Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der E GmbH, vertreten durch die Müller Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 20. September 2023, Zl. LVwG VG 9/001 2023, betreffend ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde S, vertreten durch die Keschmann Rechtsanwalts GmbH in Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 1. Die mitbeteiligte Partei (im Folgenden: Auftraggeberin) führte als öffentliche Auftraggeberin ein offenes Verfahren im Unterschwellenbereich zur Vergabe des Bauauftrages „Sanierung der Straßenbeleuchtung und Umstellung auf LED Technologie“ mit einem geschätzten Auftragswert von € 450.000, (ohne USt.).
2 In diesem Vergabeverfahren legte die Revisionswerberin ein Angebot.
3 Die Auftraggeberin setzte die Revisionswerberin mit Schreiben vom 13. Juli 2023 darüber in Kenntnis, dass das von ihr gelegte Angebot ausgeschieden werde. Die Auftraggeberin begründete dies unter anderem damit, dass die Revisionswerberin nicht zur Durchführung der für die Ausführung des Auftrages erforderlichen Grabungsarbeiten berechtigt sei. Die Revisionswerberin verfüge nämlich nicht über eine Berechtigung zur Ausübung des Baumeistergewerbes. Auch könne sich die Revisionswerberin diesbezüglich nicht auf die „Sonstigen Rechte der Gewerbetreibenden“ gemäß § 32 GewO 1994 berufen.
4 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht den von der Revisionswerberin gegen diese Ausscheidensentscheidung erhobenen Antrag auf Nichtigerklärung ab (Spruchpunkt 1.). Die Revision erklärte es für nicht zulässig (Spruchpunkt 2.).
5 In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes fest:
6 Die dem Vergabeverfahren zugrundeliegende Ausschreibung sei nicht angefochten worden. Im Leistungsverzeichnis der Ausschreibung finde sich unter der Position „Mastfundament erneuern“ die Leistungsbeschreibung „Fundamenttiefe bis 1,5 m, inkl. sämtlicher Grabungs- und Verfüllungsarbeiten, gilt nur für beschädigte Fundamente, indem der Mast weiterverwendet werden soll.“
7 Die Revisionswerberin verfüge über die Gewerbeberechtigungen für mehrere freie Gewerbe, nämlich für das Handelsgewerbe, für das Gewerbe „Asphaltierer“ sowie für das Gewerbe „Erdbewegung (Deichgräber), beschränkt auf seichte Abgrabungen bis zu einer Tiefe von 1,25 m, sofern keine besonderen statischen Kenntnisse erforderlich sind.“ Die Revisionswerberin verfüge ferner über die Gewerbeberechtigung für das reglementierte Gewerbe „Elektrotechnik“ gemäß § 94 Z 16 GewO 1994. In dem von der Revisionswerberin gelegten Angebot seien keine Subunternehmer vorgesehen.
8 Diesen Sachverhalt würdigte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht zusammengefasst wie folgt: Die Ausschreibung sei bestandsfest geworden und somit verbindliche Grundlage für die Angebotsprüfung. Zur Beurteilung der Frage, ob die Revisionswerberin über sämtliche Befugnisse zur Leistungserbringung laut Ausschreibung verfüge, sei auf das Leistungsverzeichnis der Ausschreibung, im Speziellen die Position „Mastfundament erneuern“ abzustellen. Demzufolge müsse jeder Bieter über eine gewerberechtliche Befugnis zur Durchführung von Grabungs- und Verfüllungsarbeiten bis in eine Tiefe von 1,5 Meter verfügen. Allenfalls sei ein Subunternehmer beizuziehen. Die Gewerbeberechtigung der Revisionswerberin für das Gewerbe „Erdarbeiten (Deichgräber)“ erlaube Grabungsarbeiten jedoch nur bis zu einer Tiefe von 1,25 Meter und auch nur insoweit, als keine statischen Kenntnisse erforderlich seien. Die Revisionswerberin sei aufgrund dieser Gewerbeberechtigung sohin nicht befugt, die laut Ausschreibung geforderten Grab- und Verfüllungstätigkeiten bis in eine Tiefe von 1,5 Meter vorzunehmen.
9 Dem Argument, die Revisionswerberin sei im Rahmen des ihr gemäß § 32 Abs. 1a GewO 1994 zukommenden Nebenrechts berechtigt, die geforderten Tätigkeiten auszuüben, sei zu entgegnen, dass die Revisionswerberin über keine statischen Kenntnisse verfüge. Bei Grabungen in einer Tiefe von über 1,25 Meter bedürfe es jedoch solcher Kenntnisse. Dies ergebe sich in Zusammenschau mit § 48 Abs. 2 und 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen und auf auswärtigen Arbeitsstellen (Bauarbeiterschutzverordnung). Gemäß § 48 Abs. 2 Bauarbeiterschutzverordnung seien beim Ausheben von Gruben (und dergleichen) von mehr als 1,25 Meter Tiefe näher genannte Schutzmaßnahmen, wie das Abböschen der Wände von Gruben, durchzuführen, damit es zu keiner Gefährdung von Arbeitnehmern durch abrutschendes oder herabfallendes Material kommen könne. Gemäß § 48 Abs. 3 Bauarbeiterschutzverordnung seien derlei Schutzmaßnahmen bereits bei einer geringeren Tiefe als 1,25 Meter durchzuführen, wenn schlechte Bodenverhältnisse oder besondere Einflüsse, wie Erschütterungen durch den Straßen- oder Schienenverkehr, vorlägen. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, dass § 32 Abs. 1a GewO 1994 dazu führen soll, dass Einschränkungen bestimmter Gewerbeberechtigungen umgangen werden können. § 32 Abs. 1a GewO 1994 führe sohin nicht dazu, dass im Rahmen eines freien Gewerbes (ohne jeden Befähigungsnachweis) Tätigkeiten ausgeführt werden dürften, für die ein Befähigungsnachweis erforderlich sei. Es sei unzweifelhaft, dass für die gegenständlich geforderten Grab- und Verfüllungstätigkeiten bis in eine Tiefe von 1,5 Meter statische Kenntnisse und ein entsprechender Befähigungsnachweis erforderlich seien. Dass die Revisionswerberin darüber nicht verfüge sei unstrittig. Im Übrigen stellten derlei Tätigkeiten, für die die Revisionswerberin keinen Befähigungsnachweis aufweise, keine Leistungen dar, die die eigene Leistung wirtschaftlich sinnvoll ergänzten (§ 32 Abs. 1a GewO 1994). Sähe man die bloße Überschreitung der bestehenden Gewerbeberechtigung bereits als wirtschaftlich sinnvolle Ergänzung der eigenen Leistung an, wäre jede Form einer Gewerbeeinschränkung im Ergebnis inhaltsleer und damit sinnlos.
10 Es sei daher im Ergebnis unzweifelhaft, dass die Revisionswerberin nicht die für die ausgeschriebenen Bauleistungen erforderlichen gewerberechtlichen Befugnisse aufweise. Die Auftraggeberin habe sohin das Angebot der Revisionswerberin gemäß § 141 Abs. 1 Z 2 BVergG 2018 zu Recht ausgeschieden.
11 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
12 Im eingeleiteten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
13 4.1. Die Revisionswerberin bringt zur Begründung der Zulässigkeit ihrer Revision Folgendes vor: Die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts führe im Ergebnis dazu, dass das Nebenrecht gemäß § 32 Abs. 1a GewO 1994 bei Tätigkeiten, die einem reglementierten Gewerbe vorbehalten seien, nicht zur Anwendung gelange. Dieser Ansicht stehe jedoch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegen, der zufolge die GewO 1994 nicht mehr vorsehe, dass gewisse Leistungen auch in geringem Umfang nur von bestimmten Gewerbetreibenden erbracht werden könnten und insoweit gefahrengeeignete Leistungen einem reglementierten Gewerbe vorbehalten seien. Die Nebenrechte gemäß § 32 GewO 1994 seien im Zweifelsfall extensiv auszulegen. Das Verwaltungsgericht habe es auf Basis seiner verfehlten Rechtsansicht unterlassen, Feststellungen zum Umfang der von der Revisionswerberin im Falle des Auftrages zu erbringenden Leistungen anderer Gewerbe zu treffen.
14 4.2. Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig. Sie erweist sich aus nachstehenden Erwägungen auch als berechtigt.
15 4.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits Folgendes festgehalten: Es war Wille des Gesetzgebers, dass „die Gewerbeordnung mit dem Ziel einer Liberalisierung von Berufszugang und Nebenrechten umfassend zu reformieren ist“. Im Lichte dieser Liberalisierung sieht das Gesetz somit nicht mehr vor, dass gewisse Leistungen auch in geringem Umfang nur von gewissen Gewerbetreibenden erbracht werden können und insoweit gefahrengeneigte Leistungen einem reglementierten Gewerbe vorbehalten sind (vgl. VwGH 2.10.2012, 2010/04/0018, Pkt. 4.2.1., mwN). Im Zweifel ist daher eine extensive Auslegung der im § 32 GewO 1994 mit der Gewerberechtsnovelle 2002 neu gefassten Nebenrechte im Sinne dieser Liberalisierung vorzunehmen (vgl. dazu auch VwGH 15.3.2017, Ra 2016/04/0037, Rn. 16). Vielmehr liegt es bei der Ausübung der Nebenrechte nach § 32 Abs. 1 GewO 1994 gemäß § 32 Abs. 2 zweiter Satz GewO 1994 in der Verantwortung des Gewerbetreibenden, durch die Heranziehung entsprechend ausgebildeter und erfahrener Fachkräfte die in dieser Bestimmung angeführte Sicherheit (unter anderem für Leib und Leben von Betroffenen) zu gewährleisten. Es handelt sich also bei dieser Bestimmung um keine Vorschrift über die Gewerbeberechtigung und somit die Befugnis, sondern um eine Vorschrift über die Ausübung des Gewerbes (vgl. VwGH 21.3.2011, 2009/04/0018, mwN).
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem bereits festgehalten, dass den Erläuterungen zur GewO Novelle 2017 zu entnehmen ist, dass die Regelung des § 32 Abs. 1a GewO 1994 an die Stelle der Regelung des § 32 Abs. 1 Z 1 letzter Fall GewO 1994 (alt) getreten ist (vgl. VwGH 19.4.2024, Ra 2023/04/0054).
17 Vor dem Hintergrund dieser nun auf § 32 Abs. 1a GewO 1994 übertragbaren Rechtsprechung erweist sich die (grundlegende) Auffassung des Verwaltungsgerichtes, das Nebenrecht gemäß § 32 Abs. 1a GewO 1994 komme bei Tätigkeiten, die einem reglementierten Gewerbe vorbehalten seien, nicht zum Tragen, als unzutreffend. Gemäß § 32 Abs. 1a GewO 1994 darf ein Gewerbetreibender unter den dort genannten Grenzen auch ergänzende Leistungen reglementierter Gewerbe erbringen. Insofern das Verwaltungsgericht sohin davon ausgeht, dass einem Gewerbetreibenden das Recht zum Erbringen von Leistungen anderer Gewerbe gemäß § 32 Abs. 1a GewO 1994 aus Gründen der Sicherheit bloß dann zukomme, wenn der Gewerbetreibende über die dafür erforderlichen Kenntnisse verfüge, widerspricht dies der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Soweit dies aus Gründen der Sicherheit notwendig ist, haben sich die Gewerbetreibenden bei der Ausübung der Rechte gemäß Abs. 1 und 1a leg. cit. entsprechend ausgebildeter und erfahrener Fachkräfte zu bedienen (§ 32 Abs. 2 zweiter Satz GewO 1994). § 32 Abs. 2 zweiter Satz GewO 1994 stellt jedoch keine Vorschrift über die Gewerbeberechtigung und somit Befugnis des Gewerbetreibenden dar; es handelt sich vielmehr um eine Vorschrift über die Ausübung des Gewerbes.
18 Folglich erweist sich die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, die Revisionswerberin sei im Interesse des Arbeitnehmerschutzes schon mangels (eigener) statischer Kenntnisse und entsprechender Befähigungsnachweise nicht gemäß § 32 Abs. 1a GewO 1994 zur Durchführung von Grab- und Verfüllungstätigkeiten bis in eine Tiefe von 1,5 Meter berechtigt, als verfehlt.
19 4.4. Insofern das Verwaltungsgericht seine Entscheidung im Übrigen damit begründet, dass die Durchführung von Grab- und Verfüllungstätigkeiten bis in eine Tiefe von 1,5 Meter eine bloße Überschreitung der bestehenden Gewerbeberechtigung, gemeint offenbar jener zur Ausübung des freien Gewerbes „Erdbewegung (Deichgräber)“ (siehe Rn. 7), darstelle, darin somit keine wirtschaftlich sinnvolle Ergänzung der eigenen Leistung zu erkennen sei, verkennt es ebenfalls die damals noch zu § 32 Abs. 1 Z 1 letzter Fall GewO 1994 (alt) ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu festgehalten, dass die Frage, was eine wirtschaftlich sinnvolle Ergänzung der eigenen Leistung ist, vor allem aus der Sicht des Nachfragers der Gesamtleistung zu beantworten ist (vgl. erneut VwGH 15.3.2017, Ra 2016/04/0037, mwN). Das Verwaltungsgericht beurteilt die sich gemäß § 32 Abs. 1a GewO 1994 stellende Frage, ob die Durchführung von Grab- und Verfüllungstätigkeiten bis in eine Tiefe von 1,5 Meter eine wirtschaftlich sinnvolle Ergänzung der eigenen Leistung darstellt, der zitierten Rechtsprechung widersprechend ausschließlich aus der Perspektive der Revisionswerberin, also aus dem Blickwinkel der Bieterin.
20 4.5. Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen hat das Verwaltungsgericht mit seiner Beurteilung, die Auftraggeberin habe das Angebot der Revisionswerberin mangels Vorliegens der für die ausgeschriebenen Bauleistungen erforderlichen gewerberechtlichen Befugnisse gemäß § 141 Abs. 1 Z 2 BVergG 2018 zu Recht ausgeschieden, die Rechtslage verkannt. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
21 Ausgehend von der dargestellten Rechtslage wird das Verwaltungsgericht im fortzusetzenden Verfahren die für die Beurteilung des Umfangs der ergänzenden Leistungen gemäß § 32 Abs. 1a GewO 1994 notwendigen Feststellungen zu treffen und die wirtschaftlich sinnvolle Ergänzung aus der Sicht der Auftraggeberin zu beurteilen haben (vgl. dazu erneut VwGH 19.4.2024, Ra 2023/04/0054).
22 4.6. Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 1. August 2025