JudikaturVwGH

Ra 2021/08/0052 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
27. August 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Tichy, über die Revision des F T in R, vertreten durch die Ehrenhöfer Häusler Rechtsanwälte GmbH in 2700 Wiener Neustadt, Neunkirchner Straße 17, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2020, W156 2219942 1/55E, betreffend Beitragsnachverrechnung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse; weitere Partei: Bundesministerin für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird gemäß § 42 Abs. 4 VwGG dahin abgeändert, dass die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse vom 27. März 2019 zurückgewiesen wird.

Das Kostenersatzbegehren des Revisionswerbers wird abgewiesen.

1 Mit Bescheid vom 27. März 2019 sprach die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse, im Folgenden: ÖGK) Folgendes aus (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

„Die aus der, das Unternehmen [X.T.], e.U., nunmehr [X.T.] GmbH, [...], den Prüfzeitraum 1.1.2013 bis 31.12.2015 betreffend durchgeführten Gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (GPLA) resultierenden und vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen über insgesamt € 840.081,21 zuzüglich der hierauf entfallenden Verzugszinsen in Höhe von € 98.387,53 bestehen zu Recht.

Das Unternehmen [X.T.] e.U., nunmehr [X.T.] GmbH, ist als Dienstgeber zur Zahlung des Nachverrechnungsbetrages in Höhe von insgesamt € 938.468,74 verpflichtet.

Der Prüfbericht vom 29.1.2018 bildet einen Bestandteil dieses Bescheides.“

2 Als Betreff des Bescheides waren die Worte „[X.T.] e.U.“, eine Beitragskontennummer sowie das Wort „Beitragsnachverrechnung“ angeführt. Auf der letzten Seite findet sich eine Zustellverfügung, wonach der Bescheid an „[X.T.] e.U., nunmehr [X.T.] GmbH“ ergehe und dieser „zu Handen“ der PWT Wr. Neustadt, Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. zuzustellen sei.

3 Gegen diesen Bescheid richtete sich eine mit 26. April 2019 datierte Beschwerde, die das Bundesverwaltungsgericht meritorisch in Behandlung nahm. Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht über diese Beschwerde wie folgt ab:

„Das Bundesverwaltungsgericht hat ... über die Beschwerde von [F.T.], vertreten durch Dr. Michael KOTSCHNIGG, Steuerberater in 1220 Wien, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse, vom 27.03.2019, Zl. ..., nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ...

A) zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Nachverrechnung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von € 567.669,66, resultierend aus der Einbeziehung von Diäten und Nächtigungskosten in die Beitragspflicht, zuzüglich der daraus sich ergebenden Verzugszinsen in Höhe von € 66.774,10 berechnet bis zum 27.03.2019 sowie hinsichtlich der Abfuhrdifferenz in Höhe von € 1,68 zuzüglich der sich daraus ergebenden Verzugszinsen in Höhe von € 0,12 berechnet bis zum 27.03.2019 als unbegründet abgewiesen.

beschlossen:

II. Der Beschwerde wird im Umfang von € 272.409,87 resultierend aus der Nachverrechnung von Sozialversicherungsbeträgen von Gehaltsbestandteilen, für die keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden, samt der daraus sich ergebenden Verzugszinsen in Höhe von € 31.613,31 stattgegeben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig.“

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des F.T., über welche der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dem die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) eine Gegenschrift erstattete, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

5 Die Revision ist im Hinblick auf die in ihrer Zulässigkeitsbegründung enthaltenen Ausführungen zur Diskrepanz zwischen dem Bescheidadressaten und dem Adressaten des angefochtenen Erkenntnisses zulässig.

6 Sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

7 Die Prüfung, wem eine Eingabe im Revisionsfall die Beschwerde vom 26. April 2019 zuzurechnen ist, hat sich am äußeren Tatbestand zu orientieren (vgl. VwGH 6.7.1999, 99/10/0129; 23.4.2007, 2005/10/0140; 31.7.2012, 2010/05/0001). Maßgeblich ist, wer nach dem objektiven Erklärungswert der Eingabe unter Berücksichtigung aller Umstände als derjenige anzusehen ist, der mit dieser Eingabe die Tätigkeit der Behörde (des Verwaltungsgerichts) für sich in Anspruch nimmt. Besteht danach kein Anlass für Zweifel, wem die Eingabe zuzurechnen ist, bedarf es weder weiterer Ermittlungen iSd § 37 AVG noch eines Verbesserungsverfahrens (VwGH 23.10.2013, 2012/03/0083; 23.1.2017, Ra 2016/17/0281; 6.7.2015, Ra 2015/04/0043; 6.7.1999, 99/10/0129).

8 Der gegen den Bescheid vom 27. März 2019 gerichtete Beschwerdeschriftsatz vom 26. April 2019 wurde von einem Steuerberater (Dr. Kotschnigg) verfasst und eingebracht. Zwar ging aus den einleitenden Ausführungen dieses Schriftsatzes und dem darin angeführten Betreff nicht näher hervor, in wessen Namen diese Beschwerde erhoben wurde, weil der einschreitende Steuerberater in diesem Schriftsatz (in der Ich-Form) dazu ausführt, die Beschwerde werde „für meinen Mandanten“ erhoben, ohne dabei gleichzeitig zu präzisieren, um welche Person es sich bei diesem „Mandanten“ (Singular) handelte. Zu dessen Identifikation trug auch die auf der ersten Seite im Betreff angeführte Firmenbezeichnung nicht bei, weil es sich dabei offenkundig nur um eine Bezugnahme auf den (ebenfalls unter Anführung dieser Firmenbezeichnung adressierten) Bescheid handelte, dessen Datum und Geschäftszahl der Betreff zusätzlich enthielt (vgl. dazu, dass ein Betreff unter Umständen Aufschluss darüber geben kann, wem ein Anbringen zuzurechnen ist, dies jedoch nur dann, wenn das Schreiben auch seinem Inhalt nach auf nichts Anderes hindeutet, VwGH 14.3.1990, 86/13/0175).

9 Wen der Verfasser des Beschwerdeschriftsatzes im vorliegenden Fall mit den im einleitenden Teil der Beschwerde verwendeten Worten „mein Mandant“ gemeint hat, ergab sich aber aus dem weiteren Inhalt des Schriftsatzes eindeutig. Der Schriftsatz führt auf S. 2 aus, dass das in diesem Schriftsatz verwendete Wort „wir“ in diesem Schriftsatz „für meinen Mandanten, PWT Wr. Neustadt und mich“ stehe. In weiterer Folge wird sodann auf S. 9 des Schriftsatzes konkret und ausdrücklich bezüglich der als „mein Mandant“ bezeichneten Person auf ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren „gegen meinen Mandanten“ Bezug genommen und werden Ausführungen für den Fall getätigt, dass dieses eingestellt würde (der Schriftsatz argumentiert daran anknüpfend unter Hinweis auf ein Urteil des EGMR, aus welchem Schlussfolgerungen für das sozialversicherungsrechtliche Verfahren gezogen werden). Darüber hinaus wurden dem Schriftsatz als Belege zu diesem Vorbringen Erledigungen der Oberstaatsanwaltschaft Wien und des Landesgerichts Wiener Neustadt beigelegt, die zu dem im Beschwerdeschriftsatz erwähnten, gegen F.T. geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ergangen sind. Schon daraus ergab sich, dass mit der im Schriftsatz verwendeten Formulierung „mein Mandant“ der genannte F.T. gemeint war (als weitere Beilage zum Schriftsatz fand sich zudem ein ebenfalls an F.T. adressierter Außenprüfungsbericht des Finanzamtes Neunkirchen Wiener Neustadt).

10 Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht schon auf Grund des Beschwerdeschreibens vom 26. April 2019 keine Zweifel daran hatte, dass als Beschwerdeführer der nunmehrige Revisionswerber F.T. auftrat. Es war daher auch konsequent, dass das Verwaltungsgericht diese Person in seinem weiteren Verfahren (wie etwa in seinen Ladungen zur mündlichen Verhandlung und in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) als „Beschwerdeführer“ bezeichnet hat, wogegen sich im Übrigen weder der Revisionswerber selbst noch der ihn vertretende Steuerberater im Verlauf des Beschwerdeverfahrens jemals ausgesprochen haben. Nachfolgende Eingaben des als Verfasser des Beschwerdeschreibens auftretenden Steuerberaters (etwa ein Schriftsatz vom 5. Juni 2020 im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, in dem vom „Einschreiter [F.T.]“ die Rede ist) bestätigen vielmehr zusätzlich, dass es sich bei der im Beschwerdeschriftsatz mit „Mandant“ bezeichneten Person um F.T. gehandelt hat. Auch der vorliegende Revisionsschriftsatz lässt an der Zurechnung des Beschwerdeschriftsatzes vom 26. April 2019 zum Revisionswerber (F.T.) keinen Zweifel, zumal darin auf die Beschwerde vom 26. April 2019 ausdrücklich mit den Worten „mein Einspruch vom 26.4.2019“ Bezug genommen wird.

11 Aus dem Umstand, dass bereits der Beschwerdeschriftsatz vom 26. April 2019 nach seinem objektiven Erklärungswert zweifelsfrei dem Revisionswerber zuzurechnen war, folgt, dass der nach Zustellung der Ladungen zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durch eine Rechtsanwaltskanzlei (jene der nunmehrigen Vertreter des Revisionswerbers) namens einer vom Revisionswerber verschiedenen Person (nämlich der X.T. GmbH) eingebrachte Schriftsatz („Vollmachtsbekanntgabe, Ergänzendes Beschwerdevorbringen, Beweisanträge“) nicht als bloße Klarstellung des Zurechnungssubjekts einer insofern undeutlichen Beschwerde und damit als bloße Ergänzung dieser Beschwerde qualifiziert werden konnte, sondern als Anbringen einer (vom Revisionswerber verschiedenen) Person zu betrachten war, welcher die Beschwerde vom 26. April 2019 nicht zuzurechnen war. Dieses Anbringen war als gesonderte Beschwerde der darin als Zurechnungssubjekt angeführten GmbH zu qualifizieren und wäre vom Bundesverwaltungsgericht (und zwar nach Maßgabe des von ihm festzustellenden Zeitpunkts der Zustellung des angefochtenen Bescheides an diese GmbH allenfalls durch Zurückweisung wegen Verspätung) entsprechend zu erledigen gewesen. Dass die Ausführungen dieses Schriftsatzes auf dem Standpunkt fußten (und womöglich den Anschein zu erwecken beabsichtigten), es handle sich bei der Eingabe um ein bloß ergänzendes Beschwerdevorbringen zu einer Beschwerde, die schon ursprünglich der nunmehr einschreitenden GmbH zuzurechnen gewesen sei, ändert daran nichts, dass der objektive Erklärungswert der Beschwerde vom 26. April 2019 bereits unzweifelhaft den Revisionswerber als Beschwerdeführer erkennen ließ.

12 Der angefochtene Bescheid war jedoch worauf im Übrigen auch die Revision zutreffend hinweist nicht an den Revisionswerber, sondern an eine GmbH gerichtet: Sowohl aus dem Spruch des Bescheides als auch aus der auf der letzten Bescheidseite aufscheinenden Zustellverfügung ergibt sich der Adressat „Unternehmen X.T., e.U., nunmehr X.T. GmbH“, woraus erkennbar ist, dass die genannte GmbH jene Rechtsperson ist, über deren Rechtsstellung durch den Bescheid abgesprochen wurde. Die vom Revisionswerber erhobene Beschwerde war demnach nicht vom Adressaten des Bescheides erhoben und hätte daher mangels Beschwerdelegitimation zurückgewiesen werden müssen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dennoch über die Beschwerde des Revisionswerbers in der Sache entschieden, den angefochtenen Bescheid zum Teil abgeändert und diesen in einem trennbaren Teil aufgehoben, um die Angelegenheit an die ÖGK zurückzuverweisen. Insofern konnte der Revisionswerber auch von einer Rechtsverletzungsmöglichkeit durch dieses Erkenntnis ausgehen und ist seine Legitimation zur Bekämpfung dieses Erkenntnisses gegeben. Durch die Entscheidung über die vom Revisionswerber erhobene Beschwerde in der Sache hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch die Rechtslage verkannt und sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit belastet, wodurch der Aufhebungsgrund des § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG verwirklicht ist.

13 Dies versetzt den Verwaltungsgerichtshof in die Lage, von seiner Befugnis gemäß § 42 Abs. 4 VwGG Gebrauch zu machen, in der Sache des Beschwerdeverfahrens selbst, und zwar im Sinne der Zurückweisung der vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde zu entscheiden (vgl. VwGH 20.12.2017, Ra 2017/12/0028).

14 Bei der NÖGKK (nunmehr ÖGK) handelt es sich nach § 32 Abs. 1 ASVG um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die selbst Rechtspersönlichkeit hat. Sie ist als Selbstverwaltungskörper organisiert; ihre Tätigkeit (Vollzug der Sozialversicherungsgesetze) wird als Selbstverwaltung angesehen. Daher kommt nicht der Bund, sondern die ÖGK als zum Kostenersatz zu verpflichtender Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG in Betracht. Schon aus diesem Grund war der ausdrücklich auf Zuerkennung von Aufwandersatz durch „den Bund als Rechtsträger der belangten Behörde“ gerichtete Antrag des Revisionswerbers daher abzuweisen (vgl. VwGH 20.12.2023, Ra 2022/08/0032).

Wien, am 27. August 2024

Rückverweise