Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision von 1. N N, und
2. M N, beide in W und vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. März 2018, L515 2101113- 3/9E und L515 2101111-3/13E, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 4. April 2018, betreffend Abweisung von Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 56 AsylG 2005 und Erlassung von Rückkehrentscheidungen samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der am 31. Jänner 2008 geborene Erstrevisionswerber und die am 13. April 2009 geborene Zweitrevisionswerberin sind die Kinder von M. N. und A. T. Alle sind georgische Staatsangehörige. Die Eltern sind mittlerweile standesamtlich verheiratet. 2 Der Vater A. T. reiste Ende August 2005 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte unter Verwendung einer falschen Identität am 28. August 2005 einen Asylantrag, der im zweiten Rechtsgang mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. Jänner 2007 gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen wurde; unter einem wurde seine (insbesondere) Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig erklärt und seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet verfügt. Dagegen erhob A. T. eine Berufung. In der Folge wurde er zweimal strafgerichtlich verurteilt, und zwar wegen versuchten Diebstahls zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Monat und wegen versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten (davon acht Monate bedingt nachgesehen).
3 Mittlerweile war M. N. Anfang Jänner 2006 nach Österreich nachgekommen. Sie stellte am 9. Jänner 2006 - ebenfalls unter Verwendung einer falschen Identität - einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. März 2007 in Verbindung mit einer Ausweisung nach Georgien zur Gänze abgewiesen wurde. Auch sie erhob eine Berufung. 4 Am 31. Jänner 2008 wurde der Erstrevisionswerber in Österreich geboren. Für ihn wurde unter Angabe eines falschen Namens am 22. Februar 2008 ein Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren gestellt, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 2. April 2008 abwies; unter einem wurde er aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde sowie die Rechtsmittel seiner Eltern wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnissen vom 30. Oktober 2008 als unbegründet ab.
5 Von den drei Genannten am 12. März 2009 gestellte Asylfolgeanträge wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 20. März 2009 gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und neuerlich ihre Ausweisung (nach Georgien) verfügt. Die dagegen erhobenen Beschwerden wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnissen vom 20. April 2009 als unbegründet ab.
6 Am 13. April 2009 war die Zweitrevisionswerberin in Österreich geboren worden; auch bei ihr wurde gegenüber den Behörden ein unrichtiger Name angegeben. Für sie wurde kein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
7 Die Familie verblieb auch nach Ablauf des bis 15. Juni 2009 eingeräumten Aufschubs der Durchsetzung der Ausweisung in Österreich. In der Folge unternommene Versuche, für sie Heimreisezertifikate zu erlangen, blieben wegen der unrichtigen Identitätsangaben erfolglos. Ihr Aufenthalt wurde daher ab 15. Juli 2011 gemäß § 46a Abs. 1a FPG (idF des FrÄG 2011) geduldet, weil ihre Abschiebung aus tatsächlichen, von ihnen (vermeintlich) nicht zu vertretenden Gründen unmöglich erschien. Die beiden Revisionswerber und ihre Mutter erhielten am 15. Juli 2012 antragsgemäß bis 14. Juli 2013 gültige "Aufenthaltsbewilligungen für besonderen Schutz" nach § 69a Abs. 1 Z 1 NAG (idF des FrÄG 2011); A. T. wurde dieser Aufenthaltstitel aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens verwehrt; sein Aufenthalt war aber weiterhin geduldet. 8 Alle Familienangehörigen stellten am 9. Juli 2013 (nach späterer Abänderung) Anträge auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 NAG. Dabei legten die Eltern jeweils im März/April 2013 in Georgien ausgestellte, gültige georgische Reisepässe, die auf ihre richtigen Identitäten lauteten, vor. Auf entsprechenden Vorhalt, dass das Scheitern (der Vorbereitung) der Abschiebung, die Duldungen und die Erteilung von Aufenthaltstiteln nur durch die unrichtigen Identitätsangaben bewirkt worden seien, erklärten die Eltern bei ihrer Befragung am 1. August 2013 übereinstimmend, ihnen tue "die Sache" leid, sie glauben aber, dass "es alle Leute so machen würden"; sie hätten einfach Angst gehabt, wieder zurück nach Georgien zu müssen. Über die genannten Anträge wurde von der Niederlassungsbehörde im Hinblick auf ein Vorgehen gemäß § 25 NAG nicht entschieden. 9 Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 31. März 2014 wurde M. N. wegen Fälschung besonders geschützter Urkunden als Beteiligte nach den §§ 12 (zweiter Fall), 223 Abs. 1, 224 StGB, wegen versuchter Schlepperei nach § 15 StGB, § 114 Abs. 1 FPG und wegen entgeltlicher Beihilfe zum unbefugten Aufenthalt nach § 115 Abs. 1 FPG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten rechtskräftig verurteilt. Diesem Schuldspruch lag zusammengefasst zugrunde, dass M. N. im Zeitraum April 2009 bis September 2013 bei einem Mittäter für mehrere Drittstaatsangehörige durch Auswechslung der Datenseite verfälschte tschechische Reisepässe und gefälschte tschechische Führerscheine bestellte. Mit weiterem gegen M. N. ergangenem Strafurteil vom 8. Oktober 2014 wurde sie noch der unrechtmäßigen Inanspruchnahme von sozialen Leistungen nach § 119 zweiter Satz FPG und der mittelbaren unrichtigen Beurkundung nach § 228 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Zusatzfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Beim zweiten Vergehen hatte sie die Eintragung der falschen Identität in ihren österreichischen Führerschein bewirkt. Dem ersten Vergehen lag zugrunde, dass sie unter Berufung auf ein gemäß § 120 Abs. 2 FPG erschlichenes Recht Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung und der Grundversorgung im Gesamtausmaß von zumindest EUR 19.215,50 in Anspruch genommen habe. Eine solche unrechtmäßige Inanspruchnahme von sozialen Leistungen im Gesamtausmaß von zumindest EUR 6.050,-- nach § 119 zweiter Satz FPG wurde auch A. T. zur Last gelegt, weshalb er mit Urteil vom 8. Oktober 2014 zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt wurde.
10 Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27. Jänner 2015 wurde (von Amts wegen) ausgesprochen, dass allen Familienangehörigen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt werden. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig sei. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 und Abs. 3 Z 1 FPG wurden überdies gegen A. T. und M. N. jeweils auf die Dauer von fünf Jahren befristete Einreiseverbote erlassen.
11 Die dagegen von A. T. erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 25. November 2015 als unbegründet ab; jene der anderen Familienmitglieder wies es mit der Maßgabe ab, dass die Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 4 Z 1 und 4 FPG erlassen werden.
12 Ungeachtet dessen erfolgte weiterhin keine Ausreise. Am 22. September 2016 wurden für die beiden Kinder Anträge auf Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 56 Abs. 2 AsylG 2005 gestellt.
13 Diese Anträge wies das BFA mit den im zweiten Rechtsgang erlassenen Bescheiden vom 5. Jänner 2018 ab. Unter einem wurden gegen die Revisionswerber (neuerlich) Rückkehrentscheidungen, nunmehr gestützt auf § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 3 FPG, erlassen und (wiederum) gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig sei.
14 Dagegen erhoben die Revisionswerber jeweils Beschwerde und legten im Rahmen des weiteren Verfahrens Patenschaftserklärungen im Sinne des § 2 Z 26 AsylG 2005 vor. Das BVwG wies diese Beschwerden mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. März 2018 als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach es noch aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
15 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
16 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt zwar nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
17 In dieser Hinsicht wird von den Revisionswerbern - nach Abtretung der zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde, deren Behandlung mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 26. November 2018, E 1837, 1838/2018- 7, abgelehnt worden war - in der dann fristgerecht ausgeführten außerordentlichen Revision geltend gemacht, es fehle "eine klarstellende höchstgerichtliche Rechtsprechung (zu) der Frage, nach welchen Kriterien das der Behörde gemäß § 56 Abs. 1 AsylG eingeräumte Ermessen in einem Fall wie dem gegenständlichen auszuüben ist." Dabei sei davon auszugehen, dass weder das BFA noch das BVwG Zweifel daran gehabt hätten, dass die Revisionswerber "grundsätzlich die Kriterien des § 56 AsylG erfüllen".
18 § 56 AsylG 2005 (in der seit 1. Oktober 2017 geltenden Fassung BGBl. I Nr. 68/2017) normiert unter der Überschrift "Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen"
Folgendes:
"§ 56. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, auch wenn er sich in einem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vor dem Bundesamt befindet, eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige jedenfalls
1. zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist,
2. davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, seines festgestellten durchgängigen Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig gewesen ist und
3. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird.
(2) Liegen nur die Voraussetzungen des Abs. 1 Z 1 und 2 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen.
(3) Die Behörde hat den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit,
die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 kann auch durch Vorlage einer einzigen Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 26) erbracht werden. Treten mehrere Personen als Verpflichtete in einer Erklärung auf, dann haftet jeder von ihnen für den vollen Haftungsbetrag zur ungeteilten Hand."
19 In diesem Zusammenhang bestimmt § 60 AsylG 2005 unter der Überschrift "Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen" Nachstehendes:
"§ 60. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn
1. gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht, oder
2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht.
(2) Aufenthaltstitel gemäß § 56 dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn
1. der Drittstaatsangehörige einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird,
2. der Drittstaatsangehörige über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist,
3. der Aufenthalt des Drittstaatsangehörige zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 5 NAG) führen könnte, und
4. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden.
(3) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen widerstreitet dem öffentlichen Interesse, wenn