JudikaturVwGH

Ra 2024/08/0120 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer sowie die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Mag. Cede als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision der S I, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Bräunerstraße 3/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Oktober 2024, W164 2274743 1/7E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Schönbrunner Straße), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeweg ergangenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Notstandshilfebezug der Revisionswerberin im Zeitraum 16. März 2022 bis 28. Februar 2023 gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und gemäß § 25 Abs. 1 iVm. § 38 AlVG die unberechtigt empfangene Notstandshilfe in Höhe von € 7.661,50 zurückgefordert werde.

2 Diesem Erkenntnis legte das Bundesverwaltungsgericht unter anderem folgende Feststellungen zugrunde:

3 Die Revisionswerberin habe im Zeitraum vom 24. Oktober 2021 bis 28. Februar 2023 Kinderbetreuungsgeld in Höhe von € 22,20 täglich bezogen. Am 16. März 2022 habe sie dem Arbeitsmarktservice (AMS) online einen Antrag auf Arbeitslosengeld übermittelt. Unter Punkt 9. („Ich habe ein eigenes Einkommen“) habe sie „nein“ angekreuzt. Den im Formular inkludierten „Info Button“ zum Abruf von Informationen u.a. zur Zuordnung des Kinderbetreuungsgelds zum Einkommen habe sie nicht genutzt.

4 Von der AMS-Servicezone sei die Revisionswerberin aufgefordert worden, den Fragebogen zur Kinderbetreuung und einen Nachweis über die Verfügbarkeit einer Betreuung des Kindes während der angestrebten Arbeitszeiten beizubringen. Ein persönliches Gespräch in der Servicezone habe nicht stattgefunden.

5 Am 22. März 2022 habe die Revisionswerberin ein erstes Beratungsgespräch bei ihrer Beraterin gehabt. Im Zuge dieses Gesprächs habe die Revisionswerberin erwähnt, dass sie Kinderbetreuungsgeld beziehe, davon aber nicht leben könne und daher eine Teilzeitstelle suche. Die Revisionswerberin habe den Fragebogen zur Kinderbetreuung abgegeben. Den Nachweis über den Bezug von Kinderbetreuungsgeld habe sie „auch bei diesem Beratungsgespräch nicht aus eigenem vor[gelegt]“. Die Beraterin habe die Vorlage des Fragebogens zur Kinderbetreuung notiert, telefonischen Kontakt mit der Servicezone aufgenommen und nachgefragt, welche Unterlagen dort benötigt würden.

6 Mit Schreiben vom 28. März 2022 habe das AMS der Revisionswerberin mitgeteilt, dass ihr im Zeitraum 16. März 2022 bis 14. März 2023 Notstandshilfe in Höhe von € 34,57 täglich gebühre. Der Kinderbetreuungsgeldbezug der Revisionswerberin habe bei der Berechnung der Leistungshöhe keine Berücksichtigung gefunden.

7In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht zur Rückforderungspflicht unter anderem aus, nach § 25 Abs. 1 AlVG (iVm. § 38 AlVG) sei die Empfängerin der Notstandshilfe bei Widerruf der Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sie den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt habe. Im Rahmen einer Darlegung der für eine solche Rückforderung bestehenden Voraussetzungen der Kausalität und des bedingten Vorsatzes führte das Bundesverwaltungsgericht (mit Hinweisen auf die Erkenntnisse VwGH 11.5.1993, 92/08/0087; 15.5.2013, 2011/08/0388; und 11.7.2012, 2010/08/0088) aus, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die ganz allgemein gehaltene Frage nach einem „eigenen Einkommen“ im Antragsformblatt die antragstellende Person auch wenn sie der Meinung sei, dass die von ihr bezogene Leistung kein eigenes Einkommen im Sinne der Frage wäre verpflichte, die Behörde in die Lage zu versetzen, ihrerseits zu beurteilen, ob ein Anspruch bestehe. Es komme nicht darauf an, ob die Behörde leicht hätte feststellen können, dass es ein eigenes Einkommen gebe bzw. ob die Tatsache des eigenen Einkommens zu einem früheren Zeitpunkt aktenkundig gewesen sei. Maßgeblich sei, ob der fragliche Umstand in Beantwortung der Fragen im Antragsformular richtig und vollständig einbekannt oder dem Arbeitsmarktservice gleichzeitig oder doch rechtzeitig vor Anweisung des jeweiligen Leistungsanspruchs in einer zumindest gleichwertigen Weise (zum Beispiel durch Vorlage einer entsprechenden Bestätigung) mitgeteilt worden sei.

8 Im vorliegenden Fall habe die Revisionswerberin anlässlich ihrer Antragstellung vom 16. März 2022 die Frage 9 nach einem eigenen Einkommen in der Meinung, Kinderbetreuungsgeld würde nicht zum Einkommen zählen, mit „nein“ beantwortet. Diese Fehleinschätzung entlaste die Revisionswerberin nicht. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sie durch Benutzung des im Formular integrierten Info Buttons konkret hätte erkennen können, dass Kinderbetreuungsgeld im vorliegenden Zusammenhang sehr wohl als Einkommen zu beurteilen gewesen wäre. Auch anlässlich des nachfolgenden persönlichen Gesprächs mit der Beraterin habe die Revisionswerberin den Bezugsnachweis über den Bezug von Kinderbetreuungsgeld nicht aus eigenem aktiv vorgelegt. Sie habe das AMS daher „auch nicht in anderer geeigneter Weise“ in die Lage versetzt, seinerseits beurteilen zu können, ob und in welcher Höhe der Revisionswerberin Notstandshilfe gebührt habe. Soweit die Revisionswerberin damit argumentiere, dass sie den Bezug von Kinderbetreuungsgeld „angesprochen“ und das Formular „mitgehabt“ habe (dieses sei sogar am Tisch gelegen bzw. wäre für die Beraterin leicht zu erkennen gewesen), wäre auch bei Zutreffen dieser Behauptungen nicht davon auszugehen, dass das AMS damit in geeigneter Weise in die Lage versetzt gewesen wäre, beurteilen zu können, ob und in welcher Höhe der Revisionswerberin Notstandshilfe gebührte.

9Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

11 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

13Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14Im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung ihrer Revision macht die Revisionswerberin geltend, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen von Kausalität und Vorsatz bei der Herbeiführung des unberechtigten Bezugs durch unwahre Angaben oder Verschweigung maßgebender Tatsachen im Sinne des § 25 AlVG ab. Danach sei maßgebend, ob der fragliche Umstand in Beantwortung der Fragen im Antragsformular richtig und vollständig einbekannt „oder dem Arbeitsmarktservice gleichzeitig oder doch rechtzeitig vor Anweisung des Leistungsanspruchs in einer zumindest gleichwertigen Weise (zum Beispiel durch Vorlage einer entsprechenden Bestätigung)“ mitgeteilt worden sei. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei im Zusammenhang mit Konstellationen, in denen die maßgebende Tatsache dem AMS zwar nicht schon im Antrag selbst, jedoch „in gleichwertiger Weise“ rechtzeitig vor Anweisung des Leistungsanspruchs mitgeteilt wurde, der Fall der Vorlage einer entsprechenden Bestätigung „beispielhaft“ angeführt worden. In „gleichwertiger Weise“ könne die Mitteilung daher nicht nur im Wege der Vorlage einer Bestätigung, sondern auch „in anderer Form“ erfolgen, wie etwa „durch ausdrückliche Erwähnung ... im Rahmen des persönlichen Erstgesprächs“. Die im Fall der Revisionswerberin festgestellte „Mitteilung des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld im Rahmen des ersten Beratungsgesprächs“ sei jedenfalls auch gleichwertig mit dem Ankreuzen der im Antragsformular enthaltenen Frage 9 nach einem weiteren Einkommen mit „Ja“.

15Die sich aus der in § 25 Abs. 1 AlVG vorgesehenen Sanktionierung ergebende Verpflichtung von Antragstellern auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, hinsichtlich maßgebender Tatsachen vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen, soll sicherstellen, dass der Behörde, die zahlreiche gleichartige Verfahren relativ rasch abzuwickeln hat, grundsätzlich die für den Leistungsanspruch maßgebenden Umstände vollständig und wahrheitsgemäß zur Kenntnis gelangen. Der Rückforderungstatbestand „unwahre Angaben“ liegt daher jedenfalls dann vor, wenn die Behörde in einem Antragsformular eine rechtserhebliche Frage stellt und diese Frage unrichtig oder unvollständig beantwortet wird. Da die Angaben zur Geltendmachung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung im Antragsformular die Behörde in die Lage versetzen sollen, ihrerseits zu beurteilen, ob ein Anspruch besteht, ist das Risiko eines Rechtsirrtums, aus dem ein Antragsteller meint, die darin gestellten Fragen nicht vollständig oder richtig beantworten zu müssen, von ihm zu tragen. Es kommt daher beim Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz Fall 1 und 2 AlVG (unwahre Angaben, Verschweigen maßgebender Tatsachen) nach dem offenkundigen Zweck der Norm nicht darauf an, dass ein die Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung beeinflussender Umstand zu einem früheren Zeitpunkt bereits aktenkundig wurde oder von der Behörde hätte leicht festgestellt werden können, so wie überhaupt ein Mitverschulden der Behörde am Überbezug im Falle des Verschweigens von maßgeblichen Tatsachen oder unwahrer Angaben im Antragsformular ohne Belang ist. Maßgeblich ist nur, ob der fragliche Umstand in Beantwortung der Fragen im Antragsformular richtig und vollständig einbekannt oder dem Arbeitsmarktservice gleichzeitig oder doch rechtzeitig vor Anweisung des jeweiligen Leistungsanspruchs in einer zumindest gleichwertigen Weise (zum Beispiel durch Vorlage einer entsprechenden Bestätigung) mitgeteilt wurde (vgl. VwGH 15.5.2013, 2011/08/0388; s. weiters auch VwGH 27.11.2014, 2013/08/0286; 12.3.2024, Ra 2023/08/0102).

16 Ob eine Mitteilung in einer mit dem Antrag „gleichwertigen Weise“ erfolgt ist, unterliegt einer Beurteilung im Einzelfall. Im vorliegenden Fall war es zumindest nicht unvertretbar, dass das Bundesverwaltungsgericht die Erwähnung des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld während eines nach bereits erfolgter Antragstellung geführten Beratungsgesprächs nicht als eine auf „gleichwertige Weise“ erfolgte Richtigstellung ihrer früheren Angaben durch die Revisionswerberin gewertet hat (vgl. zur Nichterfüllung dieses Kriteriums beim Vorbringen, der Betreuer habe von einem im Antrag verschwiegenenStudium des Antragstellers gewusst und dieser Umstand habe auch in Betreuungsvereinbarungen Niederschlag gefunden, VwGH 31.7.2014, Ro 2014/08/0031).

17 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 5. Dezember 2024