JudikaturVwGH

Ra 2023/19/0011 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
27. Januar 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Seiler, über die Revision der G M, vertreten durch Mag. Eva Velibeyoglu, Rechtsanwältin in 1100 Wien, Columbusgasse 65/22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. April 2021, W247 2240509 1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die Revisionswerberin, eine russische Staatsangehörige der tschetschenischen Volksgruppe, stellte am 24. Dezember 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 29. Jänner 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Revisionswerberin ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.), gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.), erließ ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.) und erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VIII.).

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 9. April 2021 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinsichtlich Spruchpunkt I. bis VI. und VIII. als unbegründet ab, gab der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. „mit der Maßgabe“ statt, dass es die Dauer des Einreiseverbotes auf zwei Jahre herabsetzte, und wies den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zurück. Unter einem sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Mit Erkenntnis vom 14. Dezember 2022, E 1858/2021 13, hob der Verfassungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis insoweit, als es die Beschwerde der Revisionswerberin gegen die Erlassung des Einreiseverbotes betraf, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, durch das die Revisionswerberin in ihren Rechten verletzt worden sei, auf. Im Übrigen lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 Daraufhin erhob die Revisionswerberin im Hinblick auf den von der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof nicht betroffenen Teil des Erkenntnisses des BVwG die vorliegende außerordentliche Revision.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision bringt zur Zulässigkeit vor, das BVwG habe die „herrschende Rechtsprechung“ hinsichtlich der Notwendigkeit einer Einzelfallentscheidung nicht berücksichtigt. Die Revisionswerberin würde bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine hoffnungslose, unmenschliche und lebensgefährliche Situation geraten. Die Abwägung aller persönlichen Interessen, „also im Bereich des Art 3 wie auch Art 8 EMRK“ sei mehr als die bloße Beurteilung von Rechtsfragen. Das angefochtene Erkenntnis erreiche nicht die erforderliche Qualität eines gerichtlichen Urteils.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 9.12.2022, Ra 2022/19/0245, mwN).

11 Eine solche Darstellung enthält das Zulässigkeitsvorbringen der Revision nicht. Die Revision führt weder eine konkrete Rechtsfrage an, in der das angefochtene Erkenntnis von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweichen würde, noch legt sie dar, worin die behauptete Abweichung bestehen würde (vgl. erneut VwGH Ra 2022/19/0245).

12 Sofern die Revision einen Verstoß des BVwG gegen die Verhandlungspflicht geltend macht, ist zunächst festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum auch hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA VG ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt ist, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. zu diesen Leitlinien grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 10.11.2022, Ra 2022/18/0168).

13 Soweit die Revision ohne auf die Voraussetzungen für das Unterbleiben einer Verhandlung Bezug zu nehmen die Verletzung der Verhandlungspflicht rügt, verabsäumt sie es, konkret darzulegen, inwiefern das BVwG von den in der Rechtsprechung zum hier maßgeblichen ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA-VG aufgestellten Leitlinien abgewichen wäre (vgl. erneut VwGH Ra 2022/18/0168, mwN).

14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 27. Jänner 2023

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