Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Dr. Sutter als Richter sowie die Hofrätin Dr. in Sabetzer als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des A H, vertreten durch Dr. Hans Georg Laimer, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Wiedner Gürtel 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. August 2022, W241 2255677 1/5E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein staatenloser Bidun aus Kuwait, beantragte am 19. Jänner 2022 internationalen Schutz in Österreich. Zur Begründung seines Antrags brachte er im Laufe des Verfahrens zusammengefasst vor, wegen der Zugehörigkeit zur Gruppe der Bidun in Kuwait rechtlos zu sein, massiv diskriminiert und von der Polizei bei Kontrollen auch misshandelt zu werden.
2 Mit Bescheid vom 5. Mai 2022 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung, weil er im Falle der Rückkehr nach Kuwait wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Bidun der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Sein Antrag auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten wurde hingegen abgewiesen, weil seiner vorgebrachten Rückkehrbefürchtung mit der Zuerkennung von subsidiärem Schutz Rechnung getragen werde.
3 Die gegen den abweisenden Teil des Bescheides erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe keine aktuelle, landesweite Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) glaubhaft gemacht. Die von ihm beschriebenen Diskriminierungen als Bidun bzw. Staatenloser erreichten keine asylrechtlich relevante Eingriffsintensität, zumal diese weder zu behördlichen Übergriffen noch zum Entzug der Lebensgrundlage geführt hätten.
5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache zusammengefasst geltend macht, das BVwG habe die Rechtslage verkannt, weil die Zugehörigkeit zur Gruppe der staatenlosen Bidun Verfolgungshandlungen gegen den Revisionswerber im Falle der Rückkehr nach Kuwait erwartbar mache. Bloße Benachteiligungen und Schikanen begründeten zwar für sich allein genommen noch keine asylrelevante Verfolgung; anders sei dies aber, wenn sich die Eingriffe wie im Fall der staatenlosen Bidun in Kuwait derart häuften, dass die Kumulierung dieser vielfältigen und fundamentalen Menschenrechtsverletzungen es Bidun (wie dem Revisionswerber) verunmögliche, ein menschenwürdiges Leben zu führen.
6 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und begründet.
8 Das BFA hat dem Revisionswerber teilrechtskräftig subsidiären Schutz gewährt, weil ihm bei Rückkehr in den Herkunftsstaat wegen der Zugehörigkeit zur Gruppe der (staatenlosen) Bidun eine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte drohe.
9 Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, dass das BVwG eine aktuelle, landesweite Verfolgung des Revisionswerbers für nicht glaubhaft erachtet. Die Argumentation des BVwG stützt sich nicht (substantiiert) darauf, dass im gegenständlichen Fall keine Verknüpfung zu einem Konventionsgrund iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK gegeben wäre. Sie fußt vielmehr auf der Annahme, die dem Revisionswerber drohenden Diskriminierungen als Bidun erreichten nicht die für eine Verfolgung notwendige Eingriffsintensität.
10 Dazu führt das BVwG zwar grundsätzlich zutreffend aus, dass nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen sei, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte des Betroffenen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Statusrichtlinie führten.
11 Nach Art. 9 Abs. 1 lit. a Statusrichtlinie liegt eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte insbesondere bei drohender Verletzung der Rechte vor, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, wozu etwa Art. 2 und Art. 3 EMRK zählen.
12 Das rechtliche Argument des BVwG, die vorgebrachten Diskriminierungen des Revisionswerbers als Bidun erreichten keine asylrechtlich relevante Eingriffsintensität, zumal er keine persönlichen Übergriffe gegen seine Person in der Vergangenheit glaubhaft gemacht habe, erweist sich mit Blick auf die genannten Rechtsvorschriften und auf die dem Revisionswerber teilrechtskräftig festgestellte drohende Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK als nicht haltbar (vgl. zu einer ähnlichen Fallkonstellation bereits VwGH 3.1.2023, Ra 2022/18/0086 bis 0088, mit Hinweis auf VwGH 27.9.2021, Ra 2021/18/0278).
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
14 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 6. März 2024