JudikaturVwGH

Ro 2023/07/0003 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Umweltrecht
29. Januar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler, Mag. Haunold, Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Bamer, über die Revision der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie in 1010 Wien, Stubenbastei 5, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 28. Dezember 2021, Zl. VGW 101/092/14246/2021 5, betreffend einen Behandlungsauftrag nach dem Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: R H in W, vertreten durch Dr. Gerd Leser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 12),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

II. den Beschluss gefasst:

Der Antrag der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wird zurückgewiesen.

1 Mit Bescheid vom 23. August 2021 trug die belangte Behörde der mitbeteiligten Partei als Abfallbesitzerin und Eigentümerin der Liegenschaft Grst. Nr. 477/14, KG B., auf, den auf diesem Grundstück entgegen den Bestimmungen des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002 (AWG 2002) abgelagerten Abfall, und zwar das Altfahrzeug (Citroen, silber, ohne polizeiliches Kennzeichen, teilzerlegt, auf Reifen „aufgebockt“ und teilweise durch Pflanzen überwachsen auf nicht flüssigkeitsdichtem Untergrund, zugehörig der nicht gefährlichen Abfallart „Fahrzeuge, Arbeitsmaschinen und teile, ohne umweltrelevanten Mengen an gefährlichen Anteilen und Inhaltsstoffen“ mit der Abfallschlüsselnummer 35204, gemäß Anlage 5 der Abfallverzeichnisverordnung, BGBl. II Nr. 570/2003 in der geltenden Fassung, in Verbindung mit ÖNORM S 2100 „Abfallverzeichnis“, ausgegeben am 1.10.2005) binnen einer Frist von drei Wochen zu entfernen.

2 Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde an das Verwaltungsgericht.

3 Am 17. November 2021 fand vor dem Verwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der die mitbeteiligte Partei einvernommen wurde und die abfalltechnische Amtssachverständige ihr Gutachten erstattete.

4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 28. Dezember 2021 gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 23. August 2021 statt und hob den bekämpften Bescheid auf (Spruchpunkt I.). Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht als zulässig (Spruchpunkt II.).

5 Begründend hielt das Verwaltungsgericht fest, dass sich auf dem im Eigentum der mitbeteiligten Partei stehenden Grst. Nr. 477/14, KG B., ein Citroen, teilzerlegt und trockengelegt, mit Öl verschmierten Teilen und Korrosionsschäden befinde; er sei auf Reifen „aufgebockt“ und stehe auf nicht flüssigkeitsdichtem Untergrund; es handle sich dabei aber um eine befestigte Fläche, die Risse aufweise. Das Fahrzeug befinde sich unter einer „Vollgarage“ (einer extra für Autos angefertigten Plane) und sei nicht frei zugänglich.

6 Das Fahrzeug sei an zwei Stellen mit zwei Stahlstreben, nämlich mit zwei Zaunstehern, verschweißt. Die Zaunsteher seien in das Zaunfundament einbetoniert. Das Fahrzeug diene als Stütze gegen den Druck, der von der Straßenseite auf den Zaunsockel wirke.

7 Beweiswürdigend hielt das Verwaltungsgericht fest, dass die Feststellungen im Verwaltungsakt gründeten. Sie seien durch im Verwaltungsakt einliegende Fotos belegt und zwischen den Verfahrensparteien auch nicht strittig. Die Feststellungen zum Vorhandensein ölverschmierter Teile gründe in der Aussage der abfalltechnischen Amtssachverständigen in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht.

8 In der rechtlichen Beurteilung seiner Entscheidungsbegründung hielt das Verwaltungsgericht fest, dass die Erlassung des verfahrensgegenständlichen Behandlungsauftrages gemäß § 73 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 unter anderem zur Voraussetzung habe, dass es sich beim gegenständlichen Fahrzeug um Abfall im Sinne des § 2 Abs. 1 AWG 2002 handle.

9 Zunächst bestreite die mitbeteiligte Partei die Abfalleigenschaft des Fahrzeuges, weil es sich infolge der Verschweißung des Fahrzeuges mit der Einfriedung um keine bewegliche Sache im Sinne des § 2 Abs. 1 AWG 2002 (mehr) handle. Diese Auffassung treffe nicht zu: § 2 Abs. 1 AWG 2002 sei im Lichte der unionsrechtlichen Vorgabe (nunmehr RL 2008/98/EG) zu lesen, die in Art. 3 Z 1 statt von „beweglicher Sache“ von „Stoff oder Gegenstand“ spreche; es sei daher nicht primär der Sachenbegriff des ABGB maßgeblich. Es komme auf die faktische Beweglichkeit des Gegenstandes an; es sei darauf abzustellen, ob eine Ortsveränderung ohne (wesentliche) Substanzverletzung möglich sei. Davon sei im vorliegenden Fall auszugehen, weil sich die zwei Schweißstellen, bei denen das Fahrzeug mit der Garteneinfriedung verbunden sei, trennen ließen, ohne dass es zu einer Substanzverletzung beim Fahrzeug käme.

10 Mangels Absicht der mitbeteiligten Partei, sich des Fahrzeugs zu entledigen, und da sie sich auch nicht bereits des Fahrzeugs entledigt habe, sei Abfall im subjektiven Sinn (§ 2 Abs. 1 Z 1 AWG 2002) nicht anzunehmen.

11 Da auch § 2 Abs. 3 AWG 2002 nicht zur Anwendung komme, weil das Fahrzeug nach allgemeiner Verkehrsauffassung weder neu sei noch in einer für Fahrzeuge bestimmungsgemäßen Verwendung stehe (auf die konkrete, von der mitbeteiligten Partei dem Fahrzeug zugewiesene Aufgabe Stütze des Zaunsockels stelle das Gesetz nicht ab), sei zu prüfen, ob die Erfassung und Behandlung des Fahrzeugs als Abfall im öffentlichen Interesse geboten sei, ob somit das Fahrzeug vom objektiven Abfallbegriff des § 2 Abs. 1 Z 2 AWG 2002 erfasst sei.

12 Die belangte Behörde so führte das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidungsbegründung weiter aus sehe in ihrem in Beschwerde gezogenen Bescheid eine Beeinträchtigung der nachhaltigen Nutzung von Wasser und Boden (§ 1 Abs. 3 Z 3 AWG 2002). Lediglich ölverschmierte Teile könnten jedoch im konkreten Fall eine Beeinträchtigung einer „nachhaltigen“ Nutzung von Wasser und Boden nicht bewirken; zunächst erscheine der mögliche Eintrag aus ölverschmierten Teilen in den Boden (anders als freilich der Eintrag aus nicht trockengelegten Fahrzeugen) als zu gering, um dessen (oder des Grundwassers) nachhaltige Nutzung zu beeinflussen, zumal das Fahrzeug durch die „Vollgarage“ vor Regen und Schnee (somit vor „Auswaschen“) geschützt sei, was auch die von der Amtssachverständigen für Abfalltechnik in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht angesprochene Korrosion jedenfalls reduziere.

13 Die belangte Behörde habe das gegenständliche Fahrzeug nachdem es trockengelegt worden sei als einer nicht gefährlichen Abfallart (Fahrzeuge, Arbeitsmaschinen und teile, ohne umweltrelevante Mengen an gefährlichen Anteilen und Inhaltsstoffen) zugehörig qualifiziert. Daraus sei zu schließen, dass damit sachverständig auch klargelegt sei, dass durch das Belassen des (nicht gefährlichen) Fahrzeugs keine Gefahren für Wasser, Luft, Boden, Tiere oder Pflanzen und deren natürlichen Lebensbedingungen verursacht werden könnten (§ 1 Abs. 3 Z 2 AWG 2002).

14 Die belangte Behörde sehe auch die Möglichkeit, dass durch das verfahrensgegenständliche Fahrzeug die Umwelt über das unvermeidliche Ausmaß hinaus verunreinigt werde (§ 1 Abs. 3 Z 4 AWG 2002). Dieser Tatbestand setze zunächst eine mögliche Verunreinigung der Umwelt voraus, er kenne „keine ausdrückliche Geringfügigkeitsgrenze“. Da allerdings das AWG 2002 an die Abfalleigenschaft gravierende Rechtsfolgen knüpfe, greife eine Qualifizierung als Abfall in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums des Eigentümers der Sache ein. Daraus ergebe sich, dass der Eingriff verhältnismäßig zu sein habe. Die mögliche Verunreinigung müsse eine gewisse Gravität erreichen. Insoweit bestehe aus verfassungsrechtlichen Gründen eine implizite Geringfügigkeitsgrenze.

15 Diese Grenze scheine gegenständlich noch nicht überschritten: Bloß ölverschmierte Teile und Korrosionsschäden eines Fahrzeugs, das darüber hinaus durch eine über das Fahrzeug gelegte Plane witterungsgeschützt sei, erforderten nicht deren Behandlung im öffentlichen Interesse. Unter bestimmten Umständen und Voraussetzungen toleriere der Gesetzgeber ein gewisses Maß an Beeinträchtigungen öffentlicher Interessen.

16 In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei die Abfalleigenschaft von Altautos, die noch Betriebsflüssigkeiten enthielten, insbesondere wenn sie sich auf unbefestigten Flächen befänden, unstrittig. Im vorliegenden Fall enthalte das Fahrzeug aber weder Betriebsmittel noch stehe es auf unbefestigtem Grund; deshalb erscheine dem Verwaltungsgericht diese Judikatur nicht einschlägig; es erachte die mögliche Verunreinigung der Umwelt durch das konkrete Fahrzeug als zu wenig erheblich, um die Schwelle zur Qualifizierung einer Sache als Abfall im Sinne des § 1 Abs. 3 Z 4 AWG 2002 zu überschreiten.

17 Das gegenständliche Fahrzeug falle somit weder unter den subjektiven Abfallbegriff im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 noch unter den objektiven Abfallbegriff im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 2 AWG 2002. Es liege folglich kein Abfall vor, weshalb sich der gegenständliche auf § 73 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 gestützte Behandlungsauftrag als rechtswidrig erweise.

18 Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass trotz der Situationsbezogenheit jeder Beurteilung einer Sache als Abfall noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu bestehe, ob bereits jede (noch so geringe) Beeinträchtigung der in § 1 Abs. 3 AWG 2002 angesprochenen öffentlichen Interessen die Behandlung der Sache als Abfall erfordere und damit zur Qualifikation der Sache als Abfall im objektiven Sinn führe oder ob es dazu erst einer gewissen Gravität der (möglichen) Beeinträchtigung bedürfe.

19 Dagegen richtet sich die auf § 87c Abs. 3 AWG 2002 gestützte ordentliche Revision.

20 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Aufhebung des gegenständlich angefochtenen Erkenntnisses beantragt.

21 Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück bzw. Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

22 Die mitbeteiligte Partei erachtet die vorliegende Revision als verspätet. Das ist nicht der Fall.

23 Gemäß Art. 133 Abs. 8 B VG bestimmen die Bundes oder Landesgesetze, wer in anderen als den in Abs. 6 genannten Fällen wegen Rechtswidrigkeit Revision erheben kann.

24 Nach § 87c Abs. 3 AWG 2002 kann die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie in den Angelegenheiten dieses Bundesgesetzes und der darauf beruhenden Verordnungen gegen Erkenntnisse und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte wegen Rechtswidrigkeit Revision an den Verwaltungsgerichtshof erheben.

25 Gemäß § 87d Abs. 2 zweiter Satz AWG 2002 hat nach Erlassung eines Erkenntnisses oder Beschlusses durch das Verwaltungsgericht dieses der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie unverzüglich eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses oder Beschlusses zu übermitteln.

26 Gemäß § 26 Abs. 1 Z 5 VwGG beginnt die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes (Revisionsfrist) in den Fällen des Art. 133 Abs. 8 B VG dann, wenn das Erkenntnis dem aufgrund des Bundes oder Landesgesetzes zur Erhebung der Revision befugten Organ zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, sonst mit dem Zeitpunkt, in dem es von dem Erkenntnis Kenntnis erlangt hat.

27 Unbestritten ist im vorliegenden Revisionsfall, dass das Verwaltungsgericht seiner Übermittlungspflicht des vorliegenden Erkenntnisses an die revisionswerbende Partei gemäß § 87d Abs. 2 AWG 2002 nicht nachgekommen ist. Mangels erfolgter Zustellung beginnt somit die Frist zur Erhebung einer Revision nach § 87c Abs. 3 AWG 2002 gemäß § 26 Abs. 1 Z 5 VwGG mit dem Zeitpunkt, in dem die revisionswerbende Partei von dem Erkenntnis Kenntnis erlangt hat (vgl. VwGH 17.2.2021, Ro 2021/07/0003).

28 Die revisionswerbende Partei bringt vor, durch eine E Mail der belangten Behörde vom 9. Dezember 2022 vom angefochtenen Erkenntnis Kenntnis erlangt zu haben, in welchem die belangte Behörde sie gefragt habe, ob in diesem Verfahren Revision erhoben worden sei oder ob sie die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtes im angefochtenen Erkenntnis teile.

29 Damit ist für den Verwaltungsgerichtshof der Zeitpunkt, in dem die revisionswerbende Partei von dem angefochtenen Erkenntnis Kenntnis erlangt hat, in ausreichender Form dargelegt. Der Verwaltungsgerichtshof findet auch keinen Anlass, die Behauptungen der revisionswerbenden Partei in Zweifel zu ziehen.

30 In den vorgelegten Verwaltungsakten findet sich nämlich eine E Mail der revisionswerbenden Partei an das Verwaltungsgericht vom 21. Dezember 2022, in welcher diese das Verwaltungsgericht anlässlich der Prüfung, eine Revision zu erheben um „ehestbaldige Übermittlung des gesamten Verfahrensakts“ ersucht. Ausgehend vom 9. Dezember 2022 jenem Zeitpunkt, an dem die revisionswerbende Partei vom angefochtenen Erkenntnis Kenntnis erlangte erweist sich die am 20. Jänner 2023 zur Post gegebene Revision als rechtzeitig.

31 In einer ordentlichen Revision hat die revisionswerbende Partei von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision gesondert darzulegen, sofern sie der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder sie andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. VwGH 23.4.2015, Ro 2014/07/0112, mwN).

32 Die revisionswerbende Partei hält in ihren Zulässigkeitsausführungen fest, dass das Verwaltungsgericht in seiner Zulässigkeitsbegründung die von ihm formulierte Rechtsfrage auf den gesamten § 1 Abs. 3 AWG 2002 bezogen habe. In diesem Zusammenhang formuliert die revisionswerbende Partei die Rechtsfrage, ob jede mögliche Beeinträchtigung der in § 1 Abs. 3 Z 4 AWG 2002 angesprochenen öffentlichen Interessen die Behandlung der Sache als Abfall erfordere und damit zur Qualifikation der Sache als Abfall im objektiven Sinn führe oder die mögliche Beeinträchtigung dazu erst ein gewisses Ausmaß im Sinne einer Geringfügigkeitsgrenze erreichen müsse. In dieser Frage sei das Verwaltungsgericht von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

33 Die Revision erweist sich bereits aus diesem Grund als zulässig und im Ergebnis als begründet.

34 Die bezughabenden Bestimmungen des AWG 2002 in der geltenden Fassung lauten auszugsweise wie folgt:

„§ 1.

...

(3) Im öffentlichen Interesse ist die Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall erforderlich, wenn andernfalls

...

4. die Umwelt über das unvermeidliche Ausmaß hinaus verunreinigt werden kann,

...

Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Abfälle im Sinne dieses Bundesgesetzes sind bewegliche Sachen,

1. deren sich der Besitzer entledigen will oder entledigt hat oder

2. deren Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung als Abfall erforderlich ist, um die öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) nicht zu beeinträchtigen.

...

(3) Eine geordnete Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist jedenfalls so lange nicht im öffentlichen Interesse (§ 1 Abs. 3) erforderlich, so lange

1. eine Sache nach allgemeiner Verkehrsauffassung neu ist oder

2. sie in einer nach allgemeiner Verkehrsauffassung für sie bestimmungsgemäßen Verwendung steht.

...“

35 Die mitbeteiligte Partei wendet sich in ihrer Revisionsbeantwortung gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, wonach es sich beim revisionsgegenständlichen Fahrzeug trotz der Verschweißung mit zwei Stahlstreben (zwei Zaunstehern) um eine bewegliche Sache handle.

36 Die Auffassung des Verwaltungsgerichtes erweist sich im Ergebnis als zutreffend.

37 Bewegliche Sachen im Sinne des § 2 Abs. 1 AWG 2002 sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten an unterschiedlichen Orten befinden können (zur insoweit vergleichbaren Rechtslage nach dem AWG 1990 VwGH 14.12.1995, 95/07/0112; Scheichl/Zauner/Berl , AWG 2002, 2015, Rdn 19 zu § 2 AWG 2002, 29).

38 Es besteht nun kein Zweifel, dass es sich beim revisionsgegenständlichen Fahrzeug an sich um eine bewegliche Sache handelt. Es verliert diese Eigenschaft auch nicht durch seine Funktion als Stütze für den Zaun der mitbeteiligten Partei, die durch die Verschweißung mit zwei Zaunstehern bewirkt wird. Ob sich die zwei Schweißstellen, bei denen das Fahrzeug mit der Garteneinfriedung verbunden ist, trennen lassen, ohne dass es zu einer Substanzverletzung beim Fahrzeug kommen würde, ist dabei aus folgenden Überlegungen nicht relevant:

39 Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, dass der Gebrauch eines Altfahrzeuges als Zaunstütze wie im vorliegenden Fall keine bestimmungsgemäße Verwendung im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 2 AWG 2002 darstellt (vgl. VwGH 30.9.2010, 2008/07/0170). Damit ist jedoch bei Vorliegen einer der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 AWG 2002 eine Sammlung, Lagerung, Behandlung und Beförderung im Sinne des AWG 2002 erforderlich. Nehme man beim revisionsgegenständlichen Fahrzeug in der vorliegenden, nicht bestimmungsgemäßen Verwendung das Vorliegen einer unbeweglichen Sache an, würde die Prüfung der öffentlichen Interessen nach § 1 Abs. 3 AWG 2002 in einer dem Zweck des AWG 2002 widersprechenden Weise von Vornherein verhindert. Eine solche Auslegung erwiese sich mit der Systematik des AWG 2002 als unvereinbar.

40 Das Verwaltungsgericht wies bereits in seinem angefochtenen Erkenntnis zutreffend darauf hin, dass bloß aus der Zuordnung einer Sache zu einer Abfallart noch nicht geschlossen werden kann, dass Abfall vorliegt, weil vor der Einordnung in das Abfallverzeichnis in einem ersten Schritt zunächst das Vorliegen von Abfall im Sinne eines Tatbestandes des § 2 Abs. 1 Z 1 und Z 2 AWG 2002 zu prüfen ist (vgl. VwGH 23.4.2014, 2012/07/0053, mwN).

41 Gemäß § 73 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 hat die Behörde, wenn Abfälle nicht gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, nach diesem Bundesgesetz erlassenen Verordnungen, nach EG VerbringungsV oder nach EG POP-V gesammelt, gelagert, befördert, verbracht oder behandelt werden, die erforderlichen Maßnahmen dem Verpflichteten mit Bescheid aufzutragen oder das rechtswidrige Handeln zu untersagen.

42 Voraussetzung für die Erlassung eines Behandlungsauftrages nach § 73 Abs. 1 AWG 2002 ist, dass die in Rede stehenden Materialien Abfälle im Sinne des § 2 Abs. 1 AWG 2002 sind (vgl. etwa VwGH 24.5.2012, 2009/07/0123, mwN).

43 Abfall liegt vor, wenn entweder der objektive oder subjektive Abfallbegriff erfüllt ist (vgl. VwGH 15.9.2011, 2009/07/0154). Für die Verwirklichung des objektiven Abfallbegriffes des § 2 Abs. 1 Z 2 AWG 2002 reicht die bloße Möglichkeit einer Gefährdung von Schutzgütern im Sinne des § 1 Abs. 3 leg. cit. aus. Es kommt nicht darauf an, dass eine konkrete Gefahrensituation nachweisbar ist (vgl. VwGH 28.11.2013, 2010/07/0144, mwN).

44 Zutreffend hält das Verwaltungsgericht fest, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, dass der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Z 4 AWG 2002 keine ausdrückliche Geringfügigkeitsgrenze kennt (vgl. VwGH 22.12.2005, 2005/07/0088; 20.2.2014, 2011/07/0080). Das Verwaltungsgericht führt jedoch weiter aus, dass das AWG 2002 an die Abfalleigenschaft gravierende Folgen knüpfe und eine Qualifizierung als Abfall in das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums des Eigentümers der Sache eingreife, woraus sich ergebe, dass der Eingriff (das Eintreten der Abfalleigenschaft) verhältnismäßig zu sein habe. Daraus ergebe sich eine „implizite“ Geringfügigkeitsgrenze für § 1 Abs. 3 Z 4 AWG 2002. Aus dieser Erwägung heraus verneinte das Verwaltungsgericht die Abfalleigenschaft des gegenständlichen Altfahrzeuges im objektiven Sinn gemäß § 2 Abs. 1 Z 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 3 Z 4 AWG 2002.

45 Das Verwaltungsgericht geht dabei erkennbar davon aus, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur zum Nichtvorliegen einer ausdrücklichen Geringfügigkeitsgrenze die Möglichkeit einer „impliziten“ Geringfügigkeitsgrenze offengelassen hätte. Dem ist allerdings wie die revisionswerbende Partei zutreffend ausführt nicht zu folgen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich vielmehr bereits im Erkenntnis vom 20. Februar 2014, 2011/07/0080, mit einem Behandlungsauftrag gemäß § 73 Abs. 1 AWG 2002 befasst, dem eine Ablagerung von Bodenaushubmaterialien und Baurestmassen zugrunde lag, durch die eine mögliche Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen im Sinne des § 1 Abs. 3 Z 4 AWG 2002 festgestellt wurde. In diesem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wendete der Beschwerdeführer ein, dass die verfahrensgegenständlichen, „inkriminierten“ Mengen bei der vorliegenden Anschüttung so „verschwindend“ klein gewesen seien, dass der Beschwerdeführer „anlassbezogen“ gar nicht zur entsprechenden Trennung nach der Verordnung über die Trennung von Baurestmassen veranlasst gewesen wäre. Der Beschwerdeführer stützte sich also ebenfalls auf eine gewisse Geringfügigkeitsgrenze, unter der die Verunreinigungen bei seiner Anschüttung nicht dem objektiven Abfallbegriff des § 2 Abs. 1 Z 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 3 Z 4 AWG 2002 unterlägen.

46 Der Verwaltungsgerichtshof verwarf diese Argumentation damit, dass die Erfüllung oder Nichterfüllung von Schwellenwerten der Verordnung über die Trennung von Baurestmassen (und insofern also auch die angebliche Geringfügigkeit der Verunreinigungen) für einen Behandlungsauftrag nach § 73 Abs. 1 AWG 2002 nicht relevant seien. Von dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes weicht das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis ab, wenn es im gegenständlichen Fall die Frage der Geringfügigkeit einer möglichen Verunreinigung als relevant für den objektiven Abfallbegriff des § 2 Abs. 1 Z 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 3 Z 4 AWG 2002 ansieht.

47 Wenn sich das Verwaltungsgericht zur Untermauerung seiner Rechtsansicht auf das hg. Erkenntnis vom 21. November 2012, 2012/07/0191, beruft, ist es darauf zu verweisen, dass dieses Erkenntnis nicht zum hier maßgeblichen AWG 2002, sondern in einer Angelegenheit der Übertretung des Wasserrechtsgesetzes 1959 erging. Die dortigen Ausführungen zu einer „erheblichen Gewässerverunreinigung“ haben für den vorliegenden Revisionsfall keine Relevanz.

48 Der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Z 4 AWG 2002 kennt somit keine ausdrückliche Geringfügigkeitsgrenze. Wohl aber enthält diese Vorschrift eine Einschränkung insofern, als auf eine Verunreinigung der Umwelt über das unvermeidliche Ausmaß hinaus abgestellt wird (vgl. wiederum VwGH 22.12.2005, 2005/07/0088; 20.2.2014, 2011/07/0080).

49 Angesichts der Tatsache, dass die Nachweisbarkeit einer konkreten Gefahrensituation nicht erforderlich ist, ist im Revisionsfall nicht zweifelhaft, dass die Umwelt über das unvermeidliche Ausmaß hinaus verunreinigt werden kann. Die Ausführungen der abfalltechnischen Amtssachverständigen reichen für eine Beurteilung der Unvermeidlichkeit jedenfalls aus.

50 So legen die ölverschmierten Teile und die Korrosionsschäden zusammen mit der Lagerung auf nicht flüssigkeitsdichtem Untergrund ungeachtet der Überdachung durch eine Plane nahe, dass daraus entstehende Verunreinigungen bei ordnungsgemäßer Lagerung vermieden werden könnten. Schließlich wurde nicht einmal von der mitbeteiligten Partei selbst vorgebracht, dass die gegenständlich mögliche Verunreinigung etwa unvermeidlich sei.

51 Die mitbeteiligte Partei bringt in ihrer Revisionsbeantwortung vor, dass bei Zutreffen der Argumentation der revisionswerbenden Partei jedes im Freien abgestellte Fahrrad eine Gefahr für die Umwelt darstellen würde. So gelangten etwa im gesamten Bundesgebiet Ölreste durch die Benützung und das Abstellen von Fahrrädern durch die geölten Fahrradketten auf unbefestigten Flächen und sogar Waldwegen in den Boden.

52 Dabei übersieht die mitbeteiligte Partei, dass allein der Umstand, dass ein Fahrzeug Betriebsmittel verliert, dieses noch nicht zum Abfall macht. Die Abfalleigenschaft ist nämlich dann zu verneinen, wenn es noch in Gebrauch steht, wobei allerdings nicht jede beliebige Gebrauchsform die Abfalleigenschaft ausschließen kann, sondern nur ein bestimmungsgemäßer Gebrauch im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 2 AWG 2002 (vgl. nochmals VwGH 30.9.2010, 2008/07/0170). Es unterliegt keinem Zweifel, dass ein solch bestimmungsgemäßer Gebrauch bei dem von der mitbeteiligten Partei angeführten Beispiel der Benutzung und des Abstellens von Fahrrädern vorliegt.

53 Das angefochtene Erkenntnis ist somit schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Auf das übrige Revisionsvorbringen war folglich nicht mehr einzugehen.

54 Soweit die belangte Behörde als Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht im Sinn des § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG in ihrer Revisionsbeantwortung selbst den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses stellt, ist festzuhalten, dass das angefochtene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes der belangten Behörde am 3. Jänner 2022 zugestellt wurde; der in der Revisionsbeantwortung vom 1. März 2023 gestellte Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses der Sache nach als Revision der belangten Behörde zu verstehen ist damit verspätet, sodass dieser Antrag gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen war (vgl. VwGH 29.8.2023, Ra 2022/07/0221, mwN).

Wien, am 29. Jänner 2024

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