JudikaturVwGH

Ra 2023/10/0043 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. Juli 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der R Apotheke Mag. pharm. B S e.U. in S, vertreten durch die Thurnher Wittwer Pfefferkorn Partner Rechtsanwälte GmbH in 6850 Dornbirn, Messestraße 11, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 6. Februar 2023, Zl. LVwG 2019/21/1831 7, betreffend Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Schwaz; mitbeteiligte Partei: Mag. pharm. T H in K, vertreten durch Mag. Dr. Eleonore Berchtold Ostermann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Bräunerstraße 6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 1.1. Mit Bescheid vom 1. August 2019 erteilte die belangte Behörde der Mitbeteiligten gemäß §§ 3, 9, 10 und 46 Apothekengesetz (ApG) die Konzession zum Betrieb einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke an einer bestimmten voraussichtlichen Betriebsstätte in K., wobei sie (unter anderem) einen Einspruch der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin abwies.

2 Zur Begründung stützte sich die belangte Behörde (unter anderem) auf ein gemäß § 10 Abs. 7 ApG eingeholtes Bedarfsgutachten der Österreichischen Apothekerkammer vom 12. Dezember 2018, wonach die Zahl der von den Betriebsstätten der umliegenden öffentlichen Apotheken (darunter die Apotheke der Revisionswerberin) aus weiterhin zu versorgenden Personen infolge der Neuerrichtung (der beantragten Apotheke) entweder sich nicht verringern oder aber nicht unter 5.500 betragen werde (vgl. § 10 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 Z 3 ApG).

3 1.2. Gegen diesen Bescheid erhob die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin Beschwerde, beantragte darin ausdrücklich die Durchführung einer Verhandlung und erstattete zur Entkräftung des Ergebnisses des Gutachtens vom 12. Dezember 2018, wonach ihrer Apotheke im Fall der Errichtung der beantragten Apotheke 6.536 weiterhin zu versorgende Personen verblieben, umfangreiches Sach und Rechtsvorbringen zu diesem Gutachten und dessen Grundlagen.

4 Nach Vorlage der Beschwerde forderte das Landesverwaltungsgericht Tirol die Österreichische Apothekerkammer mit Schreiben vom 4. April 2022 zur Gutachtensergänzung auf. Das daraufhin erstattete Ergänzungsgutachten vom 23. Mai 2022 brachte es der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin und der Mitbeteiligten am 21. Juni 2022 zur Kenntnis; die Parteien des Beschwerdeverfahrens erstatteten dazu am 15. Juli 2022 bzw. am 5. Jänner 2023 Stellungnahmen.

5 Die Revisionswerberin erstattete in ihrer Stellungnahme vom 15. Juli 2022 unter Wiederholung ihres Verhandlungsantrages neuerlich Sachvorbringen zur Widerlegung (insbesondere) der Beurteilung nach § 10 Abs. 2 Z 3 ApG.

6 1.3. Ohne Durchführung der beantragten Verhandlung wies das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 6. Februar 2023 die Beschwerde gegen den Bescheid vom 1. August 2019 ab, wobei es die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zuließ.

7 Zur Begründung seiner Entscheidung gab das Verwaltungsgericht zunächst (auf 57 von 60 Seiten) wörtlich den Konzessionsantrag, den dagegen erhobenen Einspruch der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin, das Gutachten vom 12. Dezember 2018, die dazu erstatteten Stellungnahmen der Parteien, die Beschwerde gegen den Bescheid vom 1. August 2019, das Ergänzungsgutachten vom 23. Mai 2022 sowie die dazu erstatteten Stellungnahmen der Parteien wieder.

8 In seiner „Sachverhaltsfeststellung“ legte das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung im Wesentlichen zugrunde, nach dem „Gutachten der Apothekerkammer“ verblieben der Apotheke der Revisionswerberin „auch bei Errichtung und Betrieb der gegenständlich beantragten Apotheke 6.536 zu versorgende Personen“.

9 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht im Kern aus, die Österreichische Apothekerkammer habe im Ergänzungsgutachten vom 23. Mai 2022 ausführlich zum Vorbringen in der Beschwerde Stellung genommen und sei darin nicht „vom Ergebnis ihres Hauptbedarfsgutachtens vom 12.12.2018“ abgewichen. Maßgeblich für die Sachverhaltsfeststellung seien die beiden schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten der Österreichischen Apothekerkammer, wobei die Bedenken der Revisionswerberin in ihren dazu abgegebenen Stellungnahmen „vom Gericht nicht geteilt werden können“. Beide Gutachten seien „lebensnah und nachvollziehbar, und geben die tatsächlichen Verhältnisse in K. und Umgebung nachvollziehbar wieder“.

10 In rechtlicher Hinsicht erachtete das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen für eine Konzessionserteilung, insbesondere die „negativen Bedarfsvoraussetzungen des § 10 Abs 2 ApG“, als erfüllt.

11 Eine Begründung für das Absehen von einer Verhandlung trotz des (wiederholten) Antrages der Revisionswerberin ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen.

12 1.4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

13 Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

14 2. Die Revisionswerberin führt zur Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision (unter anderem) aus, das Verwaltungsgericht habe gegen seine Begründungspflicht im Sinn der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen (Hinweis u.a. auf VwGH 22.12.2020, Ra 2019/04/0014); dieser Begründungsmangel führe zur Zulässigkeit der Revision, weil er (u.a.) den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung des angefochtenen Erkenntnisses auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit hindere (Hinweis u.a. auf VwGH 9.1.2023, Ra 2021/04/0152).

15 Im Weiteren weist die Revisionswerberin (u.a.) darauf hin, dass das Verwaltungsgericht ihren Antrag auf Durchführung einer Verhandlung „gänzlich ignoriert“ habe.

16 3. Die Revision ist mit Blick auf dieses Vorbringen zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.

17 3.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen habe, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt worden seien. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheids geführt haben.

18 Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben.

19 Das Verwaltungsgericht hat neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise dabei auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 22.10.2020, Ra 2019/10/0014, mwH, etwa auf VwGH 26.9.2017, Ra 2015/04/0023).

20 Diesen Begründungsanforderungen wird das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nicht gerecht:

21 Indem es zu dem von der Revisionswerberin im Verfahren erstatteten (umfangreichen) Vorbringen zur Bedarfsfrage lediglich pauschal auf dessen Behandlung in den Gutachten der Österreichischen Apothekerkammer verweist und diese Gutachten wiederum völlig pauschal als „lebensnah und nachvollziehbar“ klassifiziert, ist das Verwaltungsgericht selbst weder auf das Vorbringen der Revisionswerberin noch dessen Beantwortung durch die eingeholten Gutachten inhaltlich eingegangen; die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichtes, die Bedenken der Revisionswerberin könnten angesichts dieser Gutachten „nicht geteilt werden“ (vgl. oben Rz 9), entzieht sich damit einer nachprüfenden Kontrolle.

22 Daran vermag die bloße (wörtliche) Wiedergabe der genannten Gutachten und der verschiedenen Stellungnahmen der Parteien des Beschwerdeverfahrens nichts zu ändern.

23 3.2. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht trotz des von der Revisionswerberin wiederholt verbunden mit einem konkreten sachverhaltsbezogenen Vorbringen gestellten Antrages auf Durchführung einer Verhandlung eine Verhandlung nicht durchgeführt, ohne dies mit Blick auf § 24 Abs. 4 VwGVG zu begründen (vgl. zur Verhandlungspflicht im Fall eines solchen Vorbringens etwa VwGH 30.3.2017, Ra 2015/07/0108, mwN, sowie zur Verhandlungspflicht im Apothekenkonzessionsverfahren etwa VwGH 28.7.2021, Ra 2020/10/0145).

24 Auch in dieser Hinsicht weist das angefochtene Erkenntnis daher einen Begründungsmangel auf, welcher den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung des angefochtenen Erkenntnisses auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert (vgl. etwa VwGH 19.4.2021, Ra 2020/13/0105, mwN).

25 4. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

26 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. Juli 2024

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