JudikaturVwGH

Ra 2024/10/0119 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
30. September 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie den Hofrat Dr. Lukasser und die Hofrätin Mag. Zehetner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 12. Juli 2024, Zl. VGW 101/053/15810/2021 3, betreffend Waldfeststellung (mitbeteiligte Partei: V GmbH, vertreten durch die Onz Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1Mit Bescheid vom 7. September 2021 stellte der Magistrat der Stadt Wien (die nunmehr revisionswerbende Partei) gemäß § la Abs. 1, § 5 Abs. 1 und Abs. 2 sowie § 170 Abs. 1 Forstgesetz 1975 (ForstG) von Amts wegen fest, dass sich auf Teilen zweier näher bezeichneter Grundstücke der mitbeteiligten Partei Wald im Sinne des ForstG befinde.

2Die revisionswerbende Partei legte ihrem Bescheid insbesondere ein Gutachten des forsttechnischen Amtssachverständigen vom 29. Juni 2021 zugrunde und gelangte darauf aufbauend mit näherer Begründung zum Ergebnis, dass auf Teilen dieser beiden Grundstücke der mitbeteiligten Partei die gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 ForstG für eine Neubewaldung geforderte Überschirmung von fünf Zehnteln ihrer Fläche mit einem Bewuchs von wenigstens 3 m Höhe mehr als erreicht worden sei. Weil die bestockten Grundflächen dieser Grundstücke eine zusammenhängende Fläche von mehr als 1.000 m 2und eine durchschnittliche Breite von 10 m erreichten, stellten diese Flächen zweifelsfrei Wald iSd § 1a Abs. 1 ForstG dar.

3 In dem erwähnten Gutachten vom 29. Juni 2021 hatte der Amtssachverständige im Wesentlichen dargelegt, dass bei einem Ortsaugenschein am 22. Oktober 2013 die infolge natürlicher Verjüngung entstandene Waldeigenschaft festgestellt worden sei; bei einem Ortsaugenschein am 24. November 2020 sei die seinerzeit beschriebene Baumund Strauchartenzusammensetzung erneut vorgefunden worden. Bei einem Ortsaugenschein am 26. März 2021 seien gerade bewilligungsfreie Fällungen gemäß § 86 Abs. 1 lit. d ForstG im Auftrag der mitbeteiligten Partei durchgeführt worden. „Zusammenfassend“ sei festzuhalten, dass es sich bei der gegenständlichen Fläche um eine Waldfläche gemäß ForstG handle, auch wenn der Bewuchs zurzeit in weiten Bereichen vermindert oder beseitigt sei.

4Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Partei ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG statt und hob den bekämpften Bescheid auf. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG wurde für unzulässig erklärt.

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, weil die bekämpfte Entscheidung im September 2021 erlassen worden sei, reiche der für die Beurteilung der Waldeigenschaft maßgebliche Zeitraum vom Jahr 2011 bis ins Jahr 2021. Das Gutachten des Amtssachverständigen stütze sich jedoch lediglich auf Ortsaugenscheine in den Jahren 2013, 2020 und 2021, „womit keine den Zeitraum von zehn Jahren vor der bekämpften Entscheidung abdeckende[n] ausreichende[n] Bestandsaufnahmen“ vorlägen. „Das Fehlen solcher durch Sachverständige durchgeführter Ortsaugenscheine für den Zeitraum vor 2013“ könne auch nicht durch die (vorliegenden) Luftbilder aus den Jahren 2009 und 2010 substituiert werden, weil aus derartigen Aufnahmen „keine Schlussfolgerungen abgeleitet“ werden könnten, die der forstlichen Stellungnahme des von der mitbeteiligten Partei beauftragten Sachverständigen „auf gleicher fachlicher Ebene entgegengehalten“ werden könnten. Selbst im Gutachten des Amtssachverständigen werde festgehalten, dass der Bewuchs zurzeit in weiten Bereichen vermindert oder beseitigt sei. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

7 Im vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8Zur Begründung der Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision bringt die revisionswerbende Partei insbesondere vor, das Verwaltungsgericht sei, indem es für den zehnjährigen Beurteilungszeitraum jährliche Ortsaugenscheine durch Amtssachverständige fordere, um eine ausreichende Waldbestandsaufnahme nachweisen zu können, von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, dergemäß es nach § 5 Abs. 2 ForstG nur darauf ankomme, ob innerhalb der vorausgegangenen zehn Jahre ab dem Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung einmal Wald vorgelegen sei.

9 Die Revision ist mit Blick auf dieses Vorbringen zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.

10Das Bundesgesetz über das Forstwesen (Forstgesetz 1975 - ForstG), BGBl. Nr. 440/1975 idF BGBl. I Nr. 144/2023, lautet auszugsweise:

Begriffsbestimmungen

§ 1a. (1) Wald im Sinne dieses Bundesgesetzes sind mit Holzgewächsen der im Anhang oder in der Verordnung gemäß Abs. 1a angeführten Arten (forstlicher Bewuchs) bestockte Grundflächen, soweit die Bestockung mindestens eine Fläche von 1 000 m 2 und eine durchschnittliche Breite von 10 m erreicht.

[...]

(2) Wald im Sinne des Abs. 1 sind auch Grundflächen, deren forstlicher Bewuchs infolge Nutzung oder aus sonstigem Anlaß vorübergehend vermindert oder beseitigt ist.

[...]

Neubewaldung

§ 4. (1) Grundflächen, die bisher nicht Wald waren, unterliegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes im Fall

1. der Aufforstung (Saat oder Pflanzung) nach Ablauf von zehn Jahren ab der Durchführung,

2. der Naturverjüngung nach Erreichen einer Überschirmung von fünf Zehnteln ihrer Fläche mit einem Bewuchs von wenigstens 3 m Höhe.

Die Bestimmungen des IV. Abschnittes sind jedoch bereits ab dem Vorhandensein des Bewuchses anzuwenden.

(1a) Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft kann nach Maßgabe forstfachlicher Erfordernisse für bestimmte Baumarten eine von Abs. 1 Z 2 abweichende Bewuchshöhe festlegen.

[...]

Feststellungsverfahren

§ 5. (1) Bestehen Zweifel, ob

a) eine Grundfläche Wald ist oder

b) ein bestimmter Bewuchs in der Kampfzone des Waldes oder als Windschutzanlage den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes unterliegt, so hat die Behörde von Amts wegen oder auf Antrag eines gemäß § 19 Abs. 1 Berechtigten ein Feststellungsverfahren durchzuführen. § 19 Abs. 4 ist sinngemäß anzuwenden.

(2) Stellt die Behörde fest, dass die Grundfläche zum Zeitpunkt der Antragstellung oder innerhalb der vorangegangenen zehn Jahre Wald im Sinne dieses Bundesgesetzes war, so hat sie mit Bescheid auszusprechen, dass es sich bei dieser Grundfläche um Wald im Sinne dieses Bundesgesetzes handelt. Weist der Antragsteller nach, dass

1. die Voraussetzungen des ersten Satzes nicht zutreffen oder

2. eine dauernde Rodungsbewilligung erteilt oder eine angemeldete dauernde Rodung gemäß § 17a durchgeführt wurde, und ist inzwischen keine Neubewaldung erfolgt, so hat die Behörde mit Bescheid auszusprechen, dass es sich bei dieser Grundfläche nicht um Wald im Sinne dieses Bundesgesetzes handelt.

[...]“

11Gemäß § 5 Abs. 2 erster Satz ForstG hat die Behörde mit Bescheid auszusprechen, dass es sich bei der Grundfläche um Wald im Sinne dieses Bundesgesetzes handelt, wenn sie feststellt, dass diese Grundfläche zum Zeitpunkt der Antragstellung oder innerhalb der vorangegangenen zehn Jahre Wald im Sinne dieses Bundesgesetzes war. Bereits aus dem Gesetzestext ergibt sich somit eindeutig, dass § 5 Abs. 2 erster Satz 2. Fall ForstG nur darauf abstellt, ob innerhalb der vorausgegangenen zehn Jahre ein Wald vorgelegen ist (vgl. VwGH 25.9.1989, 88/10/0156, zum nach der damaligen Rechtslage fünfzehnjährigen Zeitraum; sowie VwGH 2.9.2008, 2003/10/0236). Wie sich aus dieser Rechtsprechung ergibt, kommt es somit darauf an, ob zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb des gesamten Zeitraumes die Waldeigenschaft vorlag. Dabei ist auch bei einem von Amts wegen eingeleiteten Feststellungsverfahren für die Berechnung der „vorangegangenen zehn Jahre“ der Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens maßgebend (vgl. VwGH 11.12.2009, 2008/10/0111, mwN).

12 Das Verwaltungsgericht ging, wie sich aus seiner Begründung ergibt, davon aus, mit den in den Jahren 2013, 2020 und 2021 durchgeführten Ortsaugenscheinen, auf die sich das Gutachten des Amtssachverständigen beziehe, liege keine den Zeitraum von zehn Jahren vor Erlassung des bekämpften Bescheides abdeckende ausreichende Bestandsaufnahme vor; es würden Ortsaugenscheine für den Zeitraum vor dem Jahr 2013 fehlen (s. Rz. 5).

13Indem das Verwaltungsgericht seine Entscheidung damit im Kern darauf stützte, dass keine den (gesamten) Zeitraum von zehn Jahren abdeckende Bestandsaufnahme vorliege und es dies für die Beurteilung der Waldeigenschaft als nötig erachtete, verkannte es, dass § 5 Abs. 2 erster Satz ForstG (lediglich) darauf abstellt, ob zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der vorangegangenen zehn Jahre ein Wald vorgelegen ist. Dadurch hat es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

14Das angefochtene Erkenntnis war schon aus dem dargelegten Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.

Wien, am 30. September 2025