JudikaturVwGH

Ra 2024/02/0151 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
21. August 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed, die Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der Finanzmarktaufsichtsbehörde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Mai 2024, W276 2247485 1/46E, betreffend Feststellung der Fehlerhaftigkeit der Rechnungslegung nach dem Rechnungslegungs Kontrollgesetz (mitbeteiligte Partei: B AG; weitere Partei: Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Mit Bescheid vom 21. Juni 2021 stellte die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Z 1 und § 5 Abs. 1 Rechnungslegungs Kontrollgesetz (RL KG) fest, dass der Konzernabschluss zum 31. Dezember 2019 und der Halbjahresfinanzbericht zum 30. Juni 2020 der mitbeteiligten Partei fehlerhaft seien. Die genannten Abschlüsse seien unter anderem deshalb fehlerhaft, weil auf das Wesentliche zusammengefasst zum Stichtag 1. Dezember 2016 von einer näher bezeichneten Bausparkasse Bauspareinlagen mit eingebetteten Zinsbegrenzungsvereinbarungen in den Konzernabschluss der mitbeteiligten Partei übernommen worden seien, jedoch keine korrekte Beurteilung der Trennungspflicht der eingebetteten Derivate vom Basisvertrag gemäß IFRS 9 stattgefunden habe. Aus näher dargestellten Gründen wären zumindest die Zinsuntergrenzen (Floors) trennungspflichtig gewesen.

2 Die gegen diesen Teil des Feststellungsbescheids erhobene Beschwerde der mitbeteiligten Partei wies die FMA mit Beschwerdevorentscheidung vom 22. September 2021 ab.

3 Aufgrund eines dagegen gestellten Vorlageantrags der mitbeteiligten Partei änderte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerdevorentscheidung mit Erkenntnis vom 8. Juli 2022 ab und stellte wiederum auf das Wesentliche zusammengefasst fest, dass die mitbeteiligte Partei in Bezug auf die gegenständlichen Bauspareinlagen mit eingebetteten Zinsbegrenzungsvereinbarungen eine rechtskonforme Beurteilung der Trennungspflicht durchgeführt und die eingebetteten Zinsvereinbarungen (zutreffend) nicht von den Basisverträgen abgespaltet habe.

4Diese Entscheidung hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 14. Dezember 2023, Ro 2022/02/0023, aufgrund einer Amtsrevision der FMA wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

5 Zusammengefasst führte der Verwaltungsgerichtshof aus, § 5 Abs. 1 RL KG sehe eine bescheidmäßige Feststellung nur für den Fall vor, dass die Prüfung durch die FMA eine fehlerhafte Rechnungslegung ergebe. Ergebe die Prüfung keine Beanstandungen, sei dies dem Unternehmen gemäß § 5 Abs. 3 RL KG lediglich mitzuteilen. Der vor dem BVwG angefochtene Bescheid der FMA wäre daher entweder zu bestätigen oder aufzuheben gewesen. Für eine negative Feststellung, dass die Rechnungslegung der mitbeteiligten Partei nicht fehlerhaft gewesen sei, wie sie das BVwG vorgenommen habe, biete § 5 RL KG hingegen keine Grundlage.

6 In der Sache erkannte der Verwaltungsgerichtshof, Ausgangspunkt für das vorliegende Verfahren sei der Erwerb einer Bausparkasse durch die mitbeteiligte Partei gewesen, im Zuge derer ein Portfolio an variabel verzinsten Bauspareinlagen übernommen worden sei, in die Zinsobergrenzen (Caps) und Zinsuntergrenzen (Floors) eingebettet gewesen seien. Aus näher bezeichneten Regelungen der International Financial Reporting Standards (IFRS) ergebe sich für die Rechnungslegung, dass der Erwerber zum Erwerbszeitpunkt zu beurteilen habe, ob ein eingebettetes Derivat gemäß dem International Accounting Standard (IAS) 39 vom Basisvertrag zu trennen sei. Die in IAS 39 genannten Grundsätze und in dessen Anhang A angeführten Beispiele seien daher auch im Kontext eines Unternehmenszusammenschlusses maßgeblich. Gemäß IAS 39 11(a) wie auch den entsprechenden Regelungen des IFRS 9 sei ein eingebettetes Derivat neben anderen, hier nicht in Frage stehenden Voraussetzungen vom Basisvertrag zu trennen, wenn die wirtschaftlichen Merkmale und Risiken des eingebetteten Derivats nicht eng mit den wirtschaftlichen Merkmalen und Risiken des Basisvertrages verbunden seien. Im Anhang A zu IAS 39 fänden sich Beispiele, in denen die wirtschaftlichen Merkmale und Risiken des eingebetteten Derivats eng mit den wirtschaftlichen Merkmalen und Risiken des Basisvertrages verbunden seien (A33) und Beispiele, in denen dies nicht der Fall sei (A30). Aus Rn. A33 (b) zu IAS 39 ergebe sich, dass ein eingebetteter Floor oder Cap auf Zinssätze eines Schuldinstruments oder Versicherungsvertrags eng mit dem Basisvertrag verbunden sei, wenn zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages die Zinsobergrenze gleich oder höher als der herrschende Marktzins sei oder die Zinsuntergrenze gleich oder unter dem herrschenden Marktzins liege und der Cap oder Floor im Verhältnis zum Basisvertrag keine Hebelwirkung aufweise. Im gegenständlichen Fall sei strittig, ob bei den in den Bauspareinlagen eingebetteten Floors von einer engen Verbundenheit im Sinn des IAS 39 auszugehen sei.

7 Dazu erwog der Verwaltungsgerichtshof wörtlich wie folgt:

„20 Das [BVwG] hat zwar sämtliche seiner zu dem in Beschwerde gezogenen Spruchpunkt getroffenen als solche auch titulierten Feststellungen (abgesehen von kurzen Feststellungen zur mitbeteiligten Partei, deren Geschäftsanschrift, Tätigkeitsfeld und Kapitalisierung, welche sich auf die Daten des offenen Firmenbuchs stützen) wortident aus der Beschwerdevorentscheidung der FMA übernommen und darüber hinaus keine zusätzlichen Feststellungen getroffen. In seiner rechtlichen Beurteilung aber, in der das [BVwG] weitestgehend das Sachverständigengutachten ohne dies offenzulegen wörtlich übernimmt, kommt das [BVwG] zu dem Ergebnis, dass die einschlägigen oben zitierten rechtlichen Vorgaben betreffend die Frage, ob im vorliegenden Fall eine Trennung des eingebetteten Derivats vom Basisvertrag zu erfolgen habe, jedenfalls ‚einen weiten Interpretationsspielraum‘ eröffneten und für die rechtlichen Standpunkte beider Verfahrensparteien nachvollziehbare Argumente bestünden. Die rechtliche Interpretation durch die mitbeteiligte Partei sei ‚im Ergebnis nachvollziehbar und vertretbar‘, daher sei ‚kein rechtswidriges Verhalten‘ der mitbeteiligten Partei aufgezeigt worden.

21 Die Beurteilung, ob ein Konzernabschluss den nationalen und internationalen Rechnungslegungsvorschriften entspricht, stellt eine Rechtsfrage dar, deren Beantwortung ausschließlich dem erkennenden Gericht obliegt.

22 Die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhalts ist nämlich eine der zentralen Aufgaben richterlicher Tätigkeit und bleibt ausschließlich dem Gericht vorbehalten. Ein Sachverständiger hat keine Rechtsfragen zu beantworten und er darf auch nicht in den Bereich der Beweiswürdigung vordringen. Vielmehr hat das erkennende Gericht eine eigene Auseinandersetzung mit der zu beantwortenden Rechtsfrage vorzunehmen (vgl. VwGH 25.5.2021, Ra 2021/02/0069, mwN).

23 Das [BVwG] gibt demgegenüber wie bereits angeführt in seiner rechtlichen Beurteilung lediglich beinahe wortgleich die Ausführungen des Sachverständigen wieder; eine eindeutige, fallbezogen nachvollziehbar begründete Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage der Trennungspflicht hat es nicht vorgenommen.

24 Ausgehend von der Annahme bestehender Interpretationsspielräume beschränkte sich das [BVwG] auf eine Vertretbarkeitskontrolle der rechtlichen Interpretation der mitbeteiligten Partei, ohne selbst wie von den zitierten Rechnungslegungsstandards gefordert eine abschließende Beurteilung vorzunehmen, ob im konkreten vorliegenden Fall das eingebettete Derivat im Konzernabschluss zu trennen sei oder nicht, und zog in seiner rechtlichen Beurteilung Faktoren (wie etwa das ‚Geschäftsmodell‘ der mitbeteiligten Partei oder ‚externe Umstände‘) heran, ohne dazu konkrete Feststellungen zu treffen, die diese zu tragen vermögen.

25 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher bereits aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig.“

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das BVwG im fortgesetzten Verfahren der Beschwerde der mitbeteiligten Partei Folge und hob den bekämpften Spruchpunkt der Beschwerdevorentscheidung der FMA ersatzlos auf. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

9 Die Begründung der Entscheidung entspricht insbesondere in seinen Feststellungen wortident jener des verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses im ersten Rechtsgang. In seinen rechtlichen Erwägungen folgt das BVwG wiederum den Ausführungen des Sachverständigen. Neu führt das BVwG unter Bezugnahme auf das aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes im ersten Rechtsgang lediglich aus, ausgehend vom festgestellten Sachverhalt und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der gutachterlichen Beurteilung sowie den Vorbringen der Parteien sei im konkreten Fall von der fehlenden Trennungspflicht auszugehen und es zeige der bekämpfte Bescheid der FMA kein rechtswidriges Verhalten der mitbeteiligten Partei auf. In diesem Zusammenhang gab das BVwG die Rechtsposition der mitbeteiligten Partei zur fehlenden Trennungspflicht wörtlich wieder und ergänzte dazu, dass ihr diese Sichtweise nachvollziehbar (Seiten 46 ff des Erkenntnisses) bzw. schlüssig (Seite 49 des Erkenntnisses) erscheine.

10 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision, die zusammengefasst geltend macht, das BVwG habe erneut die nach Auffassung der FMA nicht überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen wortgleich wiedergegeben, keine eigenständige Beurteilung der Rechtsfrage der Trennungspflicht vorgenommen, entgegen dem Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen und die Rechtsfrage der Trennungspflicht im Ergebnis unrichtig gelöst.

11 Die mitbeteiligte Partei hat dazu eine Revisionsbeantwortung erstattet.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z 1 VwGG gebildeten Senat erwogen:

13 Die Amtsrevision ist zulässig; sie ist auch begründet.

14Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind dann, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Bei der Erlassung der Ersatzentscheidung sind die Verwaltungsbehörden bzw. Verwaltungsgerichte somit an die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis geäußerte Rechtsanschauung gebunden; eine Ausnahme bildet der Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage. Im fortgesetzten Verfahren ist auch der Verwaltungsgerichtshof selbst gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die im aufhebenden Erkenntnis geäußerten Rechtsansichten gebunden (vgl. etwa VwGH 19.5.2025, Ra 2024/01/0346, mwN).

15 Im gegenständlichen Fall hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis im ersten Rechtsgang klar zum Ausdruck gebracht, dass das BVwG sich nicht wie seinerzeit geschehen auf eine Vertretbarkeitskontrolle der rechtlichen Interpretation der maßgeblichen Bestimmungen zur Rechnungslegung durch die mitbeteiligte Partei beschränken darf, sondern eine eindeutige, fallbezogen nachvollziehbar begründete Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage der Trennungspflicht vorzunehmen hat. Es wurde im Besonderen beanstandet, dass das BVwG die Erwägungen des Sachverständigen ohne eigene Beurteilung übernommen hat und dabei in seiner rechtlichen Beurteilung der mangelnden Trennungspflicht Faktoren (wie etwa das „Geschäftsmodell“ der mitbeteiligten Partei oder „externe Umstände“) herangezogen hat, ohne dazu konkrete Feststellungen zu treffen, die dies zu tragen vermögen.

16 Auch im fortgesetzten Verfahren ist dies nicht geschehen. Das BVwG beschränkte sich vielmehr darauf, ergänzend zur bisherigen Begründung die rechtliche Sichtweise der mitbeteiligten Partei wortgetreu wiederzugeben und sie als nachvollziehbar bzw. schlüssig zu bezeichnen. Abgesehen davon, dass die Schlüssigkeit des Vorbringens der mitbeteiligten Partei (also die Übereinstimmung mit den Denkgesetzen) nicht ausreicht, um von einer im Ergebnis korrekten Beurteilung der Trennungspflicht sprechen zu können, setzte das BVwG mit seiner Ersatzentscheidung die ihm überbundene Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht um.

17 Es traf insbesondere keine ergänzenden Feststellungen, die erklären könnten, warum es trotz der unstrittig übernommenen Bauspareinlagen mit Floors, die über dem Zinsniveau von Neuverträgen zum Erwerbszeitpunkt lagen (vgl. Feststellungen im Erkenntnis Seite 14) richtig sein soll, bei der Rechnungslegung keine Trennung der eingebetteten Derivate vom Basisvertrag vorzunehmen.

18 Weder wird gestützt auf nachvollziehbare Feststellungen dargestellt, warum „das Geschäftsmodell von Bausparverträgen ... in seiner wirtschaftlichen Realität dazu [führe], dass bei Bausparverträgen mit eingebetteten Derivaten, wie einer Zinsuntergrenze, meist keine Trennungspflicht besteh[e]“ (Erkenntnis Seite 50), noch werden die argumentativ angesprochenen „externen Umstände“, die eine Trennung nicht sachgerecht erscheinen ließen, durch Bezugnahme auf konkrete Feststellungen, welche Umstände fallbezogen konkret in den Blick zu nehmen sind, erläutert.

19 Davon ausgehend hat das BVwG seiner Verpflichtung zur Beachtung der Bindungswirkung des erwähnten Vorerkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes nicht entsprochen.

20Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 21. August 2025