst einzuberufen (NMFA 5.2022). Eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums gibt zudem an, dass Polizisten keinen Reservedienst leisten müssen, wenn sie ihre Wehrpflicht erfüllt haben, unabhängig davon, ob sie Polizeidienst geleistet haben oder nicht (NMFA 8.2023).

Rechtlich gesehen ist es möglich, aus dem Polizeidienst auszutreten. Die Kündigung muss samt einer Erklärung über die Gründe eingereicht werden. Alle Rücktrittsgesuche werden auf der Grundlage einer Sicherheitsanalyse geprüft. In der Praxis werden die meisten Anträge aus Sicherheitsgründen abgelehnt. Polizeibeamte können während der ersten zehn Jahre ihres Vertrags de facto nicht kündigen. Eine Laufbahn innerhalb des erweiterten Sicherheitsapparats ist grundsätzlich auf Lebenszeit angelegt und es ist nicht üblich, eine solche Position vorzeitig zu verlassen. Bei einer Laufbahn in einer Sicherheitsbehörde ist es laut einer Quelle praktisch unmöglich, die Erlaubnis zur Kündigung zu erhalten. Das unerlaubte Verlassen eines Polizeidienstpostens wird als eine Form der Desertion angesehen, die mit Strafe bedroht werden kann. Es gibt unterschiedliche Angaben darüber, welches Gesetz in diesem Fall gilt (NMFA5.2022). Zollbeamte gelten im Rahmen ihrer Zuständigkeit als allgemeine Sicherheitskräfte und Kriminalbeamte (ACCORD 17.1.2022).

Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr („badal an-naqdi“) zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 USD zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (DIS 5.2020), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 2.9.2019; vgl. SB Berlin o.D.). Im November 2020 wurde mit dem Gesetzesdekret Nr.31 (Rechtsexperte 14.09.2022) die Dauer des erforderlichen Auslandsaufenthalts auf ein Jahr reduziert und die Gebühr erhöht (NMFA 6.2021). Das Wehrersatzgeld ist nach der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre) ISPI 5.6.2023; vgl. AA 2.2.2024). Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (AA 2.2.2024; vgl. ISPI 5.6.2023). Die Zahlung des Wehrersatzgeldes ist an die Vorlage von Dokumenten geknüpft, die eine Vielzahl der ins Ausland Geflüchteten aufgrund der Umstände ihrer Flucht nicht beibringen können oder die nicht ohne ein Führungszeugnis der Sicherheitsdienste des syrischen Regimes nachträglich erworben werden können, wie etwa einen Nachweis über Aus- und Einreisen (Ausreisestempel) oder die Vorlage eines Personalausweises (AA 2.2.2024). Die Syrische Regierung respektiert die Zahlung dieser Befreiungsgebühr mehreren Experten, die vom Danish Immigration Service befragt wurden, zufolge und zieht Männer, die diese Gebühr bezahlt haben, im Allgemeinen nicht ein. Eine Quelle gibt auch an, dass Personen, die die Gebühr bezahlt haben problemlos ins Land einreisen können. Probleme bekommen vor allem jene Männer, die ihre Dokumente zum Beweis, dass sie befreit sind, nicht vorweisen können. Des Weiteren berichten Quellen des Danish Immigration Service von Fällen, bei denen Personen, die ihren Status mit der Regierung geklärt hatten, dennoch verhaftet worden sind, weil sie aus Gründen der Sicherheit von den Sicherheitskräften gesucht worden sind. Die Behörden geben normalerweise keine Auskunft darüber, ob man von den Sicherheitsbehörden gesucht wird. Mehrere Quellen gehen aber von Erpressungen gegenüber Wehrpflichtigen an Checkpoints durch Streit- und Sicherheitskräfte an Checkpoints aus, insbesondere gegenüber Personen aus Europa bzw. Geschäftsleuten. Eine Quelle sprach auch von Racheaktionen gegenüber Wehrpflichtigen, die aus ehemaligen Oppositionsgebieten kommen, bei denen die syrischen Behörden diese an Checkpoints festhalten und erpressen (DIS 1.2024). Auch das Auswärtige Amt schreibt, dass staatlich ausgestellte Nachweise über die Ableistung des Wehrdienstes bzw. Zahlung des Wehrersatzgeldes an Kontrollstellen der Sicherheitsdienste des Regimes durchgängig anerkannt werden (AA 2.2.2024).

Ein Freikauf vom Reservedienst ist gemäß Quellen des niederländischen Außenministeriums nicht möglich, wobei mit Stand August 2023 aufgrund der aktuellen geringen Intensität der Kampfhandlungen es nur selten zur Einberufung von Reservisten gekommen ist (NMFA 8.2023).

Das Italian Institute for International Political Studies (ISPI) hingegen schreibt, dass seit der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 auch Reservisten sich durch eine Gebühr von 5.000 USD nach einem Auslandsaufenthalt von mindesten einem Jahr freikaufen können (ISPI 5.6.2023). Auch die staatliche Nachrichtenagentur SANA schrieb im Dezember 2023 vom Legislaturdekret Nr. 37, wonach Reservisten, die das 40. Lebensjahr erreicht haben und noch nicht im Dienst waren, sich durch eine Befreiungsgebühr von 4.800 USD vom Reservedienst freikaufen können (SANA 1.12.2023; vgl. EB 3.12.2023). Das Auswärtige Amt schreibt, dass es zahlreiche Berichte, darüber gäbe, dass auch Reservisten zum Militärdienst eingezogen werden (AA 2.2.2024).

Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum Erreichen des wehrpflichtigen Alters dauerhaft und ununterbrochen im Ausland lebten, gilt eine Befreiungsgebühr von 3.000 USD. Wehrpflichtige, die im Ausland geboren wurden und dort mindestens zehn Jahre vor dem Einberufungsalter gelebt haben, müssen einen Betrag von 6.500 USD entrichten (Rechtsexperte 14.9.2022). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an (DIS 5.2020; vgl. Rechtsexperte 14.9.2022). Auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, können Quellen zufolge durch die Zahlung der Gebühr vom Militärdienst befreit werden (NMFA 5.2022; vgl. Rechtsexperte 14.9.2022; NMFA 8.2023). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor durch einen individuellen „Versöhnungsprozess“ bereinigen (NMFA 5.2022).

Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA5.2020). Die syrische Botschaft in Berlin gibt beispielsweise an, dass u. a. ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung der Ein- und Ausreise vorgelegt werden muss (SB Berlin o.D.), welche von der syrischen Einwanderungs- und Passbehörde ausgestellt wird („bayan harakat“). So vorhanden, sollten die Antragsteller auch das Wehrbuch oder eine Kopie davon vorlegen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akte zu bereinigen (Balanche13.12.2021).

Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdienstes

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in Syrischen Pfund leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2.000 USD oder das Äquivalent in Syrischen Pfund nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird wie ein ganzes Jahr gerechnet (SANA 8.11.2017; vgl. PAR 15.11.2017).

Diese mit dem Gesetz Nr. 35 vom 15.11.2017 beschlossene Änderung ermöglicht es der Direktion für militärische Rekrutierung, Vermögen wie Immobilien und bewegliche Güter von syrischen Männern zu beschlagnahmen, die ihren Verpflichtungen zur Ableistung des Militärdienstes nicht nachgekommen sind. Gesetz Nr. 39 vom 24.12.2019 zur Änderung von Artikel 97 des Wehrdienstgesetzes Nr. 30 aus dem Jahr 2007 veränderte die Art der vorgesehenen Beschlagnahmung. Es ermöglicht die Beschlagnahme von Eigentum von Männern, die das 42. Lebensjahr vollendet haben und weder den Militärdienst abgeleistet noch die Kompensationszahlung von 8.000 USD ordnungsgemäß beglichen haben, oder von deren Ehefrauen oder Kindern, ohne dass die betroffenen Personen davon in Kenntnis gesetzt werden. Derzeit kann das Vermögen dieser Person vorsorglich beschlagnahmt werden, was bedeutet, dass es weder verkauft noch an eine andere Partei übertragen werden kann. Das Vermögen kann ohne weitere Ankündigung vom Staat versteigert werden, anstatt es bis zu einer Lösung der Frage einzufrieren. Der Staat kann den geschuldeten Betrag aus der Versteigerung einbehalten und den Restbetrag (falls vorhanden) an die Person zurückzahlen, deren Eigentum versteigert wurde. Erreicht das Vermögen des Mannes nicht den Wert der Kompensationszahlung, kann das gleiche Versteigerungsverfahren auf das Vermögen seiner Frau oder seiner Kinder angewandt werden, bis der Wert der Gebühr erreicht ist (Rechtsexperte 14.9.2022; vgl. DIS 1.2024). Laut einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums kann auch die Erbschaft solange zurückgehalten werden, bis der erbberechtigte Sohn den Wehrdienst geleistet oder eine Wehrpflichtbefreiung erhalten hat (NMFA 8.2023). Mehrere von EUAA befragte Quellen geben an, dass ihnen bisher keine Fälle bekannt wären, in denen dieses Gesetz gegriffen hätte und tatsächlich Eigentum beschlagnahmt worden wäre, aber zumindest ein Experte geht davon aus, dass das Gesetz in Zukunft entsprechend in die Praxis umgesetzt werden wird (EUAA 10.2023).

Unter anderem wurde auch berichtet, dass Palästinensern, die keinen Wehrdienst abgeleistet haben, der Zugang zum Camp Yarmouk verweigert wurde, um sich dort ihren Besitz zurückzuholen (Action PAL 3.1.2023).

Geistliche und Angehörige von religiösen Minderheiten

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9.4 Wehrdienstverweigerung / Desertion

Letzte Änderung 2024-03-12 13:44

Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 5.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten Zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und vergleichsweise wenige wurden nach diesem Zeitpunkt deswegen verhaftet (Landinfo 3.1.2018).

In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 2.2.2024).

Der verpflichtende Militärdienst führt weiterhin zu einer Abwanderung junger syrischer Männer, die vielleicht nie mehr in ihr Land zurückkehren werden (ICWA 24.5.2022).

Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern

In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Rechtsexperten der Free Syrian Lawyers Association (FSLA) mit Sitz in der Türkei beurteilen, dass das syrische Regime die Verweigerung des Militärdienstes als schweres Verbrechen betrachtet und die Verweigerer als Gegner des Staates und der Nation behandelt. Dies spiegelt die Sichtweise des Regimes auf die Opposition wie auch jede Person wider, die versucht, sich seiner Politik zu widersetzen oder ihr zu entkommen (STDOK 25.10.2023). Der Syrien-Experte Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt „ihr Land zu verteidigen“. Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Hinzu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit „gerettet“ haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021). Ein für eine internationale Forschungsorganisation mit Schwerpunkt auf den Nahen Osten tätiger Syrienexperte, der allerdings angibt, dazu nicht eigens Forschungen durchgeführt zu haben, geht davon aus, dass das syrische Regime möglicherweise am Anfang des Konflikts, zwischen 2012 und 2014, Wehrdienstverweigerer durchwegs als oppositionell einstufte, inzwischen allerdings nicht mehr jeden Wehrdienstverweigerer als oppositionell ansieht (STDOK 25.10.2023). Gemäß Auswärtigem Amt legen einige Berichte nahe, dass Familienangehörige von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern ebenfalls Verhören und Repressionen der Geheimdienste ausgesetzt sein könnten (AA 2.2.2024).

Gesetzliche Lage

Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 2.2.2024; vgl. Rechtsexperte 14.9.2022).

Desertion wird von Soldaten begangen, die bereits einer Militäreinheit beigetreten sind, während Wehrdienstverweigerung in den meisten Fällen von Zivilisten begangen wird, die der Einberufung zum Wehrdienst nicht gefolgt sind. Desertion wird meist härter bestraft als Wehrdienstverweigerung. Das Militärstrafgesetzbuch unterscheidet zwischen „interner Desertion“ (farar dakhelee) und „externer Desertion“ (farar kharejee). Interne Desertion in Friedenszeiten wird begangen, wenn sich der Soldat sechs Tage lang unerlaubt von seiner militärischen Einheit entfernt. Ein Soldat, der noch keine drei Monate im Dienst ist, gilt jedoch erst nach einem vollen Monat unerlaubter Abwesenheit als Deserteur. Interne Desertion liegt außerdem vor, wenn der reisende Soldat trotz Ablauf seines Urlaubs nicht innerhalb von 15 Tagen nach dem für seine Ankunft oder Rückkehr festgelegten Datum zu seiner militärischen Einheit zurückgekehrt ist (Artikel 100/1/b des Militärstrafgesetzbuchs). Interne Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft, und wenn es sich bei dem Deserteur um einen Offizier oder einen Berufsunteroffizier handelt, kann er zusätzlich zu der vorgenannten Strafe mit Entlassung bestraft werden (Artikel 100/2). In Kriegszeiten können die oben genannten Fristen auf ein Drittel verkürzt und die Strafe verdoppelt werden (Artikel 100/4). Eine externe Desertion in Friedenszeiten liegt vor, wenn der Soldat ohne Erlaubnis die syrischen Grenzen überschreitet und seine Militäreinheit verlässt, um sich ins Ausland zu begeben. Der betreffende Soldat wird in Friedenszeiten nach Ablauf von drei Tagen seit seiner illegalen Abwesenheit und in Kriegszeiten nach einem Tag als Deserteur betrachtet (Artikel 101/1) (Rechtsexperte 14.9.2022). Externe Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren bestraft (Artikel 101/2) (Rechtsexperte 14.9.2022; vgl. AA 2.2.2024). Die Haftstrafen können sich bei Vorliegen bestimmter Umstände noch erhöhen (z. B. Desertion während des Dienstes, Mitnahme von Ausrüstung) (Rechtsexperte 14.9.2022).

Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art. 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (AA 2.2.2024).

Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 5.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020).

Freikauf vom Wehrdienst

Nach dem Wehrpflichtgesetz ist es syrischen Männern im wehrpflichtigen Alter möglich, sich durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freizukaufen, sofern sie mindestens ein Jahr ohne Wiedereinreise nach Syrien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten (AA 2.2.2024). Drei vertrauliche Quellen, die vom niederländischen Außenministerium im März 2023 und November 2022 befragt wurden, gehen davon aus, dass jemand, der sich vom Militärdienst freigekauft hat, auch nicht mehr zum Militärdienst einberufen wird. Der zu zahlende Betrag hängt dabei davon ab, wie lange die Männer im Ausland waren und variiert zwischen 7.000 und 10.000 Dollar. Auch Wehrdienstpflichtige, die das Land illegal verlassen haben, können sich durch eine solche Zahlung von der Wehrpflicht freikaufen. Möglich ist dies in einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat unter Vorlage eines Nachweises, dass man im Ausland lebt. Es besteht die Möglichkeit, dass die Botschaft die Namen derer veröffentlicht, die sich auf diese Art von der Wehrpflicht befreit haben. Andererseits kann die Person sich auch durch einen Verwandten in Syrien an ein lokales Rekrutierungsbüro wenden, um sich von der Liste der Wehrdienstverweigerer streichen zu lassen (NMFA 8.2023). Die Zahlung des Wehrersatzgeldes ist an die Vorlage von Dokumenten geknüpft, die eine Vielzahl der ins Ausland Geflüchteten aufgrund der Umstände ihrer Flucht nicht beibringen können oder die nicht ohne ein Führungszeugnis der Sicherheitsdienste des syrischen Regimes nachträglich erworben werden können, wie etwa einen Nachweis über Aus- und Einreisen (Ausreisestempel) oder die Vorlage eines Personalausweises (AA 2.2.2024). Die Person bekommt einen Beleg für den Freikauf, den sie bei der Einreise am Flughafen vorweisen kann. Um auch möglichst problemlos Checkpoints passieren zu können, muss die Person zusätzlich zum Beleg einen Eintrag in sein Militärbuch machen lassen (DIS 7.2023). Die syrische Regierung respektiert die Zahlung dieser Befreiungsgebühr mehreren Experten, die vom Danish Immigration Service befragt wurden, zufolge und zieht Männer, die diese Gebühr bezahlt haben, im Allgemeinen nicht ein. Eine Quelle gibt auch an, dass Personen, die die Gebühr bezahlt haben problemlos ins Land einreisen können. Probleme bekommen vor allem jene Männer, die ihre Dokumente zum Beweis, dass sie befreit sind, nicht vorweisen können. Des Weiteren berichten Quellen des Danish Immigration Service von Fällen, bei denen Personen, die ihren Status mit der Regierung geklärt hatten, dennoch verhaftet worden sind, weil sie aus Gründen der Sicherheit von den Sicherheitskräften gesucht worden sind. Eine Quelle sprach auch von Racheaktionen gegenüber Wehrpflichtigen, die aus ehemaligen Oppositionsgebieten kommen, bei denen die syrischen Behörden diese an Checkpoints festhalten und erpressen (DIS 1.2024). Auch das Auswärtige Amt schreibt, dass staatlich ausgestellte Nachweise über die Ableistung des Wehrdienstes bzw. Zahlung des Wehrersatzgeldes an Kontrollstellen der Sicherheitsdienste des Regimes durchgängig anerkannt werden (AA 2.2.2024).

Das syrische Wehrpflichtgesetz (Art. 97) ermöglicht es, das Vermögen von Männern zu beschlagnahmen, die sich bis zum Erreichen des 43. Lebensjahres (Altersgrenze zur Einberufung) der Wehrpflicht entzogen haben und sich weigern, ein Wehrersatzgeld in Höhe von 8.000 USD zu entrichten. Das Gesetz erlaubt die Beschlagnahme des Vermögens nicht nur von Männern, die nicht im Militär gedient haben, sondern auch von deren unmittelbaren Familienangehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kindern (AA 2.2.2024 vgl. Rechtsexperte 14.9.2022; vgl. NMFA 8.2023).

Ein Freikauf vom Reservedienst ist gemäß Quellen des niederländischen Außenministeriums nicht möglich, wobei mit Stand August 2023 aufgrund der aktuellen geringen Intensität der Kampfhandlungen es nur selten zur Einberufung von Reservisten gekommen ist (NMFA 8.2023).

Das Italian Institute for International Political Studies (ISPI) hingegen schreibt, dass seit der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 auch Reservisten sich durch eine Gebühr von 5.000 USD nach einem Auslandsaufenthalt von mindesten einem Jahr freikaufen können (ISPI 5.6.2023). Auch die staatliche Nachrichtenagentur SANA schrieb im Dezember 2023 vom Legislaturdekret Nr. 37, wonach Reservisten, die das 40. Lebensjahr erreicht haben und noch nicht im Dienst waren, sich durch eine Befreiungsgebühr von 4.800 USD vom Reservedienst freikaufen können (SANA 1.12.2023; vgl. EB 3.12.2023). Das Auswärtige Amt schreibt, dass es zahlreiche Berichte darüber gäbe, dass auch Reservisten zum Militärdienst eingezogen werden (AA 2.2.2024).

Männern, die sich in Syrien aufhalten, ist ein Freikauf von der Wehrpflicht grundsätzlich nicht möglich. Eine Ausnahme hierfür ist nur durch die Möglichkeit, sich vom Reservedienst freizukaufen, für Männer im Alter von mindestens 40 Jahren geboten (DIS 1.2024).

Handhabung

Die Gesetzesbestimmungen werden nicht konsistent umgesetzt (Landinfo 3.1.2018), und die Informationslage bezüglich konkreter Fälle von Bestrafung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren ist eingeschränkt, da die syrischen Behörden hierzu keine Informationen veröffentlichen (Rechtsexperte 14.9.2022). Manche Quellen geben an, dass Betroffene sofort (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018) oder nach einer kurzen Haftstrafe (einige Tage bis Wochen) eingezogen werden, sofern sie in keinerlei Oppositionsaktivitäten involviert waren (DIS 5.2022). Andere geben an, dass Wehrdienstverweigerer von einem der Nachrichtendienste aufgegriffen und gefoltert oder „verschwindengelassen“ werden können. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018).

Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit mangelhafter oder ohne Ausbildung direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für Wehrdienstentzug ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als „Kanonenfutter“), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter) (Üngör 15.12.2021). Dem hingegegn gibt ein von EUAA interviewter Experte an, dass Wehrdienstverweigerer, die von der syrischen Regierung gefasst werden, der Militärpolizei übergeben werden und schließlich in Trainingslager zur Ausbildung und Stationierung gesendet werden (EUAA 10.2023). Bis zum Beginn einer Wehrdienstausbildung, die normalerweise im April und September geplant sind, bleibt der Wehrdienstverweigerer bei der Militärpolizei (NMFA 8.2023). Selbst für privilegierte Personen mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021). Auch einige Quellen des Danish Immigration Service geben an, dass Wehrdienstverweigerer mit einer Haftstrafe von bis zu neun Monaten rechnen müssen. Andere Quellen des Danish Immigration Service wiederum berichteten, dass Wehrdienstverweigerer direkt zum Wehrdienst eingezogen, ohne vorher inhaftiert zu werden. Wer an einem Checkpoint als Wehrdienstverweigerer erwischt wird, wird dem Geheimdienst übergeben. Ein Wehrdienstverweigerer, der nicht aus anderen Gründen gesucht wird, wird dem Militär zur Ableistung des Wehrdienstes übergeben. Wehrdienstverweigerer werden meist direkt an die Front geschickt (DIS 1.2024). Wehrdienstverweigerer aus den Gebieten, die von der Opposition kontrolliert wurden, werden dabei mit größerem Misstrauen betrachtet und mit größerer Wahrscheinlichkeit inhaftiert oder verhaftet (NMFA 8.2023).

Bei militärischer Desertion gibt es Fälle, die dem Militärgericht übergeben werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Mehrere Quellen berichten, dass Deserteure verfolgt und mit einer Haftstrafe bestraft werden und dann ihren Wehrdienst ableisten müssen (DIS 1.2024). Eine Quelle berichtet im Jahr 2020, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 5.2020). Dem gegenüber berichtet ein vom Danish Immigraton Service 2023 interviewter Experte, dass Deserteure aus ehemaligen Oppositionsgebieten, sowie Überläufer, die sich an Handlungen gegen das Regime beteiligt haben, zum Tode verurteilt werden könnten. SNHR berichtet, dass Deserteure ein bestimmtes Zeitlimit, wie beispielsweise ein Jahr haben, um sich freiwillig den Behörden stellen und straffrei davonkommen zu können.

Wer sich innerhalb der Frist nicht meldet, wird in Abwesenheit verurteilt (DIS 1.2024). Überläufer, die sich freiwillig stellen, würden vor ein Militärgericht gestellt und müssen entweder nach Ableistung einer Haftstrafe oder, wenn eine Amnestie erlassen wurde, sofort den verbleibenden Wehrdienst in der Einheit, aus der sie desertierten, absolvieren (EUAA 10.2023). Das Omran Center for Strategic Studies wiederum gibt an, dass kein Unterschied zwischen Deserteuren und Überläufern gemacht wird. Die Haftstrafe für Wehrpflichtige und Reservisten, die desertiert sind, beträgt bis zu neun Monate. Wer ein zweites Mal desertiert wird bis zu zwei Jahre inhaftiert, wer ein drittes Mal desertiert für fünf Jahre (DIS 1.2024). Ein Syrienexperte, der von EUAA interviewt wurde, gibt an, dass die Behandlung von Deserteuren und Überläufern abhängig ist von einerseits der Art ihrer Flucht und andererseits den Strafen, die vorgesehen sind in den Artikeln 100 und 104 im Strafgesetzbuch (EUAA 10.2023). Anfang September verfügte Präsident Assad mittels Dekret (32/2023) die Auflösung von ad hoc Gefechtsfeldtribunalen, die laut Menschenrechtsorganisationen mit hunderten Todesurteilen gegen vermeintliche Deserteure und andere Personen in Verbindung gebracht werden (AA 2.2.2024).

Manche Quellen berichten, dass Wehrdienstverweigerung und Desertion für sich genommen momentan nicht zu Repressalien für die Familienmitglieder der Betroffenen führen. Hingegen berichten mehrere andere Quellen von Repressalien gegenüber Familienmitgliedern von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern, wie Belästigung, Erpressung, Drohungen, Einvernahmen und Haft. Eine Quelle berichtete sogar von Folter. Betroffen sind vor allem Angehörige ersten Grades (DIS 1.2024). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z. B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 1.2024). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020; vgl. DIS 1.2024). Insbesondere die politische oder militärische Haltung gegenüber der Syrischen Regierung wirkt sich auf die Art der Behandlung der Familie des Deserteurs bzw. Wehrdienstverweigerer aus. Familien von Deserteuren sind dabei einem höheren Risiko ausgesetzt als jene von Wehrdienstverweigerern (DIS 1.2024).

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen berichtete im zweiten Halbjahr 2022 weiterhin von willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen durch die Regierungskräfte, darunter auch von Personen, die sich zuvor mit der Regierung „ausgesöhnt“ hatten. Andere wurden vor der am 21.12.2022 angekündigten Amnestie für Verbrechen der „internen und externen Desertion vom Militärdienst“ aufgrund von Tatbeständen im Zusammenhang mit der Wehrpflicht inhaftiert (UNHRC 7.2.2023).

„Versöhnungsabkommen“ und Rückkehr von Wehrpflichtigen

Versöhnungsabkommen dienen der Regierung auch zur Rekrutierung von Wehrpflichtigen, die entweder direkt in die SAA integriert werden oder in eine der mit der Regierung zusammenarbeitenden Milizen (EUAA 10.2023). Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus dem Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert (AA 2.2.2024). Deserteure bekommen eine einmonatige Frist, um zu ihrer Einheit zurückzukehren (SD 9.6.2023). Zumindest Erstere wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten (AA 2.2.2024). Als Anreiz können Wehrpflichtige im Rahmen dieser Abkommen in Dara‘a eine Reiseerlaubnis sowie einen Reisepass bekommen, um außer Landes zu reisen (SD 9.6.2023; vgl. EB 14.6.2023). Einer Quelle von EUAA zufolge ist ein „Versöhnungsprozess“ auch die Voraussetzung, um sich für die immer wieder ausgesprochenen Amnestien zu qualifizieren (EUAA 10.2023). Dem Bericht der Commission of Inquiry (CoI), der Vereinten Nationen vom Augsut 2023 zufolge, waren Personen im Gouvernement Dara’a von Repressionen betroffen, obwohl sie den offiziellen „Versöhnungsprozess“ durchlaufen hatten (AA 2.2.2024).

Ein Monitoring durch die Vereinten Nationen oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich, da vielerorts kein Zugang für sie besteht; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 2.2.2024). Einzelne Personen in Aleppo berichteten, dass sie durch die Teilnahme am „Versöhnungsprozess“ einem größeren Risiko ausgesetzt wären, bei späteren Interaktionen mit Sicherheitsbeamten verhaftet und erpresst zu werden. Selbst für diejenigen, die nicht im Verdacht stehen, sich an oppositionellen Aktivitäten zu beteiligen, ist das Risiko der Einberufung eine große Abschreckung, um zurückzukehren (ICG 9.5.2022). Auch SNHR berichtet von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren, die den Versöhnungsprozess durchlaufen haben und im Zuge dessen von den syrischen Behörden aufgrund anderer Sicherheitsbedenken einvernommen und sogar zum Tode gefoltert wurden, weil sie Verbindungen zur Opposition hatten (DIS 1.2024). Zudem sind in den „versöhnten Gebieten“ Männer im entsprechenden Alter auch mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert (FIS 14.12.2018).

In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten viele Deserteure und Überläufer, denen durch die „Versöhnungsabkommen“ Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).

Aufgrund der fehlenden Überwachung durch internationale Organisationen ist unklar, wie systematisch und weit verbreitet staatliche Übergriffe auf Rückkehrer sind. Die Tatsache, dass der zuständige Beamte am Grenzübergang oder in der örtlichen Sicherheitsdienststelle die Befugnis hat, seine eigene Entscheidung über den einzelnen Rückkehrer zu treffen, trägt dazu bei, dass es hierbei kein klares Muster gibt (DIS 5.2022). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Glaubwürdige Berichte über Einzelschicksale legen nahe, dass auch eine zuvor ausgesprochene Garantie des Regimes, auf Vollzug der Wehrpflicht bzw. Strafverfolgung aufgrund von Wehrentzug, etwa im Rahmen sogenannter „Versöhnungsabkommen“ zu verzichten, keinen effektiven Schutz vor Zwangsrekrutierung bietet (AA 2.2.2024).

Einem Experten sind hingegen keine Berichte von Wehrdienstverweigerern bekannt, die aus dem Ausland in Gebiete unter Regierungskontrolle zurückgekehrt sind. Ihm zufolge kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, was in so einem Fall passieren würde. Laut dem Experten wäre es aber „wahnsinnig“, als Wehrdienstverweigerer aus Europa ohne Sicherheitsbestätigung und politische Kontakte zurückzukommen. Wenn keine „Befreiungsgebühr“ bezahlt wurde, müssen zurückgekehrte Wehrdienstverweigerer ihren Wehrdienst ableisten. Wer die Befreiungsgebühr entrichtet hat und offiziell vom Wehrdienst befreit ist, wird nicht eingezogen (Balanche 13.12.2021).

[…]

19 Rückkehr

19.1 Perspektiven des [Ergänzung durch BVwG: Assad] Staatsapparats bezüglich Emigration und Rückkehr

Letzte Änderung 2024-03-14 11:46

Die Bedeutung von Überweisungen von SyrerInnen im Ausland und die Rolle der syrischen Lohnpolitik für Angestellte des öffentlichen Diensts dabei

Neben dem wachsenden Auswanderungsdruck auf gebildete SyrerInnen durch die Bevorzugung der Militärs bezüglich Gehälter zielt die syrische Lohnpolitik im öffentlichen Sektor laut einer Studie von Omran for Strategic Studies darauf ab, junge Leute dazu zu bewegen, ins Ausland zu gehen, damit sie später Geld an ihre Familien schicken. So profitiert Syrien von den Devisenüberweisungen in die Gebiete unter Regimekontrolle sowie von den großen Summen, welche für die Befreiung vom Wehr- und Reservedienst zu zahlen sind (Omran 23.1.2023). Rücküberweisungen aus dem Ausland (remittances) sind angesichts der Wirtschaftskrise eine wichtige Einnahmequelle für viele Syrerinnen und Syrer. Seit Konfliktbeginn sind sie merklich angestiegen: 2010 betrugen sie laut der syrischen Zentralbank (CBS) 906 Mio. USD. 2019 waren es 3.01 Mrd. USD (elf Prozent des BIP). Seither hat die CBS keine Zahlen mehr veröffentlicht. Laut Medienberichten lagen die Rücküberweisungen 2022 bei über drei Mrd. US-Dollar (20 Prozent des gesamten BIP 2022; laut Weltbank etwa 15,5 Mrd. US-Dollar). Sie sind weiterhin eine signifikante Einnahmequelle für die Bevölkerung. Gleichzeitig verbreiteten Syrien und Russland bei einer Konferenz Mitte Oktober 2022 den Vorwurf, ’der Westen’ würde eine Rückkehr von Geflüchteten verhindern (AA 29.3.2023). Das Regime wünscht sich laut Experten-Einschätzung RückkehrerInnen mit Geld - nicht einfache Leute (Khaddour 24.12.2021) oder ehemalige Flüchtlinge, zumal die Regierung, nicht die Kapazitäten und finanziellen Möglichkeiten hätte, für die ehemaligen Flüchtlinge zu sorgen (The Guardian 23.3.2023).

Laut Einschätzung des Think Tanks Omran for Strategic Studies werden rückkehrende Syrer mehrheitlich als Folge der obigen Lohnpolitik sich gezwungenermaßen einer militärischen Einrichtung oder einer Miliz anschließen müssen, denn diese Organisationen bieten als einzige eine berufliche Perspektive in den Regime-kontrollierten Gebieten (Omran 23.1.2023)

Wahrnehmung von RückkehrerInnnen ja nach Profil

Nach zuvor vorwiegend rückkehrkritischen öffentlichen Äußerungen hat die syrische Regierung seine Politik seit Ankündigung eines sogenannten „Rückkehrplans“ für Flüchtlinge durch Russland 2018 sukzessive angepasst und im Gegenzug für eine Flüchtlingsrückkehr Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und die Aufhebung westlicher Sanktionen gefordert (AA 20.3.2023). Die Rückkehr von ehemaligen Flüchtlingen ist trotzdem nicht erwünscht, auch wenn offiziell mittlerweile das Gegenteil gesagt wird (The Guardian 23.3.2023; vgl. Balanche 13.12.2021). Rückkehrende werden vom Regime häufig als „VerräterInnen“ deklariert (AA 2.2.2024), bzw. insgeheim als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen angesehen (AI 9.2021). Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (regime-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiärer Verbindung zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z. B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Berichte deuten jedoch darauf hin, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können (AA 2.2.2024).

Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig (Üngör 15.12.2021). Aus Sicht des syrischen Staates ist es daher besser, wenn diese SyrerInnen im Ausland bleiben, damit ihr Land und ihre Häuser umverteilt werden können, um Assads soziale Basis neu aufzubauen. Minderheiten wie Alawiten und Christen, reiche Geschäftsleute und Angehörige der Bourgeoisie sind hingegen für Präsident al-Assad willkommene Rückkehrer. Für arme Menschen, z. B. aus den Vorstädten von Damaskus oder Aleppo, hat der syrische Staat jedoch keine Verwendung (Balanche 13.12.2021), zumal keine Kapazitäten zur Unterstützung von (mittellosen) Rückkehrenden vorhanden sind (The Guardian 23.2.2023).

Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen [Anm.: für weitere Informationen zu Sicherheitsüberprüfungen siehe Unterkapitel Administrative Bedingungen für eine Rückkehr sowie Möglichkeit der Rückkehr an den Herkunftsort], Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.) (AA 29.11.2021).

Anhand der von der United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, NGOs und anderen dokumentierten Einzelschicksalen der Vergangenheit ist die Bedrohung der persönlichen Sicherheit im Einzelfall das zentrale Hindernis für Rückkehrende. Dabei gilt nach Ansicht des deutschen Auswärtigen Amts, dass sich die Frage einer möglichen Gefährdung des Individuums weder auf etwaige Sicherheitsrisiken durch Kampfhandlungen und Terrorismus beschränken lässt, noch ganz grundsätzlich eine Eingrenzung auf einzelne Landesteile möglich ist. Entscheidend für die Sicherheit von Rückkehrenden bleibt vielmehr die Frage, wie der oder die Rückkehrende von den im jeweiligen Gebiet präsenten Akteuren wahrgenommen wird. Rückkehr auf individueller Basis findet, z. B. aus der Türkei, insbesondere in Gebiete statt, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen. Darüber hinaus können belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen nach geografischen Kriterien weiterhin nicht getroffen werden. Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass eine belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung nicht möglich ist (AA 2.2.2024).

Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr (ÖB Damaskus 1.10.2021), und die Aussagen zur Haltung der Regimekräfte gegenüber Rückkehrern heben unterschiedliche Aspekte zu deren Wahrnehmung und Behandlung hervor:

Der Syrien-Experte Uğur Üngör geht davon aus, dass jeder, der das Land verlassen hat, und nach Europa geflohen ist, vom Regime als verdächtig angesehen wird, weil es im Verständnis des Regimes keinen Grund gab, zu fliehen. Die Flucht nach Europa und das Beantragen von Asyl können negativ gesehen werden - im Sinne einer Zusammenarbeit mit den europäischen Regierungen oder sogar, dass man von diesen bezahlt wurde. Dies gilt jedoch nicht für Personen, die eine offiziell bestätigte regierungsfreundliche Einstellung haben. Weiters werden Personen, die in die Türkei geflohen sind, als Vertreter von Präsident Erdoğans Regierung gesehen. Wer im Ausland negative Äußerungen [Anm.: siehe hierzu das Unterkapitel Überwachungsmaßnahmen und das Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage bzgl. der Gesetze zur Schädigung des Ansehens im Ausland sowie bzgl. positiver Äußerungen über Staaten, mit denen Syrien verfeindet ist] über das Regime gemacht hat (im Sinne von öffentlichem politischen Aktivismus, aber auch privat in sozialen Medien), kann bei der Rückkehr speziell vom politischen Geheimdienst überprüft werden. Wenn man Glück hat, sind die Anschuldigungen laut Üngör nicht sehr ernst, oder man kann ein Bestechungsgeld zahlen, um freizukommen, andernfalls kann man direkt vor Ort verhaftet werden. Hierbei spielen nicht nur eigene Aktivitäten eine Rolle, sondern auch Aktivitäten von Verwandten und die geografische Herkunft der rückkehrenden Person. Es gibt auch Berichte, dass Familienmitglieder von Journalisten, die in Europa für oppositionelle Medien schreiben, inhaftiert und tagelang festgehalten und wahrscheinlich gefoltert wurden (Üngör 15.12.2021) [Anm.: siehe hierzu auch Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage].

Laut dem Syrien-Experten Kheder Khaddour kommt es darauf an, wo im Ausland man sich aufgehalten hat: War man in den Golfstaaten, wird vielleicht davon ausgegangen, dass man geschäftlichen Tätigkeiten nachgegangen ist und nichts mit Politik zu tun hat. Wer in die Türkei gegangen ist, wird als Kollaborateur der Islamisten und Präsident Erdoğans gesehen. Wer in Europa war, wird beschuldigt, von Europa bezahlt worden zu sein, um gegen das Regime zu sein. Der Libanon ist vielleicht noch am neutralsten, quasi wie ein ’erweitertes Syrien’, und durch die geografische Nähe stehen Flüchtlingen im Libanon Korruptionsnetzwerke (zur Absicherung der Rückkehr) zur Verfügung, auf die man in Europa keinen Zugriff hat (Khaddour 24.12.2021).

Bashar al-Assad hat erklärt, dass er jene, die gegen sein Regime sind, als ’Krankheitserreger’ sieht. Die Rückkehr ist aber nicht nur für Regimegegner, sondern auch für alle, über deren politischer Position sich das Regime nicht sicher ist, problematisch. Die Behandlung eines Rückkehrers durch die Behörden hängt laut dem syrischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Mohamad Rasheed allein davon ab, ob die Person für oder gegen das Regime ist. Wer regierungstreu ist, kann auf legalem und gewöhnlichem Weg ein- und ausreisen. Die Unvorhersehbarkeit und Willkür sind große Hindernisse für die Rückkehr nach Syrien. Man kann jederzeit verhaftet und verhört werden und niemand weiß, ob man leben, getötet oder verschwinden gelassen wird. Der Staatsapparat ist durchzogen von Mafias, und im ganzen Land gibt es Milizen, die die Bevölkerung tyrannisieren (Rasheed 28.12.2021).

Laut dem Nahost-Experten Fabrice Balanche kann man, wenn man Teil der Opposition war oder sogar gekämpft hat, nicht nach Syrien zurückkehren, selbst wenn es laut offiziellem Narrativ des Präsidenten eine Amnestie gibt. Dasselbe gilt auch für (andere) politische Flüchtlinge. Zudem besteht immer die Gefahr, vom Geheimdienst verhaftet zu werden, zum Teil, um Geld zu erpressen. Man wird für ein paar Wochen inhaftiert, weil man vom Ausland zurückkommt und davon ausgegangen wird, dass man Geld hat. Die Familie muss dann ein Lösegeld von ein paar Tausend Dollar bezahlen, oder die Person bleibt weitere zwei Wochen im Gefängnis (Balanche 13.12.2021).

Das deutsche Auswärtige Amt zieht den Schluss, dass eine sichere Rückkehr Geflüchteter insofern für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden kann (AA 2.2.2024). UNHCR ruft weiterhin die Staaten dazu auf, keine zwangsweise Rückkehr von syrischen Staatsbürgern sowie ehemals gewöhnlich dort wohnenden Personen - einschließlich früher in Syrien ansässiger Palästinenser - in irgendeinen Teil Syrien zu veranlassen, egal wer das betreffende Gebiet in Syrien beherrscht (UNHCR 6.2022).

Auch die lokale Bevölkerung hegt oft Argwohn gegen Personen, die das Land verlassen haben. Es besteht eine große Kluft zwischen Syrern, die geflohen sind, und jenen, die dort verblieben sind. Erstere werden mit Missbilligung als Leute gesehen, die ’davongelaufen’ sind, während Letztere oft Familienmitglieder im Krieg verloren und unter den Sanktionen gelitten haben (Khaddour 24.12.2021; vgl. Üngör 15.12.2021). Es kann daher zu Denunziationen oder Erpressungen von Rückkehrern kommen, selbst wenn diese eigentlich ’sauber’ [Anm.: aus Regimeperspektive] sind, mit dem Ziel, daraus materiellen Gewinn zu schlagen (Üngör 15.12.2021)

Ein weiteres soziales Problem sind persönliche Racheakte: Wenn bei Kämpfen zwischen zwei Gruppen jemand getötet wurde, kann es vorkommen, dass jemand, der mit dem Mörder verwandt ist, von der Familie des Ermordeten im Sinne der Vergeltung getötet wird. Dies hindert viele an der Rückkehr in ihren Heimatort (Balanche 13.12.2021).

1.3.2. Auszüge aus Syrien, Arabische Republik – Informationssammlung zu Entwicklungen rund um den Sturz von Präsident Assad

Am 8. Dezember 2024 erklärten die Rebellen den Sieg in Damaskus. Der syrische Präsident Baschar al-Assad verließ noch am selben Tag das Land und beantragte Asyl in Russland, wo ihm Aufnahme gewährt wurde. Die syrischen Gruppen, die Al-Assad gestürzt und die Hauptstadt Damaskus eingenommen haben, sind heterogen mit teils gegensätzlichen Ideologien und langfristigen Zielen. Hayat Tahrir al-Scham (HTS): Die mächtigste Gruppe in Syrien, die den Vormarsch der Rebellen anführte, ist die islamistische Gruppe Hayat Tahrir al-Scham. Sie begann als offizieller al-Qaida-Ableger in Syrien unter dem Namen Nusra-Front und verübte bereits zu Beginn des Aufstands gegen Assad Angriffe in Damaskus. Die Gruppe durchlief mehrere Namensänderungen und gründete schließlich als die HTS eine Regierung in der Provinz Idlib, im Nordwesten Syriens. Die USA, Türkei und andere stuften die HTS und ihren Anführer, Ahmed al-Scharaa (auch Abu Mohammed al-Dscholani genannt), als Terroristen ein. Die neue Führung hatte sich seit ihrer Machtübernahme verpflichtet, die Rechte der Minderheiten zu wahren. Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) berichtet, dass zwischen dem Beginn der Offensive am 27. November und dem 11. Dezember etwa eine Million Menschen aus den Provinzen Aleppo, Hama, Homs und Idlib vertrieben wurden. Es liegen keine Zahlen vor, Berichten zufolge kehrten im selben Zeitraum Tausende syrischer Flüchtlinge aus dem Libanon ins Land zurück. Auch aus der Türkei kehrten Flüchtlinge in den Nordwesten Syriens zurück. Gleichzeitig flohen einige SyrerInnen in den Libanon (UNHCR, 11. Dezember 2024).

Anfang Jänner erteilten die USA eine sechsmonatige Ausnahme von den Sanktionen, eine sogenannte Generallizenz, um humanitäre Hilfe nach dem Ende der Herrschaft von Bashar al-Assad in Syrien zu ermöglichen. Die Ausnahme, die bis zum 7. Juli gültig ist, erlaubt bestimmte Transaktionen mit Regierungsinstitutionen, darunter Krankenhäuser, Schulen und Versorgungsunternehmen auf Bundes-, Regional- und lokaler Ebene sowie mit HTS verbundenen Einrichtungen in ganz Syrien. Zwar wurden keine Sanktionen aufgehoben, die Lizenz erlaubt jedoch auch Transaktionen im Zusammenhang mit dem Verkauf, der Lieferung, der Speicherung oder der Spende von Energie, einschließlich Erdöl und Strom, nach oder innerhalb Syriens. Darüber hinaus erlaubt sie persönliche Überweisungen und bestimmte energiebezogene Aktivitäten zur Unterstützung der Wiederaufbaubemühungen (Reuters, 6. Jänner 2025). Nach der Ausnahme von den Sanktionen kündigte Katar eine Hilfe bei der Finanzierung einer 400-prozentigen Erhöhung der Gehälter im öffentlichen Sektor an, die die syrische Übergangsregierung zugesagt hatte (Reuters, 7. Jänner 2025).

Am 29. Jänner wurde die syrische Baath-Partei, die mit Baschar Al-Assad verbunden war, verboten und der 8. Dezember wurde zum neuen Nationalfeiertag des Landes ernannt.

1.3.3. EUAA, Syria: Country Focus, March 2025, Zusammenfassende Auszüge 1.2. und 4.1.

Bezüglich der politischen Entwicklungen wird der Sturz des Assad-Regimes unter Hinweis auf die rasante Entwicklung des Umsturzes beschrieben, dass die Rebellen am 08.12.2024 ihren Sieg verkündeten und der syrische Präsident Bashar Al-Assad in diesem Tag aus Syrien floh und in Russland Zuflucht gesucht hat, wo ihm Asyl gewährt wurde. Hervorgehoben wird auch, dass der Opposition lediglich minimaler Widerstand entgegengesetzt wurde, die Syrische Armee ihre Positionen verlies und auch ausländische Verbündete nichts ausrichten konnten.

Es wurde eine Übergangsverwaltung unter dem neuen Übergangs-Premierminister Mohammed al-Bashir gebildet. Am 29.12.2024 gab Ahmad al-Sharaa eine mehrjährige Roadmap für die politische Entwicklung bekannt. Es wurden auch erste Verhandlungen mit der SDF und der Kurdish National Council (KNC) aufgenommen, um kurdische Fraktionen in den politischen Prozess einzubeziehen. Am 25.02.2025 fand die angekündigte National Dialogue Conference statt, welche in der Abschlusserklärung die territoriale Integrität Syriens betonte, die militärischen Angriffe Israels verurteilte und den Abzug Israels forderte. Auch die Annahme einer vorläufigen Verfassungserklärung, die Bildung eines vorläufigen Legislativrats und die Ausarbeitung eines Entwurfs für eine ständige Verfassung mit Schwerpunkt auf Menschenrechten und Freiheit wurde festgelegt, ebenso die Bedeutung der Beteiligung von Frauen, der friedlichen Koexistenz und der Einrichtung von Mechanismen für den laufenden nationalen Dialog hervorgehoben. Diese Konferenz wurde als übereilt organisiert und unzureichend repräsentativ kritisiert.

Ende Januar erklärte die Übergangsregierung die Verfassung Syriens aus dem Jahr 2012 für ungültig und löste das Parlament, das Militär und die Sicherheitsorgane der früheren Regierung auf. Al-Sharaa erklärte, er werde einen legislativen Interimsrat einrichten, der die Regierung bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung unterstützen soll.

Wichtigen Regierungsposten wurden von Personen aus der Syrischen Heilsregierung aus Idlib übernommen. So wurde Mohammed Al-Bashir am 10.12.2024 als Interimspremierminister bis zum 01.03.2025 bestellt. Ahmad Al-Sharaa, ein Anführer der HTS, wurde zwischenzeitlich zum de facto Anführer von Syrien und wurde am 29.01.2025 zum Präsidenten für die Übergangsperiode ernannt. Zwischenzeitlich wurden auch Ministerämter besetzt, allerdings gab es diesbezüglich keinen transparenten Mechanismus wie die Besetzung erfolgte.

Es wurden auch Militärreformen umgesetzt. Neben einer Generalamnestie für Soldaten der syrischen Streitkräfte der Assad-Regierung wurde auch ein Settlement-Prozess (Beilegungsprozess) eingerichtet, der die Wiedereingliederung zahlreicher ehemaliger Regierungs- und Militärangehöriger erleichterte. Es kam auch zu Verhaftungen von Personen, welche sich dem Settlement-Prozess entzogen. Die Übergangsregierung schaffte auch die Wehrpflicht ab, außer in Fällen wie nationalen Notfällen. Geplant ist eine Freiwilligenarmee, an der sich die Bevölkerung zur Sicherung der Grenzen des Landes beteiligen soll. Es wird auch eine Integration von allen Rebellenfraktionen in das Verteidigungsministerium angestrebt, zudem soll eine einheitlich Militär- und Polizei-Truppe gebildet werden. Anfang März wurde verlautbart, dass die SDF ihre bewaffneten Kräfte und zivilen Institutionen in die neue syrische Regierung integrieren wird.

Seitens der USA wurde Anfang Jänner 2025 eine 6-monatige Ausnahme betreffend genau umschriebene Transaktionen erlassen. Am 24.02.2025 hat der Europäische Rat verschiedene Beschränkungen betreffend Syrien aufgehoben.

Al-Sharaa kritisierte internationale Organisationen, besonders die Vereinten Nationen, für deren vermeintliche Ineffektivität im Umgang mit der humanitären Krise in Syrien. Er betonte das Erfordernis von innerstaatlichen Lösungen und verlangte Updates der UN Resolution 2254, welche ursprünglich im Dezember 2015 angenommen worden war.

Im Februar und frühen März 2025 umfassten die Gebiete unter der Kontrolle der HTS-geführten Übergangsregierung den Großteil von West-, Zentral- und Südsyrien sowie Deir Ez-Zor westlich des Euphrats. Dazu gehören auch die Städte Damaskus, Idlib, Aleppo, Hama, Homs und die Küstenstädte Latakia und Tartous, wobei lediglich die Kontrolle in den Städten Damaskus, Aleppo und Hama als effektiv kolportiert wird.

1.3.4. Den Medien sind auszugsweise folgende aktuellen Entwicklungen zu entnehmen:

Die Europäische Union hat ihre Sanktionen gegen Syrien ausgesetzt, die Wirtschaftssanktionen im Banken-, Energie- und Verkehrsbereich wurden vorläufig außer Kraft gesetzt. Aufrechterhalten werden allerdings das Waffenembargo gegen Syrien und die Sanktionen gegen Chemiewaffen. (https://orf.at/stories/3385838/, Bericht vom 24.02.2025)

Das Europäische Parlament spricht sich für die Unterstützung des politischen Übergangs und den Wiederaufbau in Syrien aus und fordert die syrischen Übergangskräfte zu unterstützen. (https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20250310IPR27229/die-eu-muss-den-politischen-ubergang-und-den-wiederaufbau-in-syrien-unterstutzen, Pressemitteilung 12.03.2025)

Die Tagesschau berichtete darüber, dass die deutsche Botschaft in Damaskus nach 13 Jahren wiedereröffnet wurde, die deutsche Außenministerin habe zugleich eine Aufarbeitung der jüngsten Massaker mit Hunderten Toten angemahnt. (https://www.tagesschau.de/ausland/asien/baerbock-botschaft-syrien-102.html, Bericht vom 20.03.2025)

Es gibt Berichte über schwere Kämpfe in den Küstengebieten Syriens und dem Latakia-Gebirge mit Toten auch auf Seiten der zivilen Bevölkerung. Nach Darstellung des syrischen Verteidigungsministers handelte es sich dabei von einem gegen Anhänger von Baschar al-Assad erfolgreich geführten und wieder beendeten Militäreinsatz, andere Berichte sehen darin eine Jagd auf die alawitische Minderheit, welcher auch der Assad-Clan angehört. Unabhängige Bestätigungen über die Anzahl der Toten liegen aktuell nicht vor. (https://orf.at/stories/3387206/, Bericht vom 10.03.2025)

Laut Medienberichten hat sich die SDF (Syrisch Demonkratische Kräfte) mit der neuen Führung in Syrien auf eine vollständige Eingliederung in die staatlichen Institutionen geeinigt, beide Seiten betonten die Einheit des Landes und lehnen nach eigenen Angaben jegliche Teilung ab, die politische Teilhabe aller Syrer unabhängig von ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit und die Anerkennung der kurdischen Gemeinschaft als Bevölkerungsgruppe mit vollen Staatsbürgerrechten sei zentraler Teil des Abkommens. Die Kontrolle über zivile und militärische Einrichtungen im Nordosten, darunter Grenzübergänge, Flughäfen und Öl- und Gasfelder, soll dem Abkommen zufolge in staatlicher Hand liegen. Zudem wurde eine sichere Rückkehr aller Vertriebenen vereinbart. (https://orf.at/stories/3387265/, Bericht vom 10.03.2025)

ORF.at berichtet darüber, dass Syriens Übergangspräsident eine neue Regierung bildet: „Der syrische Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa hat gestern die Bildung einer neuen Regierung verkündet. Zentrale Mitglieder der bisherigen Übergangsregierung behalten nach seinen Angaben ihre Posten. So sollen Außenminister Assaad al-Schaibani und Verteidigungsminister Murhaf Abu Kasra im Amt bleiben. Geheimdienstchef Anas Chattab, der ebenfalls ein Vertrauter des Übergangspräsidenten ist, wird den Angaben zufolge neuer Innenminister. Scharaa erklärte, er wolle einen „starken und stabilen Staat“ aufbauen.“ „Kämpfer von Scharaas islamistischer Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) und mit ihr verbündete Gruppen hatten am 8. Dezember den langjährigen Machthaber Baschar al-Assad gestürzt. Die Islamisten lösten das alte Parlament und die ehemalige Regierungspartei Baath auf und setzten die Verfassung von 2012 außer Kraft. Ende Jänner wurde Scharaa zum Übergangspräsidenten ernannt. Mitte März unterzeichnete er eine Verfassungserklärung für die fünfjährige Übergangsperiode nach dem Sturz Assads.“ (https://orf.at/stories/3389143/, Beitrag vom 29.03.2025)

Der Standard berichtet darüber, dass Syrien hat eine neue Regierung hat, zentrale Mitglieder des Übergangskabinetts im Amt bleiben und der Regierung erstmals auch eine Frau angehört. Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa stellte am Samstagabend ein aus 22 Ministern bestehendes Kabinett vor. Nachdem Assad im Dezember gestürzt worden war, übernahm eine Übergangsregierung die Staatsgeschäfte. Die neue Regierung wolle die staatlichen Institutionen auf der Basis von "Verantwortung und Transparenz" neu errichten, so Sharaa. Die Übergangsregierung wurde vom damaligen Regierungschef der Rebellenhochburg Idlib, Mohammad al-Bashir, angeführt. Ein Ministerpräsident wurde nicht ernannt. Es wird erwartet, dass Sharaa die Arbeit des Kabinetts leitet. (https://www.derstandard.at/story/3000000263504/syrien-hat-eine-neue-regierung, Bericht vom 30.03.2025)

Die NZZ berichtet u.a., dass sich die Kurden im Nordosten Syriens am Sonntag (30.3.) gegen die neue Regierung gestellt haben und diese ablehnen. Laut der Autonomen Verwaltung im Norden und Osten Syriens (AANES) spiegele das Kabinett nicht die Vielfalt des Landes. Die AANES sehe sich nicht an Entscheidungen der neuen Regierung gebunden. Am Samstag hatte Syriens islamistischer Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa eine neue Regierung mit 22 Ministern berufen, darunter auch erstmals eine Frau. Hind Kabawat wird als Ministerin für Soziales und Arbeit zuständig sein. Sie ist Christin. Die Kurden werfen den Islamisten unter al-Sharaa vor, die Macht in nur einer Hand zu bündeln, so wie der gestürzte Langzeitherrscher Bashar al-Asad. Die kurdisch kontrollierten Gebiete machen rund 30 Prozent Syriens aus. (https://www.nzz.ch/international/syrien-die-neusten-entwicklungen-im-buergerkrieg-ld.1536230, Bericht vom 30.03.2025)

Die Zeit-Online berichtet am 14.04.2025 u.a. „Die Achte Brigade ist Teil der Militärkoalition Southern Operations Room (SOR), die im Dezember zum Sturz des Diktators Baschar al-Assad beigetragen hatte. Angeführt wurde die entscheidende Offensive von der islamistischen Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), deren Anführer Ahmed al-Scharaa später zum Übergangspräsidenten Syriens ernannt wurde. Zahlreiche bewaffnete Gruppen von Assad-Gegnern hatten bereits Ende Dezember ihrer Auflösung und Eingliederung in die Armee zugestimmt. Die SOR war diesem Treffen ferngeblieben, ihre Kämpfer hatten ihre Waffen behalten. Vor der nun erfolgten Ankündigung hatte es in der Stadt Bosra Auseinandersetzungen zwischen Kämpfern der Achten Brigade und dem neuen syrischen Machthaber gegeben. Im März hatte die neue syrische Regierung auch mit der autonomen kurdischen Verwaltung im Nordosten des Landes ein Abkommen geschlossen, welches deren Eingliederung in die nationale Regierung vorsieht. Derzeit laufen zudem Verhandlungen mit den Vertretern der religiösen Mehrheit der Drusen im Süden Syriens.“ (https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-04/syrien-kaempfer-achte-brigade-aufloesung, 04.05.2025)

Frankreich verurteilt aufs Schärfste die religiös motivierten Gewalttaten gegen die drusische Bevölkerung im Süden von Damaskus und appelliert an alle syrischen und regionalen Akteure, die Zusammenstöße zu beenden. (https://www.diplomatie.gouv.fr/de/landerinformationen/nordafrika-und-mittlerer-osten/syrien/neuigkeiten/article/syrien-konfessionelle-gewalt-gegen-drusen-1-mai-2025, 04.05.2025). Zeit-Onine berichtet über tödliche Gefechte zwischen Drusen und Sunniten bei Damaskus und dass die drusische Minderheit nun um ihre Sicherheit im neuen Syrien fürchte (https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-05/syrien-drusen-sunniten-auseinandersetzung-voelkermord, 04.05.2025), auch der Standard berichtet am 01.05.2025 in seiner Onlineausgabe darüber, dass 35 Angehörige der drusischen Minderheit in Syrien getötet worden sein sollen und hinter dem Angriff syrische Sicherheitskräfte und Mitglieder regierungsnaher Milizen stehen sollen (https://www.derstandard.at/story/3000000268015/35-angehoerige-der-drusischen-minderheit-in-syrien-getoetet (04.05.2025)

2. Beweiswürdigung:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 obliegt es am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Der BF konnte keine unbedenklichen Belege für sein (Flucht-)Vorbringen beibringen. Besondere Bedeutung kommt daher seinem Vorbringen zu, das auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen ist. Dieses muss genügend substantiiert, plausibel und in sich schlüssig sein. Es obliegt dem BF, die in seiner Sphäre gelegenen Umstände seiner Flucht einigermaßen nachvollziehbar und genau zu schildern. Schließlich muss der BF auch persönlich glaubwürdig sein.

Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN). (VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0445)

Zu 1.1. Zur Person:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- sowie Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers und seinem Familienstand ergeben sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren (Erstbefragung S. 2, Einvernahme BFA S. 4). Bereits das BFA hat die Identität des Beschwerdeführers festgestellt, sein Alter ergibt sich aus seinen im Verfahren vorgelegten syrischen Reisepass. Die Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers beruhen auf seinen Ausführungen in der Erstbefragung sowie dem Umstand, dass die Erstbefragung sowie die Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA unter der Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch durchgeführt werden konnte und sich der Beschwerdeführer mit der Einvernahme in arabischer Sprache einverstanden erklärte. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Aufenthalt in der Türkei waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei.

Wann der Beschwerdeführer Syrien endgültig verlassen hat und wann er in Österreich einen Asylantrag stellte, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt (Erstbefragung S. 2, Einvernahme BFA S. 4).

Die Feststellung zum Herkunftsort des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen gleichbleibenden Angaben im Verfahren. Die Kontrollsituation ergibt sich aus der Einsichtnahme in die Karte https://syria.liveuamap.com/ (hinsichtlich der aktuellen Kontrollsituation, welche sich auch mit der notorischen Berichtslage deckt) und https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html (hinsichtlich der historischen Kontrollsituation bis 01.04.2025).

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Strafregisterauszug, die Zuerkennung des Status des Subsidiär Schutzberechtigen ergibt sich aus den unbekämpft gebliebenen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides.

Zu 1.2. Zu den Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen:

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Syrien nicht aufgrund einer glaubhaften ihn persönlich unmittelbar konkret betreffenden asylrelevanten Bedrohung verlassen hat bzw. dass dieser im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine (asylrelevante) Verfolgung zu befürchten hätte, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren, den von ihm vorgelegten Unterlagen und dem persönlichen Eindruck in der Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht.

Zur vorgebrachten Verfolgung durch das Assad-Regime aufgrund seiner angeblichen Teilnahme an Demonstrationen:

Bezüglich des Vorbringens des Beschwerdeführers aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen verfolgt zu werden, ist zunächst festzuhalten, dass in wesentlichen Punkten teils erhebliche Abweichungen bzw. Steigerungen des Vorbringens des Beschwerdeführers im Zuge des gesamten Verfahrens, insbesondere auch der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht verglichen mit dem Vorbringen vor dem BFA bzw. seiner Erstbefragung erkannt werden konnten.

So gab der Beschwerdeführer in der Erstbefragung nicht an, politisch aktiv gewesen zu sein. Sein Fluchtgrund sei ausschließlich die Einberufung zum Militär und der Bürgerkrieg in Syrien gewesen. Weitere Gründe habe er nicht (Erstbefragung S. 6).

Hingegen brachte der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA erstmals vor, dass er und seine Familie gegen die syrische Regierung seien und dies auch öffentlich geäußert haben sollen. Es seien oft Leute von der Staatssicherheit zu ihnen gekommen und haben nach ihnen gefragt. Befragt, ob der Beschwerdeführer an Demonstrationen teilgenommen habe, verneinte er ausdrücklich (BFA-Befragung S. 5). In der Beschwerde gab der Beschwerdeführer erstmals an, bereits ins Visier der syrischen Behörden geraten zu sein, da er auch an Demonstrationen teilgenommen habe (Beschwerde S. 3). Damit hat der Beschwerdeführer im Widerspruch zu seinem Vorbringen anlässlich seiner Erstbefragung und der BFA-Befragung, mit dem Hinweis auf eigene Demonstrationsteilnahmen in Syrien ein gänzlich anderes Fluchtvorbringen erstattet und seine Gründe in unglaubwürdiger Weise völlig ausgetauscht. In der Beschwerdeverhandlung steigerte der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen erneut, indem er erstmals behauptete, dass das syrische Regime wisse, dass der Beschwerdeführer an drei bis vier Demonstrationen im August XXXX teilgenommen habe, da Geheimdienste des syrischen Regimes bei den Demonstrationen anwesend gewesen seien und die Namen von vielen Teilnehmer eingetragen haben sollen (OZ 7 S. 12).

Das Vorbringen des Beschwerdeführers in Bezug auf die behauptete Teilnahme an Demonstrationen in Syrien ist nicht als glaubhaft zu erachten, zumal der Beschwerdeführer weder im Rahmen seiner Erstbefragung noch im Zuge seiner Einvernahme vor dem BFA auch nur ansatzweise seine Teilnahme an Demonstrationen erwähnte, diese sogar beim BFA explizit verneinte (BFA-Befragung S. 5). Dem Beschwerdeführer wurde im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA ausreichend Gelegenheit eingeräumt, sein Fluchtvorbringen zu erweitern bzw. weitere Fluchtgründe vorzubringen: So wurde der Beschwerdeführer im Anschluss an die freie Schilderung seiner Fluchtgründe vor dem BFA nochmals dazu befragt, ob er noch weitere Fluchtgründe habe, was der Beschwerdeführer verneinte (BFA-Befragung S. 6). Auch die abschließende Frage der Behörde, ob er noch etwas angeben möchte, verneinte der Beschwerdeführer ohne in diesem Zusammenhang weitere Fluchtgründe anzuführen (BFA-Befragung S. 7). Erst im Rahmen der Beschwerde brachte der BF vor, seine Familie und er seien selbst wegen regimekritischer Äußerungen und Demonstrationsteilnahme bereits ins Visier der syrischen Assad-Behörde geraten (Beschwerde S. 3). In der mündlichen Verhandlung steigerte er sein Vorbringen betreffend die Teilnahme an Demonstrationen in Syrien dann dahingehend, dass es in seinem Herkunftsort 3-4 Demonstrationen im Sommer 2012 gegeben habe. Auf die Frage der Richterin zu den Demonstrationen antwortete der Beschwerdeführer ausweichend und insbesondere im Hinblick auf die Nicht-Teilnahme seines Vaters nicht nachvollziehbar („RI: Haben an diesen Demonstrationen, bei denen Sie waren, bewaffnete Mitglieder der […] teilgenommen? BF: Ja, ich habe genug gesehen und Mehrheit von ihnen waren Palästinenser und es gibt einige von ihnen, die in [Österreich] wohnen. RI: Woher wissen Sie das? BF: Weil die waren in der Nähe von meiner Ortschaft. Das war das Flüchtlingslager von Palästinensern, die dort gewohnt haben und nachher als Söldner für das syrische Regime, ich kenne sie. RI: Hat noch jemand aus Ihrer Familie mit Ihnen gemeinsam an Demonstrationen teilgenommen? BF: Ja, meine ganzen Brüder, außer der Bruder, der Student war, der nachher auch getötet wurde. Mein Bruder, der Student, er war auch gegen das syrische Regime. Er wurde auch eine Woche festgenommen, aber durch ein Wunder von Gott ist er entlassen worden. Entschuldigen Sie, ich habe mich jetzt erinnert, dass meine Familie für ihn einen Anwalt genommen hat, damit er freikommt. Ich erzähle Ihnen von einer Sache, die elf Jahre her war. Deswegen habe ich einige Sachen vergessen. RI: Wieso hat Ihr Vater nicht an den Demonstrationen teilgenommen? BF: Weil mein Vater ist krank, er ist Diabetiker und trotz seiner Krankheit war er auch einberufen.“ OZ 7 S. 12). Das Vorbringen des Beschwerdeführers, betreffend die Teilnahme an Demonstrationen in Syrien, war nicht glaubwürdig, auch nicht im Hinblick darauf, dass er eindeutig als Demonstrationsteilnehmer identifiziert und deshalb vom Assad-Regime gesucht würde. Zudem wurde daher verspätet erstattet und es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer mit seiner gesteigerten unglaubhaften Aussage versucht, seinem Vorbringen ein weiteres Bedrohungsszenario hinzuzufügen. Der Beschwerdeführer hat daher nicht glaubhaft gemacht, ins Visier der syrischen Behörden des Assad-Regimes geraten zu sein.

Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass auch die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Verhaftung und Freilassung eines namentlich genannten Bruders in Syrien nicht geeignet sind, einen Fokus des Assad-Regimes oder der aktuellen HTS-geführten Übergangsregierung auf den Beschwerdeführer und seine Familie zu belegen und die im Hinblick auf die Lageänderung auch nicht entscheidungsrelevant ist.

In der mündlichen Verhandlung kam auch nicht hervor, dass der Beschwerdeführer im Ausland an Demonstrationen teilgenommen hätte („BF: Sie haben Recht, aber in der Türkei war es schwierig für mich wegen Rassismus. Sogar in Österreich nehme ich auch nicht an Kundmachungen gegen das syrische Regime teil, weil ich finde es ist ein bisschen ein kindisches Verhalten von Teilnehmern, die wollen das auf Tictoc veröffentlichen und zeigen, wie wichtig sie sind und das glaube ich nicht, dass das was bringt.“ OZ 7 S. 16). Dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung ein grünes Armband getragen hat, auf dem in weißer Schrift „Free Syria“ steht (OZ 7 S. 17) wird vor diesem Hintergrund auch nicht aus Ausdruck einer verinnerlichten oppositionellen Haltung des Beschwerdeführers gegen das Assad-Regime gesehen. Zudem wird festgehalten, dass dieses Armband sehr dezent war und der Richterin in der Verhandlung gar nicht aufgefallen ist. Der Eindruck der Richterin in der Verhandlung war, dass dieses auch dem BFV erstmals gegen Ende der Verhandlung auffiel, da er dieses erst ganz gegen Ende ansprach (OZ 7 S. 17).

Zur vorgebrachten Verfolgung durch das syrische Assad-Regime aufgrund einer drohenden Einberufung zum Reservedienst sowie deren zwangsweisen Durchsetzung (Zwangsrekrutierung):

Der Beschwerdeführer brachte in der polizeilichen Erstbefragung vor, dass in Syrien der Bürgerkrieg herrsche und er zum Militär einrücken müsse. Er wolle nicht in den Kriegen ziehen und kämpfen oder jemanden töten (Erstbefragung S. 6). Weiters gab der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme an, er habe seinen Militärdienst bereits als LKW-Fahrer abgeleistet (BFA-Befragung S. 3). Im Zuge der Einvernahme legte er seinen syrischen Reisepass und sein Militärbuch vor.

In der schriftlichen Beschwerde gab der Beschwerdeführer ergänzend an, im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Zwangsrekrutierung oder Inhaftierung bzw. Folter wegen der Verweigerung seines Reservedienstes in der syrischen Assad-Armee ausgesetzt zu seien (Beschwerde S. 23). Im Zuge seiner Stellungnahme vom XXXX legte der Beschwerdeführer einen Screenshot der Webseite des syrischen Verteidigungsministeriums vor, wonach der Beschwerdeführer unter Angabe seiner Militärnummer, der Rekrutierungsstelle und seines Geburtsdatums zum Reservedienst einberufen werden würde (Stellungnahme S. 2). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer ergänzend an, er könne sich die Befreiungsgebühr für den Reservedienst finanziell nicht leisten, da er aktuell von der Grundversorgung lebe. Zudem lehne der Beschwerdeführer es ab, durch die Zahlung einer Befreiungsgebühr das syrische Regime und deren kriegerische Aktivität und zurechenbaren massiven Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen (OZ 7 S. 20).

Der Beschwerdeführer hat in Syrien den unter der Assad-Regierung verpflichtenden Wehrdienst als einfacher Soldat ohne Spezialausbildung abgeleistet. Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Das syrische Gesetz sieht für männliche syrische Staatsbürger, die im Ausland niedergelassen sind, allerdings die Möglichkeit vor, sich durch die Zahlung einer Gebühr dauerhaft vom Reservedienst zu befreien.

Der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom XXXX war ein Screenshot beigelegt, in welcher auf dem abgebildeten Suchergebnis der Website des syrischen Verteidigungsministeriums (mod.gov.sy) das Assad-Regime den Beschwerdeführer zum Reservedienst einberuft und sucht. Die eingegebenen Daten stimmen bezüglich Wehrdienstnummer und Geburtsjahr mit jenen des Beschwerdeführers überein. Auch der Verfassungsgerichtshof wies in seinem Erkenntnis vom 28.11.2023, E 2068/2023, darauf hin, dass eine Auflistung auf dieser Website mit einer Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst gleichzusetzen ist. Aufgrund des Umsturzes in Syrien ist das Assad-Regime allerdings nicht mehr an der Macht.

Den aktuellen Berichten ist weder zu entnehmen, dass die neuen Machthaber einen verpflichtenden Wehrdienst durchsetzen, noch dass diese Zwangsrekrutierungen von Reservisten durchführen. Vielmehr geht aus einer aktuellen einschlägigen Anfragebeantwortung von ACCORD vom 17.03.2025 hervor, dass die aktuelle Regierung den Wehrdienst abgeschafft habe und stattdessen intensiv Freiwillige für Militär und Polizei rekrutiere – auch mit dem Versprechen auf gute Gehälter, wobei die Voraussetzung altersmäßig zwischen 18 und 22 Jahren bzw. bis maximal 30 Jahre liegen und die Bewerber ledig sein sollen. Der BF, welcher nach eigener Angabe den Wehrdienst bereits unter dem Assad-Regime abgeleistet hat, fällt jedenfalls nicht unter die altersmäßigen Voraussetzungen für eine freiwillige Bewerbung. Hinweise auf Zwangsrekrutierungen von Reservisten im Alter des BF finden sich nicht. Auch unter Berücksichtigung des bisherigen Vorgehens der HTS in ihrem Herrschaftsgebiet in Idlib wo diese ebenfalls auf Freiwillige gesetzt haben, ist derzeit nicht davon auszugehen, dass Zwangsrekrutierungen beabsichtigt sind (vergleiche dazu Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien aus dem COI-CMS, Version 11, Punkt 9.6. Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich), „Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian NationalArmy) und HTS (Hay’at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes.“) Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass nach Angaben des UNHCR ca. 23% der Rückkehrer aus Jordanien Männer im wehrfähigen Alter (18-40 Jahre) sind (siehe Regional Flash Update #21 S. 3, https://data.unhcr.org/es/documents/details/115521). Somit ist eine zwangsweise Einberufung des über 30-jährigen Beschwerdeführers, welcher zudem seinen Grundwehrdienst lediglich als einfacher Soldat abgeleistet hat, zum Reservedienst nicht maßgeblich wahrscheinlich. Der Beschwerdeführer selbst hat in der Verhandlung nach dem Umsturz keine diesbezüglichen Befürchtungen geäußert (vergleiche OZ 16). Auch die unter dem Assad-Regime erfolgte Einberufung zum Reservedienst lässt im Lichte der obigen Ausführungen aktuell keine Verfolgung durch die HTS-geführte Übergangsregierung erkennen.

Zur vorgebrachten Verfolgung aufgrund seines (langen) Auslandsaufenthaltes und seiner Asylantragstellung in Österreich:

Erstmals in der Beschwerde wird eine asylrechtlich relevante Verfolgung des Beschwerdeführers – damals vom Assad-Regime – aufgrund der Tatsache behauptet, dass er illegal aus Syrien ausgereist sei und einen Asylantrag in Österreich gestellt habe und ihm insofern eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde (Beschwerde S. 3).

Die Antragstellung des Beschwerdeführers ist den syrischen Behörden nicht bekannt, da es den österreichischen Behörden gemäß § 33 BFA-VG untersagt ist, diesbezügliche Daten an die syrischen Behörden weiterzugeben. Hinweise darauf, dass die Antragstellung den syrischen Behörden dennoch bekannt wäre, sind im Verfahren ebenfalls nicht hervorgekommen. Dem Beschwerdeführer drohen zudem allein aufgrund seiner Ausreise keine asylrelevanten Sanktionen, da sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben haben, dass das syrische Assad-Regime oder der HTS-geführten Übergangsregierung die Ausreise als illoyalen oder regimekritischen Akt einstufen könnte. Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass der Beschwerdeführer nach einem zweijährigen Aufenthalt in der Türkei freiwillig und problemlos wieder nach Syrien zurückgekehrt ist, um seinem Schwager beim Hausbau zu helfen. Aus den Länderberichten ergibt sich zudem auch nicht, dass jedem Rückkehrer, der unrechtmäßig ausgereist ist und im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und dieser deshalb asylrelevante Verfolgung zu befürchten hat (vergleiche z.B. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/18/0147 zur Berichtslage betreffend das Assad-Regime).

In den aktuellen Berichten finden sich auch keine Hinweise darauf, dass die HTS-geführte Übergangsregierung systematisch gegen Rückkehrer:innen aus dem Ausland vorgeht, zumal idR seitens der Ausreisenden das Assad-Regime, Sicherheitsbedenken oder die Versorgungslage sowohl für einen allfälligen Umzug nach Idlib als auch ins Ausland vorgebracht wurden. Dass der BF bisher in das Blickfeld der HTS-geführten Übergangsregierung gerückt wäre wurde nicht vorgebracht. Es gibt auch keine Hinweise drauf, dass er bei einer allfälligen Rückkehr als gegen die HTS-geführte Übergangsregierung oppositionell wahrgenommen werden würde. Darüber hinaus kehrt aktuell eine große Anzahl von Syrer:innen aus dem Ausland nach Syrien zurück. Dass lediglich der Auslandsaufenthalt zu einer Verfolgung durch die HTS-geführte Übergangsregierung führt, lässt sich den Berichten, insbesondere auch denen von UNHCR nicht entnehmen. Betreffend die HTS-geführte Übergangsregierung lassen sich den aktuellen Informationen (inklusive UNHCR und EUAA) somit keine diesbezüglichen Gefährdungen aller Rückkehrer:innen entnehmen. Dies ist auch vor dem Hintergrund der – von UNHCR dokumentierten – großen Anzahl von Rückkehrer:innen seit Dezember 2024 sowie der unterstützten Rückkehr durch UNHCR plausibel (vergleiche UNHCR z.B. SYR_Syrian governorates of return overview as of 1st May 2025.pdf seit 08.12.2024 472.963 Rückkehrer:innen; sowie https://data.unhcr.org/es/country/syr der Großteil der Rückkehr:innen hat als Zielregion die Herkunftsregion des Beschwerdeführers sowie „Following the change of regime in Syria in early December 2024, refugees in neighbouring countries have expressed elation and hope about the prospect of returning to their homes, together with caution. UNHCR prepares for the projected return of up to 1.5 million Syrian refugees in 2025.“, https://reliefweb.int/report/syrian-arab-republic/unhcr-regional-flash-update-25-syria-situation-crisis-1-may-2025 „On 29 April and 1 May, UNHCR facilitated transportation for nearly 50 refugees from Amman, Mafraq, and Azraq camp. Overall, since the start of the transportation pilot project on 20 January 2025, UNHCR has supported more than 1,800 refugees to return from Jordan to Syria“, in den Regional Flash Updates Syria situation crisis, beispielsweise https://data.unhcr.org/en/documents/details/115924 #23, wird zudem ausgeführt: „UNHCR maintains its daily presence at border crossing points across the country“).

Der Beschwerdeführer hat auch keine als oppositionell anzusehenden Handlungen gesetzt, die ihn mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit glaubhaft ins Blickfeld der aktuellen HTS-geführten Übergangsregierung gebracht haben.

Somit ist es auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass die HTS-geführte Übergangsregierung dem Beschwerdeführer eine oppositionelle Haltung unterstellen würde und ihn bei seiner (hypothetischen) Rückkehr aufgrund der Asylantragstellung im Ausland, seines Auslandsaufenthalts oder seiner Ausreise aus Syrien asylrelevant verfolgen würde.

Zur vorgebrachten Verfolgung durch Milizengruppen:

Erstmals in der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer - abweichend von seinen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde - vor, dass er Gefahr laufe, auch von Milizengruppen verfolgt zu werden, zumal sie sich in unmittelbarer geografischer Nähe zu seinem Herkunftsort befinde und mit der syrischen Regierung kooperiere. Konkret fürchte sich der Beschwerdeführer vor einer Festnahme, unmenschliche und erniedrigende Behandlung, Folter und Tötung von Seiten einer namentlich genannten Miliz (Beschwerde S. 3 und 4). Darüber hinaus sei sein Bruder bereits verstorben, da er das Ziel ebendieser Milizengruppe gewesen sei. Der Beschwerdeführer gibt weiters an, dass nach seiner Ausreise aus Syrien von ebendieser Milizengruppe der Name seiner Familie auf Facebook als regimekritische Anhänger der Opposition veröffentlicht worden sei (Verhandlung OZ 7 S. 4). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer auf Nachfrage der Richterin ergänzend an, dass sein Bruder bei einer Bombardierung einer Ortschaft getötet worden sei (Verhandlung OZ 7 S. 6). Die Familie des Beschwerdeführers habe vor Beginn des syrischen Krieges mehrere Grundstücke gehabt. Nach den Demonstrationen und den Aufständen sei ihnen das Recht an diesen Grundstücken vom syrischen Regime verweigert worden. Ihr Familienhaus sei nun zum Hauptquartier von Milizen geworden (Verhandlung OZ 7 S. 11), was aktuell nicht mehr der Fall sei (Verhandlung OZ 16 S. 8).

Insgesamt waren die Ausführungen des Beschwerdeführers zur vorgebrachten Verfolgung durch unterschiedliche Milizengruppen sehr vage, oberflächlich und undetailliert. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer weder in der polizeilichen Erstbefragung noch in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde jemals eine unmittelbar konkret betreffende Gefährdung diesbezüglich erwähnte, spricht nicht für eine Bedrohung seitens der Milizen und deutet auf eine Steigerung seines Vorbringens hin. Zudem erwies sich das diesbezüglich vage Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht geeignet, eine persönliche Bedrohung beziehungsweise Gefährdung durch diese Milizen geltend machen. Auch die vorgebrachte Verknüpfung dieser Befürchtung mit dem angegebenen Tod des Bruders durch Bombardierung ist nicht ersichtlich, da die ganze Ortschaft bombardiert worden sei und daher schon aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine konkrete Verfolgung des Bruders abgeleitet werden kann. Darüber hinaus wird festgehalten, dass die Herkunftsregion des Beschwerdeführers nunmehr von der HTS-geführten Übergangsregierung kontrolliert wird, weshalb der Beschwerdeführer bei einer hypothetischen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Bedrohung durch Milizen ausgesetzt wäre.

In einer Gesamtschau konnte der Beschwerdeführer daher nicht glaubhaft machen, dass dieser aufgrund einer asylrelevanten glaubhaften unmittelbar konkreten persönlichen Bedrohung Syrien verlassen hat.

Zu vorgebrachten weiteren Bedrohungen:

Soweit der BF nunmehr die Bedrohung seiner Familie und seiner Person durch eine namentlich genannte Person vorbringt und zwar aufgrund einer unterstellten Veröffentlichung durch Brüder des Beschwerdeführers von Informationen über eine Entführung/Lösegeldforderung auf sozialen Netzwerken vorbringt und dazu angibt, dass der Verfolger und sein Bruder nunmehr für die HTS-geführte Übergangregierung arbeiten (OZ 16 S. 4 ff.), wird dies als weitere unglaubwürdige Steigerung des Vorbringens des Beschwerdeführers gewertet. Dieser sah sich durch den Wegfall der bisher vorgebrachten Fluchtgründe aufgrund der Lageänderung nach dem Umsturz offenbar veranlasst, ein neues Vorbringen zu erstatten. Dieses blieb jedoch trotz umfangreicher Nachfragen nicht nachvollziehbar, inkonsistent und zudem eine allenfalls private Verfolgung. Auch die angeblichen schriftlichen Drohungen an den Bruder hat der Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft gemacht, diese können zudem weder auf die Identität des Absenders oder Empfängers überprüft werden. In einer Gesamtschau wird davon ausgegangen, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine Bedrohung seiner Person oder Familie im Falle einer Rückkehr glaubhaft zu machen.

Zu vorgebrachten Bedrohungen nach dem Umsturz:

In der Verhandlung nach dem Umsturz gab der BF zu seiner Rückkehrbefürchtung nach Syrien befragt die aktuelle Sicherheits- und Versorgungslage an („lch habe mich sehr, sehr gefreut, dass das Regime Assad endlich gestürzt ist und dieser Tyrann nicht mehr an der Macht ist. Seit diesen Ereignissen passiert jeden Tag in Syrien, etwas, die mich und uns negativ überraschen. Die Situation ist sehr unklar, sehr unsicher. lch komme aus […]. In […] werden zurzeit tagtäglich Menschen entführt, geraubt, aufgrund der sehr schlechten ökonomischen Situation dort, dass die Menschen keine Arbeit dort haben. Ich habe dort nicht einmal ein Zuhause. Es gibt keine Häuser und Wohnungen, die man anmieten kann. Sogar die Personen, die aus der Türkei nach Syrien zurückgekehrt sind, sie haben keine Arbeit, keine Gewissheit, was mit ihrer Zukunft ist. Und ich bin auch einer von ihnen, dass ich nicht weiß, was auf mich zukommt, im Falle meiner Rückkehr. Ob ich als junger Mann irgendetwas beginnen kann.“ OZ 16 S. 8 f.).

Soweit die instabile Sicherheitslage in Syrien vorgebracht wurde, wird festgehalten, dass diesbezüglich kein Konnex zur Genfer Flüchtlingskonvention hergestellt wurde, dieses Vorbringen daher nicht asylrelevant ist. Dies gilt auch für eine schwierige Versorgungslage.

Fazit:

Daher hat der Beschwerdeführer keine ihn betreffende aktuelle, asylrelevante persönliche Gefährdung oder Bedrohung glaubhaft gemacht.

Zu 1.3. Feststellungen zur Lage in Syrien

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation. Die darin enthaltenen Informationen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Syrien ergeben. Im Hinblick auf den Umsturz im Dezember 2024 wurden ebenfalls unbedenkliche Quellen bzw. öffentlich zugängliche Medienberichte herangezogen, um die überholten Angaben in den Länderinformationen zu relativieren.

Angesichts der Seriosität der angeführten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen inhaltlich auch nicht substantiiert entgegengetreten wurde, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Rechtsgrundlagen

Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits wegen Drittstaatssicherheit, Schutz im EWR-Staat oder in der Schweiz oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005).

Als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.2. Maßgebliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH)

Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asyl-werber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlings-konvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (vgl. VwGH 23.01.2019, Ra 2018/01/0442, mwN). Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung muss in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001).

Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des VwG bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 07.03.2023, Ra 2022/18/0284) Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers ist Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht und ob ihm gegebenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (vgl. VwGH 09.03.2023, Ra 2022/19/0317).

Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht. (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233)

Die Furcht, sich den Gefahren auszusetzen, die die Ableistung eines Militärdienstes im Kontext eines bewaffneten Konflikts mit sich bringt, findet keine Deckung in den Verfolgungsgründen von Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (vgl. VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. (VwGH 10.06.2024, Ra 2024/01/0003)

Dass sich aus den herangezogenen Länderfeststellungen ein differenziertes Bild der Haltung des Assad-Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und daraus nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass dem Revisionswerber eine oppositionelle Haltung unterstellt werden würde, hat der VwGH nicht beanstandet (vgl. VwGH 21.12.2023, Ra 2023/18/0077, Rz 15).

3.3. Daraus folgt für den Beschwerdefall:

Im Beschwerdefall ist zu prüfen, ob der BF in seiner Herkunftsregion/Heimatregion in Syrien Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK im Falle einer Rückkehr drohen würde. Auf Grund der rechtskräftigen Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ist davon auszugehen, dass keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht.

Auch wenn den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs syrischer Asylsuchender von März 2021 und EUAA Country Guidance vom April 2024 Indizwirkung zukommt (vergleiche VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0457) und diese Risikoprofile aufzählen, ist fordern sie die Durchführung einer individuellen Einzelfallprüfung (vgl. VwGH 15.10.2020, Ra 2020/18/0405).

Die geforderte Einzelfallprüfung wurde im Beschwerdefall durchgeführt. Wie oben in der Beweiswürdigung ausgeführt wurde, ist es der BF vor dem Hintergrund der Länderinformationen nicht gelungen, eine aktuelle, maßgeblich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Gründe (Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK) im Falle seiner Rückkehr in seine Herkunftsregion glaubhaft zu machen.

Zum einen stellen die im Beschwerdefall geltend gemachten Risikoprofile (Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner der Regierung sind sowie Wehrdienstentzieher und Deserteure der syrischen Streitkräfte) der UNHCR Richtlinien und EUAA Country Guidance von 2024 auf die Situation unter dem Assad-Regime vor der Machtübernahme in Syrien ab.

Die vorliegende UNHCR Position on returns to the Syrian Arab Republic vom Dezember 2024 (https://www.ecoi.net/en/file/local/2119093/unhcr_position_on_returns_to_syria_-_16_dec_2024.pdf) ersetzt UNHCRs International Protection Considerations with Regard to people fleeing the Syrian Arab Republic, Update VI vom März 2021 (https://data.unhcr.org/en/documents/details/108624). Dieser sind insbesondere Erwägungen zur Sicherheits- und Versorgungslage zu entnehmen, UNHCR hält u.a. auch fest: „While risks related to persecution by the former Government have ceased, other risks may persist or become more pronounced.“ Der aktuellen UNHCR Position sind allerdings keine aktuellen Risikoprofile im Hinblick auf einen GFK-Konnex zu entnehmen. Auch die im Internet frei zugänglichen Regional Flash Updates Syria situation crisis berichten lediglich über die wirtschaftlichen Herausforderungen für Rückkehrer:innen aus den Nachbarländern sowie von IDPs sowie über die Sicherheitslage in bestimmten Regionen.

EUAA Syria: Country Focus von März 2025 (https://www.ecoi.net/en/file/local/2123257/2025_03_EUAA_COI_Report_Syria_Country_Focus.pdf) enthält zwar Informationen zu Personen welche mit der Al-Assad Regierung assoziiert werden, Alewiten, Kurden, anderen religiösen und ethnischen Minderheiten, Frauen, Kinder und LGBTIQ Personen (vergleiche 1.3.). Dem aktuellen EUAA-Bericht ist aber nicht zu entnehmen, dass sunnitische Araber einer systematischen Verfolgung durch die aktuelle HTS-geführte Übergangsregierung ausgesetzt sind (siehe 1.3.4. Other religious and ethnic minorities).

Auf den BF, einen männlichen, arabischstämmigen Sunniten, welcher den verpflichtenden Militärdienst schon vor Jahren abgeleistet hat und nicht mit der Regierung von Bashar Al-Assad assoziiert wird, treffen diese Profile nicht zu bzw. ist diesem Bericht auch nicht zu entnehmen, Personen mit dem Profil des BF einer systematischen Verfolgung durch die aktuelle HTS-geführte Übergangsregierung ausgesetzt sind.

Es sind im Beschwerdefall auch keine besonderen Umstände erkennbar, welche die aktuelle HTS-geführte Übergangsregierung veranlassen könnten, dem BF eine oppositionelle Gesinnung zu unterstellen. Hinweise auf eine Gruppenverfolgung von Arabern sunnitischen Glaubens in der Heimatregion des BF oder die Zuschreibung einer oppositionellen Gesinnung allein aufgrund der (illegalen) Ausreise, Stellung eines Asylantrags und Aufenthalts im Ausland durch das aktuelle syrische Regime sind nicht hervorgekommen.

Das Vorbringen des BF, nämlich die instabile Lage in Syrien nach dem Umsturz, betrifft nicht speziell den BF, sondern die gesamte syrische Bevölkerung in nahezu gleicher Weise und ist daher nicht asylrelevant, zumal derzeit keine Verknüpfungen mit einem GFK-Grund ersichtlich sind und auch vom vertretenen BF nicht vorgebracht wurden.

Dem BF ist es daher nicht gelungen, eine ihm aktuell drohende, konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, also eine asylrelevante Verfolgung, im Falle seiner Rückkehr in seine Herkunftsregion in Syrien glaubhaft zu machen.

Auch sonst haben sich im Verfahren auch im Hinblick auf den Umsturz und die damit verbundene umfangreiche Medienberichterstattung keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung des BF aus asylrelevanten Gründen in der Herkunftsregion maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen.

Die ausschließlich gegen Spruchpunkt I. gerichtete Beschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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