Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. Holzinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13. April 2022, W159 2252044-1/2E, betreffend Ausstellung eines Fremdenpasses (mitbeteiligte Partei: M G, vertreten durch Dr. Joachim Rathbauer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Weißenwolffstraße 1/4/23), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.
1 Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. April 2012 wurde dem Mitbeteiligten, einem 1997 geborenen afghanischen Staatsangehörigen, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Seit Mai 2017 ist der Mitbeteiligte im Besitz des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“.
2 Mit Bescheid vom 19. Oktober 2020 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aus, dass dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 aberkannt und die ihm erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen werde. Dies begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass dem Mitbeteiligten seinerzeit wegen seiner damaligen Minderjährigkeit und des Mangels an Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden, er nunmehr aber volljährig, ausgebildet und erwerbstätig sei. Im Hinblick auf den dem Mitbeteiligten in der Zwischenzeit erteilten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ erließ das BFA keine Rückkehrentscheidung.
3 Am 30. September 2021 beantragte der Mitbeteiligte unter Verwendung eines Formulars mit der Überschrift „Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte“ mit der Begründung die Ausstellung eines Fremdenpasses, ein Reisedokument zu benötigen, wobei er auch angab, über einen Aufenthaltstitel zu verfügen, und dem Antrag unter anderem eine Kopie seines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ sowie eine Bestätigung der afghanischen Botschaft beilegte, der zufolge es derzeit nicht möglich sei, Anträge auf Ausstellung von Reisepässen zu bearbeiten.
4 Diesen Antrag wies das BFA mit Bescheid vom 6. Dezember 2021 gestützt auf § 88 Abs. 2a FPG zurück. In der Bescheidbegründung ging das BFA davon aus, dem Mitbeteiligten komme der Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund der rechtskräftigen Aberkennung nicht mehr zu. Damit lägen „die maßgeblichen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Fremdenpasses gem. § 88 Abs. 2a FPG für subsidiär Schutzberechtigte nicht vor“, weshalb der Antrag „ohne weitere Begründung zurückzuweisen“ sei.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 13. April 2022 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen diesen Bescheid vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde statt und sprach aus, ihm sei gemäß § 88 Abs. 1 Z 3 FPG ein Fremdenpass auszustellen. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG erklärte das BVwG die Revision für nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig.
6 Ausgehend von der Feststellung, dass der Mitbeteiligte über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ verfüge und nicht in der Lage sei, sich ein gültiges Reisedokument seines Heimatstaates zu beschaffen, kam das BVwG in rechtlicher Hinsicht zu dem Ergebnis, dem Mitbeteiligten sei ein Fremdenpass auszustellen, weil „keine zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung“ dagegen sprechen würden.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen hat:
8 Das BFA macht in der Amtsrevision unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG unter anderem geltend, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es inhaltlich über den verfahrenseinleitenden Antrag entschieden habe, obwohl das BFA diesen Antrag mit Bescheid vom 6. Dezember 2021 zurückgewiesen habe.
9 Im Hinblick auf dieses Vorbringen erweist sich die Revision wie die nachstehenden Ausführungen zeigen entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig und auch als berechtigt.
10 Gemäß § 88 Abs. 2a FPG sind Fremdenpässe Fremden, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen, auf Antrag auszustellen, es sei denn, dass dem zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen.
11 Die in der genannten Bestimmung normierte Voraussetzung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erachtete das BFA im Bescheid vom 6. Dezember 2021 als Erfordernis für das Vorliegen der formalen Antragslegitimation und wies den vom BFA offenbar als ausschließlich auf den Abs. 2a des § 88 FPG gestützt gewerteten Antrag des Mitbeteiligten demzufolge zurück. Auch das BVwG ging im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass mit dem bei ihm angefochtenen Bescheid der verfahrenseinleitende Antrag gestützt auf § 88 Abs. 2a FPG zurückgewiesen worden war.
12 Dennoch entschied das BVwG ohne diese Vorgehensweise zu begründen in merito über den verfahrenseinleitenden Antrag. So bejahte es das Vorliegen der Voraussetzungen des § 88 Abs. 1 Z 3 FPG, wonach Fremdenpässe, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, für ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen und bei denen im Übrigen die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ gegeben sind, ausgestellt werden können, und sprach aus, dass dem Mitbeteiligten ein solcher Fremdenpass auszustellen sei.
13 Damit hat das BVwG aber die Sache des Verfahrens überschritten. Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht und äußerster Rahmen seiner Prüfbefugnis ist nämlich nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des bei ihm angefochtenen Bescheides gebildet hat. Hat die Behörde einen Antrag zurückgewiesen, ist Sache eines Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (VwGH 30.4.2020, Ra 2019/21/0134, Rn. 12, mwN).
14 Das BVwG hätte daher keine inhaltliche Entscheidung über den Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses treffen dürfen. Vielmehr wäre nur die Bestätigung der vom BFA ausgesprochenen Zurückweisung oder aber deren ersatzlose Behebung in Betracht gekommen (siehe erneut VwGH 30.4.2020, Ra 2019/21/0134, Rn. 12, mit Hinweis auf VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314, Rn 17).
15 Der verfahrenseinleitende Antrag des Mitbeteiligten stützte sich (wenn auch unter Verwendung eines vorgedruckten Formulars für Anträge auf Ausstellung von Fremdenpässen nach § 88 Abs. 2a FPG) schon aufgrund der Bezugnahme auf den ihm erteilten, gemäß § 8 Abs. 1 Z 7 NAG zur unbefristeten Niederlassung berechtigenden Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ erkennbar (auch) darauf, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Fremdenpasses nach § 88 Abs. 1 Z 2 FPG (Ausstellung eines Fremdenpasses an ausländische Staatsangehörige, die über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen) vorlägen (siehe Rn. 3). Angesichts dessen hätte das BVwG im vorliegenden Fall den Bescheid des BFA vom 6. Dezember 2021 ersatzlos beheben und dem BFA auftragen müssen, das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen. Dabei wird auf die Auslegung der Wortfolge „sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik liegt“ in § 88 Abs. 1 FPG durch den Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfGH 16.6.2023, E 3489/2022, Pkt. III. 8. ff, Bedacht zu nehmen sein.
Indem das BVwG jedoch inhaltlich über den verfahrenseinleitenden Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses entschied, hat es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.
Wien, am 30. November 2023