Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Andrés, über die Revision 1. der G H (alias L A), 2. des A M und 3. des R A, alle in L und alle vertreten durch Dr. Max Kapferer, Mag. Thomas Lechner und Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. September 2023, 1. L518 2144069 2/5E, 2. L518 2144081 1/17E und 3. L518 2144076 1/14E, betreffend Wiederaufnahme von Verfahren in Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber sind verheiratet und Eltern des Drittrevisionswerbers.
2 Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber stellten (nach illegaler Einreise) am 3. Oktober 2013 und für ihren am 14. Jänner 2014 geborenen Sohn (Drittrevisionswerber) am 20. Jänner 2014 Anträge auf internationalen Schutz. Zur Begründung ihres Asylantrages sagte die Erstrevisionswerberin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aus, dass sie aus Aserbaidschan stamme und die Eltern des aus Armenien stammenden Ehemannes (Zweitrevisionswerber) gegen ihre Beziehung gewesen seien. Die Erstrevisionswerberin sei im Jahr 2009 mit dem Zweitrevisionswerber nach Armenien gezogen. Wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit hätten sie nicht in Armenien leben können.
3 Der Zweitrevisionswerber führte zur Begründung seines Asylantrages vor dem BFA aus, dass er die aus Aserbaidschan stammende Erstrevisionswerberin im Jahr 2008 in Russland kennengelernt habe. 2009 seien sie dann gemeinsam nach Armenien gezogen. Als im Jahr 2012 „die Bewohner erfahren hätten“, dass die Erstrevisionswerberin aus Aserbaidschan stamme, seien sie immer wieder beschimpft, erniedrigt, geschlagen und auch attackiert worden. Als die Erstrevisionswerberin schwanger geworden sei, hätten sie Armenien verlassen.
4 Mit Bescheiden des BFA jeweils vom 9. Dezember 2016 wurden die Anträge der Revisionswerber auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen.
5 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 8. Juli 2020 insoweit statt, als festgestellt wurde, dass eine Rückkehrentscheidung gegen die Erstrevisionswerberin und den Zweitrevisionswerber jeweils auf Dauer unzulässig sei. Unter einem erteilte ihnen das BVwG der eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ und dem Drittrevisionswerber eine „Aufenthaltsberechtigung“.
6 Mit Eingabe vom 29. Juni 2023 beantragte die Erstrevisionswerberin bei der Bezirkshauptmannschaft Landeck ihre Daten betreffend Namen, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit „zu berichtigen“ und ihr einen „Aufenthaltstitel (‚Rot Weiß Rot Karte plus‘) mit diesem Datensatz“ auszustellen. Dazu wurde ausgeführt, dass die Erstrevisionswerberin bisher unrichtige Angaben zu ihrer Identität gemacht habe.
7 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 15. September 2023 nahm das BVwG die mit Erkenntnis vom 8. Juli 2020 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren hinsichtlich der Feststellung, dass Rückkehrentscheidungen gegen die Erstrevisionswerberin und den Zweitrevisionswerber auf Dauer unzulässig seien, sowie betreffend die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ an sie und einer „Aufenthaltsberechtigung“ an den Drittrevisionswerber gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 VwGVG von Amts wegen wieder auf. Unter einem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
8 Das BVwG stellte fest, die Erstrevisionswerberin habe im Asylverfahren über einen mehrjährigen Zeitraum vor österreichischen Behörden einen falschen Namen und ein falsches Geburtsdatum sowie als ihre Staatsangehörigkeit Aserbaidschan angegeben. Tatsächlich handle es sich bei der Erstrevisionswerberin um eine Staatsangehörige von Armenien. Sie habe „somit in voller Absicht zehn Jahre lang ihre wahre Identität“ verschleiert. Von der rechtsfreundlichen Vertretung der Revisionswerber sei mit Eingabe vom 29. Juni 2023 bei der Bezirkshauptmannschaft Landeck die tatsächliche Identität der Erstrevisionswerberin bekanntgegeben und beantragt worden, die bis dahin falsch angegebenen Daten zu berichtigen und ihr eine „Rot Weiß Rot Karte“ mit diesem Datensatz auszustellen. Dabei seien eine Geburtsurkunde und ein Schulzeugnis, jeweils versehen mit einer Apostille und mit beglaubigter Übersetzung, als Beilage übermittelt worden. Auch habe die Erstrevisionswerberin eine Kopie ihres alten Reisepasses aus 2007 vorgelegt. Die Erstrevisionswerberin verfüge demnach über einen durch die Vortäuschung einer falschen Identität erschlichenen und nicht auf ihre wahre Identität lautenden Aufenthaltstitel. Im Asylverfahren habe die Erstrevisionswerberin ihre armenische Staatsbürgerschaft mehrmals und ausdrücklich in Abrede gestellt. Der Zweitrevisionswerber habe durch seine Angaben die wahrheitswidrigen Angaben der Erstrevisionswerberin unterstützt. Das BVwG stellte weiters fest, dass auch die tatsächliche Staatsangehörigkeit des in Österreich geborenen Drittrevisionswerbers über Jahre hinweg absichtlich verschleiert worden sei. Der Drittrevisionswerber leite nämlich seine Staatsangehörigkeit von seiner Mutter ab; ihre Staatsangehörigkeit sei jedoch nicht Aserbaidschan, sondern Armenien. Zudem habe der Zweitrevisionswerber zu keinem Zeitpunkt die wahre Identität seiner Gattin bekanntgegeben. Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber hätten ihr Fluchtvorbringen mit Problemen aufgrund einer gemischtethnischen Beziehung begründet, obwohl ihnen bewusst gewesen sei, dass dies angesichts der wahren Identität und Nationalität der Erstrevisionswerberin nicht den Tatsachen entsprochen habe. Es sei ihnen darauf angekommen die Erledigung ihres Asylverfahrens zu verzögern, was auch gelungen sei; zudem sei es auch gelungen, das Bundesgebiet nicht mehr verlassen zu müssen.
9 In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das BVwG im Wesentlichen fest, es stehe außer Zweifel, dass die Erstrevisionswerberin objektiv und „in voller Absicht unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung gemacht“ habe. Der Zweitrevisionswerber habe beharrlich über diesen Umstand geschwiegen bzw. aktiv zur Irreführung der Behörden und Gerichte beigetragen; der Drittrevisionswerber habe von seiner Mutter eine falsche Staatsbürgerschaft abgeleitet. Es sei davon auszugehen, dass die Angaben der Revisionswerber über ihren Aufenthalt sowie ihre privaten und familiären Verhältnisse in Armenien nicht der Wahrheit entsprechen würden. Diese Angaben würden das gesamte Vorbringen der Revisionswerber betreffen und es bestehe ein Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben und dem Ausspruch im Erkenntnis des BVwG vom 8. Juli 2020, weil sich insbesondere die privaten und familiären Anknüpfungspunkte der Revisionswerber mit hoher Wahrscheinlichkeit anders dargestellt hätten. Für das BVwG stehe fest, dass die Revisionswerber in Irreführungsabsicht gehandelt hätten, um daraus einen Vorteil, nämlich die „Verunmöglichung der Umsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen und somit die Gewährung des Verbleibes“ der Revisionswerber im Bundesgebiet zu erreichen.
10 Aus diesem Grund seien die rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren auch des Zweitrevisionswerbers und des Drittrevisionswerbers gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 VwGVG insoweit die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erklärt und ihnen Aufenthaltstitel erteilt worden waren, wiederaufzunehmen.
11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 In der gesonderten Zulässigkeitsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2023/17/0035, mwN).
16 Die Revision führt zur Begründung ihrer Zulässigkeit aus, der Erstrevisionswerberin sei ein Aufenthaltstitel zur Aufrechterhaltung des Privat und Familienlebens erteilt worden. Die wahre Identität sei bei einer Entscheidung nach § 55 AsylG 2005 nicht von wesentlicher Bedeutung, sondern vielmehr das Leben und die Integration des Fremden in Österreich. Im Hinblick auf ihre Integration in Österreich habe die Erstrevisionswerberin keinerlei Täuschungshandlung gesetzt und es könne somit von einer Erschleichung des Aufenthaltstitels keine Rede sein. Die Identität des Zweitrevisionswerbers sei ohnehin korrekt angegeben worden. In Bezug auf den Drittrevisionswerber könne ihm das Fehlverhalten seiner Mutter nicht schuldhaft angelastet werden.
17 Gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn 1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Nach Abs. 3 des § 32 VwGVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet sind und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann (vgl. VwGH 15.10.2020, Ra 2020/18/0300, mwN).
19 Ein „Erschleichen“, das zur Wiederaufnahme eines Verfahrens führen kann, liegt dann vor, wenn die betreffende Entscheidung in einer Art zustande gekommen ist, dass die Partei gegenüber der Behörde oder dem Gericht objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht hat und die Angaben dann der Entscheidung zugrunde gelegt wurden, wobei die Verschweigung maßgeblicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. etwa VwGH 14.10.2022, Ra 2018/22/0227, mwN).
20 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Wiederaufnahmegrund des „Erschleichens“ absoluten Charakter; es kommt nicht darauf an, ob ohne das verpönte Verhalten voraussichtlich eine anderslautende Entscheidung ergangen wäre oder ob die Behörde oder das Verwaltungsgericht im neuen Verfahren voraussichtlich zu einer anderslautenden Entscheidung gelangen wird. Ermittlungen zur Frage der Relevanz des als Wiederaufnahmegrund herangezogenen Verhaltens sind daher grundsätzlich entbehrlich (vgl. VwGH 17.10.2022, Ra 2021/22/0158, mwN).
21 Zudem muss ein Kausalitätszusammenhang zwischen der unrichtigen Angabe der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde bestehen, damit das verpönte Handeln als ein die Wiederaufnahme rechtfertigendes „Erschleichen“ qualifiziert werden kann (vgl. etwa VwGH 16.11.2022, Ra 2022/20/0298, mwN).
22 Im vorliegenden Fall gelingt es der Revision vor dem Hintergrund der unbestritten gebliebenen Feststellungen in Bezug auf die falschen Identitätsangaben der Erstrevisionswerberin nicht aufzuzeigen, dass die Auffassung des BVwG, die Revisionswerber hätten mit Irreführungsabsicht gehandelt und die ihnen erteilten Aufenthaltstitel erschlichen, nicht im Einklang mit den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu entwickelten Grundsätzen stünde.
23 Soweit die Revision zunächst vorbringt, die wahre Identität sei bei einer Entscheidung nach § 55 AsylG 2005 „grundsätzlich nicht von wesentlicher Bedeutung“, ist die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, wonach auch in Bezug auf nach dem AsylG 2005 zu erteilende Aufenthaltstitel der Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben eines Fremden bezüglich seiner Identität und der Erteilung des Aufenthaltstitels nicht in Zweifel gezogen werden kann. In diesem Verfahren geht es nämlich darum einer ganz bestimmten, durch ihren Namen, ihr Geburtsdatum und ihre Nationalität identifizierbaren Person einen Aufenthaltstitel zu erteilen und dadurch ihren rechtlichen Status zu gestalten (vgl. nochmals VwGH 16.11.2022, Ra 2022/20/0298, mwN).
24 Mit dem Revisionsvorbringen, wonach nur die Erstrevisionswerberin, nicht jedoch der Zweitrevisionswerber oder der Drittrevisionswerber falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht habe, ist für die Revisionswerber ebenfalls nichts zu gewinnen. Der Zweitrevisionswerber hat nämlich gemäß den Feststellungen des BVwG die wahre Identität und Staatsangehörigkeit der Erstrevisionswerberin gekannt und verschwiegen sowie unrichtige Angaben betreffend eine Verfolgung in Armenien aufgrund der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit seiner Ehefrau gemacht. Die Bewertung des BVwG, er habe mit seinen Angaben bezweckt, dass sich (auch) sein Asylverfahren verzögere bzw. die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unterbleibe und sich so einen Aufenthaltstitel erschlichen, ist demnach nicht zu beanstanden. In Bezug auf den minderjährigen Drittrevisionswerber ist ihm die Irreführungsabsicht seiner Mutter (Erstrevisionswerberin) als seine gesetzliche Vertreterin zuzurechnen (vgl. etwa VwGH 25.5.2022, Ra 2022/02/0084).
25 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 14. Februar 2024
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