JudikaturVwGH

Ra 2024/08/0173 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
13. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision 1. des F S und 2. des M S, beide in L, beide vertreten durch Dr. Anton Cuber und Mag. Claudia Kopp Helweh, Rechtsanwälte in 8020 Graz, Grieskai 46, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. November 2024, G312 2251317 1/18E und G312 2251318 1/17E, betreffend Beitragshaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerber haben der Österreichischen Gesundheitskasse Aufwendungen in der Höhe von € 553,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Über das Vermögen der S. GmbH, deren Geschäftsführer zuvor die Revisionswerber waren, wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 22. Mai 2019 ein Sanierungsverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 7. August 2019 wurde das Sanierungsverfahren nach Bestätigung eines Sanierungsplanes mit einer Quote von 30 % aufgehoben.

2 Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) verpflichtete die Revisionswerber mit Bescheiden vom 14. Juli 2021 und diese Bescheide bestätigenden Beschwerdevorentscheidungen vom 11. Oktober 2021 gemäß § 67 Abs. 10 ASVG, Beiträge samt Nebengebühren der S. GmbH, die für den Zeitraum 1. Dezember 2018 bis 21. Mai 2019 ausständig geblieben waren, in Höhe von € 95.463,73 zuzüglich Verzugszinsen zu zahlen.

3 Zur Vorgeschichte wird im Übrigen auf das Erkenntnis VwGH 11.3.2024, Ra 2022/08/0166 (in der Folge: Vorerkenntnis Ra 2022/08/0166), verwiesen.

4 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung (neuerlich) als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

5 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit im Revisionsverfahren wesentlich - aus, die S. GmbH habe im Zeitraum 21. Dezember 2018 bis 17. Mai 2019 an die ÖGK Zahlungen auf offene Dienstnehmerbeiträge in Höhe von € 210.221,77 geleistet, die nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen der S. GmbH vom Insolvenzverwalter angefochten worden seien. Die ÖGK habe sich der Anfechtung in einem außergerichtlichen Vergleich hinsichtlich eines Betrages von € 105.000 unterworfen.

6 Die S. GmbH sei zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen (aus näher genannten Gründen) zahlungsunfähig gewesen. Die Zahlungsunfähigkeit habe der ÖGK, die wiederholt erfolglos gegen die S. GmbH Exekution geführt habe und letztlich selbst einen Insolvenzantrag gestellt habe, auch zumindest bekannt sein müssen. Der Anfechtungsanspruch des Insolvenzverwalters sei somit nach § 31 Abs. 1 Z 2 IO berechtigt gewesen. Die (von den Revisionswerbern in ihrem Vorbringen angesprochene) Zahlung der S. GmbH vom 16. Oktober 2020 von € 10.724,64 sei nach wechselseitiger Korrespondenz für die Tilgung der Beitragsschulden der S. GmbH gewidmet worden.

7 Ausgehend davon ergebe sich, dass die ÖGK die (näher aufgeschlüsselte) Berechnung des Haftungsbetrages zutreffend vorgenommen habe. Die Revisionswerber hafteten nach § 67 Abs. 10 ASVG aufgrund der Ungleichbehandlung der Forderungen einerseits des Sozialversicherungsträgers und andererseits anderer Gläubiger.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Zur Zulässigkeit der Revision wird geltend gemacht, es sei die Frage zu klären, ob ein außergerichtlicher Vergleich - wie er zwischen dem Insolvenzverwalter und der ÖGK abgeschlossen worden sei - tatsächlich als „erfolgreiche Anfechtung“ angesehen werden könne, die nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei der Berechnung des Haftungsbetrags nach § 67 Abs. 10 ASVG zu berücksichtigen sei. Die Revisionswerber seien in den Abschluss des Vergleiches nicht eingebunden gewesen. Verträge zu Lasten Dritter seien unzulässig. Auch könne ein Verfahren, an dem die Revisionswerber nicht beteiligt gewesen seien, wie vom Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis Ra 2022/08/0166 ausgeführt, gegenüber den Revisionswerbern keine Bindungswirkung entfalten. Dass die angefochtenen Zahlungen die Beitragsschulden der S. GmbH nicht reduziert hätten, bewirke insgesamt eine deutliche Erhöhung des Haftungsbetrags. Richtigerweise müssten die Revisionswerber dies nicht gegen sich gelten lassen, zumal § 67 Abs. 10 ASVG auch eng auszulegen sei, weil es sich bei dieser Bestimmung um ein „besonderes Privileg“ des Krankenversicherungsträgers handle.

12 Entgegen den Ausführungen der Revision wurden diese Fragen bereits im Vorkenntnis Ra 2022/08/0166 beantwortet.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat insoweit auf seine Vorjudikatur (VwGH 29.1.2014, 2012/08/0227, 29.8.2022, Ra 2018/08/0003) verwiesen, wonach mit einer erfolgreichen Anfechtung die Zahlung den Insolvenzgläubigern gegenüber als unwirksam erklärt wird (§ 27 IO), die Forderung wiederauflebt und als Insolvenzforderung geltend zu machen ist (§ 41 Abs. 2 IO), weshalb der Gemeinschuldner als Folge der Rechtsunwirksamkeit seiner Leistung seine Verpflichtung nicht erfüllt hat. Insoweit liegt daher keine im Rahmen der Ermittlung der Haftungssumme wegen Gläubigerungleichbehandlung zu berücksichtigende wirksame Zahlung vor. Durch die Nichtberücksichtigung erfolgreich angefochtener Zahlungen wird insbesondere verhindert, dass sich ein Vertreter durch Leistung einer anfechtbaren Zahlung unmittelbar vor Insolvenzeröffnung seiner Haftung entledigen könnte. Der Betrag aus der erfolgreich angefochtenen Zahlung kommt letztlich auch dem haftenden Vertreter insoweit zu Gute, als dieser Betrag dann im Rahmen der Quote an alle Gläubiger sohin auch an den Zahlungsempfänger ausgeschüttet wird und damit der Haftungsrahmen reduziert wird (Vorerkenntnis Ra 2022/08/0166, Rn. 16).

14 Im Weiteren hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass der Insolvenzverwalter, dem nach § 37 Abs. 1 IO das Anfechtungsrecht zukommt, sich nach Maßgabe des § 116 Abs. 1 IO über den Anfechtungsanspruch mit dem Anfechtungsgegner auch - gerichtlich oder außergerichtlich - vergleichen kann und daher einem solchen Vergleich - nicht anders als einem über die Anfechtung ergangenen Urteil - die genannten Wirkungen zukommen, sodass auch ein Vergleich daher grundsätzlich als erfolgreiche Anfechtung im Sinn der genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzusehen ist, die im Zuge der Beurteilung der Haftung des Vertreters nach § 67 Abs. 10 ASVG wegen fehlender Gleichbehandlung der Beitragsforderungen dazu führt, dass keine im Rahmen der Ermittlung der Haftungssumme wegen Gläubigerungleichbehandlung zu berücksichtigende wirksame Zahlung vorliegt (Vorerkenntnis Ra 2022/08/0166, Rn. 18, mwN).

15 Die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG setzt aber voraus, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem schuldhaften Verhalten des Vertreters und der nachfolgenden Uneinbringlichkeit der Beiträge zu bejahen ist. Ein solcher Kausalzusammenhang wäre hinsichtlich der Beiträge, die aufgrund der Anfechtung offen geblieben sind, dann als durchbrochen anzusehen, wenn der Insolvenzverwalter zwar mit der Geltendmachung der Anfechtung gegenüber dem Versicherungsträger als Anfechtungsgegner erfolgreich durchgedrungen ist, der Anfechtungsanspruch aber tatsächlich nicht bestanden hat (Vorerkenntnis Ra 2022/08/0166, Rn. 19). Liegt keine den nach § 67 Abs. 10 ASVG zur Haftung verpflichteten Vertreter bindende Vorentscheidung hinsichtlich der Berechtigung der Anfechtung vor (vgl. dazu Vorerkenntnis Ra 2022/08/0166, Rn. 20) und wird vom haftenden Vertreter geltend gemacht, dass eine vom Insolvenzverwalter gegenüber dem Versicherungsträger erfolgreich etwa auch aufgrund eines Vergleiches geltend gemachte Anfechtung tatsächlich nicht berechtigt gewesen ist bzw. der Versicherungsträger sich dieser zu Unrecht unterworfen hat (vgl. dazu näher Vorerkenntnis Ra 2022/08/0166, Rn. 21), bedarf es im Verfahren betreffend die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG somit einer Auseinandersetzung damit, ob die Anfechtung tatsächlich zu Recht erfolgreich war. Ergibt sich, dass - wie aufgrund von zu den maßgeblichen Umständen zu treffenden Feststellungen zu beurteilen ist - die Anfechtung nach der IO tatsächlich nicht berechtigt gewesen ist, kommt eine Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG nur insoweit und in dem Ausmaß in Betracht, als diese auch ohne die Anfechtung eingetreten wäre (Ra 2022/08/0166, Rn. 22).

16 Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht nunmehr eine Auseinandersetzung mit der Berechtigung der Anfechtung der Beitragszahlungen der S. GmbH, der sich die ÖGK mit außergerichtlichem Vergleich hinsichtlich eines Betrages von Euro 105.000 unterworfen hat, vorgenommen. Dabei ist das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis gelangt, dass die Anfechtung nach § 31 Abs. 1 Z 2 IO berechtigt gewesen sei, weil die S. GmbH bei der Leistung zahlungsunfähig gewesen sei und der ÖGK dies auch zumindest habe bekannt sein müssen. Diesen Annahmen tritt die Revision nicht substantiiert entgegen.

17 Ausgehend davon vermag die Revision aber nicht aufzuzeigen, dass die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Berechnung des Haftungsbetrags nach § 67 Abs. 10 ASVG die (erfolgreiche) Anfechtung zugrunde zu legen sei, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre bzw. das Schicksal der Revision von der Klärung von Rechtsfragen abhinge, zu denen noch keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorläge.

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die ÖGK eine Revisionsbeantwortung erstattet und die kostenpflichtige Zurück bzw. Abweisung der Revision beantragt hat - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

19 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. Juni 2025

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