JudikaturVwGH

Ra 2023/19/0065 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Europarecht, Unterbringungsrecht
19. Dezember 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Jänner 2023, 1. W267 2183816 2/14E und 2. W267 2183832 2/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Parteien: 1. A J, und 2. A S, beide vertreten durch Mag.a Margit Sagel, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 60/18), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

1 Die Erstmitbeteiligte ist die Mutter des volljährigen Zweitmitbeteiligten. Beide sind afghanische Staatsangehörige und stellten zunächst am 6. August 2015 Anträge auf internationalen Schutz, die im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 16. April 2020 zur Gänze als unbegründet abgewiesen wurden, wobei unter einem jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde.

2 In der Folge reisten die Mitbeteiligten aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Deutschland aus und beantragten dort am 16. August 2020 ebenfalls internationalen Schutz, wurden jedoch am 28. April 2021 nach Österreich rücküberstellt, wo sie am selben Tag die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

3 Mit Bescheiden vom 6. Juli 2021 und vom 7. Juli 2021 wies das BFA die Folgeanträge der Mitbeteiligten sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (jeweils Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (jeweils Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt III.), erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen (jeweils Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (jeweils Spruchpunkt V.), und sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (jeweils Spruchpunkt VI.).

4 Aus Anlass der dagegen erhobenen Beschwerden führte das BVwG eine mündliche Verhandlung durch, in der die Mitbeteiligten ihre Beschwerden jeweils hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide zurückzogen. Schließlich behob das BVwG mit den angefochtenen Erkenntnissen „in Erledigung“ der Beschwerden jeweils die Spruchpunkte II. bis VI. der angefochtenen Bescheide, erkannte den Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Erhebung einer Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG jeweils für nicht zulässig.

5 Gegen diese Erkenntnisse richtet sich die vorliegende Amtsrevision. Im eingeleiteten Vorverfahren erstatteten die Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung, in der die Abweisung der Revision unter Kostenzuspruch beantragt wird.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit als Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter anderem vor, dass das BVwG die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens, die bei einer Antragszurückweisung ausschließlich deren Rechtmäßigkeit sei, überschritten habe.

8 Die Amtsrevision erweist sich im Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch als begründet.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. etwa VwGH 21.6.2022, Ra 2020/19/0234, mwN).

10 In jenem Fall, in dem das BFA den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, ist „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem BVwG die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist. Das BVwG hat diesfalls zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. erneut VwGH Ra 2020/19/0234, mwN).

11 Die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens ist nämlich nach der ständigen, auch über den Bereich des Asylrechts hinausgehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs des Bescheides der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gebildet hat. Dieser stellt den äußersten Rahmen dar, durch den die Angelegenheit begrenzt wird. Hat die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen und wird dagegen Beschwerde erhoben, ist „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung. Das Verwaltungsgericht hat allein zu prüfen, ob die inhaltliche Behandlung des Antrags zu Recht verweigert worden ist. Mit einer meritorischen Entscheidung über den Antrag überschreitet das Verwaltungsgericht hingegen die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens (vgl. zum Ganzen VwGH 3.10.2023, Ra 2023/14/0178, mwN).

12 Das BVwG hat - wie die Amtsrevision zutreffend aufzeigt - nicht bloß über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz durch das BFA entschieden, wobei im Falle der Beschwerdestattgabe nach § 21 Abs. 3 BFA-VG vorzugehen gewesen wäre. Vielmehr hat das BVwG - ohne dass vom BFA eine diesbezügliche Entscheidung vorlag - bereits selbst in der Sache eine meritorische Entscheidung getroffen und den Mitbeteiligten den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt.

13 Indem das BVwG inhaltlich über den Folgeantrag entschied, hat es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.

14 Somit musste auf das weitere die Festlegung der Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigungen betreffende Revisionsvorbringen nicht mehr näher eingegangen werden (vgl. dazu VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

15 Bei diesem Ergebnis war dem Mitbeteiligten gemäß § 47 Abs. 3 VwGG kein Aufwandersatz für die Erstattung der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.

Wien, am 19. Dezember 2023

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