Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofrätin Dr. Funk Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des G M, vertreten durch Dr. Gottfried Bischof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilerstätte 18 20, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2021, W265 2211873 1/14E, wegen einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 6. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er im Wesentlichen vor, die Taliban würden ihn verfolgen, weil er für die afghanische Nationalarmee als Küchenhilfe gearbeitet habe und sich trotz einer entsprechenden Aufforderung durch die Taliban geweigert habe, Gift in das Essen der Soldaten zu mischen, weshalb der Revisionswerber und sein ebenfalls bei der afghanischen Nationalarmee arbeitender Vater Drohbriefe erhalten hätten.
2 Mit Bescheid vom 16. November 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu, erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst vor, dass dem Revisionswerber einerseits schon aufgrund seiner eigenen wenn auch bereits länger zurückliegenden, sowie bloß in untergeordneter Position verrichteten Tätigkeit für die afghanische Nationalarmee und der sich daraus ergebenden Verfolgungsgefahr und andererseits aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Familie eines höherrangigen Offiziers der afghanischen Sicherheitskräfte, der Status des Asylberechtigen hätte zuerkannt werden müssen. Das BVwG habe es unterlassen, die Tätigkeit des Revisionswerbers für die afghanischen Streitkräfte unter Heranziehung aller zur Verfügung stehenden Berichtsquellen zu würdigen und stichhaltig zu begründen, weshalb es sowohl von seinen eigenen Länderfeststellungen wonach seit der Machtübernahme der Taliban eine systematische Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte bzw. der ehemaligen Regierung erfolge , als auch von den UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (UNHCR Richtlinien) abgewichen sei und die „EASO Country Guidance: Afghanistan“ vom November 2021 nicht herangezogen habe.
8 Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung droht (vgl. VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, mwN).
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0472, mwN).
10 Die Prüfung, ob ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht, hat je nach individuellen Umständen des Einzelfalls zu erfolgen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 21.5.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).
11 Den UNHCR Richtlinien ist besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung“). Die Verpflichtung zur Beachtung der von UNHCR und EASO [nunmehr: EUAA European Union Agency for Asylum] herausgegebenen Richtlinien ergibt sich aus dem einschlägigen Unionsrecht. Die Asylbehörden sind jedoch nicht an entsprechende Empfehlungen von UNHCR und EUAA gebunden (vgl. VwGH 11.2.2021, Ra 2021/20/0026, mwN).
12 Das BVwG stellte im vorliegenden Fall fest, dass der Revisionswerber circa zwei Jahre lang als Küchenhilfe bei der afghanischen Armee gearbeitet habe und daher grundsätzlich das in den UNHCR Richtlinien beschriebene Risikoprofil der Personen, „die mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen“ erfülle. Dem Vorbringen einer vorangegangenen Verfolgung durch die Taliban sprach das BVwG jedoch aufgrund von Widersprüchen und Unplausibilitäten vertretbar im Sinne der hg. Rechtsprechung die Glaubwürdigkeit ab (zum diesbezüglichen Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung vgl. etwa VwGH 9.6.2022, Ra 2022/19/0042, mwN) und kam zum Ergebnis, dass dem Revisionswerber eine Verfolgung durch die Taliban weder aktuell noch künftig drohe.
13 Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die von der Revision angesprochenen UNHCR Richtlinien für die Gefährdungsbeurteilung von Personen, die ein Risikoprofil erfüllen, eine Beurteilung der jeweiligen Umstände des Falles verlangen und nicht den Schluss enthalten, dass jeder Asylsuchende, der unter ein Risikoprofil falle, einer landesweiten Verfolgung ausgesetzt wäre (vgl. dazu etwa VwGH 15.10.2020, Ra 2020/18/0405). Auch nach dem von der Revision zitierten Bericht der EUAA ist eine Gefährdung durch die Taliban abhängig vom jeweiligen Profil des Asylwerbers und den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.
14 Die Revision zeigt eine Unvertretbarkeit dieser einzelfallbezogenen Beurteilung des BVwG auch vor dem Hintergrund der von UNHCR und EUAA herausgegebenen Richtlinien nicht auf.
15 Soweit die Revision vorbringt, dass dem Revisionswerber als Sohn eines höherrangigen Offiziers schon aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie asylrelevante Verfolgung drohe, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, wonach der Vater des Revisionswerbers kein Offizier der Armee oder der Polizei gewesen und auch nicht von den Taliban entführt worden sei. Der dahingehenden Beweiswürdigung des BVwG tritt die Revision nicht substantiiert entgegen.
16 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 24. August 2022