JudikaturVwGH

Ra 2024/14/0139 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
15. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Bayer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, in der Revisionssache des I K, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Dezember 2023, W182 2266655 1/11E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 7. August 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen mit dem in Syrien herrschenden Krieg und der Befürchtung, von der syrischen Armee als Reservist eingezogen zu werden, begründete.

2 Mit Bescheid vom 11. Jänner 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit der Gültigkeit für die Dauer eines Jahres.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber befinde sich nicht mehr im wehrfähigen Alter, habe keinen Einberufungsbefehl erhalten und seine Ausbildungszeit liege 23 Jahre zurück, weshalb er nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegen seinen Willen zum Reservedienst einberufen werden würde. Auch könne er sich gegen eine Gebühr vom Reservedienst freikaufen. Zudem werde ihm weder aufgrund von Demonstrationsteilnahmen noch der illegalen Ausreise eine oppositionelle Gesinnung unterstellt.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 25. Jänner 2024, E 244/2024 5, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision eingebracht.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision mit Hinweis auf EuGH 19.11.2020, C 238/19, zusammengefasst vor, die im angefochtenen Erkenntnis vertretene Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes sei „aufgrund geänderter Rechtslage durch den EuGH sowie des EGMR, deren Auswirkungen auf die allgemeinen Länderfeststellungen in der Staatendokumentation und der darauf beruhenden Beweiswürdigung nicht weiter anwendbar“. Im Falle einer allfälligen Rückkehr wäre der Revisionswerber weiterhin der Gefahr der Zwangsrekrutierung ausgesetzt und würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegen seinen Willen gezwungen werden, Wehrdienst für eine der zahlreichen Gruppierungen, oder für das syrische Regime, abzuleisten.

10 Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (vgl. VwGH 22.1.2024, Ra 2023/14/0437, mwN).

11 Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung bereits näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen wie etwa der Anwendung von Folter jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. neuerlich VwGH 22.1.2024, Ra 2023/14/0437, mwN).

12 Der EuGH hat in seinem - Syrien betreffenden - Urteil vom 19. November 2020, C 238/19, zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen ausgesprochen, dass eine Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlungen und dem Konventionsgrund der politischen Gesinnung nicht allein deshalb als gegeben angesehen werden kann, weil Strafverfolgung oder Bestrafung wegen einer Wehrdienstverweigerung erfolgen. Allerdings spreche eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie genannten Voraussetzungen (also eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Bürgerkrieg, wenn der Militärdienst u.a. Kriegsverbrechen umfassen würde) mit einem Konventionsgrund in Zusammenhang stehe. Es sei Sache der zuständigen nationalen Behörden, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen (vgl. VwGH 21.12.2022, Ra 2022/18/0318, mit Hinweis auf das in der Revision genannte Urteil des EuGH 19.11.2020, C 238/19).

13 Die Prüfung, ob ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht, hat je nach individuellen Umständen des Einzelfalls zu erfolgen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 24.8.2022, Ra 2022/19/0018, mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung nämlich im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 22.2.2023, Ra 2022/14/0270, mwN).

14 Eine vom Verwaltungsgerichtshof nach diesem Maßstab aufzugreifende Unvertretbarkeit vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Das Bundesverwaltungsgericht verschaffte sich im Rahmen einer Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und befasste sich mit der individuellen Situation des Revisionswerbers in Bezug auf den Herkunftsstaat. Anhand der dazu getroffenen Feststellungen hat es das Vorliegen einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit der Verfolgung des Revisionswerbers durch das syrische Regime in einer den konkreten Einzelfall betreffenden Beurteilung in vertretbarer Weise verneint.

15 Der Revisionswerber bringt weiters vor, das Bundesverwaltungsgericht habe es unterlassen, sich mit den Berichten der United Nations Agency „United Nations High Commissioner for Refugees“ (UNHCR), insbesondere zur Wehrdienstverweigerung und Deserteuren aus der Arabischen Republik Syrien, zu befassen und habe seiner Entscheidung keine aktuellen Länderberichte zugrunde gelegt. Damit werden Verfahrensmängel geltend gemacht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es zur Dartuung der Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 12.12.2023, Ra 2023/14/0449 bis 0450, mwN).

16 Diesen Erfordernissen wird die vorliegende Revision mit der pauschalen Behauptung, bei Berücksichtigung der genannten Berichte hätte das Bundesverwaltungsgericht eine konkrete individuelle Verfolgungsgefahr annehmen müssen, nicht gerecht. Der Revisionswerber legt insbesondere nicht dar, welche Feststellungen bei deren Heranziehung zu treffen gewesen wären und inwiefern daraus ein für ihn günstigeres Ergebnis zu erwarten gewesen wäre. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung wird daher nicht aufgezeigt.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 15. April 2024

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