Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Marzi als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Zeitfogel, über die Revision der R A, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. Mai 2024, W129 22791841/7E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Syriens, stellte am 14. September 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den sie unter anderem damit begründete, dass sie an Depressionen leide und Medikamente benötige. In weiterer Folge brachte sie vor, sie sei in der Türkei zwangsverheiratet worden und habe versucht, sich scheiden zu lassen; ihr Ehemann habe sie töten wollen.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 1. September 2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab, erkannte der Revisionswerberin den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Gegen den abweisenden Teil dieses Bescheides erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), in der sie u.a. ihr Vorbringen wiederholte, zwangsverheiratet worden zu sein, und dass ihre Eltern sowie ihr Ehemann ihr gegenüber gewalttätig gewesen seien.
4 Diese Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 In seiner Begründung ging das BVwG u.a. davon aus, es handle sich bei der angeblichen Gefährdung durch die Familie des Vaters der Revisionswerberin bzw. ihren Ex Ehemann um Vorkommnisse, die erst nach der Ausreise aus ihrer Heimat stattgefunden hätten. Zudem sei in der Verhandlung der Eindruck entstanden, dass die Revisionswerberin damit ein lediglich erfundenes, zumindest aber stark gesteigertes Szenario einer familiären Bedrohung skizziert habe. Der Revisionswerberin drohe zusammengefasst keine asylrelevante Verfolgung.
6 Die Beschwerdeverhandlung leitete ein männlicher Einzelrichter, der auch die angefochtene Entscheidung traf.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattetin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
8Zur Zulässigkeit der Revision wird u.a. vorgebracht, das BVwG habe trotz des Vorbringens zu einem Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung nicht durch eine Richterin desselben Geschlechts wie die Revisionswerberin entschieden. Damit sei das BVwG von näher genannter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 20 Abs. 2 AsylG 2005 abgewichen. Die Revisionswerberin habe bereits vor der Behörde und auch in der Beschwerde ihre Zwangsverheiratung vorgebracht.
9 Die Revision ist schon im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und auch begründet.
10Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. grundlegend VwGH 27.6.2016, Ra 2014/18/0161, mwN, und aus der Folgejudikatur etwa VwGH 5.9.2024, Ra 2024/18/0154, mwN) ist die Verhandlung im Beschwerdeverfahren vor dem BVwG gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 2005 abgesehen vom hier nicht gegebenen Fall eines gegenteiligen Verlangensschon dann durch Personen desselben Geschlechts durchzuführen, wenn die Flucht aus dem Heimatstaat nicht mit bereits stattgefundenen, sondern mit Furcht vor sexuellen Übergriffen begründet wurde (vgl. zur Zwangsverheiratung als Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung überdies VwGH 18.1.2024, Ra 2023/19/0228, mwN).
11Da die Zuständigkeit gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 2005 bereits durch die entsprechende Behauptung der Revisionswerberin vor dem BFA und in der Beschwerde begründet wurde, ohne dass dabei eine nähere Prüfung der Glaubwürdigkeit oder ein Zusammenhang mit dem konkreten Fluchtvorbringen zu erfolgen hatte (vgl. abermals VwGH 18.1.2024, Ra 2023/19/0228, mwN), kommt auch dem Umstand keine Bedeutung zu, dass der erkennende Richter des BVwG dieses Vorbringen als „lediglich erfundenes, zumindest aber stark gesteigertes Szenario einer familiären Bedrohung“ gewertet hat.
12 Ausgehend davon hätte die Beschwerde einer Richterin zugewiesen und die Revisionswerberin in der Verhandlung vor dem BVwG durch eine Richterin einvernommen werden müssen.
13Ein Verstoß gegen § 20 Abs. 2 AsylG 2005 durch das BVwG kann vor dem Verwaltungsgerichtshof als Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes geltend gemacht werden. Eine Relevanzdarstellung ist nicht erforderlich.
14Da das BVwG somit nicht in der gesetzmäßigen, nach § 20 Abs. 2 AsylG 2005 vorgeschriebenen Besetzung entschieden hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben.
15Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 5. November 2025
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