Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des M alias M R A in N, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. September 2016, Zl. L519 2126630-1/8E, betreffend eine Asylangelegenheit, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 20. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab er zusammengefasst an, dass er zwar geborener Moslem, aber im Herzen Christ sei. Da er in seiner Heimat Hauskirchen besucht habe, sei er von der "Sepah" (Iranische Revolutionsgarde) festgenommen und drei Tage angehalten worden. Nach seiner Entlassung habe er telefonische Drohungen erhalten, weil er wieder begonnen habe, die Hauskirchen zu besuchen. Aus Angst um sein Leben habe er den Iran verlassen. In Österreich besuche er die Kirche.
2 Das BFA wies den Antrag mit Bescheid vom 4. Mai 2016 gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in den Iran fest (Spruchpunkt III.).
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen eingebrachte Beschwerde gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 und 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46 und 55 Fremdenpolizeigesetz (FPG) mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der erste Satz von Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids zu lauten habe: "Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 Asylgesetz 2005 nicht erteilt." (Spruchpunkt A). Eine Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).
4 In seiner Begründung führte das BVwG aus, dass die vom BFA vorgenommene Beweiswürdigung in sich schlüssig und stimmig sei und auch das BVwG von der völligen Unglaubhaftigkeit der Angaben des Revisionswerbers in Zusammenhang mit seiner behaupteten Konversion ausgehe, weil es gravierende Widersprüche in seinem teils vagen Vorbringen gebe. Seine Kenntnisse des Christentums seien äußerst oberflächlich und vollkommen unzureichend. Die Tatsache, dass der Revisionswerber lediglich zu Vortreffen zum Katechumenat zugelassen worden sei, zeige, dass auch die katholische Pfarre am Wohnort Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Konversion des Revisionswerbers habe. Es hätten sich somit keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung ergeben.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende
außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit und in der
Sache u.a. vorgebracht wird, das BVwG sei von der Rechtsprechung
des Verwaltungsgerichtshofs krass abgewichen, indem es die
Vernehmung des für den Verfahrensgegenstand zentralen Zeugen,
nämlich des anlässlich der mündlichen Verhandlung beim BVwG
anwesenden Kaplans, der den Glaubenswechsel des Revisionswerbers
begleite, unterlassen habe. Hätte das BVwG den Zeugen
einvernommen, so hätte er insbesondere dargelegt, dass die Kirche
von der Ehrlichkeit der Bestrebungen des Revisionswerbers in Bezug
auf seine Konversion überzeugt sei, ihn deshalb in das
Katechumenat aufgenommen habe und ein weiterer wichtiger Schritt
auf dem Weg zur Taufe zu Ostern 2017 genommen worden sei. Des
Weiteren hätte er vorbringen können, dass die Zuwendung zum
christlichen Glauben als Teil der Identität des Revisionswerbers
wahrgenommen werde und demnach nicht vom Revisionswerber verlangt
werden könne, seinen identitätsstiftenden Glauben im Falle einer
Rückkehr zu verleugnen. Das BVwG wäre folglich mit
verfahrensmaßgeblicher Wahrscheinlichkeit von der Glaubwürdigkeit
der inneren Haltung des Revisionswerbers ausgegangen und hätte ihm
angesichts der gerichtseigenen Länderfeststellungen die
Asylberechtigung zuerkannt. Unter einem legte der Revisionswerber
eine eidesstattliche Erklärung des genannten Zeugen vor, in der
dieser Folgendes bestätigte: "Ich ... erkläre eidesstattlich, dass
ich am 27. Juni 2016 (den Revisionswerber) zum
Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Linz, ... begleitet habe. Da
ich (den Revisionswerber) seit Ende Februar 2016 in unserer Pfarre ... auf seinem Glaubensweg zum Christsein betreue, habe ich ihn als Vertrauensperson zu dieser Verhandlung begleitet. Ich bin mit ihm auch in den Verhandlungssaal eingetreten, habe mich als Kaplan
der Pfarre ... und als Betreuer (des Revisionswerbers)
vorgestellt, doch die amtsführende Richterin ... hat mir
mitgeteilt, dass ich nicht bei der Verhandlung teilnehmen darf und draußen warten sollte! Ich hätte als Zeuge aussagen können, dass (der Revisionswerber) seit Februar wöchentlich an Glaubenskursen unter meiner Leitung teilgenommen hat, 2-3 Mal in der Woche den Gottesdienst besucht und ich der Überzeugung bin, dass seine Absicht, Christ zu werden, ehrlich gemeint ist. Seit Februar 2016 ist die Vertiefung seiner Kenntnisse über das Christentum merkbar. Am 16. Oktober ist er gemeinsam mit einem anderen Taufbewerber offiziell in das Katechumenat aufgenommen worden. ..."
5 Das BFA nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Revision ist iSd Zulässigkeitsbegründung zulässig und
begründet.
7 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und
der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. September 2015, Ra 2015/19/0091, mwN).
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG gilt. Für das Asylverfahren stellt § 18 AsylG 2005 eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2015, Ra 2015/18/0082 bis 0087, mwN).
9 Das BVwG ging in der angefochtenen Entscheidung von der Unglaubwürdigkeit der behaupteten Konversion aus. Es stützte sich dabei auf die widersprüchlichen Aussagen des Revisionswerbers während des Asylverfahrens sowie eine im Rahmen der mündlichen Verhandlung durchgeführte Befragung zu seinen Kenntnissen bezüglich des Christentums und auf den Umstand, dass auch die katholische Pfarre am Wohnort Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Konversion habe, da der Revisionswerber nach der vorgelegten Bestätigung lediglich das Vorkatechumenat besuche.
10 Im Zuge der Prüfung der behaupteten Konversion hat es das BVwG im Hinblick auf die Ermittlung der aktuell bestehenden Glaubensüberzeugung des Revisionswerbers aber unterlassen, den zur Verhandlung erschienenen Kaplan als Zeugen der religiösen Aktivitäten in Österreich zu befragen. Wie die Revision zutreffend aufzeigt, wäre dieser Kaplan jedenfalls in der Lage gewesen, zur Einbindung des Revisionswerbers in der Pfarrgemeinde sowie zur Ernsthaftigkeit der Konversion des Revisionswerbers Auskunft zu geben. Er hätte damit zu einem zentralen Element des Fluchtvorbringens, nämlich zu den Taufvorbereitungen sowie zur Hinwendung zum Christentum, aussagen können.
Das BVwG hat hingegen, obwohl der Aufnahme dieses unmittelbaren Beweises aufgrund der Anwesenheit des Kaplans am Verhandlungstag kein tatsächliches Hindernis entgegenstand, einen mittelbaren Beweis, nämlich die Bestätigung des Kaplans über den Besuch des Vorkatechumenats, zur weiteren Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Revisionswerbers zu seiner Konversion herangezogen. Unmittelbarkeit im Hinblick auf die Aussage eines Zeugen bedeutet jedoch die Einvernahme vor dem Verwaltungsgericht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2015, Ra 2015/18/0082 bis 0087, mwN).
11 Das BVwG hätte in dieser konkreten Fallkonstellation den Kaplan daher zur Klärung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts und somit insbesondere zur Frage der Ernsthaftigkeit der Konversion als Zeugen einvernehmen müssen. Indem das BVwG den Kaplan im Verfahren trotz seiner zentralen Rolle für das Fluchtvorbringen und trotz Erscheinens am Verhandlungstag gemeinsam mit dem Revisionswerber nicht als Zeugen einvernommen hat, ist ihm ein gravierender Verstoß gegen die in § 18 Abs. 1 AsylG 2005 normierte amtswegige Ermittlungspflicht und sohin gegen einen tragenden Grundsatz des Verfahrensrechts unterlaufen.
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus den obigen Erwägungen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Mai 2017